Die drei Antisemitismen

Den bereits veröffentlichten aufschlussreichen Analysen zum Antisemitismus-Skandal bei der Documenta soll ein einfacher Antisemitismus-Dreisatz hinzugefügt werden: der neonazistische, der linke und der islamische Judenhass. Doch während die ersten beiden Antisemitismen in der deutschen Öffentlichkeit debattiert werden, ist eine Kritik am islamisch motivierten Judenhass meinst noch ein Tabu.

Der Antisemitismus-Skandal bei der Documenta in Kassel hatte verschiedene „geistige“ Väter
© Ludovic MARIN / AFP

Von Rainer Bonhorst/ Achgut.com

Das zusätzlich Interessante am Antisemitismus-Dreisatz ist, dass sich die einzelnen Antisemitismus-Teile einer unterschiedlichen politischen Gewichtung erfreuen. So gibt es den offiziellen Antisemitismus und zwei Varianten des inoffiziellen, bestenfalls halboffiziellen Antisemitismus. Hinzu kommt, dass von den beiden inoffiziellen Antisemitismen der eine deutlich verschämter ist als der andere.

Der offizielle Antisemitismus ist der rechtsextreme, neonazistische und altnazistische. Er wird in allen einschlägigen Veröffentlichungen als Zentralantisemitismus gegeißelt. Diese Geißelungen sind nicht nur die häufigsten, sondern auch die politisch einfachsten. Neonazis verkörpern den Wunschantisemiten: Dumm, dreist, unästhetisch, brutal usw. Bei Geißelungen dieses Klassikers droht kein Widerspruch und es drohen keine politischen Komplikationen.

Der sichtbarere der beiden inoffiziellen Antisemitismen ist der islamische. Er ist einerseits ein bisschen kurios, weil wesentliche Teile der islamischen Antisemiten selber zum semitischen Kulturkreis gehören. Es empfiehlt sich in diesem Fall also, präziser von Judenhass zu sprechen. Der in diese Rubrik gehörende Judenhass ist ein Importprodukt. Er ist neuer und dynamischer als der Klassiker. Er ist nicht weniger gefährlich und ebenso hässlich.

 

Angst vor unfeinen Reaktionen der Getadelten

Allerdings ist er heikel und darum stellenweise von einer Schutzhülle umgeben. Diese Schutzhülle besteht aus dem zweifellos wahren Satz: Es ist nicht zulässig, allen Moslems Judenhass zu unterstellen. Ist es auch nicht. Und das macht die Sache komplizierter als den Klassiker. Schließlich wäre es absurd zu sagen: Man kann nicht jedem Neonazi Antisemitismus unterstellen. Doch, kann man.

Die unbestrittene Tatsache, dass nicht jeder Moslem ein Judenhasser ist, befördert den ebenso unbestreitbaren moslemischen Antisemitismus in den heiklen Bereich der potenziellen Fremdenfeindlichkeit. Um zu vermeiden als „islamophob“, also als ein Fremdenfeind zu gelten, wird der bei vielen Moslems eben doch vorhandene Judenhass nicht so prominent gegeißelt wie der nazistische Klassiker. Er wird eher zögerlich beim Namen genannt, auch aus Angst vor unfeinen Reaktionen der Getadelten. Daher sein inoffizieller Status.

Der dritte und schwierigste, weil verschämteste in diesem Bunde ist der linke Antisemitismus. Auch er weist ein Problem auf, das ihn aus dem Zentrum der Kritik an den Rand wandern lassen: Er tritt nie offen rassistisch, sondern immer als Kritik an der Politik Israels auf, die in der Tat kein Tabu sein darf. (Ob wir Deutschen uns in die vorderste Reihe der Israel-Kritiker drängen sollten, ist allerdings die Frage.) Wie auch immer: Der linke Antisemitismus ist ein schillerndes Wesen. Er hat seine ideologische Basis in der Solidarität mit den armen „Palästinensern“, aber diese linke Solidarität changiert immer wieder in einen nur mühsam getarnten Antisemitismus. Ja, man kann sogar von einem wechselnden Aggregatzustand sprechen. Unter gewissen chemischen Bedingungen wechselt die Israel-Kritik fast sprunghaft in blanken Antisemitismus über.

Hybrider Antisemitismus, größeren Teils links, aber mit einer Prise Islam?

Da aber die Basis eine im Kern ehrenwerte Solidarität mit einem leidenden Volk ist, trägt der daraus entspringende Antisemitismus eine nützliche Tarnkappe. Sie schützt vor offizieller Kritik, weshalb der linke Antisemitismus ebenfalls in die inoffizielle, weniger gern kritisierte Kategorie gehört. Dass die bedingungslose Solidarität mit den „Palästinensern“ fehlgeleitet ist, da sie sie zu Unschuldslämmern verklärt, sei nur am Rande vermerkt. Aber auch dies verstärkt den Eindruck, dass die Sache nicht ganz astrein ist.

Die Karikaturen im Stürmer-Stil, die sich in die Documenta – sagen wir – eingeschlichen haben, gehören offensichtlich in die Rubrik des linken Antisemitismus. Da die Kultur im Zweifel links ist, wird sie am ehesten Opfer solcher Unterwanderungen. Oder handelt es sich um einen hybriden Antisemitismus, größeren Teils links, aber mit einer Prise Islam? Das Künstler-Kollektiv aus dem moslemischen Indonesien hat sich allerdings so artig entschuldigt, dass man diese Straße vorerst nicht weiter verfolgen muss. Was sicher bleibt, ist der linksgestrickte Antisemitismus.

Der Ordnung halber sei auch hier noch die in der moslemischen Rubrik übliche Entschuldigung beziehungsweise Klarstellung angefügt: Es wäre abwegig zu unterstellen, dass jeder Linke antisemitische Neigungen hegt. Wollte man es in Prozentsätzen ausdrücken, man müsste scheitern. Nur die hundert Prozent bei den Neonazis dürften sich empirisch nachweisen lassen. Bei den anderen beiden Rubriken kann man nur raten. Meine Vermutung geht allerdings dahin, dass die Rubrik „Islam“ mit durchaus stattlichen Prozenten aufwarten kann, während die Rubrik „Links“ wohl mit deutlichem Abstand nur den dritten Platz einnimmt.

Aber hier handelt es sich um einen Bereich, der statistisch kaum zu erfassen ist. Allenfalls die Kunst könnte sich des Antisemitismus-Dreisatzes und seiner unterschiedlichen Gewichtung kreativ widmen. Womöglich sogar auf der Documenta?

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