Buchempfehlung – „Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht begehren“

Der beliebte jüdisch-schweizerische Bestsellerautor Michel Bergmann hat der Krimiwelt mit Rabbi Silberbaum einen neuen Ermittler geschenkt und schickt ihn in seinem zweiten Band in die nächste Ermittlungsrunde durch Frankfurt am Main.

Von Filip Gašpar

Die Weltklasse-Schwimmerin Galina Gurewitz ist wie vom Erdboden verschluckt. Doch die besorgte Mutter möchte keine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben. Und auch ihr 30 Jahre älterer sonst zu Eifersucht und Jähzorn neigende Ehemann Semjon Gurewitz bleibt erstaunlich gelassen und scheint sich keine Sorgen um seine wunderhübsche Gattin zu machen. Semjons Exfrau und Kinder scheinen gar froh zu sein, die Nachfolgerin und Stiefmutter weg zu wissen. Blöd, dass Galina Gurewitz Mitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ist, was zugleich der Arbeitsplatz von Rabbiner Henry Silberbaum ist.

Aufmerksame Leser werden wissen, dass Rabbiner Silberbaum einen guten Freund bei der Frankfurter Polizei hat, nämlich den Polizeikommissar Berking. Zurück ist das vom Drehbuchautor und Schriftsteller erschaffene Krimiduo Michel Bergmann für den zweiten Band, der im letzten Jahr gestarteten Krimi-Reihe, die sich an den zehn Geboten orientieren, ein vom Rabbiner Julian-Chaim Soussan ausgestelltes Koscher-Zertifikat besitzen und im Heyne-Verlag erscheinen werden. Verlag und Autor wollten explizit keinen weiteren Hauptstadtkrimi auflegen und sich auch im nun vorliegenden zweiten Band „Du sollst nicht begehren“ mit der Wahl der Mainmetropole treu geblieben. So kann der in Frankfurt aufgewachsene Bergmann seine Expertise über die Stadt mit einfließen lassen.

Die aus dem ersten Band bekannte Hauptfigur Rabbi Henry Silberbaum, ausgestattet mit vielen Klischees, wie dem jiddischen Witz, eine alles hinterfragende Skepsis, die einen guten Ermittler ausmacht, und natürlich die dauernörgelnde jüdische Mutter darf natürlich auch nicht fehlen. Passend dazu hat Bergmann ein weiteres Buch mit dem Titel „Mameleben: oder das gestohlene Glück“ geschrieben, das im Frühjahr 2023 im Diogenes-Verlag erscheinen soll. Natürlich treten als Nebenfiguren auch ein jüdischer Anwalt und ein jüdischer Arzt auf.

Der 1945 in Riehen bei Basel als Kind internierter jüdischer Flüchtlinge geborene Michel Bergmann bewies schon mit seinen Büchern „Machloikes“ und „Die Teilacher“ wie gut er deutschen und jüdischen Stoff zu einer literarischen Symbiose machen kann. Unvergessen der Film von 2017 „Es war einmal in Deutschland“ mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle, dem die beiden genannten Büchern zugrunde liegen.

 

Der erste Band

Im ersten Band löste Silberbaum die mysteriösen Umstände hinter dem plötzlichen Ableben der herzkranken und wohlhabenden Bewohnerin des jüdischen Altenheims Axelrath. Der über zehn Jahre jüngere, nicht übermäßig trauernde Ehemann und laut Testament zukünftig auch sehr reiche Witwer, pochte auf eine schnelle Beisetzung seiner Frau. Was auch geklappt hätte, wenn die Verstorbene nicht kurz vor ihrem Ableben dem Rabbiner anvertraut hätte, dass sie ihren Mann verlassen, um zu ihrer Tochter nach Israel auszuwandern und natürlich noch das Testament stark zu Ungunsten ihres Ehemanns ändern wollte. Außerdem hatte die den Verdacht von ihrem Gatten mit der Vermögensverwalterin, ausgerechnet eine Schickse, betrogen zu werden. Alles deutete auf ein Herzversagen der vorerkrankten Patientin an und der tragische Tod wäre bestimmt auch schnell abgewickelt gewesen, wenn es nicht das Schlitzohr Silberbaum gegeben hätte, dessen geschultem Auge sofort der zerbrochene Teller, den die Frau bei ihrer Herzattacke umgestoßen haben soll, auffiel. Die aus Israel angereiste Tochter der Verstorbenen unterstützt als einzige von Anfang an den Rabbi in seinen Ermittlungen.

Zu jedem guten Ermittler gehört auch ein Partner, der in vielen Zügen das genaue Gegenteil ist. Dieser wurde im ersten Band in Form von Kommissar Robert Berking eingeführt, der Silbermann nachts auf dem jüdischen Friedhof festgenommen hat, als dieser sich in Begleitung einer Urne und einer hübschen Kollegin dort aufhielt. Wie der mürrische und verschlossene Berking, der das genaue Gegenteil vom Rabbi ist, mit ihm zusammenfindet, wird im ersten Band aufgezeigt. Überhaupt werden wiederkehrende Orte und Figuren dort eingeführt. Wie da wären der Gemeindevorsitzende, der aus Angst um das Ansehen der Gemeinde Silberbaum stetig mit einer Kündigung droht. Die Fernbeziehung zu seiner New Yorker Freundin, die Mutter und ein treuer Vierbeiner. Der Leser bekommt auch zu Gesicht, welche unorthodoxen Pfade zu beschreiten Silberbaum bereit ist, und die Gesetze, sowohl die jüdischen als auch die weltlichen, zu seinen Gunsten auszulegen vermag.

Lesern sei der erste Band nicht nur ans Herzen zu legen, damit sie erfahren, wie das Gespann Silberbaum und Berker, die Hintergründe vom Ableben von Frau Axelrath aufdecken, sondern um auch ein Gefühl für die gut übermittelte Atmosphäre von Frankfurt in und außerhalb des jüdischen Alltags zu erleben.

 

Der zweite Band

Und damit beginnt auch der zweite Band, wenn das Verschwinden eines Gemeindemitglieds die Spürnasenleidenschaft wieder in Rabbiner Silberbaum entfacht. Die nicht nur Weltklasse-Schwimmerin, sondern auch junge und bildhübsche Galina Gurewitz ist seit Längerem verschwunden, doch es gibt keine Vermisstenanzeige, niemand sucht nach ihr, weder der Ehemann noch jemand anderes. Schließlich wendet sich die Mutter von Gurewitz an den Rabbi, doch scheint sie nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Den doppelt so alte Ehemann Semjon Gurewitz, ein Frankfurter Geschäftsmann, bekannt für seine Verbindungen zur kriminellen Unterwelt, gerät sofort in den Verdacht des Rabbi. Dass die Ehe keine Liebesheirat war, wird schnell offensichtlich. Semjon war bereit, seine Frau für eine jüngere Frau, die dazu noch hübsch und eine bekannte Olympiaschwimmerin, aber leider arm war, zu verlassen. Die wiederrum wurde von ihrer von Geldsorgen geplagten Mutter dazu gedrängt, diese Heirat einzugehen.

Doch Semjon Gurewitz passt es gar nicht in den Kram, dass der Rabbi bei der Suche nach der Verschwundenen helfen will. Ganz im Gegenteil. Er droht diesem sogar offen und warnt ihn davor, sich weiter in diese Angelegenheit einzumischen. Außer Frage, dass er damit das Interesse von Silberbaum erst recht entfacht, und dieser zusammen mit Kriminalkommissar Berking sich auf die Suche begibt.

Die Handlung ist teilweise sehr kurzweilig, doch niemals langweilig, und der Leser erfährt nebenbei auch einiges über jüdische Feiertage, jüdisches Leben in Frankfurt und auch über die Entstehung und Struktur des Talmuds. Auch der Umgang der Gemeindemitglieder untereinander wird beleuchtet. Nebenbei nimmt der Rabbi noch an einer Fernsehdebatte, die von Andrea Kiewel, die selbst zeitweise in Tel Aviv lebt, moderiert wird, teil. Natürlich geht es um das Thema Antisemitismus, doch der Rabbi übernimmt die Bühne und liefert treffende Erkenntnisse zum Thema. Allein diese kurze Episode macht das Buch lesenswert.

Aber auch die Ermittlungen zum Verbleib von Frau Gurewitz sind mit Spannung beladen und geben Einblicke in das Leben der eingewanderten russischsprachigen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die heute eine hohe Zahl der Juden in Deutschland und einen großen Anteil am jüdischen Leben in Deutschland ausmachen. Zu diesen Einwanderern gehört auch Semjon Gurewitz, aber eine ganze Menge ist nicht koscher an der Vita dieses Mannes. Mehr dazu im Buch.

Bergmann hat mit seiner Figur des ermittelnden Rabbiners Silberbaum eine spannende und unterhaltsame Krimireihe geschaffen, einen deutsch-jüdischen „Tatort“. Und auch wenn der zweite Band schnell durchgelesen ist, gibt es eine gute Nachricht: Silberbaum kommt zurück.

 

Michel Bergmann: „Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht begehren“. Heyne, München 2022, 288 S., 12 €

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