Der Abschiedsbesuch der Kanzlerin in Israel

Nur sehr genügsame Israelis sahen in den Besuchen der Bundeskanzlerin einen Beweis für das Einlösen der historischen deutschen Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Staat. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass gerade in der langen Regierungszeit der Kanzlerin Merkel Deutschland der größte Einzelfinanzier von anti-israelischen Nichtregierungsorganisationen und Waffen-Großexporteur an Israels Todfeind, den Iran, war. Zudem war das Abstimmungsverhalten der Merkel-Regierung bei der UNO islam-affin und zutiefst anti-israelisch geprägt.

© Gil COHEN-MAGEN / AFP

Von Chaim Noll

Angela Merkel besucht Israel, offiziell zum letzten Mal. Ein freundliches Protokoll: Begrüßung durch Premier Bennett, der sie „liebe Freundin Angela“ nennt, Teilnahme an einer Kabinettssitzung, während draußen die jungen Leute von „Im Tirtzu“ gegen sie demonstrieren, Besuch in Yad Vashem mit ergriffenen Worten im Gästebuch, auch ein Ehrendoktorat muss noch sein, diesmal vom Technion Haifa.

Sie ist auffallend oft in Israel gewesen. Bisher siebenmal. Zunächst mit glaubhaft guten Absichten und Ideen. Die sie dann, machtbesessen und opportunistisch, nach und nach preisgegeben hat. Ihre vier Legislaturperioden haben nicht nur ihre eigene Partei ruiniert und die Zukunft Deutschlands und der Europäischen Union infrage gestellt, sondern auch zu einer Verschlechterung der deutsch-israelischen Beziehungen geführt. Nun kommt sie zum achten Mal, und die Genügsamen unter meinen Landsleuten, die sich mit netten Gesten bescheiden, sehen darin einen Beweis ihrer tief gefühlten Sympathie. Die „Jerusalem Post“, sonst eine vernünftige Zeitung, begann den Tag ihrer Anreise mit einem peinlichen „Editorial“, einer anonymen Lobeshymne auf die scheidende Kanzlerin, zu dem es überwiegend empörte Zuschriften gab, die auflisteten, was diese Frau alles zum Schaden Israels getan hat:

„Deutschland ist der größte Einzelfinanzier von israelischen Nichtregierungsorganisationen, die die Regierung, die Polizei und die Armee verklagen, unter dem Vorwand, den Palästinensern zu helfen.“

„Im Leitartikel heißt es, sie habe ‚Israel innerhalb der Korridore der Europäischen Union geholfen‘. Ich muss an diesem Tag geschlafen haben.“

„Deutschland ist einer der größten Lieferanten von Waren an den Iran. Deutschland sagt, dass eine diplomatische Lösung erforderlich ist, aber abgesehen von der Belieferung der Ayatollahs, was tut Deutschland gegen den Iran?“

„Merkel hat mehr als eine Million Migranten aufgenommen, darunter viele junge muslimische Männer. Dies hat vor allem das Vereinigte Königreich aus der EU gedrängt und zu enormen Spannungen zwischen der westlichen und der östlichen EU geführt, die wahrscheinlich bald zu einer Krise führen werden. Hilft die Islamisierung Europas oder die Schwächung der EU Israel?“

„Deutsche Unternehmen haben zwischen 1998 und 2011 rund 350 Tonnen Dual-Use-Chemikalien an das Regime des syrischen Präsidenten Bashar Assad geliefert.“

„Ich möchte Frau Merkel persönlich meinen Dank für ihre starke Unterstützung der PA, der PLO und des Iran aussprechen ...“

„Sie unterstützt internationale Terrorregime, die islamische Invasion in Europa und die Hisbollah. Dieser Artikel ist ein Scherz.“

Kaum jemand in Israel erwartet Gutes von dieser Frau

Ja, es las sich fast wie ein Witz. „Merkel is doing all of this“, schrieb die Zeitung, „because she is a true friend of the State of Israel and the Jewish people and for that we thank her.“ Verschwiegen wurde, dass sie sich seit 2018 hier lieber nicht mehr gezeigt hat, nachdem in jenem Jahr ihre Regierung, vertreten durch Außenminister Maas und Merkels außenpolitischen Berater Heusgen, in der UN-Vollversammlung bei 21 eingereichten, meist absurden antiisraelischen Resolutionen 16-mal zustimmte, sich viermal enthielt und nur einmal zu einer Gegenstimme aufraffte – ein selbst in diesem Gremium auffallend israelfeindliches Abstimmungsverhalten, das deutlich von dem anderer westlicher Länder wie den USA, Australien oder Kanada abstach.

In ihrer letzten Legislaturperiode, als die Situation der Juden in Deutschland immer elender und gefahrvoller wurde und Merkels Rücksichtslosigkeit gegenüber dieser dahinschwindenden Menschengruppe immer offener zutage trat, als sie ein klares Wort verweigerte zu den immer selbstverständlicher werdenden Aufrufen zum Judenmord in deutschen Straßen, fiel das schöne Bild der Israel-Freundin Merkel in Scherben. Kaum jemand in Israel erwartet Gutes von dieser Frau, die viel verspricht und kaum etwas davon hält, die nach außen bescheiden auftritt und in Wahrheit heimtückisch und intrigant ihre oft schäbigen Pläne durchsetzt. Die demokratische Spielregeln ignoriert, wo es ihr passt. Die ohne Konsultation mit Parlament und Regierung in wenigen Tagen hunderttausende junge Muslime ins Land ließ, unkontrolliert und konfus, ein, wie sich zeigen sollte, riesiges Potenzial für Judenhass und alltäglichen Schrecken.

Vor allem Letzteres hat sie hierzulande viele Sympathien gekostet. Aber auch ihr persönliches Eingreifen gegen die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt, die hinterhältigen Telefonate, um osteuropäische Regierungen daran zu hindern, ihre Botschaften nach Jerusalem zu verlegen. Die gleiche Zeitung, die jetzt ihr Loblied singt, schrieb am 15. November 2018: „A Western source told The Jerusalem Post that Merkel lobbied the Romanian president to put a halt on the relocation of its embassy to Jerusalem. It is believed that Merkel called other European politicians as part of a campaign to block the relocation of European embassies to Jerusalem.“

Ich persönlich kenne keinen Israeli, der Angela Merkel schätzt. Sie für besonders klug oder zuverlässig hält. Warum dann der schmeichlerische Ton in den Medien, die Artigkeiten der Politiker? Warum ist sie überhaupt noch mal gekommen, de facto entmachtet und für unsere Zukunft ohne Bedeutung? In ihrer Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde des Technions Haifa ließ sie wissen, diese Ehrung sei schon 2016, also vor fünf Jahren geplant, doch erst jetzt ausgeführt worden. Das Corona-Virus, bei Politikern beliebtes Cover-up für alles Mögliche, habe das Reisen erschwert. Ist sie wirklich von unserer neuen Regierung eingeladen worden, wie es offiziell hieß, oder hat sie selbst zu verstehen gegeben, sie wäre gern noch einmal für ein paar Tage hier? Welches Interesse kann sie an dieser Reise haben, an all den Höflichkeiten und Zeremonien, die in Wahrheit nichts als Routine sind – denkt sie an kommende Posten in internationalen Gremien und will sich künftiger Sympathien versichern, von Seiten der Politiker, Militärs, Wissenschaftler und Sicherheitsleute eines in der heutigen und kommenden Weltpolitik relevanten Staates?

Vor der Tür protestieren Gruppen lautstark gegen ihren Besuch

Sie ist auffallend demütig aufgetreten. Die in der deutschen Nahostpolitik zentrale Forderung nach der Gründung eines „Palästinenser“-Staats wurde nur noch schwach, eher pro forma vorgetragen. Naftali Bennett, der neue israelische Premier, erklärte ihr ins Gesicht, seine Regierung habe keine diesbezüglichen Absichten. „Ein Palästinenserstaat wäre ein Terrorstaat, sieben Minuten von meinem Haus entfernt“, sagte Bennett. Und: „Ich bin Pragmatiker. Wir schaffen jede Menge Lebensgrundlagen, um die Situation für alle leichter zu machen.“ Darauf erwiderte Merkel nicht, wie bisher bei jeder Gelegenheit, Deutschland habe hierzu einen prinzipiell anderen Standpunkt, sondern schmeichelte: „Israel spielt eine sehr wesentliche Rolle im Mittleren Osten, selbst wenn die diplomatische Lösung mit den Palästinensern in der Ferne zu liegen scheint. Wir dürfen sie nicht von der Agenda nehmen, sondern müssen sie als Vision erhalten, um das Problem zu lösen. Dabei muss klar sein, dass Israel immer ein jüdischer und demokratischer Staat bleiben wird, genau wie der Premierminister gesagt hat.“

Währenddessen protestierten draußen, vor der Tür des König David Hotels in Jerusalem, verschiedene Gruppen lautstark gegen ihren Besuch. „Über die Jahre und unter der Tarnung ‚humanitärer‘ und ‚lebenswichtiger‘ Projekte“, riefen die Demonstranten über Megaphon in Richtung des abgesperrten Hotels, „haben die deutsche Regierung und ihre europäischen Freunde radikale linke Organisationen und die Palästinenserbehörde bezahlt. Zwischen 2012 und 2021 hat Deutschland allein 84 Millionen Schekel dafür ausgegeben, um Dutzende Organisationen zu bezahlen, die Israels Souveränität, Rechte und Existenz untergraben sollen. Einige dieser Fonds finanzierten das Einkommen von Terroristen, die jüdisches Blut an den Händen haben. Erst kürzlich hat Deutschland wieder 117 Millionen Dollar für derartige Projekte versprochen.“

Diese Summe liegt nur leicht unter den 115 Millionen Euro, die Deutschland der israelischen Marine beim Kauf von vier Korvetten der Meko A100-Klasse nachlässt, welche in den vergangenen Jahren bei ThyssenKrupp Marine Systeme gebaut und inzwischen in Dienst genommen wurden, die letzte erst vor vier Wochen – ein Nachlass von ungefähr einem Viertel der Gesamtkaufsumme von 430 Millionen Euro, sodass von den vier Schiffen eins als Geschenk zu betrachten wäre. Israel braucht diese vier Korvetten, die anschließend in Haifa mit israelischen Elektronik- und Hightech-Systemen aufgerüstet wurden und nun „Sa’ar 6“ heißen, um die großen Erdgas-Felder im Mittelmeer zu bewachen, die das kleine Land nicht nur energieunabhängig, sondern zum Erdgas-Exporteur haben werden lassen. Und da Deutschland auf Grund einer ideologiebestimmten Energiepolitik zunehmend zu den bedürftigen Ländern gehört, ist die Schenkung der vierten Korvette vielleicht nicht ganz so uneigennützig, wie glauben gemacht werden soll. Eine Erdgas-Pipeline von den israelisch-zypriotischen Gasfeldern über Griechenland nach Mittel- und Nordeuropa ist in Planung, doch immer wieder versuchen Schiffe des außer Kontrolle geratenen NATO-Partners Türkei die Arbeiten zu behindern. Die vier Korvetten werden wirklich gebraucht. Dies einer der Gründe für das demonstrative Einvernehmen bei Angela Merkels letztem Besuch.

Merkel als Schutz vor noch Schlimmerem?

Einen anderen Grund ließ die israelische Zeitung „Ha’aretz“ durchblicken: wachsende Befürchtungen, Merkels Nachfolger betreffend. Man rechnet hier mit einem SPD-Kanzler, und wenn man auch über den Mann selbst, Olaf Scholz, bisher so gut wie nichts weiß, kennt man die anti-israelische Grundtendenz seiner Partei. Die SPD hat sich in den letzten Jahren als die am offensten israelfeindliche Partei in Deutschland profiliert. Diese Partei verdankt ihre Auferstehung aus selbst verschuldeter Bedeutungslosigkeit nicht zuletzt ihren muslimischen Wählern, die sie systematisch umwirbt. Das Auswärtige Amt in Berlin entwickelte sich unter den sozialdemokratischen Außenministern Steinmeier, Gabriel und Maas zu einer Art antiisraelischem Aktionszentrum.

Und so wenig man Grund hat, Angela Merkel, der wortbrüchigen Opportunistin, zu trauen, kann sie vielleicht, so hofft man, mit ihrem nicht unbeträchtlichen Gewicht ein wenig gegensteuern und ein von Sozialdemokraten und Grünen regiertes Deutschland daran hindern, offen antiisraelisch zu agieren. Wir wissen aus alter Erfahrung: Mag es jetzt schon schwierig sein, es kann durchaus noch schlimmer kommen.

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