Gunda Trepps Buch: Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus: Lernen. Wissen. Handeln.

Antisemitismus kann man mit Aufklärung entgegentreten und damit Vorurteile abbauen. Doch immer mehr Juden verstecken in Deutschland ihr „Jüdischsein“ aus Angst vor Repressalien und körperlichen Übergriffen. Besonders mit der unkontrollierten und illegalen Migration aus islamischen Ländern ist die Gefahr für Juden exponentiell angestiegen. (JR)

Von Dr. Nikoline Hansen

Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus – geht das überhaupt? So eine Art Beipackzettel, der Nebenwirkungen, Gefahren und korrekte Handlungsanleitungen gibt? Natürlich geht das nicht – und doch, es geht. Indem man Denkanstöße gibt, auf Missstände aufmerksam macht, versucht Empathie für Menschen zu schaffen, mit denen man im normalen Leben nichts oder wenig zu tun hat - oder von denen man gar nicht weiß, dass es sie tatsächlich auch im richtigen Leben gibt. Man kann helfen Vorurteile abzubauen, Probleme ansprechen und – vielleicht der wichtigste Punkt: Man kann aufklären über Stereotype und Fehlinformationen. Man kann Propaganda entlarven, die in vielen Fällen seit hunderten von Jahre in die Köpfe von Menschen gepflanzt wird, mit unterschiedlichen Konsequenzen, aber mit einem Ziel: dem Ausbau von Machtstrukturen mittels Abgrenzung. Auch wenn dieser letzte Punkt im zeitgenössischen Deutschland des 21. Jahrhunderts weitgehend aus dem Fokus gerückt ist – gerade in den neuen Formen des gegen Israel gerichteten Antisemitismus ist diese Zielsetzung wieder sehr präsent. Hier sind es insbesondere Teile der arabischen Welt, die ein Interesse daran haben, Juden zu vernichten – sie zurück ins Meer zu treiben, wie es oft unverhohlen und unmissverständlich formuliert wird.

Also eine Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus. Gunda Trepp schreibt klar, strukturiert und mit dem Ziel, Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen mit diesem Thema konfrontiert sind, eine Anleitung an die Hand zu geben, die deutlich aufzeigt, was Antisemitismus ist, wie er funktioniert und was dagegen getan werden muss. Das ist anstrengend, und manchmal merkt man das dem Buch an. Manchmal, auch das macht die Autorin klar, ist es vergebene Liebesmüh – die Brüche im Freundeskreis zeigen das, oder die Weigerung eines Syrers, sie zu treffen, da er Juden für Teufel hält – eine neue Form des Antisemitismus, mit der Deutschland künftig lernen muss umzugehen. Ein Hass, der seit Generationen in Schulen gelehrt wird und auf fruchtbaren Boden fällt, denn eine andere Perspektive gibt es in manchen arabischen Ländern nicht. Ein Problem, an das viele Juden sich gewöhnt haben, an das man sich aber eigentlich niemals gewöhnen darf.

So rüttelt Gunda Trepp im letzten Kapitel ihres Buches „Den Davidstern versteck‘ ich unterm Pulli“ die Leser auf, wenn sie schreibt, dass die jüdische Identität allen Versuchen der Politik zum Trotz, Antisemitismus zu bekämpfen, nur privat im engsten Freundeskreis und der Familie beziehungsweise in der jüdischen Gemeinschaft gelebt wird: „Doch auf der Arbeit, an der Uni oder beim Sport verstecken viele ihr Jüdischsein schon heute. Im Internet oder auf Behörden sind sie noch vorsichtiger. In bestimmte Gegenden gehen sie ohnehin nicht mehr und tragen erst recht keine jüdischen Symbole. … Das ist eine zutiefst erschreckende Entwicklung. Wenn Menschen einen Teil ihres Selbst verleugnen, um unbehelligt durchs Leben zu gehen, stimmt etwas in der Gesellschaft nicht. Noch besorgniserregender ist es, wenn Kinder sich nicht mehr trauen, in ihrer Schule als Juden aufzutreten.“ Nun könnte man meinen, das sei übertrieben – ist es aber nicht, wie sie anhand der Fakten belegt. Dabei kann sie sowohl auf persönliche Beispiele aus ihrem Freundeskreis als auch auf Beispiele, die in den Medien gut dokumentiert sind, zurückgreifen. Auch die Meldestelle RIAS ist immer wieder mit solchen Fällen konfrontiert, die Antisemitismusbeauftragten der jüdischen Gemeinden und der Schulleiter der jüdischen Oberschule in Berlin: Letzterer ließ die Autorin wissen, dass alle zwei bis drei Wochen ein jüdischer Schüler zum Aufnahmegespräch komme. Die Schule hält inzwischen freie Kapazitäten für solche Notfälle vor.

Aber wie konnte es so weit kommen? Und wo fängt Antisemitismus an? Die Ablehnung von Juden ist ein Phänomen, das sich über Jahrhunderte vollkommen anders als andere Formen der Menschenfeindlichkeit entwickelt hat – und das nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist. Wenn jemand sagt „Koscher essen ist affig“ – ist das einfach eine Meinung, die unüberlegt geäußert zwar verletzt aber eigentlich nicht böse gemeint ist? Es spiegelt, schreibt Trepp, eine Haltung, „die jüdischen Menschen seit Jahrtausenden begegnet: Die Juden sind die Anderen“. Die Juden gehören nicht dazu. Das erste dokumentierte Pogrom der Antike fand im Jahr 38 in Alexandria statt – und diese Gewalterfahrung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. „Die Juden werden nicht aufgrund irgendwelcher realen Ereignisse gehasst, sondern weil sie Juden sind.“ Dies entwickelte sich im Christentum zu einer speziellen Form des Antijudaismus und erreichte einen vorläufigen Höhepunkt im Rassenantisemitismus, der im 20. Jahrhundert in einem beispiellosen Vernichtungsfeldzug gipfelte. So weit so gut – oder schlecht. Es ist Geschichte. Aber was geschah nach 1945? Verschwand der Antisemitismus zumindest in Deutschland? Die Antwort lautet: Nein. Er entwickelte eine neue Form, nach dem Motto: „Es muss doch endlich Schluss sein“. Im zweiten Kapitel „Mal muss Schluss sein mit der Vergangenheit“ legt Gunda Trepp ausführlich dar, weshalb die Schoah nun zum Instrument gegen die Juden wurde. Die Juden selbst hatten den Kampf gegen die Verfolgung inzwischen derart verinnerlicht, „dass sie ihre anormale Situation als Normalität wahrnahmen“, wie ihr Mann, der Rabbiner Leo Trepp es einmal sagte. Mit anderen Worten: „Sie spürten die unterschwellig feindselige Haltung ihnen gegenüber ständig“. Und: Es gab keine Stunde Null: Antisemitismus war nach dem Krieg nicht plötzlich verschwunden.

Das mag jüngere Menschen verwundern, die diese Zeit nicht miterlebt haben – wer sie allerdings noch miterlebt hat oder aus den Erzählungen der Betroffenen kennt, weiß das genau. So ist gerade die Darstellung der Entwicklung nach 1945 ein sehr interessantes Kapitel, das bislang viel zu wenig Beachtung fand. Sie ist aber entscheidend um zu verstehen, warum sich in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft nicht alles zum Besseren gewendet hat. Es irritiert, dass erst jetzt eine Aufarbeitung dieser Zeit möglich wird. Verwundern tut es aber nicht.

Mit derselben Klarheit widmet sich die Autorin dem Thema Israel. Wie sich erkennen lässt, dass Israel anders behandelt wird als andere Staaten, zeigt der 3-D plus 1 Test: Dämonisierung, Doppelte Standards und Delegitimierung – und als weiteres Phänomen die De-Realisierung, wie Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz in ihrer Studie herausgearbeitet haben. In diesem Kapitel widmet sich Trepp auch der BDS (Boycott, Divestment, Sanction) Bewegung, deren Zielsetzung die Zerstörung des jüdischen Staates ist.

Nicht nur der jüdische Staat ist den Antisemiten ein Dorn im Auge. Auch in Europa keimen immer wieder Debatten auf, in denen Gesetze gefordert werden, die es Juden unmöglich machen würden, nach religiösen Regeln zu leben. Das zeigte sich unter anderem 2012 im Zuge der Beschneidungsdebatte, während der Juden vorgeworfen wurde, sie misshandelten ihre eigenen Kinder. Der Deutsche Bundestag entschied nach einer intensiven Debatte und Gesprächen mit offiziellen Vertretern der jüdischen und islamischen Gemeinschaft mit großer Mehrheit, dass die Beschneidung von Jungen zulässig sei. So wurde dem Grundrecht auf Religionsfreiheit genüge getan. Indes, so schreibt Trepp: „In einer Umfrage stimmten nur 24 Prozent der Bundesbürger dem neuen Gesetz zu“.

Aufgebaut ist das Buch, das in fünf Kapitel geteilt ist, als ein Angebot, anhand von Merksätzen die wichtigsten Argumente zu verinnerlichen. Literaturempfehlungen ermöglichen, sich weiter mit dem Thema zu befassen. Es ist daher sehr zu empfehlen für alle, die aus beruflichen oder privaten Gründen mit dem Thema konfrontiert werden. Es beschreibt nicht nur, wie Antisemitismus entstand, sondern gibt dem Individuum auch Argumentationshilfen an die Hand, um ihn wirksam zu bekämpfen. Es sollte Pflichtlektüre für Lehrer sein, um dieses Jahrtausende alte Übel wirksam zu bekämpfen.

 

Gunda Trepp: Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus. 2022, ISBN 978-3-534-27418-5 € 20,--

Dr. Nikoline Hansen, Redakteurin und Autorin der vom Bund der Verfolgten des Naziregimes Berlin e.V. herausgegebenen Zeitschrift „Die Mahnung“ sowie Vorsitzende des Vereins bis zu seiner Auflösung im Dezember 2016. Literaturwissenschaftlerin und Politologin.

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