Eine neue jüdische Stadt in Mexiko

Unweit von Mexiko-Stadt soll die „Ciudad de la Torá“ entstehen, die erste fast ausschließlich von Ultraorthodoxen bewohnte Ortschaft Lateinamerikas (JR).

Stadtplan der Tora-Stadt in Mexiko (www.ciudaddelatora.com)

Von Rabbiner Elischa Portnoy

Wo gibt es noch einen guten Ort, wo Juden angenehm und sicher leben können? Diese Frage war noch nie einfach zu beantworten, jedoch ist sie in unseren Zeiten noch kniffeliger geworden. Antisemitismus macht zurzeit allen Juden zu schaffen, am meisten leiden darunter aber die orthodoxen Juden, die schon äußerlich als solche erkennbar sind. Aber nicht nur Übergriffe und Anfeindungen bereiten religiösen Menschen heutzutage große Probleme. Die Pandemie-bedingten Einschränkungen beeinflussen das jüdische Leben stark: geschlossene Synagogen, Schulen, Kitas und Yeshivot machen uns jeden Lockdown noch beschwerlicher.

Deshalb werden immer wieder Möglichkeiten gesucht, das jüdische Leben an einem sicheren Ort aufzubauen. So wurde zum Beispiel in Taiwan kürzlich ein großes Gemeindezentrum gebaut, das im Dezember dieses Jahres eröffnet werden soll. Dort werden unter „einem Dach“ Synagoge, Mikwe, ein großer Festsaal für 300 Personen, ein koscheres Restaurant, eine Kita und eine Bibliothek für die 700-800 Juden der fernöstlichen Insel eingerichtet.

In anderen Ländern geht man noch weiter: Kurioserweise haben gerade die Corona-Strapazen einige Unternehmer in Mexiko auf eine spannende Idee gebracht. Während der Covid-Pandemie entschied sich eine jüdische Schule einen abgelegenen Ort zu suchen, wo man quasi „unter sich“ ist und dank strenger Hygiene-Maßnahmen gleichzeitig vor der Infektion geschützt bleibt. Und einen solchen Ort hat man schließlich tatsächlich in einer kleinen Ruinen-Stadt unweit von Mexiko-Stadt ausfindig gemacht. Weil diese Idee Erfolg hatte, kam dann gleich die nächste Idee: warum nicht eine ganz Stadt mit Schulen, Yeshivot und Supermärkten ausschließlich für religiöse Juden bauen?

 

Die richtigen Menschen haben sich gefunden

Ein solche Idee gab es schon früher, zum Beispiel in Argentinien, wurde jedoch nie realisiert. Dieses Mal ist eine Umsetzung jedoch viel wahrscheinlicher. Denn es gibt zurzeit vieles, was ein erfolgreiches Projekt benötigt: einen guten und begeisterten Projektleiter (Mosche Schemaria), der bereits ein bekannter Geschäftsmann in Mexiko-Stadt ist, einen potenten Geldgeber (Abraham Mizrahi) und einen geistigen Begleiter (Rabbi Josef Tawil), der Oberrabbiner der neuen Stadt werden soll.

Der Yeshiva-Campus, 40 Häuser für Studenten und Rabbis (www.ciudaddelatora.com)

Für die neue Stadt wurde bereits ein Platz von 50 Hektar neben der Kleinstadt Ixtapan de la Sal, nur 135 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, gefunden und bei einer großen Veranstaltung mit u.a. den bekannten orthodoxen Sängern Avraham Fried und Motty Steinmetz der Grundstein für das Projekt gelegt.

Und die Pläne der Initiatoren sind wirklich groß: es sollen Synagogen sowohl für Aschkenasim als auch Sefardim gebaut werden, dazu Kitas, eine Grundschule, Yeshivot, koschere Supermärkte, ein Fitness-Studio, ein Schwimmbad, Sportplätze, Mikwaot (rituelle Tauchbäder) und Parks.

Man kann sicher sein, dass bei dem Bau alles berücksichtigt wird, was orthodoxe Familien zum normalen Leben benötigen. So wird zum Beispiel jede Wohnung vermutlich eine separate Küche fürs Pessach-Fest haben. Wenn man die Alltags-Küche einfach schließen kann und eine fertige „koscher für Pessach“-Küche einfach aufmachen, spart man damit viel Zeit und Kraft bei der Vorbereitung zum Pessach. Auch ans Sukkot-Fest sollte gedacht werden. Normalerweise gibt es immer wieder Probleme mit dem Aufstellen von Laubhütten (Sukka), in denen man während des siebentätigen Festes wohnen sollte. Wenn man diese Hütten aber von Anfang an einplant, kann man entweder kleine Gartenflächen für jede Wohnung vorausplanen oder die Balkons so platzieren, dass kein Balkon dem anderen den Himmel verdeckt und damit die Laubhütte, die auf diesem Balkon aufgebaut ist, unbrauchbar macht. Auch Eingänge können so gestaltet werden, dass auch kinderreiche Familien mit Doppelkinderwagen leicht in ihre Wohnungen gelangen können.

Der große Vorteil dieser Stadt sollte der günstige Preis für die Wohnungen sein. Wenn man an eine andere bekannte Stadt denkt, in der ebenfalls viele orthodoxe Juden leben (Lakewood in New Jersey), liegt dort der Preis für ein passendes Appartement für eine orthodoxe Familie bei ca. 1 Million Dollar. In der „Tora-Stadt“ in Mexiko hingegen soll der Preis schon ab 120.000 Dollar beginnen. Dieses Projekt ist vor allem für religiöse Juden aus Argentina, Venezuela, Panama, Chile und anderen Ländern Süd- und Zentralamerikas gedacht. In Mexiko selbst, wo zurzeit schätzungsweise ca. 40.000 Juden leben, wird dieses Projekt vermutlich keine große Begeisterung hervorrufen: die meisten mexikanischen Juden sind liberal und werden wohl mit einer solch frommen Stadt wenig anfangen können.

In der ersten Phase sollen 40 Häuser gebaut werden und so im Jahr 2024 zur neuen Heimat für die ersten 120 Familien werden. Danach werden weitere Häuser gebaut und wird die Stadt weiterwachsen. Vielleicht wird dieses Modell zum Vorbild und bald werden auch in anderen Ländern solche Städte entstehen, wo das echte jüdische Leben ungehindert blühen kann.

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