Wessen Symbol ist der Magen David?

Der Davidstern wurde erst viel später als die Menora zu einem Zeichen der Juden – auch Nicht-Juden nutzten früher das Hexagramm.

Hexagramm-Symbol auf der Fassade der Basilika Santa Croce in Florenz© WIKIPEDIA

Von Oleg Yusupow

Es gefällt nicht allen in Russland, dass im größten Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen Kirche in Moskau – der Christ-Erlöser-Kathedrale – der sechszackige Stern, das „jüdische Symbol“, zu sehen ist.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass einige geometrischen Figuren mit irgendeiner Religion oder Ideologie in Verbindung stehen, und stellen deshalb oft auch keine Fragen mehr über ihre Herkunft. Ein fünfzackiger Stern erinnert uns an den Kommunismus, das Hackenkreuz an den Nationalsozialismus, der Halbmond mit Stern an den Islam, das Kreuz ans Christentum und das Hexagramm an das Judentum. So ist es für manch einen schockierend, ein Kreuz innerhalb des sechszackigen Sterns (Magen David) auf der Basilika Santa Croce in Florenz, ein Hakenkreuz auf der Flagge der finnischen Luftwaffe, in altertümlichen israelischen Synagogen oder auf den Trikots des Frauen-Eishockeyclubs der Stadt Edmonton (Kanada) 1916 zu entdecken.

 

Ist der sechszackige Stern ein jüdisches Symbol?

Im Gegensatz zur Menora – dem siebenarmigen Leuchter –, die in alten Zeiten als das Symbol der Juden diente, ist der Magen David – aus dem Hebräischen „Davids Schild“ – nichtjüdischer Herkunft. Zwar ist er seit über 2.500 Jahren bekannt, wird aber erst seit einigen Jahrhunderten mit dem Judentum in Verbindung gebracht.

Die uralte geometrische Figur namens Hexagramm trug nicht immer den Namen „Davids Schild“. Ein älterer Name ist Sigillum Salomonis (Salomons Siegel), das den Siegelring des berühmten weisen Königs schmückte und Dämonen beschwören und Engel herbeirufen sollte.

Ein noch älterer Name des sechszackigen Sterns ist „Siegel des Gottes Vishnu“, ein Siegel der Friedfertigkeit. Im Hinduismus wird das Hexagramm oft neben der Swastika (Hakenkreuz) dargestellt, was ein Symbol für Glück und Reichtum ist. Aufgrund der Nazivergangenheit Deutschlands erlangte dieses Zeichen jedoch eine negative Konnotation. Wer hätte im Altertum ahnen können, dass die einen Homo Sapiens im Zeichens der Swastika die anderen Homo Sapiens töten würden, die sich das Hexagramm-Symbol zu eigen machten?

 

Warum trägt das Hexagramm den Namen Magen David?

Es gibt mehrere Versionen der Namensherkunft „Magen David“. Betrachten wir zwei der gängigsten.

Erste Version: Im 12. Jahrhundert beschloss ein gewisser David Alroy (Menachem ben Roy), der falsche Messias, von seiner Heimat Kurdistan nach Jerusalem zu gehen, um die Kreuzfahrer aus der Heiligen Stadt zu vertreiben. Es wird angenommen, dass er es war, der dem Hexagramm seinen eigenen Namen gab und eine sechszackige geometrische Figur zum Symbol des jüdischen Volkes machte.

Zweite Version: Die Krieger des großen jüdischen Königs David verwendeten im Kampf sechseckige Schutzschilde – oder auf ihren Schildern waren sechszackige Sterne abgebildet.

Es wird jedem selbst überlassen, zu entscheiden, welcher Version man Glauben schenken sollte.

 

Wann wurde das Hexagramm zum Symbol des jüdischen

Volkes?

Bis heute ist das älteste Bild eines mit den Juden verbundenen Hexagramms ein Siegel, das im 7. Jahrhundert v.d.Z. in Sidon gefunden wurde; das einem Mann namens Yehoshua ben Yeshayahu gehörte.

In Kfar Nachum (der antiken Stadt Kafarnaum) im Norden Israels befindet sich eine Synagoge, die im 2.-3. Jahrhundert erbaut wurde. Das Ornament des Frieses enthält dekorative fünf- und sechszackige Sterne. In dieser Zeit durften diese geometrischen Figuren jedoch keine religiöse Bedeutung für die Bauherren haben. Das Hakenkreuz wurde häufig als dekoratives Element in Gebrauchsgegenständen, auf Kleidern und Schildern von Soldaten, sowie in Tempeln verwendet. Es wurde in Synagogen aus byzantinischer Zeit in Ein Gedi und in der Siedlung Maoz Chaim entdeckt. Der Anblick des Hakenkreuzes verletzte damals niemanden, und dies blieb bis zur Entstehung des Dritten Reiches der Fall, bis die Nazis das alte Symbol für sich beanspruchten.

Es ist jedoch bekannt, dass die Juden dieses Symbol im Spätmittelalter, unter Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, verwendeten: 1357 verlieh Karl IV. der jüdischen Gemeinde von Prag das Privileg, eine eigene Flagge zu besitzen. Die „Flagge Davids“ – so wurde sie genannt – stellte das Hexagramm auf rotem Stoff dar, und seitdem nutzten Prager Juden das Emblem in Büchern, auf Gebrauchssgegenständen und an Gebäuden.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verbreitete sich dieses Symbol in ganz Europa und wurde im 19. Jahrhundert ein fester Bestandteil von religiösen Gegenständen des Judentums und wenig später auch des Zionismus. Von dieser Zeit an begann die Welt, das Hexagramm als ausschließlich jüdisches Symbol wahrzunehmen. Der „gelbe Stern“, der von den Nazis als „Judenstern“ geschaffen wurde, um Juden abzusondern, stärkte die Bindung zwischen dem leidgeprüften Volk und dem sechszackigen Stern weiter (die besondere Kennzeichnung für Andersgläubige – Juden und Christen – wurde im 7. Jahrhundert im Kalifat des arabischen Großreichs eingeführt; 400 Jahre später mussten in einzelnen Teilen Europas Juden eine gelbe Kleidungskennzeichnung tragen. Im 13. Jahrhundert wurden Juden und Muslime überall in Europa gezwungen, andere Gewände zu tragen, um sich von Christen zu unterscheiden, was zum Ziel hatte, Mischehen zu verhindern,–Anm. d. Übers.).

 

Was ist ein Hexagramm?

Juden betrachten den Magen David als Schutz vor dem Unglück, und der sechszackige Stern symbolisiert die göttliche Führung auf der ganzen Welt: Erde, Himmel und die vier Himmelsrichtungen.

Laut Meinung vieler Kommentatoren des Tanachs symbolisiert die weiße Lilie mit sechs Blütenblättern das jüdische Volk und ist somit der Prototyp des sechszackigen Sterns. Es wird angenommen, dass die 12 Seiten des Magen David 12 israelitische Stämme darstellen sollen, die von König David regiert wurden.

In der indo-arischen Kultur und der sumerischen Keilschrift verkörperte das Dreieck mit seiner Spitze nach unten das weibliche Prinzip (Mutterleib) und die Spitze nach oben–das männliche (Phallus).

Im Christentum symbolisiert das Hexagramm sieben Jahrhunderte Weltgeschichte „unter der Leitung“ von Erzengeln, die mit sieben Planeten verbunden sind. Der wichtigste Erzengel Michael – er ist auch der Erzengel der Sonne –, gilt als „der große Fürst“und verkörpert das Fünfte Element – die Quintessenz, die anderen sechs befinden sich um ihn herum.

Im Islam stellt ein sechszackiger Stern in einem Kreis mit Punkten ein Symbol der Weisheit dar. In mittelalterlichen arabischen Büchern ist das Hexagramm viel häufiger zu sehen als in jüdischen mystischen Werken.

„Das Siegel des Königs Schlomo“ (es existiert ebenfalls der Name „Siegel des Königs Leo des Weisen“) ist in der slawischen, insbesondere der russischen, Manuskript-Tradition des 15. bis 19. Jahrhunderts und in populären Lindenholztafeln des 18. bis 19. Jahrhunderts (Lindenholztafeln – in Russland einfache bunte Volksbilder auf Holz; hatten meist religiösen, sozialkritischen oder informativen Charakter,–Anm. d. Übers.) Unter den alten Slawen besaß der Gott Veles dieses Symbol und sein Name war „der Stern von Veles“.

Im Tantrismus entspricht ein Hexagramm der Harmonie zweier Welten: Materie (ein Dreieck, nach unten gerichtet) und Geist (ein Dreieck, nach oben gerichtet).

 

Wo in der modernen Welt wird neben dem Judentum das Hexagramm verwendet?

Diese mystische Figur ist oftmals dort anzutreffen, wo man mit ihr überhaupt nicht gerechnet hat. Wie oben erwähnt, zeigt sich das Hexagramm an der Fassade der Basilika Santa Croce in Florenz (Italien) und schmückt die gotische Kathedrale in Valencia (Spanien). Man findet das an den Wänden der Ibn-Tulun-Moschee in Kairo; und auch an der Fassade des Museums für dekorative und angewandte Kunst Usbekistans in Taschkent erscheint es als dekoratives Element. Das Hexagramm befindet sich auch auf einer Münze des Islamischen Königreichs Marokko.

Im 18. und 19. Jahrhundert galt der sechszackige Stern als Symbol für den Stern von Betlehem und somit für die Weihnachtszeit und wurde als Weihnachtsbaumschmuck verwendet; diese Tradition wird in Westeuropa bis heute fortgesetzt.

Sechszackige Sterne finden sich auch in den Symbolen anderer Staaten und Orte. Zum Beispiel in Wappen von Städten wie Spittal an der Drau in Österreich, Hamburg und Gerbstedt in Deutschland, Zagreb in Kroatien, den ukrainischen Städten Poltawa, Konotop und Ternopil, dem estnischen Rakvere und vielen anderen.

Kennen sie die Wappen von Bukowina und Kroatien? Auch dort leuchtet der „jüdische“ Stern.

Die inoffizielle Flagge Nordirlands ist wie die Flagge Israels mit einem Hexagramm verziehrt. Und es gibt drei von ihnen auf der Flagge von Burundi.

Was den Magen David in der Hauptkirche Russlands anbelangt, liefert der Erzpriester Michail Ryasantsew die folgende Erklärung: „Die Mutter Gottes stammte aus der Familie von König David, und es ist natürlich, dass dieses Symbol des königlichen Hauses in diesem Tempel zu sehen ist. Stellen wir uns vor: Wenn auf faschistischen Panzern Kreuze abgebildet waren, sollen dann zwangsläufig alle Christen Angreifer und Mörder sein? So kann jede These ad absurdum geführt werden.“

 

Der Autor Oleg Yusupow ist Militärhistoriker.

Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina.

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