Der berühmte Münchener TV-Moderator, der eigentlich Weichselbaum hieß

Robert Lembke war eine der Ikonen der deutschen Nachkriegsunterhaltung. Nur wenige kannten das Geheimnis seiner jüdischen Herkunft (JR).

Robert Lembke© WIKIPEDIA

Von Mario Thurnes

Robert E. Lembke war der VW-Käfer der deutschen Nachkriegs-Unterhaltung. Er lief und lief und lief. Auch dann noch, als er längst schon aus der Zeit gefallen war. Doch nach seinem Tod mit 75 Jahren deckte die „Bild“ einen „Skandal“ über den TV-Biedermann auf: Lembke hieß eigentlich Weichselbaum – und war Jude! Statt eines Nachrufs gab es wochenlang Schmutzwäsche aus seinem Privatleben, das Weichselbaum selbst immer geschützt hatte. Seit zwei Jahren arbeiten NDR und SWR an einer Verfilmung seiner Biographie.

Die DDR wurde aus einem Panzer geboren, formulierte Heiner Müller. So beschrieb der Theaterpoet die Tatsache, dass ein ostdeutsches Nationalbewusstsein erst durch den niedergeschlagenen Aufstand vom 17. Juni und danach durch den Mauerbau entstanden sei. Nimmt man Müller beim Wort, ist die Bundesrepublik aus einem Fußball geboren worden. Ihr Geburtsdatum war der 4. Juli 1954 – dem Tag des „Wunder von Bern“. Erstmals fühlten sich die Westzonler nach der Fußball-Weltmeisterschaft kollektiv als Westdeutsche.

Lembke war dabei. Als dessen Assistent begleitete er die legendäre Radio-Reportage von Herbert Zimmermann. Ohnehin liest sich Lembkes Biographie wie eine Kurzgeschichte der deutschen Nachkriegs-Publizistik: Er gehörte zum Team um Hans Habe oder Erich Kästner, den Männern der ersten Stunde bei der „Süddeutschen Zeitung“, war in verschiedenen Funktionen beim Bayerischen Rundfunk. Darunter Chefredakteur oder stellvertretender Programmchef. Bei den Olympischen Spielen 1972 war Lembke Geschäftsführer des deutschen Olympiazentrums und zwei Jahre später gehörte er bei der Fußball-Weltmeisterschaft zu den Regisseuren.

Doch bekannt wurde Lembke als Moderator des Formats „Was bin ich?“. Das Beruferaten lief erst von 1955 bis 1958 und dann von 1961 bis zum Januar 1989 – dann starb der Moderator nach einer Herzoperation. Drei Tage zuvor hatte er das Rauchen aufgegeben. Eine Neuauflage von „Was bin ich?“ scheiterte. Die Show war eigentlich schon vor seinem Moderator gestorben.

 

50 Mark Höchstgewinn

Zwei Tische, eine Tafel, ein Nummernschild zum Umblättern und farbige Sparschweine. Die Show kam mit wenig aus. Die höchstmögliche Siegprämie von 50 Mark war schon 1989 bescheiden. Und auch sonst war das „heitere Beruferaten“ das Gegenteil von Spektakel. Das Team stellte seine Fragen kokett ausgelassen wie eine Grünewalder Gesellschaft, die sich am Bridge-Abend einfach mal gehen lässt und ein zweites Gläschen Likör trinkt.

Bürgerlich situiert. Das war der Grundton von „Was bin ich?“. Dazu passte der Nürnberger Oberstaatsanwalt Hans Sachs im Rateteam oder TV-Ansagerin Annette von Aretin und Schauspielerin Marianne Koch, die in ihren biederen Outfits wie Gefangene schienen. Mit ein wenig Witz galt SRF-Unterhaltungschef Guido Baumann in dieser Runde bereits als der Freche. Alles plätscherte vor sich hin – und zeigte sich im Ansatz eine Welle, besänftigte Lembke diese.

„Was bin ich?“ bildete die alte Bundesrepublik so perfekt ab, dass sie zum Inbegriff für deren Biedermeier wurde. Im „König von Deutschland“ trieb es Rio Reiser auf die Spitze und meinte, es solle konsequenterweise nur noch ein TV-Programm geben: „Robert Lembke, 24 Stunden lang“. Bis zu dessen Tod hielt die Fassade.

Doch nach eben diesem Tod skandalisierte die Bild Lembkes Leben. Seit 20 Jahren sei er nur noch zum öffentlichen Schein mit seiner Frau verheiratet gewesen – und er heiße in Wirklichkeit Weichselbaum. Die Vermischung seiner Religion mit der Skandalisierung seines Privatlebens wirkte schräg und passte nicht zu den Verdiensten, die sich der Springer-Verlag um die Akzeptanz des Judentums in der Bundesrepublik erwarb. Wochenlang suhlte sich die Boulevard-Presse in echten und vermeintlichen Details.

Jedoch zeigte die Bild mit der Aktion auf, dass es 1989 nicht nur eine „Narbe Heinrich Heine“ in Deutschland gab, wie es wiederum Müller geschrieben hatte – sondern auch noch eine Narbe Judentum. Weichselbaum hatte gute Gründe, Lembke sein zu wollen. Nicht nur um sein Privatleben zu schützen. Sondern auch um eine Karriere machen zu können im Nachkriegsdeutschland, das so sehr seine Läuterung betonte und doch noch so stark in seiner Vergangenheit verhaftet war.

 

Versteckt in einem Dorf bei München

Weichselbaums Vater hatte Deutschland rechtzeitig Richtung Großbritannien verlassen. Er selbst war geblieben, schrieb noch unter Propagandaminister Joseph Goebbels für deutsche Zeitungen. Erst als er einen Verhaltenskodex unterschreiben sollte, kündigte Weichselbaum – ging zuerst als Verkäufer zu den IG Farben, dann in den Untergrund. Die Schoah überlebte er versteckt in Fürholzen, einem Dorf bei München.

München. Die „Hauptstadt der Bewegung“. In deren feuchtwarmen Kellerkneipen der braune Sumpf entstand. München, das bis in die 70er Jahre eine provinzielle Bauernmetropole war. Mehrfach mussten Mitglieder des Rateteams bei „Was bin ich?“ aussetzen, weil sie den Kandidaten persönlich kannten, dessen Beruf sie suchen sollten.

Deutschland war damals eng. Bayern erst recht. Ideen wie Farbfernsehen oder eine Rateshow, in der Berufe und Promis erraten werden, kamen aus den USA oder England, wo Lembke die Rechte an „What‘s My Line“ einkaufte und es in Deutschland zu dem Dauerbrenner machte, der gleichzeitig die erste Farbsendung des BR war.

Lembke nutzte die Freiheiten, die ihm der verlorene Krieg, sein Beruf und der Wohlstand der Nachkriegszeit brachten – er reiste durch die Welt, war mondän. Doch auch verwurzelt in seinem München, das nach 1945 noch lange viel von dem verschwitzt Schwülen hatte, was den braunen Terror überhaupt erst ermöglichte.

Es war aber auch eine Stadt im Wandel: Als Minister und Ministerpräsident holte Franz Josef Strauß zukunftsfähige Industrie ins Land – Atomkraftwerke, Waffenschmieden und Weltraumforschung machten Bayern reich und spülten Geld in die Bauernmetropole, die sich allmählich zu der mondänen Weltstadt wandelte, die sie heute ist.

In jener Zeit wandelte sich auch die Verkörperung bürgerlicher Biederkeit: Lembke entfremdete sich von seiner Ehefrau, verliebte sich im Sender in eine Sekretärin. Hinter AOK-Kassengestell und im Zweireiher führte er nun ein Doppelleben, das er vor der Öffentlichkeit versteckte. So gut, dass es noch heute Spekulation braucht, um sich dem Privatmann zu nähern.

Eine Inkonsequenz, die Weichselbaum mit seinem Vater teilte: Der Verkäufer hatte für seinen Sohn ein bürgerliches Leben als Jurist vorgezeichnet, aber selbst bereits vor seiner Auswanderung privat anders gelebt. Und letztlich konnte Robert auch nicht dem gerecht werden, was er vorgab zu sein. In seinem Privatleben war das auch sein gutes Recht.

Dass ihn die „Bild“ nach seinem Tod als Jude outete, war ein journalistischer Fauxpas. Möglich war der nur, weil Lembke seine Identität bedeckt hielt. Weil er Teil der Münchner Schickeria war und sich an deren eiserne Regel hielt, das Thema, also dieses eine da, außerhalb von schwülstigen Sonntagsreden nicht vorkommen zu lassen. So gesehen steht Lembke/Weichselbaum für eine gar nicht mal so seltene Variante der Integration in der Bundesrepublik.

Ein Sendetermin für die NDR-Doku ist noch nicht in Sicht.

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