Defund Documenta

Auf der Documenta sorgen schon wieder Ausstellungsstücke mit wüst antijüdischer Symbolik für einen Antisemitismus-Skandal. Kein Grund zur Überraschung: Der „postkoloniale Antirassismus“ des Kunstbetriebs zeigt nur seine hässliche Fratze. Eine Fratze, die Israel delegitimieren will und Juden entmenschlicht. Der Berliner Künstler Niels Betori Diehl hat sich die Verantwortlichen und Akteure näher angeschaut, sein Fazit: Die Liste der BDS-Unterstützer ist erschreckend lang, die Motivation der Unterzeichner teilweise pathologisch.

Diese judenfeindliche Karikatur fand sich an der Documenta in der Broschüre des „Archives of Women's Struggle in Algeria“.


Von Niels Betori Diehl

Es ist schon verwunderlich, wie so manche gerade aus ihrem Schlaf zu erwachen scheinen, weil jetzt etwas vorliegt, was nicht gänzlich ignoriert werden kann—zumindest für kurze Zeit. Spätestens seit Januar dieses Jahres ist klar, was diese Documenta ist, was sie will und was sie über unsere abgebrannte, abscheulich unterentwickelte „Kulturlandschaft“ sagt, und, weit wichtiger, über das vollkommene Scheitern unserer Institutionen. 

Es ist bekannt, dass der BDS-Unterstützer Amar Kanwar in der Findungskommission der Documenta Fifteen sitzt, die wiederum das indonesische Künstlerkollektiv ruangrupa zum Kuratorenteam erkoren hat, zu deren Mitgliedern der antizionistische und israelfeindliche Ade Darmawan gehört: ein Unterstützer von „A letter against apartheid“, in der Israel als Kolonial- und Apartheidstaat diffamiert wird. 

Es ist bekannt, dass Lara Khaldi aus dem Artistic Team der Documenta zu den Unterzeichnern von „Free Palestine / Strike MoMA: A Call to Action“ gehört, einem Aufruf zur Unterstützung des „palästinensischen“ Kampfes gegen Israel, und dass Khaldi 2015 zusammen mit Judith Butler und Slavoj Žižek an der Konferenz „Boycott, Divestment and Sanctions against Israel (BDS)“ im Goethe-Institut Ramallah teilnahm, auf der unter anderem das uneingeschränkte Rückkehrrecht „palästinensischer“ Flüchtlinge und also die Auflösung des jüdischen Staates gefordert wurde. 

Es ist bekannt, dass hinter dem von ruangrupa eingeladenen Künstlerkollektiv „The Question of Funding“ das Khalil Sakakini Cultural Center steht, dessen Namensgeber der 1953 verstorbene arabische Nationalist und Anhänger des Nationalsozialismus Khalil al-Sakakini war, der Hitler verehrte und seine Obsession mit einer jüdischen Weltverschwörung übernahm. 

Sechs Monate bevor auf der Documenta Fifteen geldgierige Kraken aus dem Arsenal antisemitischer Nazi-Karikaturkunst, anthropomorphe Schweine mit Mossad-Helm und Davidstern-Halstuch, orthodoxe Juden mit Schläfenlocken, Reißzähnen und SS-Runen am Hut, sowie langnäsige, geifernde, geldraffende Gestalten mit entstellten Gesichtszügen, toten Augen und gespaltener Schlangenzunge ausgestellt wurden, konnte jeder wissen, was zu erwarten war. 

Antisemitische Tradition auf der Documenta

Bereits 2017 war auf der Documenta 14 die Performance „Auschwitz on the Beach“, die Flüchtlinge im Mittelmeer mit der Judenverfolgung in der NS-Zeit verglich, zuerst abgesagt, dann aber doch in reduzierter Form präsentiert worden. Hinzu kam jede Menge antiisraelische Kitschkunst und eine pseudowissenschaftliche Dokumentation des antiisraelischen „Forschungsprojekts“ Forensic Architecture. All dies verleitete mich damals dazu, die These aufzustellen, die kommende Documenta werde wohl ganz auf Kunst verzichten, da diese schließlich nur dazu führt, den Aktivismus zu verwässern. Das hatte weniger mit Hellsicht als mit einer sich klar abzeichnenden Tendenz zu tun. 

Fünf Jahre später hat dieser von der Documenta selbst mit herangezüchtete radikalisierte Kunstaktivismus, der nichts anderes als angewandte Kunst im Dienst der politischen Propaganda ist, einen Grad an selbstgefälliger, sich gegen jegliche Kritik abgesichert wähnender Hybris erreicht, dass der Skandal eigentlich unvermeidbar war. Doch dieser besteht nicht bloß im blanken, ungefilterten, trotzig zur Schau gestellten Judenhass: Der Skandal ist vor allem das abgrundtiefe Mittelmaß und die tief sitzende Idiotie aller Beteiligten, das augenscheinliche Zerfleddern einer ganzen Gesellschaft, die sich doch so sehr selbst zu erheben vermag, voller Stolz über ihre seit bald acht Jahrzehnten betriebene Verarbeitungsindustrie des Unsäglichen. 

Von 2011 stammt die Videoarbeit “Animation, masks” des US-amerikanischen Juden Jordan Wolfson, eines der bekanntesten Künstler seiner Generation. Sie besteht fast ausschließlich aus einer animierten Karikatur eines glatzköpfigen Kippa-tragenden jüdischen Mannes mit großer Hakennase und vollem schwarzen Bart vor wechselndem Hintergrund. Inhaltlich geht es in der Arbeit um ethnische Stereotypisierung, Narzissmus, Klassenunterschiede und angedeutete Gewalt – letztendlich um eine Ambivalenz, die ins Unheimliche kippt, aber auch um die erweiterten Möglichkeiten, die Satire bietet. 

Kunst ohne kritischen Filter

Vor allem zeigt „Animation, masks“ auf, was eigentlich klar sein sollte: Kunst darf alles, dazu ist sie da. Was zählt, ist die Intention des Künstlers und der Filter der Kunstkritik, deren Aufgabe es ist, über Fragen der Einordnung und Qualität zu streiten. Gerade dieser Filter ist aber verschwunden, wie alle unerwünschten Restbestände des Bourgeoisen. Ersetzt wurde die alte Welt durch einen gähnenden Abgrund autoritärer linker Stupidität. Der einzige Filter ist jetzt die Zugehörigkeit zur Theoriemafia. 

Die Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zur Documenta-Eröffnung war zwar fällig, doch zugleich dümmliches Geschwafel: Und nicht nur mild relativierendes, Israel doch noch irgendwie in Mitschuld bringendes Geschwafel über den Siedlungsbau – zu dem jemand, der sich vor Arafats Terroristengrab verneigt, erst recht nichts zu sagen hat –, sondern vor allem unwissendes Geschwafel über die vermeintlichen „Grenzen der Kunstfreiheit“. Als Künstler sage ich dezidiert: diese Grenzen gibt es nicht. 

Hier geht es nämlich nicht darum, woran ein ignorantes indonesisches Schwachsinnskollektiv herumkritzeln darf – was soll aus Indonesien denn sonst auch kommen, aus einem Land, in dem Judenhass zur Staatsraison gehört? Sollen sie doch kritzeln. Mich interessieren diese Bilder gar nicht. Und doch ist es gut, dass es sie gibt, dass die Documenta-Macher zu ideologisch verblendet waren, um zu merken, wie sehr sie sich selbst entblößten. Denn hier wurde etwas verdeutlicht, was sogar geistige Schlafwandler etwas aufzurütteln vermag, und was die ganze Kunstbetriebsmeute zumindest vorübergehend etwas in die Defensive zwingt. „Gut“, natürlich, nur in diesem Sinne. 

Im Gegensatz zu Wolfson sind die Hakennasen und das weitere Repertoire der Taring Padi Truppe kein Zitat, keine kritische Auseinandersetzung, kein Spiel mit Bedeutungsebenen: Sie sind der authentische Ausdruck des naiven Stumpfsinns des edlen Wilden, der vom Kunstbetrieb, den politischen Institutionen, den Akademien und den Medien hygienisch verpackt und als Vertreter des „globalen Südens“ gebrandet wurde. 

Der Kunstbetrieb ist systemisch antisemitisch

Das Geschwätz über die „Kunstfreiheit“ ist bloßes Delegieren von Verantwortung, ein Ablenkungsmanöver weg von den eigentlichen Akteuren in die abstrakten Sphären der Kunst, von der eh die wenigsten etwas verstehen – und nicht, weil sie blöd sind, sondern weil Kunst nur in Gestalt unerträglich affirmativer Agitprop noch eine Chance hat, an ein breiteres Publikum zu gelangen, und deshalb im Gegensatz zu ihrer Hype-Phase in den Nullerjahren heute weitgehend und zurecht ignoriert wird. 

Doch wer sind letztendlich die Akteure? Jonas Dörge vom Bündnis gegen Antisemitismus Kassel, dem man für seine unermüdliche Arbeit nie genug danken kann, führt einige von ihnen auf: Nicht nur das Artistic Team der Documenta, sondern auch die ehemalige Documenta-Chefin Sabine Schormann, Hessens Kunstministerin Angela Dorn, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle und natürlich die Hauptverantwortliche, Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Aber das ist nur ein Bruchteil der Geschichte. 

Ab und an gehe ich mal wieder die Liste der Unterzeichner der pro-BDS Petition “Wir können nur ändern, was wir konfrontieren” durch, unter denen sich auch mehrere Mitglieder des Artistic Teams der Documenta Fifteen finden. Ich schaue sie mir an, um mich zu vergewissern, dass ich nicht vielleicht doch etwas übertreibe, wenn ich sage, dass der Kunstbetrieb, wie man heute so schön sagt, systemisch antisemitisch ist, und dass die Documenta Fifteen kein böser Unfall ist, sondern einen willentlich erzwungenen Konsens widerspiegelt: willentlich vonseiten der Ideologen, erzwungen all jenen gegenüber, die in diesem Klima noch versuchen, eine klassische Künstlerkarriere hinzulegen, einschließlich der vielen verängstigt schweigenden jüdischen und israelischen Künstler, die keinen Statusverlust hinnehmen wollen. 

Nur wenige machen den Mund auf

Ich schaue sie mir aber auch und vor allem deshalb an, weil sie etwas über mein Leben aussagt. Denn jedes Mal finde ich beim Überfliegen wieder ein paar weitere, mir bekannte Namen: Die Namen meiner Professoren an der Kunstakademie stehen dort, mehrere Autoren, die während meines Studiums als besonders relevant galten, Leiter Berliner Kunstinstitutionen, die ich persönlich kenne, Vertreter aller wichtigen Berliner Kunstzeitschriften, Kunstpreisverleiher und sonstige Gatekeeper, Leute, mit denen ich studiert habe, Künstler und Kuratoren, mit denen ich zusammengearbeitet habe – und die auch so etwas wie Freunde sind. 

Wenn ich alle Leute, die auf dieser elenden Liste stehen, retroaktiv aus meinem Leben verbannen würde, entstünde ein riesiges Loch: Da wäre mein Studium weg, Ausstellungen weg, Partys weg. Und eine alternative Geschichte hätte es nicht geben können, denn ich habe mir das nicht ausgesucht: Es gibt nur dieses eine Milieu. Jeder, der Kunst macht, hat damit zu tun. Und ich kenne nur eine Handvoll Leute, die den Mund aufmachen. Freaks wie ich, die es ständig tun, sind eine absolute Rarität – das ist kein Eigenlob, es ist einfach so und kein Wunder. 

All diese Leute auf der Liste haben eine ekelhafte Erklärung unterzeichnet, die sich verklausuliert für die Zerstörung Israels ausspricht. Wie geht man damit um? Situativ, würde ich sagen. Wenn’s mir zu viel wird, zögere ich nicht, einen Schnitt zu machen. Aber ich trenne mich auch nicht mechanisch von jedem, der diese jämmerliche aufoktroyierte Loser-Gesinnung mit sich schleppt. Und nicht, weil es mir besonders wichtig wäre, unterschiedliche „Antisemitismen“ säuberlich zu trennen, und sie in ihrer Gefährlichkeit zu hierarchisieren. Diese Arbeit mache ich mir gar nicht, ich will sie mir nicht machen. Ich will auch ignorieren können. 

Wenn Phänomene systemisch werden, gibt es tatsächlich kein richtiges Leben im falschen. Was aber auch klar ist: Zu manchen Menschen kann eine Verbindung trotz allem bestehen, aber tiefe Zuneigung und wirklichen Respekt gibt es nicht zwingend dazu. 

Eins ist sicher: Alle Unterzeichner werden immer behaupten, es sei nicht so gemeint, sie würden keine Juden hassen und ich sollte mich doch nicht so haben. Nicht selten sah man plötzlich mich in der Erklärungsschuld, wenn ich Leute, die ich schon ewig kenne, auf ihre Unterstützung dieser widerlichen Petition ansprach. Selbst wenn es mir manchmal dabei die Gesichtszüge entgleiten lässt: Im Grunde kenne ich das alles zu gut. 

Kein furchtbarer Einzelfall

Deshalb kann ich die Fixierung auf diese hässlichen gemalten Fratzen aus Kassel auch nicht ernst nehmen: Erst werden die Repräsentanten eines erdichteten „globalen Südens“ verteidigt bis zum Geht-nicht-mehr, der Kunstbetrieb stürzt sich wie eine schützende Mutter vor ihr benachteiligtes Kind, das in seiner Unschuld für nichts etwas kann. Alles wird abgestritten, man verlangt nach Belegen – manche mögen tatsächlich geglaubt haben, dass es einfach nicht sein kann. 

Dann, plötzlich, die Bilder. Es sind mehrere, aber nur auf das prominenteste stürzt man sich. Dieses Bild verhängt man, es soll für alles Sühne leisten. Das Bild, dass es zuerst gar nicht geben sollte, wird nun zum Fetisch, zum einzigen Fehlgriff, zum furchtbaren Einzelfall, den man vorgibt, sich nicht erklären zu können. Und dies natürlich nur vordergründig, als Zirkus. 

Im Kunstbetrieb selbst belächelt man die weißen Deutschen, die rassistischen, islamophoben, im Grunde rechtsextremen Deutschen, die den Holocaust für sich „umfunktionieren“ wollen, wie es zuletzt bei der vom Auswärtigen Amt und Claudia Roth geförderten pro-BDS Vortragsreihe Hijacking Memory im Haus der Kulturen der Welt in Berlin hieß. Die Verteidigung der Legitimität des jüdischen Staates und also des Ziels, den Schutz der Juden in aller Welt vor Gewalt, Pogromen und Massenmord zu gewährleisten, wird nur mehr als nicht bewältigte German Angst psychologisiert.

Alles, was gegen diesen Kunstbetrieb unternommen werden kann, ist deshalb inhärent und notwendigerweise richtig. „The question of funding“ ist, zumindest in diesem Zusammenhang, tatsächlich etwas, über das es sich lohnt, nachzudenken.

Niels Betori Diehl ist Künstler und lebt in Berlin.

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