Dona Gracia – der weibliche Dagobert Duck des 16. Jahrhunderts

Es gibt nicht viele große Namen jüdischer Frauen des späten Mittelalters. Ein Name genießt besondere Berühmtheit – Dona Gracia; die Erinnerung an diese Frau, die vor 510 Jahren in Portugal zur Welt kam, bewahren dankbare Bewohner der israelischen Stadt Tiberias.

Hotel und Museum Dona Gracia in Tiberias© WIKIPEDIA

Von Hana Rafael

In der alten historischen Stadt Tiberias erhebt sich neben dem Markt und den umstehenden Häusern ein großes weißes Gebäude, an dessen Eingang auf einer Tafel die Worte „Dona Gracia“ zu lesen sind. Unter den Stadtbewohnern heißt das Gebäude „Amsalem“ – nach der Besitzerfamilie eines internationalen Touristikunternehmens. Dort ereignete sich Ende der 1990er Jahre eine wundersame Geschichte – ein Treffen zweier herausragender Menschen, das zur Entstehung des Museums „Dona Gracia“ führte.

Eines Tages suchte der bekannte israelische Historiker Zvi (Zvika) S’chaik die internationale Touristikfirma „Amsalem-Tours“ auf. Dies geschah in einer gefährlichen Zeit – in Israel wütete damals die Intifada; der Tourismus ging rapide zurück. Beim Verkauf eines Tickets ist einem Angestelllten ein dummer Fehler unterlaufen. Es folgten Telefonate, Erklärungen, Erstattung… Yaakov Amsalem, der Firmenchef, lud den mit dem Service unzufriedenen Historiker in sein Büro ein; der Konflikt wurde beseitigt; Zvika fragte unvermittelt:

„Sag mal, Yaakov, warum steht auf deinem Hotel diese Inschrift – ‚Dona Gracia‘?“

„Hmmm, äh, einfach weil es schön klingt“, sagte Yaakov Amsalem.

„Weißt du denn, wer diese Frau war?“

„Irgendwas habe ich gehört…war sie eine Kurtisane oder ähnliches?“

„Wenn du Lust hast, erzähle ich dir von ihr. Komm so gegen 23:00 Uhr zu mir, um diese Zeit habe ich keine Auslandsgespräche mehr, wir werden ungestört sein“, bot der Historiker Yaakov an.

Wie verabredet, trafen sich Yaakov und Zvika zu der verabredeten Zeit – und sprachen bis zum Morgengrauen.

Wer war diese Frau, deren Abbild uns – über fünf Jahrhunderte – auf einem einzigen Medaillon erhalten blieb, das in der Sammlung Rothschilds aufbewahrt wird?

Die zukünftige Dona Gracia wurde am 20. Juni 1510 in die wohlhabende jüdische Familie Nasi hineingeboren. Wegen der drohenden Inquisition nahmen die Eltern den katholischen Glauben an, und so bekam die Neugeborene den spanischen Namen Beatrice de Luna. Dass sie auch einen hebräischen Namen hat – Hana –, erfuhr sie erst mit 12 Jahren.

Das Leben der „neuen Christen“ war zur damaligen Zeit alles andere als leicht. Sie wurden verächtlich „marranos“ (Schweine) genannt, und – obwohl regelmäßig bei den katholischen Gottesdiensten anwesend – heimlich übten sie jüdische Traditionen und Bräuche weiterhin aus.

 

Die Marranos

Beatrice heiratete früh. Ihr Ehemann, der 60-jährige „Marrano“ Francisko Mendes, dank seines Gewürzhandeles ein reicher Kaufmann, verstarb schon bald. Als wahre Jüdin blieb die 27-jährige Witwe immer mit ihrem leidgeprüften Volk verbunden. Diese erstaunliche Frau wusste von der Notlage vieler Juden und leistete großzügige Hilfe; daraufhin wurde sie im Volksmund „Dona Gracia“ genannt – lateinisch für „die Gnädige“. Unter diesem Namen ging Beatrice-Hana in die Geschichte ein.

Zum Höhepunkt ihrer Wohltätigkeit wurde der Kauf eines Stückes Land für die aus den Pyrenäen vertriebenen Juden. Sie finanzierte Waisen- und Krankenhäuser. Eine weitere große Tat zum Wohle des jüdischen Volkes war die Herausgabe von 100 Exemplaren des Tanach (hebräische Bibel) auf Ladino – die Sprache der sephardischen Juden. Es sind lediglich zwei Exemplare dieses Buches erhalten geblieben – eins im Jewish Museum in New York und das Faksimile in Jerusalem.

Dona Gracia war ein Beispiel für eine mutige, selbstständige Geschäftsfrau des 16. Jahrhunderts. Sie war so reich, dass sie einen ganzen Staat hätte kaufen können; ihr Vermögen war größer als das von manchen Kaisern. Eine gigantische Flotte, Banken sowie Handel brachten der Familie Mendes enorme Gewinne, was die Aufmersamkeit der Machthaber auf sich zog. So versuchte Kaiser Karl V. die junge Witwe Beatrice-Hana zu einer Ehe mit einem Mitglied der spanischen Königsfamilie zu bewegen; eine solche Ehe wäre auch für den Kaiser selbst sehr lukrativ gewesen. Beatrice musste sogar einige Tricks anwenden, um diese Ehe abzuwenden: Angeblich mit Hochzeits-Vorbereitungen beschäftigt, fuhr sie zusammen mit ihrer Tochter und ihrer Schwester nach Venedig.

 

Denunziert von der eigenen Schwester

Allerdings konnten sie auch dort kein ruhiges Leben führen. Der Bruder des verstorbenen Mannes von Dona Gracia, Diogo, hinterließ ein besonderes Testament: Um den Erlös der Herausgabe des Tanachs zu erhalten, vererbte er Beatrice das gesamte Vermögen. Beatrices jüngere Schwester Brianda jedoch, geleitet von Gerüchten der Neider und ohnehin nicht mit besonderer Intellligenz gesegnet, denunzierte ihre Schwester – meldete den geheimen Umstand, der jüdischen Religion anzugehören, woraufhin beiden Schwestern in Haft kamen. Beatrice bat ihren Neffen Josef, den Herrscher des Osmanischen Reiches, Sultan Suleiman den Prächtigen, um Begnadigung und Schutz für sie zu bitten.

Josef, der Sohn von Beatrices verstorbenem Bruder, war nicht nur ein guter Freund vom Sultans-Sohn Selim II., sondern dessen wirtschaftlicher Berater. Don Josef leistete ihm treue und unschätzbare Dienste, und konnte viele Vorteile bei der Durchführung seiner eigenen Angelegenheiten im Handelswesen erreichen. Darüber hinaus wurde Josef a-Nasi von Selim II. zum Gouverneur der Walachei und von Zypern ernannt. Der Sultan schenkte ihm die Insel Naxos und verlieh ihm den Titel „Herzog von Naxos“. Zur damaligen Zeit öffneten die osmanischen Herrscher die Tore Istanbuls für die aus Spanien vertriebenen Juden, wo ihnen die Inquisition gedroht hatte. Daraufhin begann in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im östlichen Mittelmeerraum die Renaissance der jüdischen religiösen und kulturellen Bildungszentren.

 

Der Sultan als Retter

Dona Gracia kaufte dem türkischen Sultan die Stadt Tiberias ab, um dem jüdischen Volk dort eine Heimstätte zu bieten. Im Jahr 1565 wurde die Stadt von ihren Mitteln ausgebaut; trotz Protesten seitens der christlichen und muslimischen Bevölkerung wurde eine Stadtmauer errichtet. Es ist nicht bekannt, ob Dona Gracia und Don Josef die Absicht hatten, in Erez Israel einen jüdischen Staat für die Vertriebenen zu gründen, oder ob sie bloß an der Erschaffung eines Zentrums für die profitable Herstellung von Woll- und Seidenstoffen interessiert waren.

Das ausgebaute Tiberias lockte Juden von überall her an, von Zfat (Safed) bis Jemen. Sie wurde zu einer blühenden jüdischen Stadt und zu einem wichtigen Zentrum für das Thora-Studium.

Mit Selims Tod 1574 verlor Josef a-Nasi einen Freund und Schutzherrn, seinen Einfluss bei Hof verlor er. So konnte auch die Stadt Tiberias zu keinem größeren religiös-gesellschaftlichen Zentrum in Erez Israel mehr werden. Josef a-Nasi starb fünf Jahre später, 1579. Sein Rivale bei der Herrscher-Familie, der Marrano Schlomo Ibn Yaisch, erreichte eine hohe Position am Hof des Sultans Murad III., dem Sohn Selims, hatte großen Einfluss auf die Außenpolitik der Osmanischen Reiches, wurde zum Pächter der Stadt Tiberias und schickte seinen Sohn Yaakov als Gouverneur dorthin, der viele neue Gebäude in der Stadt erbauen ließ.

ie Geschichte der Familie Amsalem ist mit der Geschichte Tiberias eng verbunden. Mitte des 18. Jahrhunderts war der junge Kaufmann Yaakov Amsalem (Urahn des Unternehmensgründers jener Touristikfirma, mit der unsere Erzählung begann) auf dem Weg von Damaskus nach Istanbul. Am Vorabend des Schabbats erreichte er Tiberias, wo er den Schabbat zu beginnen und zu übernachten gedachte. Zu dieser Zeit lebten dort aber nur wenige Juden; man riet ihm, sich an den Rabbi Hayyim Abulafia zu wenden. Der Rabbi empfing den Gast ehrenvoll und am Schabbat-Ende, als er den jungen Kaufmann verabschiedete, sagte er: „Du bist ein Zaddik, ein rechtschaffener Jude, dir möchte ich eine junge Schönheit, eine 13-jähtige, zur Ehefrau anbieten. Geh in die Türkei, erledige deine Angelegenheiten, und wenn du zurück in Damaskus bist, bitte deinen Vater um den Segen für diese Ehe.“

 

Ehe in Tiberias

So geschah es, und nach einiger Zeit kam der junge Kaufmann nach Tiberias, heiratete und ließ sich dort nieder. Familie Amsalem ist eine der reichsten Familien in Israel, sie sind Inhaber zweier Hotels in Tiberias und auch eines internationalen Touristikunternehmens. Die Familie unterhält aus eigenen Mitteln das Museum Dona Gracia, wo das Leben und das Wirken dieser bemerkenswerten Frau erforscht werden.

Bereits beim Betreten des Museums wird man von einer besonderen Atmosphäre umhüllt. Man taucht in eine andere Welt ein, wo eine faszinierende Reise in die Vergangenheit auf den Besucher wartet und er die Möglichkeit hat, die Epoche der Renaissance und jene Frau, die in Erinnerungen des jüdischen Volkes als Dona Gracia bleiben wird, kennenzulernen.

Beispielsweise befindet sich in der ersten Etage die prachtvolle Puppenausstellung der berühmten israelischen Künstlerin Gili Yafman und ihrer Kollegin Maria Gurevich, Kennerinnen historischer Kostüme.

Die Dekoration der stilvollen Räume des Museums ergänzen die Erzählungen des Reiseführers. Es werden kostümierte Aufführungen mit Elementen „comedia del arte“ angeboten. Gäste können den Venedig-Saal, die Ferrara-Lounge, das Kammertheater, den Kinosaal „Lissabon“, das Renaissance-Restaurant, das Café „Kuschta“ (so wurde damals Istanbul genannt) und die große Bühne besichtigen, wo Musiker und Schauspieler auftreten. Kellner und Reiseführer in Kostümen aus dem 16. Jahrhundert bieten den Gästen im türkischen Kaffeehaus Sorbet und Kaffee an.

Entspannt unterhalten sich die Gäste und lauschen der Geschichte des Reiseführers. Sie lächeln den jungen Mädchen-Soldaten freundlich zu, die augenblicklich ihre schweren Rucksäcke und Sturmgewehre von ihren zerbrechlichen Schultern streifen und sich in luxuriöse Venezianerinnen verwandeln, um vor den Kameras vor dem Hintergrund eines Kirschsamtvorhangs zu posieren. Nachdem die Gäste im Renaissance-Saal gespeist haben, gehen sie zu den Quellen von „Chamey Tiberias“ und erscheinen am Abend, bereits ausgeruht in den gemütlichen Zimmern des Dona Gracia Hotels, zum Abendtee.

Diejenigen Touristen, die noch mehr erleben möchten, unternehmen eine nächtliche Bootsfahrt – um den See Genezareth und den Mond zu bewundern. Um Mitternacht wird es allmählich still, aber der Geist der großen Frau schwebt auch nach mehr als 500 Jahren über der Stadt. Und das Haus von Dona Gracia zu Ehren der edelmütigen Hana Nasi, das von ihren würdigen Nachkommen geschaffen wurde, ist der 2000 Jahre alten Stadt Tiberias ein wahrer Schmuck.

 

Übersetzung aus dem Russischen: Irina Korotkina

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden