Hamburg: Martialischer Aufmarsch der Vereinigung „Muslim interaktiv“

Ein in Nazi-Manier durchgeführter Aufmarsch der Gruppe „Muslim interaktiv“ in Hamburg strafte die Islamverharmlosung von Politikern und Teilen der jüdischen Gemeinde Lügen. Welche Ideologie vertritt die der 2003 verbotenen Hizb ut-Tahrir zugeordnete Gruppe, die offenbar in Deutschland ungehindert agieren und Aufmärsche durchführen kann?

Uniformiert in Reih und Glied: „Muslim interaktiv”© facebook.com

Von Sigrid Herrmann-Marschall

Dass der martial wirkende Aufmarsch überhaupt einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass ein Hamburger CDU-Politiker diesen gefilmt hatte. „Das Twitter-Video des Politikers Ali Ertan Toprak zeigt, was sich wirklich abspielte. Auf der Straße wurden Särge aufgestellt, die Demonstrationsteilnehmer skandierten: ,Israel – Kindermörder‘, womit unterstellt wird, die israelische Armee würde gezielt Kinder ermorden“, erläutert die „Bild“-Zeitung. Dass die Sicherheitsbehörden über das Geschehen nicht im Bilde gewesen sein dürften, wird in der Berichterstattung eines Online-Magazins deutlich: „Auf Nachfrage von T-Online konnte die Polizei Hamburg noch keine Informationen mitteilen. Bei der Pressestelle wusste man lediglich, dass es eine Demonstration zum Thema ,Palästina‘ gegeben habe.“

Hinter dieser Aktion steht die Gruppe „Muslim interaktiv“. Diese beschrieb sich selbst auf Instagram (Konto mit Datum 1. Juni 2021 nicht mehr aktiv, Anm.d.Red.) so: „Seit einigen Jahren werden wir Muslime seitens des Staates und der Medien aufgrund unserer islamischen Überzeugung stark angefeindet. Es vergeht kaum ein Tag, an dem der Islam nicht als eine Bedrohung für die Gesellschaft dargestellt wird. Dies führt zu einem angeheizten gesellschaftlichen Klima. Übergriffe auf unsere muslimischen Geschwister und Anschläge auf unsere Moscheen gehören nun zum normalen Alltag. In diesem Kontext ist auch der Terroranschlag von Hanau einzuordnen, welcher eine Folge der aggressiv geführten Assimilationspolitik ist. Es wird Zeit! Am 3. März 2020 starten wir von Muslim Interaktiv. Wir haben die problematische Situation der Muslime erkannt und setzen uns proaktiv mit Mut und Entschlossenheit dafür ein, dass ein selbstbewusstes islamisches Leben in Deutschland möglich wird. Seid gespannt auf unsere Vorhaben und seid bei dieser großen Aufgabe dabei!“

Was die Initiatoren der Gruppe alles als Angriff definieren, wird auf Instagram bereits bei einer Protestaktion im letzten November deutlich, die sich gegen angekündigte Maßnahmen gegen Islamismus in Frankreich gerichtet hat. Zu der öffentlichen Veranstaltung am Brandenburger Tor hieß es unter anderem: „Denn wir als Muslime sehen uns angegriffen, wenn unser Prophet oder unsere Religion beleidigt und diffamiert werden. Die über 240 Schließungen von islamischen Einrichtungen, die etlichen Angriffe auf Muslime und die stetige Dämonisierung der Muslime von Politik und Medien sind nicht akzeptabel.“

 

Millionen tote Moslems?

Auch die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA werden umgedeutet: „11. September, der Tag an dem die Hetze und Verteufelung der Muslime angefangen hat. Der Tag, ab dem wir nicht mehr Muslime genannt wurden, sondern Terroristen, Extremisten oder Salafisten. Millionen von toten Muslimen, Millionen von Muslimen, denen die Identität verwehrt wird und die Hetze gegen den Islam geht weiter. Wir stellen die Frage: Wer sind die wahren Terroristen? Wer sind die wahren Verbrecher? Und wer sind die wahren Extremisten?“

Die Gruppe war mit ihrem Angebot auf Twitter, Instagram, Facebook und YouTube vertreten. Auf dem YouTube-Kanal hieß es: „Muslim Interaktiv ist ein Zusammenschluss von Muslimen, die sich zum Ziel gesetzt haben, den in Deutschland lebenden Muslimen den Islam als eine umfassende Lebensweise vorzustellen und sie zur Praktizierung des Islam in allen Lebensbereichen zu ermutigen.“

Die Einbeziehung aller Lebensbereiche ist eine durchgängige Haltung. Eine muslimische Identität soll nicht nur ausgelebt werden, sondern sie soll die Haltung sein, unter deren Vorbehalt alle anderen Lebenstätigkeiten stehen. Das geht über die Praktizierung des Glaubens in dem freiheitlich-demokratischen System weit hinaus. Die Religionsfreiheit wird ins Feld geführt, um das freiheitliche System als Ganzes abzulehnen und ein eigenes entgegenzustellen. Die Muslime werden gleichzeitig als verfolgte Gruppe dargestellt, deren Assimilation gefordert wird und die zu Millionen von den westlichen Systemen getötet würden, sowie als Gruppe, die eine überlegene, da gottgefällige Weltanschauung habe. Das ist identisch mit den Kalifats-Vorstellungen von Hizb ut-Tahrir, die nur noch nicht umgesetzt werden konnten.

 

Umsturzpläne für islamische Länder

Wie umfassend dieser Anspruch ist, zeigt sich in dem Aufruf vor der Kundgebung in Hamburg. Darin heißt es: „Die Herrscher der islamischen Welt sind Teil des Problems und nur durch ihre Beseitigung wird der Weg für eine gerechte Herrschaft in Palästina frei!“. Faktisch sind dies Umsturzpläne, die nicht nur auf Deutschland bezogen sind.

Wo diese Haltung, die Herrenmenschen-Mentalität und der Herrschaftsanspruch herkommen, zeigt sich in einer Veröffentlichung auf der Internet-Seite der 2003 verbotenen Hizb ut-Tahrir von Anfang Mai. Dort tritt auch der Judenhass offen zu Tage, der sonst noch verdeckt wird: „Ihr seid die beste Gemeinschaft, die je den Menschen hervorgebracht wurde; ihr gebietet das, was rechtens ist, und prangert das Unrecht an, und ihr glaubt an Allah. (3:110) Sodann werden die Feinde Allahs uns gegenüber nur noch erniedrigt und unterwürfig dastehen. Nicht nur die Juden, die von vornherein mit Erniedrigung und Erbärmlichkeit beschlagen worden sind, sondern alle Tyrannen dieser Welt, die nach Unheil auf Erden trachten. Der Islam und die Muslime werden Würde erlangen und das Gute wird sich in allen Winkeln der Erde verbreiten. Und das wird mit der Erlaubnis Allahs verwirklicht werden! […] Es werden keine Lehmhütte und kein Wollzelt auf Erden übrigbleiben, wozu Allah dem Wort des Islam nicht Zutritt verschaffen wird – sei es durch die Würde eines Würdevollen oder die Erniedrigung eines Erniedrigten. Entweder wird Allah ihnen Würde verleihen, indem Er sie zu dessen Anhängern macht, oder sie erniedrigen, indem sie diesem unterworfen werden.“

Konkret wird nach den „Armeen der Muslime“ gerufen, um „die Gewalt der Juden zu zerschlagen und ihrer Arroganz ein Ende zu setzen, denn ihr seid das Volk der Stärke, Macht und Würde.“ Welche Armeen konkret gegen Israel vorgehen sollen, wird explizit aufgeführt: „Deshalb richten wir unseren Appell an unsere Brüder in den Armeen von Jordanien, der Türkei, Ägypten, Sudan, Algerien, Indonesien, Pakistan, Hejaz und den übrigen muslimischen Armeen.“

Von den Innenbehörden wird „Muslim Interaktiv“ folgerichtig der Hizb ut-Tahrir zugeordnet. Die Gründung von Nachfolgeorganisationen ist bei verbotenen Gruppierungen ein üblicher Weg, um das Verbot zu umgehen. Nach Informationen der Autorin sorgte die Kundgebung am Freitag in Hamburg, die rechtsextremen Aufmärschen in vielen Elementen nachempfunden war, aber auch optische Assoziationen an eine IS-Kampfgruppe weckte, auch in jüdischen Gemeinden außerhalb von Hamburg für große Unruhe.

 

Unterlegene Polizei

Hier ist nicht nur bemerkenswert, dass ein Ableger einer verbotenen Islamisten-Organisation in Deutschland derart ungehindert agieren kann. Sondern auch, dass dies nur wenige Tage später stattfand, nachdem Politiker aller Parteien erneut inflationär beschworen haben, gegen Antisemitismus in Deutschland vorzugehen. Auf deutschen Straßen aber werden derlei Ankündigungen anscheinend nicht mehr ernstgenommen. Das laut „Bild“ unterdimensionierte Polizei-Aufgebot von 30 Einsatzkräften gegen 200 Teilnehmer, das so eine Unterlegenheitssituation der Polizeikräfte hervorrief, machte ein Eingreifen unmöglich. Damit konnte man rechnen, damit musste man rechnen, sofern man seinen Verfassungsschutz ernstnimmt. Es wunderte daher nicht, wenn die Gruppe das als Sieg verbuchte.

 

Sigrid Herrmann-Marschall ist Islamismus-Expertin. Auf Deutsch zuerst erschienen bei VORWÄRTS UND NICHT VERGESSEN.

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden