Die wunderschöne Provinz-Synagoge von Gröbzig

Ein Interview mit Anett Gottschalk, der Leiterin des Museumkomplexes Synagoge Gröbzig in Sachsen-Anhalt

Die Synagoge in Gröbzig zwischen Halle und Magdeburg© Odd ANDERSEN , AFP

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Liebe Frau Gottschalk, eine Synagoge in Gröbzig? Erstmal haben wir einige Fragen zu den Hintergründen. Die Stadt hat zurzeit ca. 2.300 Einwohner, früher waren es nicht viel mehr, also nicht gerade eine Metropole. Wie ist es dazu gekommen, dass es eine jüdische Gemeinde in Gröbzig gab? Und dann die Frage der Fragen: Wie kommt es, dass die Anlage so gut erhalten ist?

Anett Gottschalk: Über die genauen Ansiedlungsgründe wissen wir nicht Bescheid. Aber großen Einfluss hatte die Lage an der Grenze zu Preußisch-Sachsen und dem Königreich Sachsen, wo es den Juden zur damaligen Zeit nur schwer möglich war einen Wohnsitz zu bekommen, aber ihre Teilnahme auf den Messen erwünscht war. Von Gröbzig aus war z.B. Leipzig mit einer Tagesreise gut zu erreichen. Anhalt an sich bot auch für jüdische Familien gute Lebensmöglichkeiten.

Der erste Nachweis von Juden im Ort bildet ein Brief mit der Bitte an den Stadtrat den Tag des Jahrmarktes zu verschieben, weil dieser auf einen Samstag fiel und so ihre Teilnahme nicht möglich war. Der Rat kam dieser Bitte nach.

1796 konnte die jüdische Gemeinde ihre Synagoge in der Langen Straße 10 einweihen und war somit in das Stadtzentrum unweit vom ehemaligen Schloss, der Kirche und dem Marktplatz eingebunden. 1858 war es durch einen Tausch mit dem Schmied möglich, das Grundstück direkt nebenan, Lange Straße 8, zu bekommen. Gröbzig bekam aufgrund des hohen Anteils der jüdischen Bevölkerung den heute noch bekannten Beinamen „Judengröbzig“. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs der Anteil an der Gesamtbevölkerung auf 15 % und bescherte Gröbzig diesen Beinamen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts und verstärkt zu Beginn des 20. Jahrhundert nahm der Anteil stark ab, da aufgrund von neuen Gesetzen die Juden nun ganz neue Möglichkeiten hatten. So auch in Gröbzig – 1934 bestand die jüdische Gemeinde nur noch aus 10 Mitgliedern. Da es so nicht mehr möglich war die Synagoge zu unterhalten und den Kantor oder Rabbiner zu bezahlen, einigte man sich mit der Stadt und gab die Synagoge ab. Die Stadt Gröbzig stellte die Synagoge dem Heimatverein zur Verfügung, welcher sie als Ausstellungsraum nutze. Auf diese Weise überstand sie die Pogromnacht nahezu unbeschadet.

Die verbleibenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde nutzten von da an das Kantorhaus und das Schulgebäude für ihre Gebete, bis im September 1940 die letzte Jüdin Rosalie Meyerstein nach Halle in ein Altenheim/Sammellager transportiert, und von dort aus deportiert wurde.

Aufgrund der durchgängigen Nutzung als Museum (seit den 80er Jahren als jüdisches Museum) konnte das Gebäude so gut erhalten werden. Die Remise wurde nach ihrem erzwungenen Abriss 1939 nachgebaut und auch der Halbbogen mit Davidstern auf dem Torhaus wurde rekonstruiert. Auch über 80 Jahre nach dem Novemberpogrom entspricht die Synagoge dem Aufbau von 1934. Die im Übergabevertrag festgelegte Schutz von 50 Jahren wurde somit mehr als eingehalten und wird es auch noch für viele Jahrzehnte bleiben.

Der Museumskomplex wird heute vom Museumsverein Gröbziger Synagoge gepflegt und für Besucher geöffnet.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wer sind die Besucher? Und wenn wir schon von Erhaltung gesprochen haben, wer hat die Decke so schön blau bemalt?

Anett Gottschalk: Vor allem kommen uns Gruppen besuchen, Schülergruppen die Kurse zu verschiedenen jüdischen Themen für den ganzen Tag buchen, aber auch Gruppen von Klassentreffen, Seniorengruppen oder Vereinen. Daneben kommen aber auch einzelne Besucher und haben die Möglichkeit das Museum und die Synagoge selbstständig zu entdecken. Aber wir stehen für Fragen immer zur Verfügung und erzählen gern.

Wir freuen uns immer über die positive Rückmeldung, dass man nicht mit so viel Erhaltenem gerechnet hat, denn neben der Synagoge gehört zu unserem Museumskomplex noch das Kantorhaus mit Dauerausstellung, das Schulgebäude, die Bibliothek und der außerhalb der Stadt liegende jüdische Friedhof. Im Zuge der Gestaltung der neuen Dauerausstellung soll auch die Remise, in welcher früher der Leichenwagen stand, zugänglich gemacht werden.

Die Synagoge wurde 1796 eingeweiht und erfuhr im 19. Jahrhundert zwei wesentliche Umgestaltungen. Chajim Steinthal (1823-1899) – er stammte aus Gröbzig – war Sprachwissenschaftler und hatte eine Professur in Berlin, schrieb in seinen Jugenderinnerungen: „Die Decke ist hochgewölbt, von Holz, bemalt mit vereinzelten sehr dunklen, schweres Gewitter drohenden Wolken, zwischen denen im blauen Himmel sich Sterne zeigen.“ Aufgrund von Sanierungsarbeiten wurde die Decke neu gestaltet, entspricht aber noch sehr nah der ursprünglichen Bemalung.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Frau Gottschalk, Sie leiten das Museum seit Sommer 2018. Was sind denn die größten Herausforderungen dabei?

Anett Gottschalk: Für mich ist der größte Anspruch der jüdischen Geschichte im Ort gerecht zu werden. Seit 1660 gab es eine durchgängige Besiedlung. Alles Erzählungen von Zeitzeugen sind durchweg positiv, selbst als die letzten neun Juden nach dem Novemberpogrom zusammen im Haus des Kantors wohnen mussten, wurden sie von ihren Nachbarn noch heimlich nachts versorgt.

Vor allem die Aufklärung über die jüdische Geschichte und die jüdisch-deutschen Beziehungen liegen mir bei den Besuchern am Herzen. Vorurteile und Ängste abzubauen…

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Was war für Sie die größte Überraschung, als Sie es übernommen haben? Bzw. haben Sie ein besonderes Lieblingsexponat?

Anett Gottschalk: In Gröbzig ganz bekannt, und auch im Schulunterricht gelesen werden die Geschichten unseres jüdischen Heimatdichters Leo Löwenthal (1855-1925). Es hat sich in unserem Verein eine Laienschauspielgruppe gebildet, die Geschichten von ihm inszeniert. In diesen werden die freundschaftlichen Verhältnisse zwischen Juden und Christen als ganz selbstverständlich hingenommen und bilden keine Barriere. Wir haben viele Manuskripte von ihm im Museum erhalten. Sein Spektrum umfasst fiktive Geschichte aus der Zeit um 1848, private Erlebnisse oder Geschichten, die ihm zugetragen wurden.

Mein Lieblingsexponat ist der Chanukka-Leuchter, der in Gröbzig 1886 extra für die jüdische Gemeinde von Carl Eicks gefertigt wurde. Ich bin immer wieder von der Vielfalt in der Gestaltung, die der Chanukka-Leuchter haben kann, fasziniert. Es zeigt auch hier wieder die guten jüdisch-christlichen Beziehungen und auch wie „glamourös“ (mir fällt das richtige Wort nicht ein) die Synagoge einst ausgestattet war.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Zum Schluss: wie sieht die Zukunft aus? Welche Projekte sind geplant? Was steht an?

Anett Gottschalk: Neben unserem großen Veranstaltungskalender? Auf jeden Fall erstmal der Ausbau der Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen: dem Landesverband der jüdischen Gemeinden Sachsen-Anhalt, der Uni Halle im Bildungsprogramm der Jüdischen Studien zur jüdischen Tradition in Sachsen-Anhalt, Gedenkstätten Bernburg und Langenstein-Zwieberge. Dann soll die enge Zusammenarbeit mit Schulen (bisher Gemeinschaftsschule Gröbzig, Freie Schule Köthen und Wilhelm- und Alexander-von-Humboldt-Gymnasium Hettstedt) erweitert werden, viele Schulen aus Sachsen-Anhalt kommen uns schon besuchen, aber wir würden uns über noch mehr freuen.

Schaffung neuer Zugangsmöglichkeiten zum Thema, insbesondere für Schülerinnen und Schüler ist eins der Schwerpunkte.

Die Provenienzforschung ist bei weitem nicht abgeschlossen und soll weiter betrieben werden.

Bauarbeiten zur barrierefreien Gestaltung des Museums sind ein wichtiger Punkt und natürlich die Erstellung einer neuen Dauerausstellung unter Berücksichtigung neuester Forschungsergebnisse.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Alle Achtung! Vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg bei all diesen Vorhaben.

 

Das Gespräch führte Rebbetzin Katia Novominski.

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