Die Juden von Albanien

Jüdische Albaner sind ein wahres Exotikum: Ein Interview mit Amos Dojaka von der jüdischen Gemeinde Tirana (Teil 1)

Hanukah-Feier im Büro von Erion Veliaj, Oberbürgermeister von Tirana. Von links nach rechts: Erion Veliaj, Israelischer Botschafter Noah Gal Gendler, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Albanien Amos Dojaka und seine Nichte Noa© MENAHEM KAHANA / AFP

Von Filip Gašpar

Donnerstagmittag in einem vietnamesischen Restaurant in Berlin. Normalerweise gehe ich bei mir unbekannten Nummern nicht ans Telefon, doch ich hatte die Woche zuvor ein neues iPhone erhalten, und irgendwie gedacht, dass dies eventuell der Apple Support sein könnte, was mich dazu veranlasste den Anruf entgegenzunehmen. Es meldete sich ein männliche Stimme auf Deutsch mit dem mir aus Ex-Jugoslawien vertrauten albanischen Akzent, untermalt vom Schwäbischen, stellte sich als Amos Dojaka vor. Amos Dojaka, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Tirana!

Es dauerte ein wenig, bis es Klick bei mir machte, denn ich fragte mich, was denn nun mit meinem iPhone sei, bis mir einfiel, dass ich auf gar keinen Anruf vom Apple Support wartete, dafür aber tatsächlich vor zwei Monaten die jüdische Gemeinde Albaniens angeschrieben hatte. Ohne Erfolg wie ich dachte – bis jetzt. Mein Wissen über Albanien stammt aus den Karl-May-Büchern, und während meines studentischen Austauschjahres in Italien hatte ich mich an der Universität mit ein paar Albanern angefreundet und so ein wenig zur Geschichte und Kultur Albaniens aufgeschnappt, mir aber nie die Frage gestellt, ob es überhaupt eine tief verwurzelte oder überhaupt noch eine jüdische Gemeinde in Albanien gibt.

Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Mein erster Impuls war, dass die Juden Albaniens nach der Vertreibung aus Spanien 1492 im Osmanischen Reich Zuflucht gefunden hätten, und Amos somit logischerweise auch Sepharde sein müsste. Aber von wegen! Hermina Stein, die Großmutter von Amos, war Aschkenasin aus der damaligen Tschechoslowakei und gebürtig aus der Stadt Brünn (tschechisch Brno). Mein ursprünglicher Plan war es gewesen für eine albanischstämmige Kollegin den Kontakt herzustellen, damit diese bei ihrem nächsten Heimaturlaub über die Gemeinde in Tirana berichten kann, doch dies werde ich jetzt wahrscheinlich selbst machen. Aber eins nach dem anderen: Amos und ich verabreden uns für ein Telefoninterview für den kommenden Tag. Vor unserem Gespräch habe ich Amos nicht gegoogelt, war dafür umso neugieriger, wie stark er in seinem Judentum verwurzelt ist und auch auf seine Verbindung zu Israel. Der Vorname lässt es natürlich erahnen, aber er begrüßte mich am Telefon gleich mit:

Shalom. Sprichst du Hebräisch?

Damit hatte ich nicht gerechnet, und da ich es nicht so gut wie Amos spreche, unterhielten wir uns auf Deutsch.

 

Jüdische Rundschau: Amos, du hast nicht gerade einen typisch albanischen Vornamen, sondern einen israelischen. Wie kommt‘s?

Amos Dojaka: Ja, das ist wahr! Es ist ein typisch israelischer Name, den mir meine Großmutter, Hermina Stein, Gott hab sie selig, gegeben hat.

Jüdische Rundschau: Erzähl mir ein bisschen über deine Großmutter.

Amos Dojaka: Meine Großmutter war aschkenasische Jüdin. Geboren und aufgewachsen in der Tschechoslowakei, Kyjov, 100 km von Brünn. Die Familie Stein besaß eine Druckerei und war sehr angesehen.

Jüdische Rundschau: Wie kam deine Großmutter nach Albanien?

Amos Dojaka: Mein Großvater Gafur Langu ging aus Albanien in die damalige Tschechoslowakei. Dort besuchte er die Mittelschule und absolvierte ein Studium der Agrarwissenschaft. Während des Studiums lernte er meine Großmutter kennen und lieben. Sie heirateten und flohen 1939 zwei Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor den Nazis nach Albanien.

Jüdische Rundschau: Also über deinen Großvater?

Amos Dojaka: Ja, es war mein Großvater mütterlicherseits!

Jüdische Rundschau: Sie kommen also zwei Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieg nach Albanien. In welche Stadt?

Amos Dojaka: Sie ließen sich in Tirana nieder und führten ein einigermaßen normales Leben, bis die Nazis 1943 nach Albanien kamen. Während dieser Zeit wurde der Aufenthalt für meine Großmutter in Tirana gefährlicher, obwohl die Menschen um uns herum Albaner waren. Aber um ganz sicher zu sein, zog die Großmutter nach Milot, und dann von Milot nach Velika Dibra. Sie blieb eine Weile dort, bis Ruhe einkehrte.

Jüdische Rundschau: Wie viele Geschwister hatte deine Großmutter?

Amos Dojaka: Sie hatte zwei Schwestern und einen Bruder. Ihre Familie hatte weniger Glück als meine Großmutter, denn sie „verschwanden“ alle im berüchtigten Lager Auschwitz.

Jüdische Rundschau: Also hat aus der Familie Stein nur deine Großmutter überlebt?

Amos Dojaka: Sie hatte Glück, nach Albanien gekommen zu sein. Sonst hätte sie dasselbe Schicksal ereilt wie ihre Eltern, Schwestern, Brüder, Enkel, Nichten. Über 15 Familienmitglieder werden vermisst.

Jüdische Rundschau: Ich habe gelesen, dass in Albanien fast kein einziger Jude während der Schoa ermordet wurde. Sogar, dass Albanien das einzige Land ist, dessen jüdische Bevölkerung während der Schoa wuchs und nicht sank, oder um Machmud Ahmadinedschad zu zitieren „von den Seiten der Geschichte verschwinden“.

Amos Dojaka: Das stimmt. Zu Beginn 1939 lebten ca. 300-400 Juden in Albanien. Zum Ende stieg die Zahl auf über. 3.500 Juden. Sie wurden von Albanern unter gerettet.

Jüdische Rundschau: Warum riskierten so viele Albaner ihr Leben für Leute, die sie meist gar nicht oder nicht gut kannten?

Amos Dojaka: Das hat mit „Besa“ zu tun. Das ist Teil unserer albanischen Kultur, Teil unserer DNA.

Jüdische Rundschau: Was ist „Besa“?

Amos Dojaka: Besa ist der albanische Ehrenkodex. Wortwörtlich bedeutet es „ein Versprechen halten“. Also jemand, der sein Wort hält und dem man sein eigenes und das Leben seiner eigenen Familie anvertrauen kann.

Jüdische Rundschau: Die Albaner weigerten sich also Juden an die Deutschen auszuliefern und riskierten ihr eigenes Leben aufgrund eines Ehrenkodexes?

Amos Dojaka: Besa ist heute noch der höchste ethische Wert im Land. Es spielte dabei keine Rolle, ob es sich um Nicht-Muslime handelte. (Anmerkung: Albanien ist ein Land mit einer muslimischen Mehrheit). Der albanische König hatte sogar an alle albanischen Botschaften die Devise ausgegeben, Juden mit Pässen zu versorgen.

Jüdische Rundschau: Also brachte ein kleiner Staat auf dem Balkan zustande, woran andere europäische Länder scheiterten? Wieso ist darüber so wenig bekannt?

Amos Dojaka: Klingt unglaublich, aber das hat mit der Geschichte Albaniens nach 1945 unter dem kommunistischen Diktator Enver Hoxha zu tun.

Jüdische Rundschau: Dazu kommen wir noch. Wie erging es deinen Großeltern während der Schoa?

Amos Dojaka: in der Zwischenzeit waren sie Eltern geworden. Eine Familie versteckte meine Großmutter. Alle Nachbarn wussten Bescheid, doch niemand hat sie an die Nazis verraten.

Jüdische Rundschau: Hat deine Großmutter zu der Zeit noch Kontakt zu ihrer Familie gehabt?

Amos Dojaka: Gelegentlich bekam sie Briefe von ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Brüdern, aber es wurden immer weniger. Anfang 1945 erfuhr sie von ihrem Nachbarn, dass ihre ganze Familie nach Auschwitz gebracht worden sei.

Jüdische Rundschau: Leider war das nicht ihr einziger Schicksalsschlag. Was passierte nach der Befreiung Albaniens 1945?

Amos Dojaka: Als ob der Verlust der gesamten Familie in der Schoa nicht reichte, wurde mein Großvater direkt von den neuen Machthabern festgenommen. Meine Großmutter, deren Albanisch nicht perfekt war, stand plötzlich mit drei Kindern alleine da.

Jüdische Rundschau: Was passierte mit deinem Großvater?

Amos Dojaka: Er kam in mehrere Lager und verstarb schließlich 1965 in der Verbannung.

Jüdische Rundschau: Was hat deine Großmutter gemacht?

Amos Dojaka: Wieder waren es Albaner, die Familie Caslli, die sie bei sich mit den drei Kindern aufnahmen und sie somit retteten. Unter Enver Hoxha waren Religionen de facto verboten. Es wurde auch nicht über die Zeit im Zweiten Weltkrieg in den Familien geredet. Für viele Albaner war es eine Selbstverständlichkeit Menschen zu helfen.

 

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe den zweiten Teil des Interviews und erfahren Sie wie Amos Alija machte, warum er so gut Deutsch spricht, und wie es um die heutige Situation der jüdischen Gemeinde in Albanien steht.

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