Mündig werden: Bar und Bat Mizwa

© Peter van der Sluijs/WIKIPEDIA
Bar Mizwa bedeutet „Sohn der Pflicht“ und markiert den Anfang der religiösen Mündigkeit, die bei den Jungen mit 13 Jahren eintritt und bei den Mädchen (Bat) im Alter von 12 Jahren gefeiert wird. Ein Junge wird zum Mann und ist als Bar Mizwa auch ein vollwertiges Mitglied der jüdischen Gemeinde mit allen Rechten und Pflichten. (JR)
Verantwortung für die eigenen Taten
Ein Kind ist ein Kind. Es kann ein kluges Kind sein, ein vielwissendes Kind, selbst ein Kind, das vernünftiger ist als ein Erwachsener – aber dennoch hat es nicht die geistige, emotionale und moralische Reife, die den Erwachsenen vom Kind unterscheidet. Diese Reife beginnt bei Mädchen mit ungefähr 12 Jahren und bei Jungen mit ungefähr 13 Jahren. Deshalb wirst du nur ab diesem Alter dem jüdischen Gesetz gemäß für deine Taten verantwortlich gemacht.
Dieser Meilenstein wird bei Jungen Bar Mizwa, bei Mädchen Bat Mizwa genannt. Das bedeutet Sohn/Tochter der Mizwa, denn dann bist du verpflichtet, all die Mizwot (Gesetze) der Tora zu erfüllen.
Es lohnt sich, diesen Meilenstein zu feiern. Also haben wir eine festliche Mahlzeit, bei der der Ehrengast und andere Anwesende über Tora und Inspirationen sprechen. Gib darauf acht, dass diese Feier am oder kurz nach dem jüdischen Geburtstag stattfindet. Benutze den Bar/Bat Mizwa Datum Rechner, um das Datum auszurechnen.
Es ist allerdings noch wichtiger, dass Mädchen und Jungen die Monate davor damit verbringen, zu lernen, wie und warum man die Mizwot hält. Außerdem vertiefen sie ihr Verständnis davon, was es bedeutet, jüdisch zu sein.
Was passiert, wenn du die Feier verpasst hast? Wenn du das Alter erreicht hast, dann bist du Bar oder Bat Mizwa. Es ist wie beim Geburtstag: Du kannst es dir aussuchen, ob du feierst oder nicht, aber das macht dich nicht junger! Allerdings gibt es einige Jungen und Männer, die ihre erste Bar Mizwa später feiern, wenn sie das erste Mal Tefillin anlegen.
Vorbereitung auf die Bar Mizwa
1. Zwei Monate vor der Bar Mizwa beginnt der Bar Mizwa-Junge, Tefillin zu legen. Zu Beginn tut er dies, ohne dabei den Segensspruch zu sprechen; nach einigen Wochen beginnt er, auch den Segensspruch zu sprechen.
2. Bereits während der Periode vor der Bar Mizwa beginnt der Junge, neben den Raschi-Tefillin auch die Rabbejnu Tam-Tefillin anzulegen.
3. Parallel zur praktischen Vorbereitung auf die Bar Mizwa durch das Tefillinlegen ist auch die geistige Vorbereitung erforderlich:
„Er beginne, das heilige Buch Tanja zu studieren, und möge dies eine geeignete Vorbereitung und ein guter Beginn Deines Dienstes G-ttes sein, in Erfüllung des Verses: „Sehr nahe ist die Sache [die Erfüllung der Gebote G-ttes in ihrer Gesamtheit], in deinem Mund und deinem Herzen, sie zu tun“ – der die Grundlage des Buches Tanja bildet, wie von Rabbiner Schneor Salman [Verfasser des Buches Tanja] am Titelblatt dieses seines Werkes ausgeführt wird.“ Insbesondere „lerne er [...] den Beginn des 41. Kapitels des Buches Tanja bezüglich der Bedeutung des Gebots der Tefillin – die Kontrolle über Herz und Gehirn im Dienst G-ttes, bis diese Themen tief in seinem Gedächtnis verankert sind; denn dann werden sie sicher guten Einfluss ausüben in Bezug auf Torastudium, Erfüllung der Gebote und gutes Benehmen im Allgemeinen. Dies umfasst selbstverständlich gute Einflussnahme auf Deine Freunde, damit auch sie Deinem Beispiel folgen.“
Da'at - Das Wissende „Ich“
Von Tzvi Freeman
Es geschieht um das Alter der Adoleszenz herum – es ist ein Erwachen, ein Bewusstsein, eine Erkenntnis, dass “ich existiere“.
Die jüdischen Weisen nannten es “Da’at“, grob übersetzt als “Wissen“ oder “Bewusstsein“. Üblicherweise bezieht sich „Wissen“ auf Dinge, die außerhalb des eigenen Ichs liegen. Aber dieses Da’at is das Wissen um denjenigen, der weiß. Das “Ich“.
Nichts ist beängstigender als dieses “Ich“ – und nichts verleiht mehr Macht. Ohne “Ich“ gibt es keine Verantwortung, keine Freiheit, keine Möglichkeit das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. All diese Dinge werden erst dann möglich, wenn man sein eigenes Selbst sehen und wie folgt hinterfragen kann: “Warum habe ich so und nicht anders gehandelt?“ “Ist dies wirklich das, was ich tun will?“ “Will ich wirklich so sein?“ Erst dann kann man einen Bar Mizwa genannt werden.
Ein sanfter Prozess
Nein, es geschieht nicht plötzlich. Da’at zu erlangen ist ein sanfter Prozess. Es scheint parallel zur Sprachentwicklung zu verlaufen. Tatsächlich erzählt uns die Mischna, dass jemand, der keine Sprache hat – z.B. ein unausgebildeter Taubstummer – dem mangelt es auch an Da’at.
Im Alter von drei Jahren haben die meisten Kinder genug Da’at um den Unterschied zwischen richtig und falsch zu verstehen. Deshalb beginnt man einem jüdischen Kind üblicherweise mit drei Jahren jüdisches Wissen zu vermitteln. Das Kind macht dann in entscheidenden Entwicklungsphasen seiner Kindheit neue Entdeckungen über das eigene Selbst - manchmal auch später. Gemäß unseren Weisen entwickeln die meisten Menschen erst im Alter von 20 Jahren ihren eigenen Verstand.
Aber keine Veränderung im Leben kann sich mit derjenigen der Adoleszenz messen. In diesem Alter verlässt Da’at seinen Kokon und ein menschliches Wesen kommt zum Vorschein. Denn dies ist die Definition eines menschlichen Wesens: Ein Wesen, das sich selbst kennt.
Wissen als Wesen aller Dinge
Denn Wissen - Da’at - ist alles. Die Welt entsteht, so sagen die Kabbalisten, weil G-tt sie durch sein Wissen entstehen lässt. Falls dem so ist, ist Wissen der Stoff, aus dem alle Dinge gemacht sind: Das Wesen aller Dinge ist ‚Wissen’.
Elektronen wissen die Richtung der positiven und negativen Pole ihres elektromagnetischen Feldes – wüssten sie es nicht, so hätten wir keinen Strom zu Hause. Jedes Atom weiß um jedes andere Atom im Universum – sonst hätten wir keine Anziehungskraft.
Jede lebende Zelle kennt den Code seiner eigener Fortpflanzung sowie das Muster seines Überlebens. Die Bakterien, die in einen Fremdorganismus eindringen und sich dort vermehren, wissen um ihren Bestand genau Bescheid, so dass sie, wenn sie eine kritische Masse erreichen, ihre Toxine freisetzen und den Fremdorganismus schwächen können. Ansonsten würden sie frühzeitig ausgestoßen werden und bakterielle Infekte wären unbekannt.
Spinnen kennen die Geometrie ihres Netzes. Biber kennen die Struktur ihres Dammes. Vögel kennen die Flugroute ihres Zuges. Jedes Tier kennt sein Ritual betreffend Paarung, Pflege, Jagen und Gejagt werden, Leben und Tod.
Doch keines der Tiere wird sich über sein eigenes Ritual Gedanken machen. Die Spinne wird niemals ihr Bedürfnis zu spinnen in Frage stellen, und die Vögel werden niemals die Weisheit ihrer Zugrouten diskutieren. Und niemals werden die Elektronen gegen ihr elektromagnetisches Feld rebellieren.
Möglichkeit der Introspektion
Der Rabe, so sagen uns die Propheten, ist geizig zu seinen Jungen, währenddem der Adler lieb mit seiner Brut umgeht. Du wirst jedoch niemals einer Krähenversammlung begegnen, die liebevollere Erziehungsmethoden diskutiert, genauso wenig übrigens wie Adler in einem Workshop über autoritäre Erziehung anzutreffen sind.
Nur ein einziges Tier, ein eigenartiges, das auf seinen Hinterbeinen steht, sich in Pelz kleidet und sich vor anderen Tieren versteckt, sitzt da und brütet vor sich hin: “Sollte ich wie eine Krähe oder wie ein Adler sein? Ein Faultier oder ein Biber? Dick oder dünn? Schwach oder stark? Wohin führt mich mein Leben und was mache ich daraus? Ist das Leben wert gelebt zu werden? Hat es einen Grund, warum wir da sind?“
Und nur der Möglichkeit dieser Introspektion verdanken wir die Behauptung, dass wir als Menschen an der Spitze aller wissenden Lebewesen stehen. Auf allen anderen Schauplätzen wird uns ein anderes Lebewesen übertreffen: in Kraft, Geschwindigkeit, Scharfsinn, Schönheit oder in Langlebigkeit – ja sogar in der Kunst des Überlebens werden wir Tiere finden, die uns als Narren erscheinen lassen.
Aber im Wissen um unser eigenes Selbst und in der Wahlmöglichkeit, das zu werden, was wir werden wollen, sind wir sogar den Engeln überlegen. Und das ist der Gipfel, den wir am Tage unserer Bar Mizwa erklettern.
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