Christian Lindner wollte ausgerechnet bei der Entschädigung für Holocaustüberlebende sparen

Es gibt leider nur noch etwa 200.000 Holocaustüberlebende. Dabei sind 90 Prozent dieser Zeitzeugen bereits über 80 Jahre alt und jeden Tag werden es weniger. Beschämenderweise leben viele in Armut und sind auf Lebensmittelspenden angewiesen. Ausgerechnet bei ihnen wollte der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) instinktlos bezüglich der Höhe der Entschädigungszahlungen den Rotstift ansetzen. Mit Verweis auf die Schuldenbremse wollte Lindner ohne jedes geschichtsbezogene Fingerspitzengefühl bis zuletzt und auch gegen die Skrupel von Teilen seiner eigenen Regierungskoalition an dieser Politik festhalten. Ein unwürdiger Akt eines deutschen Ministers, der es, wie aus Funk und Fernsehen sattsam bekannt, privat und für sich eher luxuriös mag. (JR)

Von Deborah Ryszka

Während der Coronazeit war es nicht wirklich gut um die Vernunft bestellt: Einerseits voreilige Entschlüsse und übervorsichtige Lockerungen bei den politischen Entscheidungsträgern. Andererseits die Lust an liebedienerischer Unterwerfung - zumindest bei einem Teil der Bevölkerung. Jetzt hat sich auch noch die politische Kompetenz in Quarantäne begeben: Steigende Energie- und Gaspreise, steigende Inflation, steigende Pauperisierung. Weit und breit ist einfach kein Ende in Sicht.

Und der Staat? Während er der breiten Bevölkerung mit Energiepauschale und anderen „Schutzschirmen“ nicht mehr als Almosen-Pakete „schnürt“, inszeniert sich „Vater Staat“ gleichzeitig als helfender Ritter in scheinender Rüstung. „You‘ll never walk alone“, ertönte es bekanntermaßen von den Lippen unseres Bundeskanzlers. Was er damit tatsächlich meinte: „we‘ll never walk alone“. Wobei mit „we“ der aufgeblähte Staatsapparat um Scholz und Konsorten gemeint ist. Dieser profitiert tatsächlich von den steigenden Preisen.

Je mehr die Preise steigen, desto mehr an Steuern kassiert er auch ein. Die Steuereinnahmen sprudeln nur so vor sich hin. Daher können die Bundesministerien für das nächste Jahr mit mehr Geld rechnen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach etwa erhält 2,4, Milliarden Euro zusätzlich. Ebenso Finanzminister Christian Lindner. Er kann sich über zusätzliche 10 Milliarden mehr freuen, mit denen er in die Aktienrente einsteigen kann.

Trotzdem übermannte Lindner die von ihm selbst propagierte „Gratismentalität“. Um Ausgaben des Finanzministeriums zu reduzieren, schaute er erst einmal bei den anderen ganz genau hin. Und just war der Rotstift bei den Entschädigungszahlen an Überlebenden der Shoah angesetzt. Wenig überraschend hagelte es sofort Kritik. Um nur einige der empörten Stimmen zu nennen: Rishi Sunak, Premierminister des Vereinigten Königreich von Großbritannien, und die israelische Regierung wendeten sich prompt an die Bundesregierung. Zu Recht.

Ist irgendetwas nicht bis ans Finanzministerium gelangt? Spätestens seit der Coronakrise ist doch „Solidarität“ zur Lieblingsbeschäftigung der Bundesregierung geworden. Solidaritätsbekundungen überall. Maske tragen? Ist gelebte Solidarität. Regenbogenfahne hissen? Ebenso. Gendergerecht reden? Solidarität „at it‘s best“. Die Solidaritäts-Welle überflutet gerade ganz Deutschland. Wer etwas von sich hält, trägt das „Wir“ wie eine Monstranz vor sich her.

Doch Moment. Solidarität, das gilt ja immer für die anderen. Nicht für einen selbst. Noch weniger für diejenigen, die darüber bestimmen, was solidarisch sei und was nicht. Es ist eben viel einfacher und angenehmer sich solidarisch zu fühlen und zu inszenieren, statt solidarisch zu handeln. Soll doch der Bürger die „dreckige Arbeit“ des Handelns übernehmen.

Nichts anderes sehen wir gerade: Die Tafeln in Deutschland platzen aus allen Nähten. Mancherorts können keine Neukunden aufgenommen werden. So schlimm ist die Lage. Es ist dieses „Wir“ der breiten Bevölkerung, das am Anschlag steht und nicht weiß, wie es weiter gehen soll. Das andere „Wir“, metaphorisch um Scholz, Habeck und Lindner, kann sich dagegen über Mehreinnahmen im nächsten Jahr freuen.

Doch gerade sie gehören zu einer privilegierten Gruppe, die es sich leisten kann, ohne große Abstriche und existenzielle Einbußen, solidarisch zu handeln. Wie wäre es daher in diesen schwierigen Zeiten, den Rotstift da anzusetzen, wo es kaum spürbar und leicht verkraftbar wäre? Nicht nur den Bürgern „reglementierte Solidarität“ aufzwingen, sondern selbst „freiwillige Solidarität“ leben und vorleben?

Ist es schließlich zu viel des Guten verlangt, wenn Abgeordnete auf einen Teil (ihrer sowieso überzogenen Entschädigung) in Höhe von monatlich 10.323,29 Euro verzichten? Oder eine Nummer kleiner: auf ein Monatsgehalt? Muss wirklich zum Frühjahr 2023 der Spatenstich zum 777 Millionen Euro kalkulierten Erweiterungsbau des Bundeskanzleramtes gelegt werden? Doch bleiben wir realistisch: Das IST einfach zu viel des Guten verlangt.

 

Deborah Ryszka, geb. 1989, M. Sc. Psychologie, Doktorandin der Philosophie und freie Publizistin.

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