Jobverlust in den USA: Der dubiose Versuch Antisemitismus mit der Ablehnung und der Angst vor dem Islam gleichzusetzen
Selbst linke Mitarbeiter und Inklusionsvertreter laufen Gefahr ihre Arbeitsstelle zu verlieren, wenn sie nicht Antisemitismus mit der erfahrungsgetragenen Angst vor dem Islam gleichsetzen. So geschehen beim weltgrößten Verband von Kinderbuchautoren in den USA, der eine schwarze jüdische Mitarbeiterin gefeuert hat, weil diese im Internet eine Stellungnahme gegen Antisemitismus veröffentlicht hatte, ohne gleichzeitig vor Islamophobie zu warnen (JR).
Schwarz, jüdisch, Inklusionsbeauftragte: April Powers© https://bariweiss.substack.com
Erst als es Beschwerden gab, änderte die Verbandsspitze ihre Meinung und feuerte die Autorin. Zudem entschuldigte sich der Verband bei seinen „muslimischen und palästinensischen Mitgliedern“ dafür, ihnen „Schmerz“ zugefügt zu haben und gelobte, so etwas werde in Zukunft nicht mehr vorkommen.
Bei dem Fall, über den zuerst das jüdisch-amerikanische Wochenmagazin „Algemeiner“ berichtet hat, geht es um die „Society of Children’s Book Writers and Illustrators“ (SCBWI), der rund 22.000 Kinderbuchautoren, -zeichner, -übersetzer und sonstige Zuträger des Kinderbuchverlagswesens angehören. Die SCBWI unterstützt ihre Mitglieder beim Knüpfen von geschäftlichen Kontakten und versteht sich als deren Lobby in der Politik, etwa bei Themen des Urheberrechts.
Stein des Anstoßes war eine Erklärung gegen Judenhass, verfasst von April Powers, der Fairness- und Inklusionsbeauftragten des SCBWI. Veröffentlicht wurde sie auf der offiziellen Facebookseite des Verbands, wo sie auch immer noch zu finden ist.
„Intoleranz und Engstirnigkeit nehmen kein Ende“
Von manchen Erklärungen gegen Antisemitismus, die im deutschsprachigen Raum von öffentlichen Stellen gelegentlich veröffentlicht werden – oft aus Anlass von Gedenktagen wie dem 9. November – unterscheidet sich der Text dadurch, dass die Verfasserin, indem sie eigene Gedanken über „Hass“ und „Engstirnigkeit“ formuliert, zeigt, dass ihr das Thema offenbar wirklich wichtig ist.
Auf den Staat Israel oder kontroverse Themen wie den arabisch-israelischen Konflikt nahm Powers nicht Bezug, griff auch niemanden persönlich an. Der vollständige Text lautet in deutscher Übersetzung:
„Die SCBWI erkennt unzweideutig an, dass die 14,7 Millionen Juden der Welt (weniger als 0,018 Prozent der Bevölkerung) das Recht haben auf Leben, Sicherheit und Freiheit sowie darauf, nicht zu Sündenböcken gemacht zu werden oder Angst haben zu müssen. Keine Person sollte bedroht werden wegen ihrer Herkunft, Religion, Behinderung oder der Frage, wen sie liebt.
In den letzten Jahren ist der Antisemitismus weltweit auf dem Vormarsch und hat allein in den letzten Wochen zu einer 75-prozentigen Zunahme von Hassrede und willkürlicher Gewalt gegen Juden geführt. Da Antisemitismus eine der ältesten Formen des Hasses ist, hat er einen eigenen Namen. Er dient vielen Formen von Rassismus und Gewalt als Vorbild. Intoleranz und Engstirnigkeit nehmen kein Ende, wenn eine Gruppe ganz und gar terrorisiert wird. Sie werden in diesem Boden gedüngt.
Als Autoren, Illustratoren und Übersetzer von Kinderliteratur sind wir dafür verantwortlich, in unserer Arbeit Gerechtigkeit zu fördern und Menschen zu humanisieren – alle Kinder und alle Familien. Schweigen wird oft mit Akzeptanz verwechselt und führt zu mehr Hass und Gewalt gegen verschiedene Arten von Menschen.
Es macht uns traurig, dass wir in diesem Jahr zum vierten Mal gezwungen sind, Sie einzuladen, mit uns zusammen nicht wegzuschauen und uns gegen alle Formen von Hass, einschließlich Antisemitismus, auszusprechen. #StopAntisemitism“
SCBWI scheint alle „Palästinenser“ und Muslime für Antisemiten zu halten
In der Erklärung findet sich nichts, was zu Streit führen könnte – sollte man meinen. Doch die SCBWI-Vorsitzende Lin Oliver – eine Kinderbuchautorin, Film- und Fernsehproduzentin und Mitgründerin des Verbands – veröffentlichte zwischenzeitlich auf der Website des SCBWI eine offizielle Entschuldigung („Unsere Entschuldigung“), in der sich der SCBWI von der ursprünglichen Erklärung und deren Verfasserin distanziert und sich dafür entschuldigt, Antisemitismus verurteilt zu haben.
Diese Entschuldigung wiederum verschwand nach einigen Tagen spurlos von der Website des Verbands. Warum, darüber kann man nur spekulieren, da der Verband Fragen von „Mena-Watch“ nicht beantwortet hat.
In dem nun offenbar gelöschten Text hatte es geheißen, der SCBWI entschuldige sich bei „palästinensischen und muslimischen Mitgliedern“. Wofür? Dafür, gegen Antisemitismus gewesen zu sein? Dies müsste für diese ein Affront sein, würde das doch heißen, dass der SCBWI glaubt, sie seien alle Antisemiten. Denn warum sonst sollten sie sich durch eine Erklärung gegen Antisemitismus so beleidigt fühlen, dass es einer offiziellen Entschuldigung bedarf?
Es gibt aber noch eine andere Erklärung, eine, die geradezu humoristisch ist, wenn man sie formuliert wie der „Newsweek“-Redakteur, der den Fall so schildert:
„Eine schwarze jüdische Inklusionsbeauftragte beim weltgrößten Kinderbuchautorenverband ist zurückgetreten, nachdem sie in einem Post über Antisemitismus Islamophobie nicht erwähnt hatte.“
Nicht Islamophobie erwähnt. Daher also weht der Wind: Opferneid. In dem Entschuldigungstext schrieb Lin Oliver:
„Im Namen der SCBWI möchte ich mich bei jedem in der palästinensischen Community entschuldigen, der sich [durch die Erklärung; S.F.] nicht repräsentiert, zum Schweigen gebracht oder marginalisiert fühlte. Die SCBWI erkennt den Schmerz an, den unsere Taten bei den muslimischen und palästinensischen Mitgliedern verursacht haben und hofft, dass wir diesen von diesem Moment an heilen können.“
Hamas besser als USA?
Oliver entschuldigt sich zudem bei einer Frau namens Razan Abdin-Adnani – offenbar ein Verbandsmitglied – dafür, dass sie vom Twitter-Account der SCBWI blockiert worden sei und sich dadurch „ungesehen und ungehört“ gefühlt habe.
Abdin-Adnani, das muss man wissen, hat es in einem Tweet vom 10. Juni als „zutiefst beleidigend“ bezeichnet, die Hamas mit den USA und Israel zu vergleichen – das nämlich sei eine Beleidigung der Hamas.
„Die beiden Letztgenannten sind imperialistische Kriegsmaschinen“, schrieb sie. Die Hamas hingegen werde nur deshalb als „terroristisch“ bezeichnet, um „den Krieg gegen unsere Region zu rechtfertigen (siehe Orientalismus + Islamophobie)“. Die Palästinenser hätten „jedes Recht, Widerstand gegen Besatzung zu leisten“, schrieb sie im Hinblick auf die islamistischen Judenschlächter.
Lin Oliver kündigte in ihrer Entschuldigung vier Schritte an, mit denen sie all diejenigen, die sich durch eine Erklärung gegen Antisemitismus beleidigt (beziehungsweise nicht repräsentiert, zum Schweigen gebracht, marginalisiert) fühlen, milde stimmen will. Der erste ist, dass die Autorin der Erklärung gefeuert wurde:
„Mit sofortiger Wirkung haben wir den Rücktritt von April, unserer Fairness- und Inklusionsbeauftragten, akzeptiert.“
Zweitens werde es für muslimische Verbandsmitglieder zusätzliche Sitze im Vorstand sowie im Fairness- und Inklusionskomitee geben. Drittens werde das Fairness- und Inklusionskomitee „neue Richtlinien“ erarbeiten, damit „unterrepräsentierte Mitglieder“ sich in Zukunft nicht mehr „zum Schweigen gebracht oder unsicher“ fühlen. Gedacht ist dabei offenbar an Mitglieder wie die oben genannte Hamas-Unterstützerin.
Weil das alles für manche womöglich noch zu wenig sein könnte, werden alle Wütenden, Aufgebrachten und Empörten gebeten, weitere Vorschläge zu machen, „welche zusätzlichen Handlungen wir unternehmen können“. Demütiger kann man sich vor Antisemiten nicht verbeugen.
Wie ein Schauprozess
Noch schockierender ist der nächste Abschnitt der „Entschuldigung“, in dem April Powers, die gefeuerte Mitarbeiterin und Autorin der Erklärung, ihre Schuld bekennt, Buße tut und um Vergebung fleht:
„Mit der Veröffentlichung einer Erklärung zu Antisemitismus wollten wir uns aus der Politik heraushalten. Ich habe sowohl antipalästinensische als auch antiisraelische Beiträge [in den sozialen Medien; S.F.] gelöscht, was im Nachhinein betrachtet nicht richtig war. Ich habe es versäumt, den Anstieg der Islamophobie anzusprechen und bedauere diese Unterlassung zutiefst.
Als jemand, der vehement gegen Islamophobie und Hassrede jeglicher Art ist, verstehe ich, dass guter Wille ohne Taten folgenlos ist, und es tut mir so leid. Auch wenn dies nicht den Schmerz und die Enttäuschung behebt, die Sie durch mein falsches Handeln in diesem Moment empfinden, hoffe ich, dass Sie meine aufrichtige Entschuldigung und meinen Rücktritt vom SCBWI akzeptieren.
Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit, denn die Kinder der Welt brauchen Ihre Geschichten. Alle von ihnen. – April“
Dass der Kinderbuchverband dieses bizarre Geständnis einer Mitarbeiterin veröffentlicht, deren Fehltritt darin besteht, Antisemitismus verurteilt zu haben, erinnert daran, wie in stalinistischen Staaten Personen behandelt werden, die beim Regime in Ungnade gefallen sind.
Auch sie haben öffentlich Reue zu zeigen und ihre Peiniger zu loben, was dann vom Regime als Beweis dafür präsentiert wird, dass dessen Kritiker alle unrecht hätten – so, wie kürzlich der von Weißrusslands Diktator Aljaksandr Lukaschenka aus einem gekaperten Flugzeug entführte Regimegegner Roman Protassewitsch, der im weißrussischen Staatsfernsehen sagen musste, dass es ein Fehler gewesen sei, Lukaschenka zu kritisieren und dass er „eingesehen“ habe, dass diejenigen, die dem Diktator Vorwürfe machten, dies nur täten, um Lukaschenka „unter Druck zu setzen“. Dieser aber habe „Eier aus Stahl“.
Antisemitismus extrem dominant geworden
Der Fall des SCBWI – der für eine Anfrage von „Mena-Watch“ nicht zu erreichen war – zeigt, was der eigentliche Nutzen von Erklärungen gegen Antisemitismus ist: Zwar haben sie wahrscheinlich noch nie dazu beigetragen, den Antisemitismus zu verringern, aber sie sind ein wertvolles Mess- beziehungsweise Warninstrument, ähnlich einem Kohlenmonoxid-Melder.
Daran, welche Reaktionen eine solche Erklärung nach sich zieht, kann man erkennen, ob es in einem bestimmten sozialen Raum – in diesem Fall der Verband der Kinderbuchautoren – überhaupt noch möglich ist, Antisemitismus zu verurteilen, oder ob die Ideologie des Antisemitismus so dominant geworden ist, dass Gegnerschaft zu dieser nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert ist und Sanktionen nach sich zieht.
er Fall lehrt also auch: Selbst die Freiheit, Antisemitismus verurteilen zu dürfen, sollte man nicht für selbstverständlich halten.
Eine besondere Pointe der Geschichte ist, dass Lin Oliver, die April Powers gefeuert hat, um die Antisemiten zu beschwichtigen, noch am 12. Juni die von Powers verfasste Erklärung gegen Antisemitismus auf Twitter verbreitet hatte, mit den Worten: „Die SCBWI steht gegen Hass und das tue ich auch.“ Zwei Wochen später kommentierte ein Nutzer treffend, dass dies nur so lange gelte, bis jemand sich beschwert. „Dann wird die Erklärung verurteilt und die Verantwortliche gefeuert.“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.
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