Der türkische Einmarsch in Syrien und die Heuchelei Deutschlands

US-Präsident Trump wird für seinen Rückzug hierzulande schärfer verurteilt als Erdogan für seinen brutalen Angriff auf die syrischen Kurden

Kurden bei einer antitürkischen Demonstration in Qamischli, im Nordosten Syriens© Delil SOULEIMAN, AFP

Von Jaklin Chatschadorian

Der Syrienkonflikt ist ein komplizierter, obgleich er nicht hätte so kompliziert werden müssen. Islamisten in Syrien wollten gegenüber dem alawitischen Diktator Baschar al Assad mehr demokratische Mitspracherechte. Schon über diesen Satz mag der eine oder andere stolpern, es sei denn man erinnert sich an den von Erdogan geführten Zug, auf den man aufspringt, bis man am Ziel ist. Genau das hat die internationale Gemeinschaft, von amerikanischer Seite noch unter der Führung von Barack Obama, in den Anfängen des Krieges in Syrien (2012) nicht getan. Sie hat den offenen Islamismus der Türkei ebenso ignoriert wie die Erfahrungen aus dem „Arabischen Frühling“, der letztlich mit den Mitteln der Demokratie nicht nur in Ägypten zum Erstarken des Islamismus führte.

Man zeigte sich erfreut am Willen zur politischen Teilhabe des vermeintlich einfachen Volkes und unterstützte vorsätzlich jene, die dem Islam zur Macht verhelfen wollten. Spätestens seit der seltsam anmutenden Idee der deutschen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die rechtswidrige Invasion der Türkei durch seine Internationalisierung zu legalisieren, liest man in den deutschen Meldungen oft, dass Deutschland sich jedenfalls nicht mehr heraushalten, sondern endlich Verantwortung übernehmen müsse. Welch eine Falschmeldung! Zu welchem Zeitpunkt hat sich Deutschland aus dem Konflikt herausgehalten? Es hat sich von Anfang an, vielseitig an die Seite der Islamisten positioniert. Es hat das Theater der Türkei, diese würde gegen den IS kämpfen verkauft und Waffenlieferungen an die Türkei aktiv unterstützt. Es steht, in alter Waffenbrüderschaft, noch immer an der Seite des führenden, islamistischen Diktators, der Bin Laden, Mursi und Al Baghdadi überlebt. Aber auch die anderen internationalen Mitspieler unterstützten den Versuch Assad zu stürzen und das mit Öl gesegnete Land in die Hände von unfähigen Islamisten zu geben, um diesen bei der Abschöpfung – ähnlich wie im Irak – unter Beteiligung zu helfen.

 

Die wehrhaften Kurden

Die Jesiden, Kurden und Christen im Norden Syriens waren die ersten Bevölkerungsgruppen, die angegriffen wurden. Sie waren den Islamisten nicht nur aus religiösen Gründen ein Dorn im Auge, sondern auch aus Solidarität mit der Türkei. Vor allem die Kurden erwiesen sich glücklicherweise als starker Gegner und wehrten sich, gerade auch mit der Kraft ihrer Frauen, so erfolgreich gegen die Schergen Mohammeds, dass so manch einem der Weg zu den 72 Jungfrauen verwehrt geblieben sein dürfte. Aufgrund eines unguten Verhältnisses zum syrischen Machthaber kämpften die Kurden bei dieser Gelegenheit jedoch nicht für Syrien, sondern einen eigenen Staat namens Rojava, unterstützt von den USA und zunächst geduldet durch Syrien und Russland. Der Iran wiederum sah die Chance, durch eine Stärkung des syrischen Verbündeten hier und da gen Israel zu schießen, also beteiligte auch er sich.

Man stelle sich vor, die internationale, nicht-islamische Gemeinschaft hätte sich gemeinsam an die Seite des syrischen Präsidenten gestellt? Wäre der Konflikt nicht in seinem Keim erstickt worden? Islamisten haben kein Interesse an der Umsetzung demokratischer Werte, sondern an deren Missbrauch. Warum also ihnen zu solchen, auf Kosten von Menschenleben, verhelfen?

Zugegeben, an Assads Händen klebt Blut, er ist ein klassischer Diktator. Doch genau das kann man auch Erdogan, unserem Verbündeten, NATO-Partner und noch immer EU-Beitrittskandidat vorwerfen. Ein international gestärktes Syrien hätte u.a. dem Iran nicht die Möglichkeit der Einmischung, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß, gegeben und in Israel hätte man einmal mehr durchatmen können. Israel? Ja, Israel, das Land deutscher Staatsräson, das Land, welches in der UNO Hyperaktivität verursacht und dem Verkaufstalent Barack Obama zu verdanken hat, dass das Bestreiten des Existenzrechts Israel sich unter dem wohlklingenden Titel „Zweistaatenlösung“ etablieren konnte.

 

Die UNO und die EU sind erstaunlich leise

Apropo UNO – kann es sein, dass sie in Zeiten türkischer Angriffe besonders still ist? Und was sagt eigentlich die neue EU-Führung zur türkischen Invasion in Nordsyrien? Vermutlich wartet man, ähnlich wie im Falle der Zypern-Invasion 1974, die Etablierung türkischer Herrschaft ab, um dann Jahrzehnte später aber in regelmäßigen Abständen, schmerzlose Floskeln der Verurteilung zu verkünden.

Ohne starke Islamisten wäre eventuell auch der Kampf um Rojava, zum Bedauern der Kurden, ausgeblieben. Vielleicht aber hätte man hier, mit internationaler Unterstützung, mehr Rechte für die Kurden und eine autonome Region aushandeln können. Die Christen Syriens hätten nicht zwischen die Fronten geraten müssen.

 

Trumps Rückzug aus dem Dauerkonflikt

Nun aber sind wir an einem Punkt, an dem scheinbar ausschließlich der US-Präsident die Gemüter verärgert. Die Aggression der Türkei wird vergessen, auch um nicht auf die eigene Unterstützung Erdogans erinnern zu müssen.

Trump entschied sich vor wenigen Wochen für den Rückzug seiner Streitkräfte und argumentierte v.a. mit den immensen Kosten für sein Land. So gesehen, aus rein amerikanischer Sicht, ist die Entscheidung, die fehlerhafte Entscheidung seines Vorgängers rückabzuwickeln, nachvollziehbar und vernünftig. De facto entschied er sich auch dazu, einer europäischen, und besonders deutschen Forderung, nachzugeben: die Einstellung des Einsatzes der USA als „Weltpolizei“ und eine Chance für EU und BRD „mehr Verantwortung zu übernehmen“. Nichtsdestotrotz schimpft kaum einer mehr über ihn als die deutsche Seite. Die Nachvollziehbarkeit deutscher Politik ist zwar schon lange nicht mehr gegeben. Am Syrienkonflikt aber zeigt sich besonders deutlich, dass eine Politik der Beliebigkeit unter dem Obersatz islamischer Interessenvertretung an seine Grenzen kommt.

Deutsche Waffenexporte in die Türkei sind auf dem höchsten Stand seit 14 Jahren und diesen Rekord dürfte man bis Jahresende, trotz des wohlfeil klingenden Exportstopps, halten. Milliarden fließen noch immer in die Türkei zur Heranführung an die EU. Zudem kommen humanitäre Hilfen aus Deutschland, Flüchtlingshilfe durch den Bund, wirtschaftliche Kooperationen über Förderbanken, öffentliche Gelder von Bund und Ländern in Bildung, Forschung und Naturschutz. Ein Schelm, der daran zweifelt, dass die Türkei, die die Geschichte der Evolution aus den Lehrplänen streicht, die Mathematik für überflüssig hält, und den Dschihad gesondert neben dem Fach Religion unterrichtet, die Gelder nicht zweckgemäß verwenden würde.

Nein, für Deutschland bleibt es dabei: Nicht das Land, das die Türkei letztlich mit rund einer Milliarde jährlich unterstützt, soll Verantwortung für die aktuelle Aggression des türkischen Staates tragen, sondern die USA, obgleich diese die Türkei mit lediglich 37 Millionen, wenn auch hier 37 Millionen zu viel, stützen. Man darf fast gesichert davon ausgehen, dass jede Entscheidung des amtierenden US-Präsidenten nicht die geringste Chance auf Zustimmung haben dürfte. Schließlich hat sich die Hofberichterstattung auftragsgemäß an ihm festgebissen.

Was man Trump gleichwohl vorwerfen muss, ist, die unzureichende Berücksichtigung der Auswirkungen seines Handelns. Er hat seine Entscheidung bekanntgegeben, realisiert, den Schaden gesehen und arbeitet nunmehr irgendwie an einer Kurskorrektur. Erfolge lassen noch auf sich warten. Aber sein Rückzug vom Rückzug ist jedenfalls, um Assad aus manch arabischer Meldung hier zu zitieren, „ehrlich“. Nachdem die Menschen in Tel Abyad, Hassake und Qamishli geköpft wurden, arbeitet er an einer Schadensminimierung – in Sachen Öl.

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