Antisemitismus und Antizionismus in linken Parteien

Der Antisemitismus wird in linken Kreisen oft als „Israel-Kritik“ verpackt
© WIKIPEDIA

Linker Antisemitismus kommt nicht nur seit Jahrzehnten als brachialer Antizionismus daher, sondern operiert auch subtiler, unter dem Deckmantel der links-sozialen Weltanschauung. So ist er in großen Teilen der nach links driftenden westlichen Welt salonfähig geworden und wird es zum Nachteil des jüdischen Staates täglich mehr. (JR)

Von David Niederhofer/Achgut.com

Wenn in heutigen Beiträgen und Diskussionen von Antisemitismus die Rede ist, dann wird dies im westlich-mitteleuropäischen Kulturkreis nahezu ausschließlich mit einer pauschalen Judenfeindlichkeit aus dem nationalistisch-völkischen mitunter rassistischen (Parteien-)Spektrum verortet. Wenn von einer rechtsnationalen Partei eine „180-Grad-Wende der deutschen Erinnerungskultur“ und einem „Denkmal der Schande“ gesprochen wird und die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnet wird, ist jedem auch nur mittelmäßig gebildetem Beobachter klar, dass versucht wird, das anerkannte Geschichtsbild mittels Geschichtsrevisionismus, einer pseudowissenschaftlichen Geschichtsfälschung, zu verändern.

Wenn diese Andeutungen manchem Bürger noch zu zweideutig sind, so werden mit Aussagen wie der, dass die wahre Macht bei denen läge, die Geld hätten, wie der Familie Rothschild, eindeutig in rechten Verschwörungstheorien festgemacht. Ein in rechtspopulistischen Kreisen beliebtes Muster ist das Stereotyp, alles Geld der Welt und alle Macht, die man dadurch erlangen kann, läge in Händen jüdischer Familien. Aussagen eines Vertreters einer österreichischen rechtspopulistischen Partei, George Soros, ein US-amerikanischer Philanthrop und Investor ungarischer Herkunft und jüdischen Glaubens, sei an der Flüchtlingskrise 2015 schuld, reihen sich in einen Kreis althergebrachter Mythen als eine Art moderner Adaption der Brunnenvergiftung ein. Nur Personen, die selbst ideologisch in diesem Kreis verwurzelt sind, verleugnen die antisemitische Durchsetzung dieser Parteien.

Anders der Antisemitismus im linken (Parteien-)Spektrum. Dieser verhält sich nicht nach der Methode „Vorschlaghammer“, sondern integriert sich subtiler in die linke Ideologie, die mitunter ohne diese tradierten Ressentiments ihres Kerns beraubt wäre. Man mag meinen, dass sich gerade in linken, bisweilen intellektuellen Kreisen Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden oder das „Jüdisch-sein“ als abstrakten Begriff nicht durchsetzen könnten oder gar im Widerspruch zu den Parolen der klassenlosen Gesellschaft stünden; hingegen wird durch die Aufteilung der Welt in Gut und Böse und der damit einhergehenden Personalisierung des Bösen der Blick auf eine von außen vermeintlich konkrete und leicht zu separierende Gruppe gelenkt. So kann man dem linken Lager in seiner Gänze intellektuell nicht absprechen, die nötigen theoretischen und rhetorischen Mittel für eine Abstrahierung der gesellschaftlichen Missstände zu besitzen, doch gerade in plakativen, bisweilen populistischen Strömungen wird die Einfachheit des Schubladendenkens der einer differenzierten Debatte vorgezogen.

 

Linke fallen beim 3-D-Test für Antisemitismus durch

Mit der von Laien schwer zu setzenden Grenze zwischen einer – wenn fachlich differenziert – in Teilen nachvollziehbaren Israel-Kritik über einen Antizionismus, der Ablehnung des Staates Israel, bis hin zum Antisemitismus spielen frühere und heutige politisch linke Gruppierungen gerne. Um dennoch eine verständliche, auch für in diesem Thema wenig bewanderte Menschen einen Leitfaden zur richtigen Zuordnung an die Hand zu geben, wurde 2003 von Natan Sharansky, dem damaligen Minister Israels für soziale Fragen, der „3-D-Test für Antisemitismus” entwickelt. So können Aussagen, die entweder Israel dämonisieren, sprich beispielsweise „palästinensische“ Flüchtlingslager mit dem Vernichtungslager Auschwitz gleichzusetzen suchen oder im wahrsten Sinne des Wortes mit Satan gleichsetzen, nebst dem Aufdecken von Doppelstandards, wie UNO-Resolutionen gegen Menschenrechtsverletzungen gegen Israel, nicht jedoch gegen China, Venezuela oder andere diktatorisch regierte Staaten, bis hin zur Delegitimierung, also der Negierung des Existenzrechts des Staates Israel, auf einen antisemitischen Kern überprüft werden.

Dass Antisemitismus und Antizionismus nicht das Wesensmerkmal der linken Politik sind, zeigt sich gerade auch im Hinblick auf eine der vier ursprünglichen Richtungen des Zionismus, dem „Sozialistischen Zionismus“. Die „Sozialistischen Monatshefte – Internationale Revue des Sozialismus“, eine besonders den Revisionisten in der SPD nahestehende Zeitschrift, hat ab etwa 1907 den Zionismus gefördert und diesen gar als sozialistische Kulturpolitik gelobt.

Etwa zur gleichen Zeit, mitunter auch davor, begann bereits in Teilen der sozialistischen Arbeiterbewegung und kleinem Bürgertum die Ablehnung des Zionismus; zunächst weniger verbunden mit Antisemitismus, vielmehr betrachtet als Selbstaufgabe der Zionisten vor den antisemitischen Angriffen aus dem rechten Lager und damit der Erfüllung der Forderungen nach Ausschluss der Juden in der sogenannten Judenfrage durch eigene Auswanderung.

In den frühen Jahren der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) war, getragen von der Ablehnung der Vorstellung eines sogenannten Siedlungskolonialismus in Palästina, der Antizionismus weit verbreitet. Durch die Klassifizierung der Juden als Aggressor in Palästina wird vielleicht nicht erstmals, aber mit Sicherheit am deutlichsten antisemitisches Gedankengut innerhalb der Partei sichtbar. Dies gipfelte in einem Antrag auf dem Leipziger Parteitag, als versucht wurde, die Mitarbeiter der Sozialistischen Monatshefte aus der Partei auszuschließen. Gerade die einseitige Glorifizierung des arabischen Palästinas und die Ablehnung jeglicher Wünsche der nahezu weltweit verfolgten Juden nach einem eigenen geschützten Bereich im Heiligen Land waren von nun an fester Bestandteil der Programme linker Parteien. Auch eine aufgeheizte Neiddebatte drang in der Sozialdemokratie der Jahrhundertwende nach vorne. Während die „deutschen“ Arbeiter seltener höhere Berufe oder gar Hochschulbildung erreichten, war besonders die Quote der Abiturienten und der Sozialaufsteiger innerhalb der jüdischen Bevölkerung stärker ausgeprägt. Mit dem immerwährenden Kampf gegen das Bürgertum wurden auch diese jüdischen Sozialaufsteiger und mit ihnen aliquot die ganze jüdische Gemeinschaft rhetorisch bekämpft.​

 

Kommunisten schon vor Gründung Israels gegen Zionismus

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Erstarken des rechtsnationalen Lagers sowie der Gründung der KPD als Abspaltung der SPD erstarkte ein neuer, durch virulente Stereotypen und die Fokussierung auf den bereits in der SPD bekämpften Antiimperialismus geprägter linker Antisemitismus.​ Das Parteiorgan der KPD, die Zeitschrift Rote Fahne, titelte beispielsweise mit der ersten Überschrift: „Zionismus – Kettenhund des englischen Imperialismus. Zum Wiener Zionistenkongreß“. Ab Ende 1920 wurde Zionismus von der Kommunistischen Partei Deutschlands dem Faschismus gleichgesetzt. In dieser Debatte wurden bereits zionistisch und jüdisch synonym verwendet. So titelte die Rote Fahne dann konsequenterweise von jüdischem Faschismus. Während sich die SPD der Weimarer Republik vom Gedanken des Antizionismus und Antisemitismus abwandte, verstärkte die KPD die Agitation und beschrieb die jüdischen Menschen in Palästina als europäische Parasiten, gegen die sich zu wehren kein nationalistischer Fanatismus, sondern eine soziale Tat sei.

Auch sickerte das völkische Vokabular von Rassen und die Gleichsetzung der jüdischen Bevölkerung mit einer Rasse im ethnischen Sinne in den linken Sprachduktus ein. Auch Angriffe der arabischen Nationalisten in Palästina auf die Kommunistische Partei Palästinas, die eine rein jüdische Partei war, taten der uneingeschränkten Parteinahme für die arabische Nationalbewegung keinen Abbruch. Mit dem Pogrom 1929, bei dem 133 Juden in Palästina von Arabern ermordet wurden, trat eine Zäsur ein. Zwar wurde am Rande darüber berichtet, die Hintergründe jedoch verschwiegen, eine weitere Berichterstattung über Palästina fand in der Roten Fahne nicht mehr statt, stattdessen wurde der Antizionismus wieder auf den Fokus Deutschland gemünzt. Auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 war der Antizionismus noch Teil der Partei-DNS der KPD, während sich die SPD der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz verweigerte, ebenso zwangsweise aufgelöst wurde und damit im Dritten Reich im Widerstand befand.

Der Opportunismus der SPD zeigte sich dann nach 1945, als schützend die Hand über Parteigenossen gehalten wurde, die eigene Parteifreunde an die Gestapo​ verraten hatten, gleichzeitig mit dem Verschweigen der eigenen Wohltaten. Auch stand Genossen, die zuvor NSDAP-Mitglieder waren, die Tür offen. Wohingegen der Umgang der SPD und linksliberaler Strömungen mit der jüdischen Bevölkerung ab Ende der 1940er Jahre durch einen ausgeprägten Philosemitismus geprägt war. Eine Aussöhnung mit dem 1948 gegründeten Staat Israel stand in der SPD im Vordergrund; so stimmte diese für die Ratifizierung des „Wiedergutmachungsabkommens“ des Bundestags 1953. Die KPD stimmte gegen die Ratifizierung. Auch trieb die SPD die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel voran.

 

Mit ideologischem Rüstzeug gegen die Juden

Der Wendepunkt in der Betrachtung des Staates Israels trat mit den Ereignissen um den Sechs-Tage-Krieg 1967 ein, ausgelöst durch eine Blockade israelischer Seehandelswege im Roten Meer durch Ägypten, einem ägyptischen Truppenaufmarsch im Sinai und dem anschließenden Präventivschlag durch die israelische Armee. Mit dem Verbot der KPD 1956 und der Erstarkung der Außerparlamentarischen Opposition begannen Vertreter der neuen radikalen Linken zu einem historisch brisanten Datum, am 9. November 1969 (Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht) mit Angriffen auf jüdische Denkmäler. Im Gemeindehaus der jüdischen Gemeinde wurde zudem eine Brandbombe platziert. Aus dieser Bewegung entstanden in Folge die „Revolutionären Zellen“, die 1976 maßgeblich an der Entführung eines französischen Airbus mit 258 überwiegend jüdischen Passagieren nach Entebbe (Uganda) beteiligt waren.

Mit 2005 wurde mit dem BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) eine Kampagne unter linken Gruppierungen, beispielsweise mit Unterstützung der Die Linke Nachwuchsorganisation Linksjugend Solid ins Leben gerufen, die zum Boykott des Staates Israel und seiner Bürger, undifferenziert jedoch vor allem jüdischer Wirtschaftstreibender aufruft. Das Ziel der BDS-Kampagne​ ist jedoch die Abschaffung des israelischen Staates. Ein bewaffneter Konflikt, um dieses und weitere Ziele zu erreichen, wird nicht ausgeschlossen. Dessen ungeachtet werden BDS-Aktivisten von linksgeprägten kommunalen Vertretern hofiert: 2015 erhielt eine BDS-Gruppe eine Ehrung der Stadt Bayreuth. Der Antizionismus in der SPD hat sich auf niedrigem, teils nicht nach außen wahrnehmbarem Niveau gehalten, bis im Jahr 2020 die Parteijugend (Jusos) mittels Parteitagsbeschluss die offen extremistische Fatah-Jugend als Partnerorganisation anerkannte und ihr ein Vetorecht für Juso-Beschlüsse einräumte. Außerdem entschuldigten sich die Jusos für pro-israelische Beschlüsse.​

Gerade die neuere Zeit zeigt auf, dass sich der Antisemitismus der linken Parteien gewandelt hat, er versucht nicht mehr, die Juden als eigene Gruppierung direkt anzugreifen, sondern bedient sich, wie im populistischen Handeln üblich, einfach wirkender Vehikel wie einem stilisierten Kampf zwischen dem vermeintlich übermächtigen, vom internationalen Finanzkapital getragenen Israel gegen den angeblichen palästinensischen Underdog, der einer Überfremdung durch zionistischen Imperialismus erlitten habe. Durch die vor allem stark in das intellektuelle Milieu reichenden Sympathien und Unterstützungen der BDS-Bewegung wird ein unterschwelliges antizionistisches Denken mit latentem Antisemitismus bis hin in den Hochschulbetrieb gefördert. Der rechte Antisemitismus ist zwar sichtbarer, und durch einzelne Gewalttaten wird ein Klima der Angst geschürt, jedoch ist der linke Antisemitismus in dieser Relation gefährlicher, weil er den Antisemitismus unter dem Deckmantel der links-sozialen Weltanschauung wieder salonfähig macht.

 

David Niederhofer, 1988 in München geboren, ist Startup-Unternehmer in Wien und studiert Judaistik an einer Fern-Uni.

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden