Vor 125 Jahren legte der 1. Zionistenkongress den Grundstein für die Staatsgründung Israels

Am 29. August 1897 begann der erste Zionistenkongress in Basel. Theodor Herzl hatte zuvor mit seinem Buch „Der Judenstaat“ die Vision eines eigenen jüdischen Staates in die Köpfe der Weltöffentlichkeit gepflanzt. 50 Jahre nachdem jüdische Delegierte die Schaffung eines „Judenstaates“ Palästina beschlossen, stimmte die UN-Generalversammlung im Jahr 1947 für die Gründung des Staates Israel.

Herzl auf dem Balkon des Hotels Les Trois Rois mit dem Rheinblick während des 5. Zionistenkongresses im Dezember 1901 in Basel.
© WIKIPEDIA

Von Asael Avelman (Segula)

Unter den Teilnehmern des Ersten Zionistenkongresses, der im Spätsommer 1897 in Basel stattfand, waren kaum Weltberühmte jüdische Vertreter anwesend. Jedoch die immensen Anstrengungen, die Theodor Herzl an den Tag legte, um diesem Ereignis das höchstmögliche Prestige zu ermöglichen, zahlten sich in Gänze aus. Genau von diesem Moment an wurde der Zionismus zu einer politischen Bewegung, die niemand mehr ignorieren konnte.

Herzls Buch „Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“, das im Februar 1896 veröffentlicht wurde, fand eine beeindruckend breite Resonanz in dutzenden jüdischen Zeitungen in ganz Europa. Es wurde bereits nach wenigen Monaten auf Englisch, Französisch, Russisch, Jiddisch, Iwrit, Rumänisch und Bulgarisch übersetzt. Dieser unglaubliche Erfolg änderte augenblicklich den Status des Autors und die Breite seiner Tätigkeit.

Das Problem des europäischen Judentums beschäftigte Herzl schon lange vor dem Erscheinen seines Buches. Vor der Veröffentlichung agierte Herzl jedoch im Alleingang und tauschte sich kaum mit anderen Menschen aus, die hilfreich für die Verbreitung der zionistischen Ideen sein könnten. Jetzt aber wurde der Name des Autors des Buches „Der Judenstaat“ allen Juden in Europa bekannt – von Russland, Galizien und Bulgarien im Osten bis Frankreich und Großbritannien im Westen. Bereits im Sommer 1896 war Herzl auf dem Weg in die Türkei, in der Hoffnung dort seine Sicht und Vorhaben zu realisieren.

Als die bedeutendste Tatsache im ganzen Geschehen kann ohne Zweifel der Fakt gelten, dass Herzl diesen atemberaubend schnellen Aufstieg zur Berühmtheit ohne jegliche finanzielle oder offizielle Hilfe gemeistert hat.

 

Der Versammler der Verbannten

Jetzt, in dem Bemühen so viele Gleichgesinnte anzuziehen, wie nur möglich, unterhielt Herzl einen regen Briefwechsel mit ihnen und bereiste intensiv ganz Europa. Nach und nach war die Idee gereift, alle Unterstützer des Zionismus aus allen Winkeln des Kontinents zu versammeln. Herzl suchte lange Zeit nach einem passenden Ort für die Durchführung eines solchen Kongresses. Und nun endlich rief er die jüdischen Organisationen und einzelne Aktivisten zusammen, um sich vom 29. bis zum 31. August 1897 in Basel zu treffen.

Die von ihm verfasste Einladung spricht für sich:

„Der Congreß wird die Wünsche unserer an den verschiedenen Orten bedrängten Brüder entgegennehmen und die Mittel zur Abhilfe beraten…“.

Weiter wird von den Aktivisten gesprochen, die bis jetzt im Alleingang und weit von einander entfernt agierten und nun sich vereinigen könnten. Man wird Augenzeuge von der Versammlung der Verbannten sein, die es ermöglichen wird, alle Bemühungen auf ein einziges Ziel auszurichten. Der Kongress wird von Freunden und Feinden mit Ungeduld erwartet, deswegen muss man ganz klar in den Zielsetzungen sein und ist verpflichtet, um alles in der Welt eigene Befähigungen und eigenes Können zu zeigen. Man zählt darauf, dass alle Angeschriebenen sich im Klaren darüber sind, wie wichtig ihre Anwesenheit ist. Auf dem Kongress würde es eine Möglichkeit geben, sich auf Iwrit zu unterhalten. In Basel gibt es ein koscheres Hotel.

Von Anfang an war Herzl der Meinung, dass die schweizer Neutralität eine positive Rolle spielen würde beim Organisieren des Kongresses. Jedoch gab die Schweiz einigen russischen Nihilisten (unter ihnen wird bald auch Wladimir Lenin sein) Zuflucht, und einige der russischen Zionisten befürchteten, dass ihre Bewegung in den Augen der Regierenden vermengt wird mit dem revolutionären Untergrund. Alternativ wurde München vorgeschlagen, da aber waren die dortigen Reformisten dagegen, die fest davon überzeugt waren, dass die zionistischen Bestrebungen der so mühevoll gewonnen Emanzipation, (sprich Integration – Anmerk. des Übersetzers DS) widerstreben, auf die sie so stolz waren. Was sollte man da über die Umsiedlung nach Palästina beraten, wenn sie sich zuallererst als Deutsche und erst dann als Juden sahen? Am Ende setzte Herzl wieder auf Basel und der Erste Zionistenkongress fand im Konzerthaus des dortigen Stadtcasinos statt.

 

Wie für die Oper gekleidet

Herzl arbeitete fiebrig, um den Kongress ja rechtzeitig eröffnen zu können. Dabei war er absolut von der Notwendigkeit überzeugt, den Kongress auf allerhöchstem professionellen Niveau durchzuführen, um den feindlich Gesinnten keine Chance zu geben, die Kompetenz der Veranstalter und die Wichtigkeit des Kongresses in Frage zu stellen. Das Personal beherrschte alle Sprachen der zu erwarteten Teilnehmer. Ein Programm wurde im Vorab gedruckt, was sich als ziemlich kompliziert und vor allem kostspielig erwies.

Eine besondere Aufmerksamkeit galt den Papierkarten,, die an alle Teilnehmer verteilt wurden. Sie waren geschmückt mit dem blauen, rot umrandeten Davidstern, und es stand auf ihnen geschrieben, dass nur die Gründung eines jüdischen Staates als einzige Lösung der Judenfrage infrage kommt. Ausserdem verlangte Herzl von den Teilnehmern die Einhaltung eines bestimmten Dresscodes. Sie hatten in der feierlichen Kleidung, die der eines Theater- oder Opernbesuchs entsprach, zu dem Kongress zu erscheinen. Sogar eine Werbekampagne wurde durchgeführt: eine Briefsondermarke erschien, einige Pressemitteilungen vorbereitet, und Herzl selbst besuchte die Kanzlei des Primus Inter Pares des Kantons und lud ihn ein, an einer der Sitzungen teilzunehmen. Der schweizer Politiker folgte der Einladung, was der Veranstaltung eine besondere Gewichtung verlieh und die Berichterstattung in der Presse anregte.

Theodor Herzls Auftritt auf dem Ersten Zionistenkongress 1897.


Letztendlich kamen ca. 200 Delegierte aus 24 europäischen Staaten und sogar aus den USA zusammen. Dabei stellten nur 69 von ihnen eine jeweilige zionistische Organisation vor. Hunderte anderer beobachteten das Geschehen von dem Balkon. Der Großteil der Teilnehmer bestand aus den emanzipierten Juden aus der Mittelklasse, jedoch waren auch einige Studenten, ein Kantor, ein Bauer und ein Bilhauer dabei. Von dem nationalen Gesichtspunkt aus war das ein beeindruckendes Ereignis. In den Augen der Weltgemeinschaft konnte Herzl aber nicht viel vorweisen: es gelang ihm nicht, berühmte Menschen aus der europäischen intellektuellen Elite miteinzubeziehen. Nur sein Freund, Max Nordau, ein einflussreicher Schriftsteller und Theaterkritiker, sowie der britische Schriftsteller Israel Zangwill waren als einzige Berühmtheiten dabei.

Herzls Beziehung zu der jüdischen Tradition ruft bis heute brennende Diskussionen hervor. Die Einen betrachten ihn als einen komplett assimilierten Menschen, auf einen frühen Tagebucheintrag hinweisend, in welchem Herzl eine Massentaufe der europäischen Juden als eine mögliche Rettung für sie betrachtete. Die Anderen hingegen betonen seine feste Anbindung an das Judentum und an die jüdischen Werte. Wie auch immer, die Mehrheit der Teilnehmer waren in der Tat säkulare Juden. Die Religiöse Seite war nicht wirklich vertreten. Die elf Rabbiner, die Anwesend waren, hatten keinen Besonderen Einfluss in der jüdischen religiösen Welt. Nichtdestotrotz hat Herzl alles gemacht, damit ihre Bedürfnisse und Wünsche befriedigt und erfüllt waren.

Bevor Herzl den endgültigen Ort für die Durchführung des Kongresses wählte, hat er sicher gestellt, dass es in Basel ein koscheres Restaurant gibt und während des Kongresses ging er selbst überwiegend dorthin zum Essen. Dabei befolgte er sonst keine Kaschrutregeln und mochte auch das koschere Essen nicht sonderlich. Am Samstag vor der Kongresseröffnung besuchte er die Synagoge und wurde auch zum Lesen der Tora ausgerufen. In seinem Tagebuch schreibt er, dass eine Aufregung ihn packte, als er zum Synagogalen Podest aufstieg. Diese Aufregung war größer als die, die er an jedem der Kongresstage verspürte. Sein Hals war von überwältigenden Emotionen zusammengedrückt und die wenigen Segensworte, die er auf Iwrit zu sagen hatte, fielen ihm weitaus schwerer als die Eröffnungs- und die Abschlussrede auf dem Kongress, von den täglichen Diskussionen ganz zu schweigen.

Herzls emotionale Erlebnisse waren selbstverständlich nicht nur auf die Synagogenerfahrung begrenzt. So wurden seine Befürchtungen, seine organisatorischen Fähigkeiten betreffend nach und nach zerstreut. „Das war großartig!“ – notierte er in seinem Tagebuch. Als ein ehemaliger Parlamentsjournalist und Autor einiger Theaterstücke, besaß er ein feines Gespür für die Ästhetik der öffentlichen Versammlungen. So beschreibt er weiter, dass der lange, mit grünem Stoff bedeckte Tisch auf der Bühne, sowie die Tische für die Stenografen und Journalisten, dass das alles so einen immens starken Eindruck auf ihn machte, dass er sich beeilte, den Saal wieder zu verlassen, um die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren.

Die Eröffnung des Kongresses war eine beeindruckende. So beschreibt sie Mordechaj Ben-Ami, ein Journalist aus Odessa: „Ich war unheimlich aufgeregt und je näher ich zum Casino kam, desto mehr spürte ich, dass meine Beine immer mehr ihren Dienst versagen… Delegierten begrüßten sich warmherzig und besprachen sich halblaut… Herzl bewegte sich zum Podium… Nun war er ein ganz Anderer, als der, den ich gestern sah… Vor uns erhob sich eine edle Gestalt, die eher an einen Engel erinnerte, dessen tiefer, durchdringender Blick voll von ruhiger Größe und unsagbarer Traurer war. Ja, es war so ganz und gar nicht mehr jener sensibler Doktor Herzl aus Wien, sondern ein Nachfahre Davids, der plötzlich aus der Asche auferstand in all seinem legendären Ruhm“

Der erste Zionistenkongress dauerte drei Tage. Sein Großteil war den Auftritten und Vorträgen der Deligierten gewidmet, die über den Zustand der zahlreichen jüdischen Gemeinden in unterschiedlichen Ländern berichteten. Auch praktische Vorschläge und Lösungen waren dort diskutiert. Der Jüdische Nationalfond sowie das Literaturkomitee zur Verbreitung der jüdischen Literatur wurden gegründet. Es wurden Maßnahmen getroffen, um die statistischen Daten über die zahlenmässige Größe des jüdischen Volks zu erfassen. Unter tosendem Beifall und Taschentücherschwenken zog Herzl eine Abschlussbilanz während der letzten Sitzung, indem er mitteilte, dass die zionistische Bewegung stolz sein kann auf ihren ersten Kongress. Die Augen vieler waren in diesem Moment voll von Tränen.

 

«In Basel gründete ich den jüdischen Staat»

Was erhoffte Herzl und was wollte er erreichen, als er den Zionistenkongress organisierte? Anscheinend war das primäre Ziel die Gestaltung eines befähigten und mit Autorität betrauten Organs, welches das jüdische Volk in der Gemeinschaft der Nationen vertreten konnte. Im Lauf des 19. Jahrhunderts gründeten Juden viele politische Organisationen, jedoch trugen diese meistens eher den gesellschaftlich-sozialen und weniger den nationalen Charakter. So geschah es zum Beispiel 1840 während der blutig ausgeratenen Verleumdung in Damaskus, dass als die reichen und einflußreichen englische Juden ihre in Not geratenen Brüder in Syrien beschützten. Dabei gab es bereits Juden in Europa, die die zionistische Idee propagierten – zum Beispiel 1882 in Focşani bei der Tagung der Bewegung Chibbat Zion (Zionsliebe). Außerdem existierten Siedlerinitiativen im Land Israel (Palästina), die unter anderem von Baron Rothschild unterstützt waren.

Herzl strebte jedoch weitaus Größeres an. Er ahnte die Notwendigkeit der offiziellen, offenen jüdischen politischen Struktur voraus, die dazu fähig wäre, als eine in sich Stimmige Formation auf der internationalen diplomatischen Szene zu erscheinen. Laut Herzl sollte der Erste Zionistenkongress «eine majästätische Demonstration werden, die im Stande wäre, der ganzen Welt zu zeigen, was der Zionismus wirklich ist.» Außerdem äußerte er, dass «die jüdische Sache aus den Händen von Einzelkämpfern genommen werden sollte, egal welche noble Absichten diese verfolgten. Wir brauchen ein Forum, das im Namen des ganzen jüdischen Volks diejenigen zur Rechenschaft ziehen konnte, die den Juden etwas antaten, oder ihre Hilfe versagten.

Offizielle Einladung zum Kongress in der wieder zum Leben erweckten Sprache Iwrit. 


Auf diese Weise wurde gerade der Kongress in Basel zum wichtigsten Meilenstein auf dem Weg zum dem, was man am Ende politischer Zionismus nannte. Man muss sich heute im Klaren sein, dass wenn man den Israelischen Premierminister auf den internationalen Foren, wie der UNO-Generalversammlung auftreten sieht, dies die reale Erfüllung von Herzls Traum ist, der damals als eine absolut wahnsinnige, aus dem Bereich der Fantastik kommende Idee wahrgenommen wurde. Der Höhepunkt dieses Traums war die Entstehung des erfolgreichen jüdischen Staates, der auf der internationalen Arena als vollwertiges und gesetzmäßiger Mitspieler agiert.

Die Ereignisse des Sommers 1897 in Basel machten aus Herzl ohne Zweifel einen zeitgenössischen Propheten. Nach dem Abschluss des Kongresses notierte er in seinem Tagebuch: «In Basel legte ich das Fundament des jüdischen Staates. Wenn ich das heute öffentlich sagen würde, wäre mir ein gemeinsames schallendes Gelächter die Antwort. Aber nach 50 Jahren werden es alle erkennen».

Genau ein halbes Jahrhundert später, im Herbst 1947 hat die UNO-Generalversammlung mit 33 gegen 13 Stimmen für die Gründung des Staates Israel gestimmt.

 

Übersetzung aus dem Englischen ins Russische von Alexander Njepomnjaschij

Übersetzung aus dem Russischen von David Serebryanik

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