Interview mit der Botschafterin von Australien in Deutschland

Die Diplomatin Lynette Margaret Wood im Gespräch mit der JÜDISCHEN RUNDSCHAU über den jüdischen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben in Down Under und die Aufnahme jüdischer Verfolgter auf dem Fünften Kontinent während des Holocausts.

Botschafterin Lynette Margaret Wood© WIKIPEDIA

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Frau Botschafterin, auf der Konferenz von Evian im Jahr 1938 verpflichtete sich Australien, über drei Jahre verteilt bis zu 15.000 Menschen jüdischen Glaubens aufzunehmen, die im Deutschen Reich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verfolgt wurden. Wie vielen europäischen Juden gelang es tatsächlich, den fernen Kontinent zu erreichen? Und gibt es Quellen zu australischen Diplomaten, die sich an der Judenrettung beteiligt haben?

Botschafterin Wood: Australien hat trotz seiner Entfernung zu Europa eine große Verbundenheit und Mitgefühl gegenüber den Geschehnissen des Holocausts und all denen, die auf Grund der Umstände Europa verlassen mussten. Erst seit der Nachkriegszeit 1945 hat Australien eine Vertretung in Deutschland. In der Folgezeit des Zweiten Weltkrieges siedelten ca. 27 000 Holocaust-Überlebende nach Australien über. Nur Israel nahm pro Kopf gerechnet mehr Holocaust-Überlebende auf. Viele jüdische Jugendliche kamen auch im Rahmen der sogenannten „Kindertransporte“ mit dem Schiff nach Australien. Das sind natürlich sehr bewegende Geschichten. Viele dieser Menschen fanden trotz ihrer schicksalshaften Kindheit eine zweite Heimat in Australien und haben Beeindruckendes geleistet. Auch der deutsche Schriftsteller Walter Kaufmann kam als junger Mann auf diesem Weg nach Australien. Bei einer Veranstaltung in der Botschaft im März dieses Jahres berichtete er aus seinem Leben. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir uns hier in Berlin nach all diesen Erlebnissen persönlich treffen konnten.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: In Australien lebt heute eine große jüdische Gemeinschaft mit ca. 120.000 Angehörigen. Was ist zu deren Lebenslage zu sagen? Und welche Bemühungen zu deren Förderung werden von staatlicher Seite unternommen?

Botschafterin Wood: Holocaust-Überlebende, deren Kinder, Enkel und Urenkel sind ein fester Bestandteil der multikulturellen australischen Gesellschaft. Einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde erlebten die Schrecken des Holocaust noch persönlich. Es ist sehr wichtig, dass wir diese schrecklichen Geschehnisse auch heute mit Hilfe von politischen und öffentlichen Institutionen aufgreifen, aufarbeiten und nicht in Vergessenheit geraten lassen. Der Holocaust ist selbstverständlicher Teil der Lehrpläne in australischen Schulen. Auch viele Universitäten und erstklassige Museen betreiben weitreichende Aufklärungsarbeit zum Thema Holocaust. Sowohl in der Schule als auch bei öffentlichen Gedenkveranstaltungen, werden Schüler und alle Australier dazu ermutigt, wichtige und herausfordernde Fragen zu stellen, die uns alle dazu auffordern, das Geschehene nicht zu vergessen. Ein Beispiel ist das Pilotprojekt „Holocaust Memorial Week“. An dem Projekt haben 12 Schulen aus Australien teilgenommen und sind virtuell mit Holocaust-Überlebenden in Kontakt getreten, haben sich ausgetauscht und voneinander gelernt.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Gibt es landesspezifische Besonderheiten des jüdischen Lebens in Australien? Wie sehen diese aus?

Botschafterin Wood: Australien ist ein Vorbild für gelungenes Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen. Der Grund dafür ist Australiens Erfolg bei der Integration von Menschen verschiedener Hintergründe aus der ganzen Welt. In den Jahrzehnten nach dem Holocaust sind viele Überlebende nach Australien gekommen. Gemeinsam mit Millionen anderer neuer Australier haben sie das Gefüge unserer Nation mitbestimmt. Viele haben einflussreiche Positionen in öffentlichen Ämtern, der Wirtschaft oder Wissenschaft und Kultur erreicht und so das gesellschaftliche Leben in Australien maßgeblich beeinflusst und bereichert.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Australien ist auch für seine Politik der geordneten Zuwanderung bekannt. Was ist das Rezept Australiens, Migration so zu steuern, dass sie sich zugleich mit dem Ziel der Integration verträgt?

Botschafterin Wood: Zuwanderung ist ein zentraler Bestandteil der australischen Geschichte. Die Bevölkerung Australiens ist von ca. sieben Millionen nach dem Zweiten Weltkrieg auf über 25 Millionen Einwohnern 2019 angestiegen. Unser Einwanderungsprogramm hat dabei eine wichtige Rolle gespielt.

Fast jeder zweite Australier wurde im Ausland geboren oder hat mindestens ein Elternteil, bei dem dies der Fall ist. Wir definieren uns nicht über unsere Religion, Hautfarbe oder Kultur. Zuwanderung wird als wichtiger Bestandteil für den Erhalt wirtschaftlichen und nationalen Wohlstands und sozialen Zusammenhalts gesehen. Australien hat ein geplantes und gesteuertes Einwanderungsprogramm, das darauf ausgerichtet ist, wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden. Regelmäßige Auswertungen von Einwanderungsstatistiken und die damit verbundenen demografischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen helfen uns dabei, die Balance von Wachstum und Nachhaltigkeit mit Blick auf die Bevölkerungssgröße zu halten. Hierzu gehört auch, dass wir Einwanderer dazu ermutigen, aktiv zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben Australiens beizutragen. Es ist der australischen Regierung sehr wichtig, mit der Hilfe von schulischen und kulturellen Programmen und der Arbeit von Gemeinden, Vorurteile abzubauen, interkulturelles Verständnis zu fördern und das Gefühl von Zugehörigkeit zu stärken.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Australien wurde kürzlich als erstes Mitglied aus dem Asien-Pazifik-Raum in die „Internationale Allianz zum Holocaustgedenken“ (IHRA) aufgenommen. Wie wird sich Australien in die Arbeit der Organisation einbringen?

Botschafterin Wood: Australien ist sehr stolz darauf, als erstes Mitglied aus dem Asien-Pazifik-Raum in die „Internationale Allianz zum Holocaustgedenken“ (IHRA) aufgenommen worden zu sein. Wir verschreiben uns uneingeschränkt dem Vorhaben der IHRA, Holocaust-Erinnerungsarbeit, Aufklärung und Forschung zu stärken und weiter voranzutreiben. Heute gibt es noch Zeitzeugen dieser schrecklichen Zeit in den australischen Gemeinden. Doch diese Zeitzeugen werden immer älter. Es ist deshalb eine große Notwendigkeit, dass wir versprechen, ihre Erinnerung und Erlebnisse auch in Zukunft nicht zu vergessen, weiter zu teilen und aufzuarbeiten, damit so ein Unrecht nie wieder geschieht. Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung darf kein Nährboden gegeben werden. Die gesamte australische Regierung, angefangen beim Premierminister, steht voll und ganz hinter der Arbeit der IHRA und wird sich für diese einsetzen – sowohl in Australien, als auch international.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Frau Botschafterin, vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Gespräch führte Urs Unkauf.

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