Hannover als Sammelpunkt türkischer Rechtsextremisten

Wie viel Toleranz will Hannovers neuer grüner Oberbürgermeister Belit Onay eigentlich noch gegenüber den reaktionären Islamverbänden zeigen?

Belit Onay, neues Oberhaupt der niedersächischen Hauptstadt

Von Birgit Gärtner

Kaum zeichnete sich bei der Oberbürgermeisterwahl in der niedersächsischen Hauptstadt Hannover am vergangenen Sonntag eine Mehrheit für den Grünen-Politiker Belit Onay ab, überschlugen sich die einen vor Freude über den „Türken“, Muslim zumal, der nun eine deutsche Landeshauptstadt regieren und repräsentieren werde, während andere mit dem Screenshot eines inzwischen gelöschten Fotos aufwarteten, auf dem er mit einer Gruppe Jugendlicher der niedersächsischen ATIB vor einem Grünen-Transparent zu sehen ist.

Dabei handelt es sich um die „Avrupa Türk-İslam Birliği“ (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V./kurz: ATIB), eine national-islamische Organisation, die dem Spektrum der „Grauen Wölfe“ nahestehen soll. Der Verband selbst weist diesen Vorwurf zurück.

Das Foto entstand bei einem Besuch der Jugendlichen bei der Grünen-Landtagsfraktion auf Einladung Belit Onays und es wirft die Frage auf: Wie nahe steht Belit Onay zweifelhaften Organisationen wie der ATIB? Das wiederum wirft die weitere Frage auf, wie sich das auf die Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden in Niedersachsen auswirkt, z. B. auf den Staatsvertrag mit der SCHURA – dem Rat der Islamischen Gemeinschaften –, der aktuell aus verschiedenen Gründen auf Eis liegt. Wird Belit Onay einen kritischen Blick auf die Verbände werfen – oder wird er zu ihrem Fürsprecher werden?

 

Fragwürdige Kooperation mit Islamisten …

Wird Belit Onay womöglich das Zentrum eines neuen, eines grünen „Hannover-Komplexes“ aus türkischen National-Islamisten, DITIB, der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG), bosniakischen Vereinen aus dem ideologischen Spektrum der Muslimbruderschaft (MB), Sufis, dem „Verband der Islamischen Kulturzentren“ (V.I.K.Z.), einer mehr als zweifelhaften islamischen Sekte, und bekennenden Israelhassern wie dem Delmenhorster Chomeini-Anhänger Yavuz Özoğuz? Sie alle sind in der IGMG-dominierten SCHURA Niedersachsen in trauter Mehrsamkeit vereint.

Diese Frage stellt sich nicht, weil Belit Onay sich selbst als Muslim, genauer als liberalen Muslim, bezeichnet, sondern aus seinem bisherigen politischen Wirken: Als religionspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Niedersachsen empfing er eigenen Angaben zufolge die ATIB-Jugenddelegation im Rahmen der Verhandlungen über den Staatsvertrag. Als ehemaliger Mitarbeiter der Grünen-Landtagsabgeordneten Filiz Polat hätte er wissen müssen, mit wem er es zu tun hat, denn diese stellte 2012 eine Kleine Schriftliche Anfrage an die damalige Landesregierung, aus der genau die oben beschriebene Gemengelage eindeutig hervorgeht.

Filiz Polat ihrerseits ist starke Befürworterin des Staatsvertrags und Fürsprecherin der Islamverbände im niedersächsischen Landtag. Die Bedenken der damaligen Landesregierung den Verbänden gegenüber nannte sie im Dezember 2012 in einer Rede im Landtag „lächerlich“. Wenig später wurde Belit Onay ihr Mitarbeiter.

 

… und Israelhassern

Gemeinsam mit einer Fraktionskollegin besuchte er im Juni 2015 die „Palästinensische Gemeinde Hannover“, deren Hauptaktivität in der „Beendigung der Besatzung Palästinas“ durch Israel liegt. Dazu wurden u.a. gemeinsame Veranstaltungen mit dem „Bündnis zur Beendigung der Israelischen Besatzung e.V.“ durchgeführt, dessen Vorsitzender der jüdische Psychologie-Professor Rolf Verleger ist. Auch im Juni 2015 werden solcherlei einseitige Problemzuschreibungen das Wirken der Gemeinde ausgemacht haben.

Im niedersächsischen Landtagswahlkampf machte Onay sich für den Staatsvertrag mit der SCHURA und DITIB stark. Der Besuch einer IGMG-Moschee am „Tag der offenen Moschee“ am 3. Oktober 2019 lässt ebenfalls kritische Distanz zu den fragwürdigen Verbänden vermissen. Wie der IGMG-Verbandszeitung „Camia“ zu entnehmen ist, besuchte der Grünen-Politiker die Moschee gemeinsam mit dem SPD-Kollegen Marc Hausman.

 

Neue Kumpaneien?

Als „Hannover-Komplex“ gilt ein Geflecht aus Wirtschaft, Politik und High Society, der in einer ARD-Dokumentation vortrefflich beschrieben wurde:

„Dennoch hat sich die niedersächsische Landeshauptstadt mit Blick auf Bonn und später Berlin über die Jahrzehnte zu einem Zentrum mit politisch wichtigen Personen entwickelt. Dafür stehen allein Namen wie Gerhard Schröder, Christian Wulff, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel oder Ursula von der Leyen, die Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht.

Auch wirtschaftlich hat Hannover nicht nur die weltweit wichtigste Industriemesse und das alte Expo-Gelände zu bieten; auch große Unternehmen wie Volkswagen, Rossmann, der Finanzdienstleister AWD und andere siedelten sich in und um die Landeshauptstadt an. Musikalisch machten die Scorpions aus Hannover Weltkarriere.

Vertreter aus Politik, Wirtschaft und High Society treffen sich gern mal [beim ortsansässigen Fußballverein] Hannover 96. Schlagzeilen machte die Stadt nicht nur mit Homestorys der dort lebenden Landes- und Bundespolitiker, sondern auch mit Berichten über Rotlichtmilieu und Rockerbanden.“

Grün ist nicht nur die Farbe einer politischen Partei, sondern auch des Islams. Daran ist zunächst einmal nichts Schlechtes, allerdings muss es auch nicht zwangsläufig gut sein. Eine Verquickung des politischen Zentrums Niedersachsens mit dem islamischen Fundamentalismus und den ihn repräsentierenden Verbänden könnte verheerende Folgen haben.

Die oben erwähnte „wichtigste weltweite Industriemesse“ wird im Frühjahr 2020 eine internationale Halāl-Messe beherbergen, in der Industrie und Tourismus die fundamental-islamische Lebensweise im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft gemacht werden soll. Halāl-Zertifikate wirken wie Dollarzeichen, ein Milliardengeschäft, der Markt gehört zu den am schnellsten wachsenden Branchen weltweit. High Tech war gestern, religiös konnotierte Sittsamkeit ist die Zukunft. Halāl-Zertifikate werden u.a. von der Firma m-haditec GmbH vergeben. Geschäftsführer derselben sind die Brüder Yavuz und Gürhan Özoğuz. Allerdings sind sie nicht die einzigen Halāl-Zertifizierer in Deutschland.

Hier könnte möglicherweise der neue „Hannover-Komplex“ schon erste Wirkung entfaltet haben: Ein muslimischer Grünen-Politiker, OB-Kandidat der Stadt mit einer attraktiven Ausstellungshalle, Kontakte zu reaktionären islamischen Verbänden und deren Repräsentanten, zu denen u. a. die Geschäftsführer einer Firma gehören, die mit Halāl-Zertifikaten handelt …

Das kann, muss aber nicht so sein. Es wäre wünschenswert, wenn sich jemand auf parlamentarischer Ebene mit diesem möglichen Zusammenhang beschäftigen würde, z. B. mittels einer Kleinen Schriftlichen Anfrage.

 

SCHURA von der IGMG dominiert

Das ist tatsächlich Spekulation. Keine Spekulation hingegen ist, dass die SCHURA Niedersachsen laut eigenen Angaben 92 Mitgliedsvereine und -moscheen hat. Der erwähnten Anfrage von Filiz Polat zufolge gehören 35 davon der IGMG an, 3 der ATIB.

Die IGMG vertritt eine ähnliche Ideologie wie die Muslimbruderschaft, fiel in der Vergangenheit immer wieder durch Antisemitismus auf, u.a. lagen in einer Hamburger Moschee Materialien aus, in denen Kindern der Nahost-Konflikt mit „Israel=Kindermörder“-Rhetorik erklärt wurde.

Da die IGMG zeitweilig u.a. wegen dieser antisemitischen Ausfälle vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, griff sie zu einem in fundamental-islamischen Kreisen sehr beliebten Trick: Angeblich ist die deutsche IGMG völlig unabhängig von der türkischen Bewegung „Millî Görüş“ (Nationale Sicht), die von Necmettin Erbakan, dem politischen Ziehvater des heutigen türkischen Präsidenten Recep Tayipp Erdoğan, ins Leben gerufen wurde. Auch die IGMG bekommt von der türkischen Religionsbehörde DIYANET Imame gestellt, allerdings nicht ausschließlich. Mit Recep Bilgen stellt die IGMG den Vorsitzenden der SCHURA Niedersachsen.

Ebenfalls präsent: Ein Ableger der „Grauen Wölfe“ …

Über ATIB schreibt der Politologe Ismail Küpeli auf ufuq.de:

„Das Milieu der ‚Grauen Wölfe‘ reicht allerdings über die MHP hinaus. Zwei Organisationen sind dabei nennenswert. Die ‚Avrupa Türk-Islam Birliği‘ (ATIB, deutscher Name: „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa“) ist eine Abspaltung von der Türk Federasyon und umfasst über 120 Moscheevereine. Die ATIB konzentriert sich auf die Organisation der Gotteshäuser und gibt sich im Auftreten moderat. Sie bietet aber gerade dadurch für türkische Nationalisten, für die die MHP zu ‚radikal‘ ist, eine Möglichkeit, im weiteren Milieu der ‚Grauen Wölfe‘ zu verbleiben.

Die ATIB hat bundesweit mindestens 8.000 Mitglieder. Die ‚Büyük Birlik Partisi‘ (BBP, ‚Partei der Großen Einheit‘) ist eine weitere Abspaltung von der MHP mit einer stärker islamistisch ausgerichteten Ideologie. In der Türkei spielt die Partei nur noch in einigen Regionen eine nennenswerte Rolle, in landesweiten Wahlen blieb sie zuletzt unter 1 % der Stimmen. In Deutschland ist die BBP als ‚Avrupa Türk Birliği‘ (ATB, deutscher Name: ‚Verband der türkischen Kulturvereine in Europa‘) mit etwa 20 Vereinen organisiert. Damit stehen ATIB und ATB für einen stärker islamisch und islamistisch orientierten Teil im Spektrum der ‚Grauen Wölfe‘.“

In der Vergangenheit war ein ATIB-Mitglied im SCHURA-Vorstand zuständig für den Bereich „interreligiöser Dialog“, der aktuell personell indes nicht besetzt ist.

 

Dem iranischen Regime nahestehende Schiiten

In der SCHURA vereinigen sich sunnitische und schiitische Organisationen und Verbände, Mitglied ist neben anderen „Der Islamische Weg“ aus Delmenhorst, ein von Yavuz und Gürhan Özoğuz gegründeter Verein. Die Brüder unterhalten ein kleines Familienimperium im Dienste Allahs, neben dem Internetportal Muslim-Markt, den Eslamica-Verlag sowie die Firma m-haditec, die u.a. Halāl-Zertifikate ausstellt. Darüber hinaus sind sie in verschiedenen Zusammenschlüssen aktiv, u.a. im SCHURA-Mitgliedsverein „Der Islamische Weg“. Yavuz Özoğuz ist schließlich auch Stammgast beim alljährlichen Al-Quds-Tag in Berlin.

 

Staatsvertrag liegt auf Eis

Die SCHURA Niedersachsen wurde 2002 gegründet, seit 2011 stellt sie gemeinsam mit DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.), die direkt der türkischen Religionsbehörde DIYANET untersteht, den vom Kultusministerium gegründeten „Beirat“ zur Gestaltung des islamischen (Religions-)Unterrichts.

Wie so vieles im Hinblick auf DITIB lief das nicht reibungslos, deren Ablehnung von Homosexualität erwies sich als Problem bei der Entwicklung des Curriculums, in dem nicht nur religiöse Toleranz, sondern auch die Akzeptanz sexueller Vielfalt festgeschrieben werden sollte.

2013 wurde vom Kultusministerium eine Absichtserklärung für einen Staatsvertrag mit der SCHURA und DITIB verfasst, die von beiden Verbänden unterzeichnet wurde: sozusagen der Vorvertrag. Die Verhandlungen liegen aktuell auf Eis, u. a. wegen der DITIB-Spitzelaffäre. Ende 2018 entschied das Kultusministerium, die Zusammenarbeit mit DITIB fortzusetzen, allerdings führte das bislang nicht zum Abschluss des Staatsvertrags.

 

Belit Onay redet sich raus

Dem Vorwurf der Jugendorganisation „Solid“, mit den „Grauen Wölfen“ zu tanzen, entgegnete Belit Onay in einer Erklärung, in der er sich ideologisch von ATIB distanziert:

„Für meine Fraktion bin ich in meiner Funktion als ‚Ansprechpartner für islamische Verbände‘ in ständigen Gesprächen mit den drei Dachverbänden und ihren Mitgliedsgemeinden. Meine Fraktion und ich sind der Meinung, dass wir diese Diskussion transparent und sachlich mit einer breiten gesellschaftlichen Beteiligung führen müssen.

Im Rahmen meiner Gespräche mit den Verbänden, kam von Jugendlichen einer Mitgliedsgemeinde der Schura die Bitte zu einem Austausch, zum aktuellen Stand der Vertragsverhandlungen. Das Foto geht auf eben dieses Treffen zurück, bei dem Vertrag, Inhalt, grüne Positionen usw. diskutiert wurden.

Zum Abschied baten die Jugendlichen mich noch um ein gemeinsames Gruppenfoto. Dass dieses Foto nun auf der Seite des Bundesverbandes der ATIB in dieser Form veröffentlicht wird, ist mehr als irreführend. Daher habe ich die Verantwortlichen aufgefordert, dies dort zu entfernen. Dem wird nachgekommen werden.“

Irreführend ist nicht das Foto, denn es dokumentiert ein Treffen, das auf Onays Einladung hin stattfand, sondern dass er versucht, abzuwiegeln und der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen.

Das legt die Vermutung nahe, dass Belit Onay sich nicht kritisch mit den genannten Verbänden auseinandersetzen will, und Transparenz für ihn bedeutet, möglichst öffentlichkeitswirksam mit ihnen zu verkehren; dass er die Öffentlichkeit – und seine Wählerschaft – indes nicht über die politischen Zusammenhänge aufzuklären gedenkt.

 

Verbände sind erfreut

Dass Belit Onay selbst ein rechtgeleitetes Leben anstrebt, davon ist nicht auszugehen. Auch ist er nicht als Fan des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dessen Präsidialsystem bekannt, was ihm aus türkisch-muslimischen Reihen viel Kritik einbringt. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass er den einschlägigen Verbänden Türen öffnen wird. Die fassten die Gelegenheit auch gleich beim Schopfe und gratulierten dem künftigen Oberbürgermeister:

„Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften, wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), der Islamrat und der Zentralrat der Muslime beglückwünschten den Wahlerfolg des Grünen Politikers Belit Onay zum Oberbürgermeister.“

Es bedarf keines Blickes in die Kristallkugel, um zu orakeln, dass im Frühjahr 2020 der Oberbürgermeister Hannovers die internationale Halāl-Messe eröffnen wird. Und der wird dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Belit Onay heißen.

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