Zum „Weißen Rössl“ in Schanghai

Das Gastronomen-Ehepaar Mosberg gehörte zu den sogenannten Schanghai-Juden. Das Jüdische Flüchtlingsmuseum in der chinesischen Megapolis legt beredtes Zeugnis von der Verfolgung und Flucht europäischer Juden in die Freihafen-Stadt Schanghai ab

Im Innenhof des Museums erinnert eine Büste an den jüdischen Militärarzt Jakob Rosenfeld.© Felix Lehmann

Von Felix Lehmann

Das Weiße Rössl feiert in diesem Jahr sein 99-jähriges Bestehen. Seine Gründer, das Ehepaar Mosberg, flüchteten Ende der 30er Jahre aus Wien nach Schanghai. Vieles dort erinnert noch heute an die Zeit, in der Juden aus Europa in der chinesischen Metropole einen sicheren Hafen fanden. Die Tilanqiao-Straße im Bezirk Hongkou war einst die Herzkammer der jüdischen Emigration. Wegen seinen zahlreichen Restaurants, Cafés und Bäckereien erhielt die Gegend bald den Namen „Klein-Wien“. Heute steht hier das 2012 eröffnete Jüdische Flüchtlingsmuseum.

Jüdische Emigration nach Shanghai reicht zurück in das vorletzte Jahrhundert. Die Schanghaier Juden, wie sie genannt wurden, waren überwiegend Sephardim aus dem Nahen Osten. Im Gegensatz zu den jüdischen Auswanderern Osteuropas zog es sie nicht gen Westen nach Amerika, sondern ostwärts, nach Asien. Einer von ihnen war der Händler Elias David Sassoon, der anno 1845 mit der Gründung der David-Sassoon-Handelsgesellschaft die moderne Geschichte jüdischer Emigranten in Shanghai begründete. Möglich machte dies vor allem die britische Expansion nach China und die erzwungene Öffnung chinesischer Häfen infolge der Opiumkriege.

 

Der Jude und sein Freund von der Waffen-SS

Das „Weiße Rössl“ hatte indes keinen leichten Start. Ein Taifun zerstörte die Einrichtung und der Jude Rudolf Mosberg stand vor dem Nichts. Er hatte Glück im Unglück: Ende 1939 schickte sein nicht-jüdischer Freund und Geschäftspartner Alfred Racek 6.000 US-Dollar für einen Neuanfang. Racek und Mosberg hatten in Wien mehrere Fabriken betrieben, in denen Feuerzeuge und andere Metallprodukte hergestellt wurden, später überwiegend Waffen für die Wehrmacht. Die beiden Freunde konnten unterschiedlicher nicht sein: Racek hatte sich zwischenzeitlich der Waffen-SS angeschlossen.

Die antisemitischen Pogrome der Nationalsozialisten erzwangen eine weitere Welle jüdischer Emigration. Bis zum Sommer 1937 kamen etwa 1.000 bis 1.500 jüdische Flüchtlinge nach Schanghai. Die Stadt war ein begehrtes Ziel, weil Schanghai damals der einzige Ort war, an dem Pässe nicht kontrolliert wurden. Doch die Schanghaier Behörden sahen den Zustrom der Emigranten mit Argwohn. Für viele konnte nicht mehr genügend Wohnraum geboten werden. Da allgemeiner Lebensmittelmangel herrschte, litten viele an Unterernährung, und auch die Notaufnahmelager boten nicht viel mehr als eine karge Suppe und eine Scheibe Brot. Ab August 1937 wurde Juden die Einreise erschwert. Nach dem Anschluss Österreichs durch die Nationalsozialisten im März 1938 wurde vor allem für die dort lebenden Juden die Situation immer schwieriger. Von den in die Höhe schnellenden Zahlen jüdischer Auswanderer beunruhigt, weigerten sich nach der Konferenz von Evian zahlreiche Westmächte, Ausreisevisa an Juden auszugeben. Doch nach damaligem Recht waren Ausreisevisa die Voraussetzung für jüdische Flüchtlinge, europäische Länder wie Österreich verlassen zu können.

Chinas „Oskar Schindler“ rettete Tausenden Juden das Leben

Umso überraschter war der 17-jährige Eric Goldstaub, als er am 20. Juli 1938 im chinesischen Generalkonsulat in Wien einen Einreiseantrag stellte und auf einmal 20 Visa für seine gesamte Familie erhielt. „Kein Konsulat in Wien war bereit, uns ein Ausreisevisum auszustellen, bis ich schließlich durch viel Glück und Beharrlichkeit in die chinesische Vertretung ging. Dort erhielt ich – Wunder über Wunder – nicht nur ein Visum für mich, sondern für alle meine Familienangehörigen. So konnten wir Anfang Dezember 1938 auf der Bianco Mano von Genua in Richtung Schanghai in See stechen, eine Reise von etwa 30 Tagen“, erinnerte er sich.

Der chinesische Generalkonsul in der österreichischen Hauptstadt, He Fengshan, war sich der schwierigen Situation der Juden bewusst. Entgegen der ausdrücklichen Anweisung seines Vorgesetzten Chen Jie, dem chinesischen Botschafter in Berlin, dem He unterstand, stellte er ohne eingehende Prüfung zahlreiche Visa für Juden aus. Den Nationalsozialisten entgingen Hes Bemühungen nicht, und so beschlagnahmten sie Anfang 1939 das Gebäude, in dem das Konsulat untergebracht war unter dem Vorwand, es befinde sich in jüdischem Besitz. Doch He ließ sich nicht von seinem humanitären Engagement abbringen. Da Mittel aus China zur Anmietung eines neuen Gebäudes ausblieben, kam er privat für ein kleines Haus auf und stellte dort weiterhin Einreisebewilligungen für jüdische Auswanderer aus. Wie viele Visa He letztendlich vergab, ist nicht dokumentiert. Anhand der fortlaufend erteilten Visanummern gehen Schätzungen von 2.000 bis 4.000 Genehmigungen aus.

He machte nie viel Aufhebens um seine Rettungsaktion. Erst als seine Tochter He Manli sich in einem Nachruf auf seine Taten besann, berichtete der „Boston Globe“ und ermittelte das Schicksal vieler der so geretteten Juden, von denen die meisten ihre Visa immer noch aufbewahrt hatten. Seit Januar 2001 wird He von der Schoah-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als Gerechter unter den Völkern geehrt.

Eng verwoben mit der Biographie von He Fengshan ist das Schicksal von Dr. Jakob Rosenfeld. Nach dem Anschluss Österreichs geriet der jüdische Arzt aus Wien schnell in Konflikt mit der nationalsozialistischen Besatzungsmacht. Wegen öffentlicher Kritik an Hitler wurde er zunächst ins Konzentrationslager Dachau, später ins KZ Buchenwald deportiert. 1939 kam er aus Mangel an Beweisen frei mit der Auflage, das Land binnen zwei Wochen zu verlassen. So bestieg er im August 1939 mit seinem Bruder und einem weiteren ehemaligen Mithäftling ein Schiff gen Schanghai – ermöglicht durch ein lebenslang gültiges Visum des chinesischen Generalkonsulats in Wien, ausgestellt von He Fengshan.

 

Aus Wien zu Mao

In Schanghai angekommen eröffnete Rosenfeld in der französischen Konzession eine Klinik für Urologie und Gynäkologie. Doch die Tätigkeit als niedergelassener Arzt erfüllte ihn nicht lange. Seine Sympathien für den Kommunismus brachten ihn dazu, sich 1941 der Volksbefreiungsarmee im Kampf gegen die japanische Besatzung anzuschließen. Der Anstoß dazu kam von seinem Freund, dem Journalisten Hans Shippe. Shippe war bereits 1925 nach China gekommen und diente Sun Yat-sen, dem in China als „Vater des chinesischen Nationalismus“ gefeierten geistigen Gründungsvater der Nation, als Dolmetscher. 1938 traf er mit dem späteren Staatsgründer Mao Tse-tung und Tsu Enlai zusammen, der später erster Regierungschef und Diktator der Volksrepublik werden sollte. Drei Jahre später fiel Shippe in einem Gefecht in den Yimeng-Bergen. Für Jacob war Hans ein Quell der Inspiration und Ermutigung. Von ihm erfuhr er von der miserablen medizinischen Versorgung der chinesischen Armeen und der schwierigen Lage der Zivilbevölkerung.

 

Doktor mit der großen Nase

Im Oktober 1940 traf Rosenfeld in Schanghai mit Shen Qizhen, dem medizinischen Direktor der neugegründeten Vierten Armee zusammen. Gemeinsam gingen sie ins Hauptquartier in Yancheng, einem neu gegründeten Stützpunkt in der Provinz Jiangsu an der chinesischen Ostküste. Als neuernannter medizinischer Berater eröffnete er eine Klinik, die nicht nur den Soldaten, sondern auch der zivilen Bevölkerung offenstand. Bei den Einheimischen als auch den Soldaten erwarb er sich großen Respekt und so er erhielt er den Spitznamen „Doktor mit der großen Nase“. Er leistete unermüdlichen Einsatz und operierte Tag und Nacht. Es ist überliefert, dass er, wann immer er vor Erschöpfung zusammenzubrechen drohte, sich einen kalten Lappen ins Gesicht hielt, nur um weiterarbeiten zu können. Sogar die Mahlzeiten soll er ausgelassen haben, um mehr Zeit für seine Patienten zu haben. Nach dem Ende der Bürgerkriegswirren und der Gründung der Volksrepublik im Oktober 1949 kehrte er nach Österreich zurück und vereinigte sich dort wieder mit seiner Familie und seiner Partnerin. Doch seine Mutter überlebte die Konzentrationslager nicht. 1951 emigrierte Rosenfeld nach Israel.

Wie so oft im modernen China ist auch das Gebäude, in dem sich das „Weiße Rössl“ einst befand, der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Im August 2015 wurde es neben dem Museum wiedererrichtet und Teile der Einrichtung von damals fanden im Neubau Verwendung.

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