Luther und die Juden - Traditioneller Antisemitismus und heutige Israel-Anfeindung in der evangelischen Kirche

Martin Luthers Judenhass diente den Nationalsozialisten als Legitimierung ihrer „Judenfrage“.© Bridgeman Art Library / AFP

Martin Luthers „Judenschriften“ werden von der Evangelischen Kirche verharmlost, eine Aufarbeitung findet kaum statt. Dabei lesen sich Luthers politische Empfehlungen an die Obrigkeit fast wie die Protokolle der Wannseekonferenz: Die Zerstörung von Synagogen, Wohnhäusern und Schriften, die Konfiskation von Geld und Besitz, Arbeitszwang, Verbot jüdischer Gottesdienste und letztendlich die Vertreibung der Juden aus dem gesamten Land waren auch für Hitler, der ein großer Luther-Fan war, und seine Nazis beispielgebend. Bis auf den industriellen Massenmord dienten sie Hitler als Blaupause für den Holocaust. (JR)

Von Dr. Rafael Korenzecher

Am Ende des Monats Oktober jährt sich zum 506. Mal ein Ereignis, das aus der kleinen Stadt Wittenberg in Deutschland ausging und die nachhaltige bis heute anhaltende Abspaltung einer protestantischen Kirche aus der bis dahin in Mittel- und Westeuropa von erheblichem klerikalen Antisemitismus geprägten durch Rom beherrschten katholischen Kirche bewirkt hat. Sie hat leider weite, bis zu den Verbrechen der Nazis reichende Bedeutung für jüdisches Leben und Schicksal in Deutschland und Europa erlangt.

Die kurz gehegte Hoffnung auf ein Abrücken der neuen kirchlichen Protestbewegung von der verbreiteten Judenfeindlichkeit der katholischen Stammkirche hat sich sehr zum Unglück der Juden schon damals nicht erfüllt. Bereits der Begründer dieser Abspaltungsbewegung, der als Reformator in der protestantischen Geschichtsschreibung bis heute bejubelte ehemalige katholische Mönch Martin Luther behielt die Kontinuität des katholischen Antisemitismus bei und verschärfte diesen durch seine eigene unversöhnlich bis zum Mord an Juden auffordernde, judenfeindliche Haltung noch erheblich.

Die große Ausbreitung der protestantischen Kirche besonders in Deutschland und ihr verbohrtes antisemitisches Legat haben nicht unerheblich zu der großen Zustimmung und der mehr als unrühmlichen Rolle der Evangelischen Kirche im Dritten Reich geführt.

So äußerte Luther im Jahre 1543 in seiner Schrift „Von den Juden und Ihren Lügen“ unter anderem man möge den Juden die Synagogen niederbrennen und ihnen ihre Häuser zerstören, um sie in Ställen und Scheunen wohnen zu lassen. Er empfiehlt, den Juden die Religionsausübung und ihren Rabbinern das Lehren unter Androhung der Todesstrafe zu verbieten.

 

Hitler bewunderte Luther

Die Äußerungen Luthers waren durchaus prägend für die antisemitische Hetze der Nazis gegen die Juden in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Hitler selbst war ein großer Bewunderer Luthers, der ihm - im Wesentlichen unwidersprochen von der protestantischen Kirche - als Leitbild für seine judenfeindliche Haltung diente.

Unterstützung für Hitler und seinen Judenhass gab es seitens weiter Teile der offiziellen evangelischen Kirche bereits in den Zeiten der sich formierenden nationalsozialistischen Bewegung in der Weimarer Republik und schon Jahre vor der Machtergreifung Hitlers 1933.

Das weit verbreitete „Deutsche Pfarrerblatt“, ein Pflichtorgan aller Mitglieder des deutschen Pfarrervereins, veröffentlichte bereits im November 1930 einen Grundsatzbeitrag über das Verhältnis von NSDAP und Kirche. Die von G‘tt gewollte Aufgabe für die deutsche Politik sei die Förderung des „arisch-germanischen Menschen“. Die Aufgabe von Theologie und Pfarrern sei es, zu helfen, dass die Nazi-Bewegung nicht einfach verrausche, sondern dass sie, „erfüllt von göttlicher Kraft unserem Volk Gesundung bringe“.

 

„Arier-Paragraph“ im Kirchendienst

1932 entstand die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) als Zusammenschluss von evangelisch getauften Nationalsozialisten. Sie wollten der NS-Ideologie in ihrer Kirche unbedingt zum Durchbruch verhelfen und pflegten ein völkisches, „arisches“ national-deutsches Christentum. Hinter den Deutschen Christen standen Ideen namhafter und anerkannter evangelischer Theologen wie Emanuel Hirsch und Arthur Dinter.

Ohne vereinzelten Widerstand aus der protestantischen Kirche – wie etwa den Kreis um Pastor Niemöller -- unerwähnt lassen zu wollen, darf es bei der Grundhaltung der evangelischen Kirche nicht als verwunderlich angesehen werden, dass diese unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung einen Arier –Paragraphen einführte und Pfarrer ohne Arier-Nachweis aus dem Dienst entfernte. Mit dieser Unterstützung des Hitler‘schen Rassegedankens und mit ihrer großen Verbreitung trägt die evangelische Kirche Luthers eine nicht unerhebliche Mitschuld daran, dass Hitler seine Verbrechen gegen das jüdische Volk und den Holocaust mit breiter Zustimmung der deutschen Protestanten realisieren konnte.

Zur religiösen Aufbruchstimmung von 1933 gehörte auch ein bemerkenswertes Luther-Revival: Der Reformator als deutscher Nationalheros, als Urbild des kerndeutschen Mannes und Kämpfers. Nicht selten wurden historische Traditionslinien von Luther zu Hitler gezogen, von Protestanten selbst und mit Stolz. Das Anliegen der Deutschen Christen war es, Luthers klare Stellung in der „Judenfrage“, die Hitler von neuem gelehrt habe, in der Kirche wieder voll zur Geltung zu bringen.

 

Luther als Vorbild

Beispielsweise in der Spandauer Lutherkirchengemeinde beschloss der Gemeindekirchenrat im September 1935, parallel zur Verabschiedung der „Nürnberger Gesetze“, die sofortige kostenlose Verteilung von eintausend Stück „Luther und die Juden“ sowie die Beschaffung von Aushängekästen für Streichers Hetzblatt „Der Stürmer“.

Johannes Schleuning, Superintendent im Berliner Osten, verwies im März 1937 in einem Artikel „Judentum und Christentum“ besonders auf Martin Luther und Adolf Stoecker als christliche Vorkämpfer gegen das Judentum. Er pries dabei die jüngste Sondernummer des „Stürmers“ zur „Judenfrage“ und betonte im Anschluss daran, Christus sei ein „Arier“ und ein nordischer Held gewesen.

Der protestantische Theologe Immanuel Schairer schrieb am 20. November 1938 einen beifälligen Kommentar zu den Ereignissen der Pogromnacht vom 9. November und berief sich dabei ausdrücklich auf Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“. Der Thüringer Landesbischof Martin Sasse ließ unmittelbar nach den Pogromen eine Schrift mit Auszügen aus Luthers Judenschrift drucken und an die Thüringer Pfarrerschaft verschicken

Nicht wenige der Wehrmachts- und SS-Angehörigen, die an Erschießungen von Juden, häufig – wie in Babi Jar und der übrigen Ostfront – auch von Frauen und Kindern, beteiligt gewesen sind und/oder auch Teile von Belegschaften von Konzentrationslagern stellten, waren bekennende evangelische Christen.

Dazu zählt nicht nur der große Teil der in protestantischer Tradition aufgewachsenen, häufig adeligen Führung der Wehrmacht. Auch nicht wenige Offiziere des bezeichnender Weise sehr, sehr späten, eher der Verbesserung der eigenen Nachkriegspositionierung der beteiligten Führungskader gegenüber den siegreichen Alliierten dienenden deutschen Widerstandes waren Mitglieder der evangelischen Kirche und wie Stauffenberg überzeugte Antisemiten.

Aber auch nach dem Untergang des Hitlerreichs ließ und lässt das antisemitische Erbe Luthers die protestantische Kirche offensichtlich nicht los.

 

Verschleierungsversuche

Während der evangelische Reichsbruderrat noch 1948 den Juden empfahl, den Holocaust als ermahnendes Zeichen G’ttes zu betrachten, etwa für ihre Weigerung sich bekehren zu lassen, versuchte die protestantische Kirche in der Folge nicht wenige Mitschuldige aus ihren Reihen an Naziverbrechen zu decken. Auch versuchten sich offizielle Teile der evangelischen Kirchen noch 1960 bei der Adenauer Regierung für den Massenmord an Juden verantwortlichen Organisator und protestantischen Christen Adolf Eichmann einzusetzen, um ihn vor der israelischen Gerichtsbarkeit zu retten. Eine unrühmliche Rolle bei der Verschleierung der Rolle der protestantischen Kirche im dritten Reich kommt auch dem langjährigen Bischof der evangelischen Kirche Dibelius zu.

Wenig ermutigend für eine eindeutige Distanzierung von Luthers antisemitischen Mordthesen gegen Juden bietet auch die gegenwärtige feindselige und Israel - dämonisierende Haltung der evangelischen Kirche zu dem Staat Israel, dessen ständige Delegitimierung neben dem übermäßigen Einsatz für grüne Politikinhalte geradezu zu den Charakteristika und der heutigen, wohl die zusehends verloren gehende religiöse Legitimation kompensierenden Essenz der Aktivitäten der Evangelischen Kirche Deutschlands ( EKD ) darstellt.

 

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