Ein unerreichter, sehr jüdischer Anarchist und Humorist aus Wien

Ein Nachruf zum 10. Todestag des großartigen österreichisch-jüdischen Sängers und Dichters Georg Kreisler

Georg Kreisler© WIKIPEDIA

Von Archi W. Bechlenberg

Als ich noch ein kleiner Lausbub und Schlawiner war, erzählte meine Mutter immer mal wieder gerne, dass sie eine gewisse Topsy Küppers kannte, die wie sie aus Aachen stammt. Ich merkte mir das, nicht wegen des Nachnamens – Küppers heißt in Aachen jeder, der nicht Laschet heißt; der Vorname Topsy allerdings gefiel mir; so hätte auch eine der vielen von mir geliebten und verehrten Comicfiguren heißen können.

Entweder ist meine Mutter, ungefähr der gleiche Jahrgang wie Topsy, mit dieser zur Schule gegangen oder hat, was auch sein kann, als Kind mit ihr auf einer Bühne gestanden, fragen kann ich sie nicht mehr. Dass meine Mutter davon erzählte, kam daher, dass ein gewisser Georg Kreisler mit Topsy Küppers verheiratet war, und diesen Herrn konnte man zu meinen Schlawinerzeiten ab und an im Radio hören oder gar im Schwarzweißfernseher sehen. Wohlgemerkt, nur ab und an. Denn eigentlich hätte man ihn am liebsten totgeschwiegen, zu böse und unbequem waren seine Texte, die er mit fröhlicher Musik umhüllte und tarnte.

„Mein Vater, ein Hotelportier,

ging schwimmen einst im Tegernsee.

Ich hab vom Strand gewunken.

Dabei ist er ertrunken.“

Georg Kreisler um seiner selbst willen war mir damals natürlich kein Begriff, allerdings gefiel mir, was er machte. Trat er im Fernsehen auf, blickte er nicht an die Tasten seines Klaviers, sondern in die Kamera und somit die Augen des Zuschauers; das fand ich geradezu artistisch, wie konnte man ohne Notenblatt und ohne Hingucken Klavier spielen? In meiner Familie stand zwar immer ein Klavier, aber so spielen wie der Kreisler konnte keiner.

 

Wiener wollte er nie mehr sein

Georg Kreisler, 1922 geboren, stammte aus Wien, das seine jüdische Familie 1938 Richtung USA verließ, seit 1943 war er amerikanischer Staatsbürger. Wiener wollte er fortan nie mehr sein.

Die USA waren allerdings auch nicht das Gelobte Land, zwar kam er einige Zeit in Hollywood unter, sein schwarzer bis morbider Humor traf dort aber auf keine einträgliche Gegenliebe, und so ging er in den 50er Jahren zurück nach Wien, wo er ebenfalls wenig gelitten war. Seine Lieder wurden im Rundfunk nicht gespielt. „Es hat keinen Sinn mehr Lieder zu machen, statt die Verantwortlichen niederzumachen.“

Kreisler zog weiter nach München, gab emsig Chanson-Abende und wurde nun zunehmend bekannter. Und hier kommt Topsy Küppers ins Spiel; die Sängerin und Schauspielerin arbeitete unter anderem in Wien und München. Kein Wunder also, dass sie sich begegneten. Die Beiden heirateten 1958; aus der Ehe stammen ein Sohn sowie Tochter Sandra, die selber seit fast 40 Jahren als „Bühnenkraft“ (eigene Beschreibung) aktiv ist. Sandra kündigte mir vor ein paar Jahren die Freundschaft, weil ich anderer Meinung als sie zum Thema „Beschneidung aus religiösen Gründen“ war – nicht weiter schlimm, ich höre trotzdem immer wieder gerne ihre Platten, und da sie sich selber „Wichtigtuerin und Rechthaberin“ nennt, nehme ich die Entzweiung auch nicht persönlich. Ich weiß ja nur zu gut, wie es ist, ein „Wichtigtuer und Rechthaber“ zu sein.

Zurück nach Wien. „Die heiße Viertelstunde“ hieß eine Fernsehsendung, die der Österreichische Rundfunk ab Frühjahr 1968 mit Kreisler und Küppers produzierte. Die anfängliche Begeisterung bei Intendanz, Kritik und Publikum war endenwollend – zu frech und offen waren Texte und Lieder, die letzten beiden geplanten und bereits geschriebenen Sendungen wurden sang- und klanglos gestrichen.

Georg Kreisler verbat sich so ziemlich alles, was vom Staat kam

Die Kreislers machten weiter mit Chansons und Kabarett, ihre Ehe hielt bis 1975. Georg zog später nach Berlin und war dort zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Barbara Peters in der Kleinkunst- und Kabarettszene aktiv und populär, kurz gesagt: bekannt von Bühne, Funk und Fernsehen. Wobei Funk und Fernsehen sich weiterhin gerne sträubten.

Seit 2001 trat er nicht mehr selber auf, er schrieb Romane, Essays und Geschichten und komponierte viel und vielfältig. Nach Berlin waren weitere Lebensstationen Salzburg und Basel. Streitbar nicht nur in seiner Kunst, setzte Kreisler sich aktiv gegen einen EU-Beitritt der Schweiz ein und den Euro als Währung.

Als Österreicher sah er sich seit der Emigration 1938 nicht mehr; Gratulationen zum 75. Geburtstag seitens des Österreichischen Staates verbat er sich, weil sich „die Republik Österreich in den über vierzig Jahren, seit ich nach Europa zurückgekehrt bin, noch nie um mich geschert hat.“ Überhaupt: Georg Kreisler verbat sich so ziemlich alles, was vom Staat kam. Er sah sich als Anarchist. Was würde er wohl zu der heutigen Politiker-Mischpoke auf der Welt singen?

Topsy Küppers feierte vor drei Monaten ihren 90. Geburtstag. Georg Kreisler ist heute vor zehn Jahren in Salzburg gestorben.

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