Corona für Anfänger
5 Fragen zur Pandemie kinderleicht und ohne Fachbegriffe von einer Münchener Biochemikerin mit Schwerpunkt Virologie beantwortet
Corona-Test in Israel© Jack Guez, AFP
1. Was sind Viren und was ist das neue Coronavirus SARS-CoV-2?
Viren sind, grob gesagt, winzige Einheiten von Erbinformation und Proteinen in einer gemeinsamen Verpackung. Sie leben nicht und können sich ohne eine Wirtszelle – zum Beispiel eine menschliche Zelle – nicht vermehren. Bei einer Infektion docken sie an Zellen im Körper an und schleusen ihre eigene Erbinformation ins Innere. Die menschliche Zellvermehrungsmaschinerie stellt aus dieser Information dann neue Viren her. Sobald diese „fertig“ sind, werden sie aus der Zelle ausgeschleust und können andere Körperzellen infizieren. Bei diesem Prozess können die Zellen sterben.
Man teilt Viren nach ihren Eigenschaften, etwa der Art des Erbguts oder der Art der Verpackung, in Familien ein. Eine dieser vielen Virenfamilien sind die sogenannten Coronaviren. Ihren Namen haben die Coronaviren bekommen, weil die Hülle der Viruspartikel unter einem hochauflösenden Mikroskop aussieht wie der Kranz der Sonne (lat. Corona = Kranz).
Coronaviren sind schon lange bekannt – vor allem dafür, dass sie in verschiedensten Tieren vorkommen. Solche Tierviren können bei engem Kontakt von Menschen und Tieren, oder beim Verzehr von rohen Tierprodukten auf den Menschen überspringen. Anschließend können sie sich durch Evolution so verändern, dass sie auch von Mensch zu Mensch übertragbar werden. Diese Veränderung ist durch ständige Fehler bei der Verdoppelung des Erbgutes der Viren möglich, sogenannte Mutationen.
Genau das ist unter anderem schon einmal bei dem SARS-Coronavirus passiert (Severe Acute Respiratory Syndrome = Schweres Akutes Atemwegssyndrom). Das neue Virus stammt ursprünglich wohl aus Fledermäusen und wurde vielleicht durch Schuppentiere auf den Menschen übertragen. Es gibt verschiedene Coronaviren, einige von ihnen zirkulieren schon länger unter Menschen.
2. Was unterscheidet die Corona-Pandemie von einer Grippewelle?
Gegen die Grippe sind viele Menschen in der Bevölkerung immun. Immun bedeutet, dass ihr Körper schon einmal mit dem Grippevirus in Kontakt gekommen ist und eine Abwehr dagegen entwickeln konnte. Das liegt hauptsächlich an der Impfung, aber auch an vorausgegangenen Infektionen. Gegen das neue Coronavirus ist niemand immun, weil das Virus neu ist und weil es keine Impfung gibt. Grundsätzlich kann sich also jeder von uns infizieren.
Bei Grippe ist die maximale Zahl der Infizierten deshalb nach oben begrenzt, bei Corona nicht. Es würden niemals so viele Menschen gleichzeitig an Grippe erkranken, wie an der durch das neue Virus ausgelösten Erkrankung COVID-19. Schon jetzt gibt es in Deutschland mehr COVID-19-Todesopfer als Grippetote der aktuellen Saison. Und das, obwohl die Grippesaison fast zu Ende und die Corona-Pandemie noch am Anfang steht.
Um die 5 % der bekannten Corona-Fälle müssen auf einer Intensivstation behandelt werden. Infizieren sich viele Menschen gleichzeitig, kommt es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems. Ein Rechenbeispiel: Würden eine Million Menschen in einem kurzen Zeitraum erkranken, müssten 50.000 Menschen gleichzeitig auf Intensivstationen betreut werden. Das übersteigt bei weitem die Möglichkeiten eines jeden Gesundheitssystems, weil so viele Intensivbetten einfach nicht zur Verfügung stehen. Deutschland ist im internationalen Vergleich sogar besonders gut mit Intensivbetten ausgestattet.
Um diese Belastung des Gesundheitssystems zu verhindern und Leben zu retten, soll die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden. Auch wenn die Letalität, also die Tödlichkeit, des neuen Virus bei unter 1 % liegen sollte, könnten allein in Deutschland hunderttausende Menschen sterben, wenn die ganze Bevölkerung sich infiziert.
Leider ist das Virus bereits auf allen Kontinenten verbreitet und es gibt nach heutigen Erkenntnissen keine Möglichkeit mehr, die weltweite Verbreitung zu stoppen. Früher oder später hatte das Virus Deutschland getroffen. Jetzt geht es um Schadensbegrenzung: es geht nicht mehr um die Frage, OB viele von uns infiziert werden, sondern in welchem Zeitraum. Wichtig ist diesen Zeitraum zu strecken, um eine gute medizinische Versorgung für uns alle möglich zu machen. Die Mehrheit deutscher und internationaler Experten, auch die Weltgesundheitsorganisation WHO, halten restriktive Maßnahmen für die gesamte Bevölkerung für zwingend notwendig, um eine zu schnelle Verbreitung des Virus zu verhindern.
3. Wie gefährlich ist das neue Coronavirus für den Einzelnen?
Das neue Coronavirus wurde gerade erst entdeckt. Tausende Wissenschaftler auf der ganzen Welt sammeln Informationen zum Virus, die Wissenschaft lernt jeden Tag dazu. Viele Fragen lassen sich heute noch nicht abschließend beantworten. Dennoch gibt es heute schon Daten von hunderttausenden Patienten.
Am 30. März 2020 waren etwa 5 % der weltweit bekannten Infizierten verstorben, in Deutschland 0,9 %. Um die Letalität, die Tödlichkeit, der Erkrankung zu berechnen, wird die Zahl der Verstorbenen zur Zahl der Infizierten ins Verhältnis gesetzt. Es ist davon auszugehen, dass es in Wirklichkeit deutlich mehr Infizierte gibt, als bisher durch Tests erfasst werden konnte. In Deutschland wird im Vergleich zu vielen anderen Ländern sehr viel getestet. So ist zu erklären, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern auch eine niedrigere Rate an Verstorbenen haben: wir haben einen höheren Anteil der Infizierten als solche entdeckt und registriert.
Etwa 80 % der bisher beschriebenen Fälle, so zeigt es die bisher größte Auswertung von Patientendaten, verlaufen mild. Mild bedeutet, dass die Infizierten leichte Krankheitssymptome haben, wie bei einer Erkältung. Bei den meisten Infizierten treten fünf bis sechs Tage nach der Ansteckung Beschwerden auf. Die häufigsten Beschwerden sind Fieber und trockener Husten. Andere Symptome sind auch möglich, Patienten haben etwa von Kopf- und Gliederschmerzen, Halsschmerzen, sogar Geruchs- und Geschmacksstörungen und Durchfall berichtet.
In etwa 15 % der Fälle treten nach dieser bisher größten Auswertung schwere Symptome, etwa Atemnot auf, hier kann eine Krankenhausbehandlung mit Sauerstoffgabe notwendig werden. Laut einer europäischen Auswertung (Stand 24. März 2020) wurden bislang sogar bis zu 30 % der Infizierten in Europa in Krankenhäusern behandelt. Etwa 5 % der Infizierten landen statistisch gesehen auf der Intensivstation. Auch in Deutschland scheint sich diese Zahl zu bestätigten: in Bayern werden aktuell (Stand 30. März 2020) knapp 4 % der bekannten Infizierten auf Intensivstationen behandelt.
Einen schweren Krankheitsverlauf entwickeln die Patienten anscheinend vor allem in der zweiten Krankheitswoche. Der Gesundheitszustand verschlechtert sich dann ganz plötzlich. Gefährdet für schwere Verläufe sind vor allem ältere Menschen (ab etwa 50 steigt das Risiko stärker an, mit zunehmendem Alter wird das Risiko immer größer), Raucher und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen. Dazu gehören unter anderem Herz-Kreislauferkrankungen, Lungenerkrankungen, Krebserkrankungen, Diabetes und Immunschwächen.
Allerdings können grundsätzlich auch junge Menschen und Menschen ohne Vorerkrankungen schwer erkranken und sogar versterben. Statistisch gesehen ist das aber seltener. Im Moment sieht es so aus, als würden Kinder deutlich seltener schwere Verläufe erleiden.
4. Wie kann ich dazu beitragen, dass die Verbreitung verlangsamt wird?
Das Virus wird von Mensch zu Mensch übertragen, wohl hauptsächlich über eine Tröpfcheninfektion. Das bedeutet: wenn ein infizierter Mensch hustet oder spricht, fliegen ganz kleine Tröpfchen mit Virus durch die Luft. Wenn ein anderer Mensch diese einatmet oder in die Augen bekommt, bekommt das Virus Zutritt zu den Schleimhäuten (die sind auch im Auge!) und eine Infektion ist möglich. Denkbar ist auch, dass sich das Virus zusätzlich über Schmierinfektionen verbreitet. Das bedeutet: ich fasse einen Gegenstand an, auf dem sich Virus befindet – zum Beispiel eine Türklinke, die ein Infizierter angefasst hat, nachdem er in seine Hand gehustet hat, und ich reibe mir das Virus dann in die Augen, oder esse etwas mit den Händen.
Die Wahrscheinlichkeit für eine Ansteckung hängt stark davon ab, wie nah die Menschen aneinander sind – denn die Tröpfchen mit Virus können nicht unendlich weit fliegen. Und auch davon, wie lange die Menschen in Kontakt sind. Je mehr Viren man ausgesetzt ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion.
Aus diesen Übertragungswegen ergibt sich, wie wir uns und andere vor einer Infektion schützen können. Die wichtigste Regel lautet: Abstand halten, mindestens anderthalb, besser zwei Meter. Abstand ist unsere wichtigste und einfachste Schutzmaßnahme. Abstand können wir natürlich am leichtesten halten, wenn wir generell weniger unter Menschen gehen. Daher: wenn möglich von zuhause aus arbeiten, Treffen mit anderen Menschen auf das Nötigste reduzieren.
Außerdem: gründlich Hände waschen. Ich habe versprochen darauf zurückzukommen, dass das neue Coronavirus eine Hülle hat. Diese Hülle mag keine Seife! Wird die Hülle des Virus zerstört, ist es nicht mehr infektiös. Außerdem: kein Händeschütteln, bei Krankheitssymptomen unbedingt zuhause bleiben und Kontakt meiden, beim Husten/Niesen von anderen Menschen wegdrehen, in die Ellenbeuge statt in die Hände husten. Von Risikogruppen fernhalten, stattdessen für sie einkaufen gehen und den Einkauf kontaktlos vor der Tür abstellen.
Bis Krankheitszeichen auftreten, kann es bis zu zwei Wochen dauern. In dieser symptomfreien Zeit können Infizierte aber schon ansteckend sein. Es ist deshalb sehr wichtig, dass wir alle uns immer an die Hygieneregeln halten, auch wenn wir uns gesund fühlen.
Ein einfacher Mundschutz kann die Speicheltröpfchen des Trägers zum Teil abfangen und damit wahrscheinlich das Ansteckungsrisiko für das Gegenüber etwas reduzieren – allerdings nicht komplett, denn Viren sind winzig und kommen durch den Mundschutz, auch können Tröpfchen an den Seiten des Mundschutzes vorbeikommen.
Da chirurgischer Mundschutz in großen Mengen in medizinischen Einrichtungen gebraucht wird, ist es aktuell nicht ratsam, dass die Bevölkerung medizinischen Mundschutz trägt. ABER: selbstgenähte Modelle aus Stoff können eine Möglichkeit sein, um andere vor sich selbst zu schützen.
5. Was passiert gerade in der Forschung und wie geht es weiter?
Test, Therapie und Impfung – hier liegt der Fokus der aktuellen Forschung.
Mit mehr Testkapazität können Infizierte besser identifiziert und isoliert werden. Aktuell führt Deutschland mehrere hunderttausend Corona-Tests pro Woche durch, die Kapazitäten werden kontinuierlich erhöht. Anfang Mai, so kündigte es der bayerische Wirtschaftsminister am 30. März 2020 in der Pressekonferenz mit dem Ministerpräsidenten an, sollen Schnelltests auf das neue Coronavirus vorliegen, die in wenigen Minuten ein Ergebnis liefern.
Aktuell wird durch den Test das Erbgut des Virus nachgewiesen. Der Test fällt nur während der akuten Infektion positiv aus. Interessant wäre es zu wissen, wie viele Menschen schon mit dem Virus infiziert waren. Dazu muss man nicht das Virus, sondern die Immunantwort gegen das Virus, die Antikörper, untersuchen. In Deutschland starten große Studien dazu. Je mehr wir darüber erfahren, wie viele Menschen schon infiziert waren, desto mehr erfahren wir über die Tödlichkeit des Virus und desto besser wissen Entscheidungsträger, wie sie zukünftige Maßnahmen gestalten.
Mittelfristig ist denkbar, dass medizinisches Personal großzügig auf solche Antikörper getestet wird, so könnten sich etwa gezielt Mitarbeiter mit bestehendem Schutz vor dem Virus um infizierte Patienten kümmern. Auch ist denkbar, dass Menschen, die die Infektion schon hinter sich haben, langfristig weniger restriktive Maßnahmen einhalten müssen – denn sie können niemanden mehr anstecken und sind selbst nicht mehr gefährdet.
Forschung zu Medikamenten und Impfungen lässt sich grob in einen präklinischen und klinischen Teil einteilen. Im präklinischen Teil wird in Zellkultur und mit Tierversuchen gearbeitet. Zeigt sich eine Substanz hier als wirksam und sicher, werden Versuche im Menschen gemacht. Zu Beginn nur mit wenigen Menschen, um die Verträglichkeit zu testen. Erst dann wird mit einer größeren Probandenzahl die tatsächliche Wirksamkeit überprüft. An jedem dieser Schritte kann sich ein potenzielles Medikament als ungeeignet entpuppen. Es muss sichergestellt werden, dass ein Impfstoff oder ein Medikament keine schweren Nebenwirkungen hat und einen guten Schutz bzw. eine gute Wirkung bietet.
Aktuell laufen zwei klinische Studien, in denen Impfstoffe gegen das neue Coronavirus an Menschen getestet werden (Stand 26. März 2020), außerdem über 50 präklinische Studien. Da diese Studien eine gewisse Zeit brauchen, kann kurzfristig nicht mit einem Impfstoff gerechnet werden.
Aktuell sind auch etwa 150 klinische Studien zu Corona-Therapien registriert. Untersucht werden unter anderem Medikamente, die die Vermehrung des Virus bremsen können. Dazu gehört Remdesivir. Es besteht aus veränderten Erbgutbausteinen – wird das Erbgut des Virus in der Zelle verdoppelt, werden die falschen Bausteine eingesetzt und die Vermehrung des Virus bricht ab. So jedenfalls in der Theorie und in präklinischen Studien. In den Untersuchungen am Menschen wird überprüft, ob das Medikament ein akzeptables Nebenwirkungsprofil hat und wirkt. Wenn das der Fall ist, wäre es langfristig sinnvoll, das Medikament schon früh in der Infektion einzusetzen – am Anfang der Virusvermehrung. Bisher bestand für das Medikament, das unter anderem bei Ebola eingesetzt wurde, kein großer Bedarf. Sollte das Medikament wirken, muss der Hersteller zunächst seine Produktionskapazitäten erhöhen. Auch das braucht Zeit. Auch werden andere Substanzen getestet, die an verschiedenen Stellen des Vermehrungszyklus der Viren angreifen, etwa am Andocken des Virus an den Zellen. Könnte das Andocken und Einschleusen des Erbguts unterbunden werden, könnte man eine Virusvermehrung und Ausbreitung im Körper verhindern.
Die Autorin Marisa Kurz
Bei einigen Patienten kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einer schweren Reaktion des Immunsystems, die Lungengewebe weiter schädigen kann. In Studien werden deshalb auch verschiedene Medikamente untersucht, die das Immunsystem bremsen können. Etwa Kortison oder der Antikörper Tocilizumab. Diese Therapien können schwere Nebenwirkungen haben, besonders, wenn es zu Sekundärinfektionen mit Bakterien kommt.
Eine geeignete Therapie oder Impfung zu finden, bei der Nutzen und Nebenwirkungen in einem akzeptablen Verhältnis stehen, erfordert viel Sorgfältigkeit, Zeit und Geduld. Es ist nicht damit zu rechnen, dass morgen ein Heilmittel zur Verfügung steht. Das wichtigste Heilmittel bis dahin bleibt: Abstand halten.
Marisa Kurz, Jahrgang 1988, ist Biochemikerin, Medizinjournalistin und angehende Ärztin aus München. Im Biochemiestudium hat sie sich auf Virologie spezialisiert, ihre Masterarbeit über Coronaviren gemacht. Seit 2014 studiert sie in München Humanmedizin, seit 2018 promoviert sie in der Krebsforschung.
6 Fragen der Redaktion zur Nach-Corona-Zeit:
1. Wird in China auf den Verzehr bestimmter Tierarten verzichtet werden?
2. Werden Ärzte und Krankenschwestern mehr verdienen?
3. Wird die Zählweise für Erkrankte innerhalb der EU standardisiert werden?
4. Wird ermittelt werden, warum gerade Nord-Italien so hart getroffen wurde?
5. Wird es in öffentlichen Toiletten weniger Dinge geben, die man anfassen muss? (Seifenspender / Türen)
6. Werden dringende medizinische Güter vermehrt im eigenen Land hergestellt werden, damit man nicht abhängig ist von unsicheren Importen?
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