Wir werden auch Corona überstehen!

Nicht die Corona-Pandemie selbst könnte die größte Gefahr sein, sondern Krisen in Wirtschaft und Familie. Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Vorsicht und Gelassenheit ist nun wichtig.

© JACK GUEZ , AFP

Von Rabbiner Elischa Portnoy

Die Corona-Krise hält die Welt im Griff. Wie kann uns die jüdische Weisheit helfen, mit dieser Herausforderung klar zu kommen?

Gerade in Zeiten einer Pandemie ist gut ersichtlich, wie klein die Macht der Menschen in Wirklichkeit ist: mächtige Staaten und Regierungen, reiche Länder, die scheinbar alles unter Kontrolle hatten, kapitulieren plötzlich vor einem kleinen unsichtbaren Virus. Viele Menschen leiden, viele Menschen, die noch lange hätten leben können, sterben an ihm. Es gibt keine Sicherheit, es gibt keine Aussichten auf die sichere Rettung in absehbarer Zeit, es kommen immer schlechtere Botschaften. Die Hoffnung, dass es G’tt gibt und uns das „normale Leben“ zurückgeben kann, bleibt oft die letzte Hoffnung.

Doch wenn es G’tt tatsächlich gibt, war es nicht auch Er, der uns überhaupt erst dieses Problem beschert hat? Will G’tt uns eventuell für unsere Sünden bestrafen? Es gibt zahlreiche Vermutungen im Internet, für welche Sünden diese Strafe vom Himmel gekommen und wer alles daran schuld sei. Jedoch – wir sind keine Propheten und werden uns nicht an diesen Mutmaßungen beteiligen.

Umso mehr, dass eventuell nicht die Pandemie selbst die größte Gefahr und eigentliche Strafe des Himmels sein könnte. Bei genauer Betrachtung (was auch immer öfter von Experten erwähnt wird) bergen die Folgen des Kampfes gegen die Pandemie möglicherweise mehr Gefahren, als die Pandemie selbst.

Schon jetzt ist klar, dass eine der schwersten Folgen der Corona-Krise eine Wirtschaftskrise sein wird. Die Rezession kommt, viele Menschen werden arbeitslos, Firmen und Betriebe gehen pleite, Lebensmittel werden teurer, und es wird ziemlich viele hart treffen. Unsere Weisen bemerken im Talmud, dass ein armer Mensch fast als tot angesehen werden kann: Er ist auf andere angewiesen, keiner nimmt ihn ernst, er besitzt keine Autorität – noch nicht einmal in der eigenen Familie. Armut kann eine sehr schwere und schmerzhafte Prüfung für den Menschen sein, besonders für jemanden, der früher reich oder mindestens wohlhabend war.

 

Bewegungsmangel und Familienstreit

Doch sogar diejenigen, die ihre Arbeit zu Hause fortsetzen können, sind mehreren Risiken ausgesetzt. Das größte davon ist der Mangel an Bewegung. Schon vor der Corona-Krise hatten viele Menschen Übergewicht und saßen zuviel. Jetzt befürchten viele Ärzte, dass nach der Krise noch mehr Menschen an Herz- und Kreislauf-Erkrankungen leiden und an Infarkten sterben werden.

Auch wenn nicht jeder „home-officer“ selbst von gesundheitlichen Problemen betroffen ist, so wird er mit großer Wahrscheinlichkeit von anderer Seite betroffen sein – nämlich mit Problemen innerhalb der Familie. Viele Psychologen warnen, dass viel Zeit zusammen in der Quarantäne oder wegen einer möglichen Ausgangssperre fast zwangsläufig zu Spannungen und Streit zwischen Familienangehörigen führt. Wenn man keine Pause von den eigenen Verwandten bekommt, akkumuliert sich psychische Spannung, bis man die Angehörige nicht mehr sehen und ertragen kann. Schon jetzt befürchten die Experten steigende häusliche Gewalt, mehr Selbstmorde und Scheidungen.

Und sogar diejenigen (z.B. Verkäufer, Bauern, Kraftfahrer), die doch noch ein „normales Leben“ führen, können existenziellen Sorgen ausgesetzt werden. Werde ich krank? Kommt es zu Lieferengpässen? Bricht das Finanzsystem zusammen? Was wird mit meinen Kindern? Die Hamstereinkäufer von Mehl und Toilettenpapier zeigen, dass es durchaus viele Menschen gibt, die solche Ängste haben.

Es kann also zu persönlichen Tragödien kommen, wenn im schlimmsten Fall ein gesunder, erfolgreicher, glücklicher Familienvater, der mit dem Virus nie in Berührung kommt, nach Ende der Epidemie krank, arm und geschieden sein wird. Dann würde er auf die verstorbenen Corona-Opfer fast neidisch sein.

Jede Regierung hat ihren eigenen Weg im Kampf gegen die Pandemie gewählt und die gesetzstreuen Bürger müssen sich an alle Vorschriften, Beschränkungen und Empfehlungen der Behörden halten. Ob wir es für richtig, ungenügend oder übertrieben halten, ist belanglos. Das ist quasi G‘ttliche Verfügung, und es ist nicht in unserer Macht das zu ändern oder auch nur zu beeinflussen.

Was aber sehr wohl in unserer Macht liegt, ist, wie wir mit dieser ungewohnten Situation umgehen. Wir können uns ausreichend bewegen, um Herzproblemen vorzubeugen, wir können überlegen und versuchen unsere finanzielle Situation in den Griff zu kriegen, wir können unser Familienleben klug gestalten, um Krach zu vermeiden, wir können ausreichend Zeit mit den Kindern verbringen und ihnen beim Lernen helfen, wir können schlussendlich ein gutes Buch lesen, für das wir früher keine Zeit fanden.

Das alles ist mit Willen und Entschlossenheit durchaus machbar. Was wir uns aber auf jeden Fall verbieten müssen, ist, uns um unsere Zukunft zu sorgen. Denn das wäre eine echte Strafe – und zwar keine vom Himmel, sondern eine selbstgemachte.

Unsere Weisen sagen, dass so lange unsere Probleme auf rein intellektuellem Level bleiben, sie auch irgendwann praktisch gelöst werden können. Wenn diese Probleme aber unser Herz (Emotionen) erreichen, werden sie unsere Handlungsfähigkeit beeinträchtigen, bis wir alles verlieren.

 

Drei Optionen

Das Erste, woran man denken sollte, ist die mentale Ruhe und Ausgeglichenheit. Unsere Weisen lehren, dass wenn Epidemien und Seuchen die Welt heimsuchen, es für den Menschen genau drei Optionen gibt. Die erste ist, dass der Mensch große bzw. spezielle Verdienste hat und G’tt ihn vor allen Gefahren schützen wird. Die zweite Option ist, dass G’tt fertig mit dem Menschen hat, seine Zeit gekommen ist und egal, wie der Mensch sich schützen wird, er einfach stirbt. Alle anderen Menschen können sich retten oder auch nicht. Sie müssen aber nur normale und übliche Schutzmaßnahmen ergreifen, die von Ärzten und Behörden empfohlen werden. Sie müssen sich nicht im Bunker verkriechen. Man muss einfach normal weiterleben, ruhig bleiben und alles andere bleibt in G’ttes Hand.

Und wenn man schon einer besonderen Situation ausgesetzt ist, muss man wenigstens versuchen das Beste daraus zu machen. Sind alle Synagogen zu und ist man gezwungen alleine zu Hause zu beten? Dann muss man das als Möglichkeit sehen, das Gebet ruhiger und andächtiger zu rezitieren als es normalerweise in der Synagoge möglich ist. Man kann auch versuchen über den Sinn der Wörter im Gebetsbuch nachzudenken, oder einfach mal versuchen zu verstehen, was man normalerweise auf Hebräisch durchliest.

 

Zu Pessach allein?

Bleibt man für Pessach allein mit der Familie ohne Gäste oder ohne einen Gemeinde-Seder? Dann kann man die ganze Aufmerksamkeit beim Seder den Kindern widmen, und es so gestalten, dass die Kinder davon begeistert werden und sehnsüchtig auf nächsten Corona-Seder warten.

Unsere Weisen haben stehts betont, dass G’tt uns nie eine Prüfung gibt, die wir nicht bestehen können. Das heißt ja, dass wir in der Lage sind, diese Herausforderung zu meistern. Gerade in solcher Zeit ist es wichtig die Verbindung zu G’tt stärken. Der Glaube kann eine starke Stütze in Alltag und im Familienleben sein. Unsere Feste, wie die kommende Pessach-Feier, können für uns eine Quelle der Inspiration sein. Das Judentum ist mehr als dreitausend Jahre alt, und genau mit diesem Judentum haben Juden alle Krisen und Katastrophen überlebt.

Und auch wenn die Corona-Pandemie eine Himmlische Strafe sein sollte: mit der richtigen jüdischen Herangehensweise kann sie zum Segen umgewandelt werden.

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