Wir haben nicht das Privileg, die iranische Rhetorik ignorieren zu können!

Die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am 29. Januar 2020 im Deutschen Bundestag

Reuven Rivlin spricht vor dem Bundestag© WIKIPEDIA

Von Filip Gaspar

Diese Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus bot eine Premiere. Denn zum ersten Mal sprachen zu diesem Anlass ein deutscher und ein israelischer Staatspräsident zusammen im Bundestag. Doch diese Premiere wurde leider nicht genutzt, um deutlich zu machen, dass Deutschland wirklich aus seiner Vergangenheit gelernt habe. Doch der Ordnung halber das volle Rednerprogramm in chronologischer Reihengfolge:

Es sprachen der Bundestagspräsident Wolfang Schäuble, gefolgt vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und abschließend kam der Staatspräsident von Israel, Reuven Rivlin, zu Wort. Vor der ersten Reihe nahmen die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die beiden Staatspräsidenten, daneben Frau Elke Büdenbender, die Ehefrau Steinmeiers und Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Platz. Blumengebinde aus weißen Rosen waren auf den Plätzen der Stenografen platziert. Erwartungsgemäß waren zu diesem Anlass die Abgeordnetenplätze voll besetzt.

Unter den geladenen Gästen befanden sich Vertreter jüdischer Institutionen und natürlich auch Überlebende der Schoah. Zwischen den Reden wurden Stücke des jüdisch-polnischen Komponisten und Auschwitz-Überlebenden Szymon Laks von der Sopranistin Ania Vegry, in Begleitung der Pianistin Katarzyna Wasiak, aufgeführt.

 

„Böse Geister aus der Vergangenheit in neuem Gewand“

Wolfgang Schäuble eröffnete seine Rede mit Worten von Elie Wiesel „Wir müssen über Auschwitz sprechen. Über das, wofür es eigentlich keine Worte gibt“, um weiter ausführen, dass man auch die Verantwortung trage, die jede Generation als Konsequenz und Lehre aus dem Geschehenen trage, und diese eng verknüpft mit der Verpflichtung sei, die Würde des Menschen und seine unveräußerlichen Rechte zu achten, diese zu schützen und zu verteidigen und auch keinen Raum mehr dafür zu lassen, dass andere Menschen stigmatisiert, ausgrenzt, und verfolgt würden. Schäuble gab mit seiner Einleitungsansprache somit schon mal den Tenor vor, den Bundespräsident Steinmeier übernahm. Er erzählt von Alexander Woronzow, einem sowjetischen Soldaten, der Überlebende bei der Befreiung von Ausschwitz auf Kamera für die Nachwelt festhielt und spricht von Bildern „grenzenlosen Grauens, es sind Bilder eines deutschen Verbrechens.“ Ein weiteres Mal fordert Steinmeier ein Bekenntnis zur Verantwortung, die aus diesem Verbrechen zu folgen habe. An dieser Stelle folgt der Verweis auf die gegenwärtige Situation und Politik in Europa und Steinmeier fährt fort, dass es eine trügerische Selbstgewissheit gewesen war, zu glauben: „Wir waren uns einig über die Lehren der Vergangenheit und eine Erinnerungskultur, die es gemeinsam zu pflegen gilt in diesem Land.“ Und spricht von bösen Geistern aus der Vergangenheit, die man zu überwunden geglaubt hatte, und die nun heute in neuem Gewand ihr Unwesen treiben.

Heute zeigten sich die überwunden geglaubten bösen Geister von früher in neuem Gewand. Ohne „die bösen Geister“ namentlich zu nennen, die „ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Vision, als die bessere Antwort auf die offenen Fragen unserer Zeit“ präsentieren, ist jedem bewusst, wen Steinmeier damit meinen dürfte. Kein Wort jedoch verliert unser Bundespräsident zur aktuellen und gefährlichsten Bedrohung für Israel durch den Iran. Wir erinnern, dass Bundespräsident Steinmeier dem Iran zu 40- Jahren Islamische Revolution gratulierte und Donald Trump zum Gewinn der Präsidentschaftswahl nicht.

Als letzter Redner trat Reuven Rivlin als Pult. Nach der protokollarischen Begrüßung setzte er eine Kippa auf und begann seine Rede mit dem Yizkor, einem alten jüdischen Gebet für die Seelen der Verstorbenen. Anschließend greift Rivlin die Worte Steinmeiers auf und warnt vor einem Antisemitismus, der das Herz Europas durchdringe, und zwar von rechts bis links. Man befinde sich weder in den 30er Jahren noch am Rande einer zweiten Schoah und ihm sei auch bewusst, dass einige dieser Angriffe von muslimischer Seite kämen und er diese „nicht auf die leichte Schulter nehme“. Dennoch spricht er von einem neu aufkommenden Nationalismus in europäischen Ländern und weist darauf hin, dass „manchmal politische Parteien mit antisemitischen Wurzeln ihren Hass auf Juden [verstecken], während sie ihren Hass auf Moslems öffentlich erklären“, und somit auf einen Hass gegen Muslime zwangsläufig ein Hass gegen Juden zu folgen habe. Deutschland und Bundeskanzlerin Merkel spricht er eine führende Rolle im Kampf gegen den Antisemitismus zu.

 

Beim Thema Iran ist es vorbei mit deutsch-israelischer Harmonie

Auch er vermeidet es konkrete Staaten zu nennen, in denen der Nationalismus neu entflamme. Meint er die osteuropäischen Staaten, die keine derartig große Polizeipräsenz vor jüdischen Organisationen brauchen, wie dies in Deutschland der Fall ist? Wir wissen es nicht. An den meisten Stellen wurde den Rednern fleißig, teilweise gar frenetisch klatschend zugestimmt. Zum ersten Mal trübt sich diese Stimmung als Rivlin auf das Thema Iran und dem erst kurz davor vorgestellten Friedensplan von Donald Trump zu sprechen kommt.

In höflicher Ausdruckweise weist er auf die diametral entgegengesetzten Auffassungen Deutschlands und Israels in Bezug auf den Iran hin und sagt, er wisse, es gebe jene, die behaupten, dass man zwischen der iranischen Rhetorik und seiner wahren Politik unterscheiden müsse. An dieser Stelle geht vielleicht dem einen oder anderen Zuhörer der Begriff Taqija durch den Kopf. Vielleicht aber auch bloß die Hoffnung, dass diese Premiere dazu genutzt werde, um Tacheles zu reden. Weiter führt Rivlin aus: „Und dennoch, ausgerechnet an diesem Tage, möchte ich Ihnen sagen: Wir haben nicht das Privileg, weder die iranische Politik noch seine Rhetorik zu ignorieren.“ Der vormals laute Applaus fällt dieses Mal bedeutend leiser aus.

Auch die Aufforderung an die Bundestagsabgeordneten und die Vertreter der deutschen Regierung keinen Unterschied mehr zwischen dem militärischen und politischen Flügel der Hisbollah zu machen, sondern auch Letzteren als Terrororganisation einzustufen, durfte vielen im Raum Anwesenden übel aufgestoßen sein. Es war die AfD-Bundestagsfraktion, die einen Antrag zu genau dieser Forderung von Rivlin eingebracht hatte.

Als nächstes ging Präsident Rivlin noch auf den Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump ein, den er als „mutigen Freund Israels bezeichnet“. Der vorgelegte Plan lasse ihn „hoffnungsvoll gestimmt“ sein und bei der Umsetzung sei es wichtig, Vertrauen zwischen Israelis und „Palästinensern“ aufzubauen. Man darf hoffen, dass Deutschland und Merkel ihrer zugewiesenen Rolle gerecht werden und ebenfalls zu einem „mutigen Freund Israels“ werden und nicht weiterhin leere Worthülsen fabrizieren.

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