Pulverfass Libanon: „Der Libanon ist unter iranischer Besatzung“

Die UN patrouilliert am 30. August 2023 im Libanon neben einer Reklametafel mit einem Porträt von Hassan Nasrallah, dem Führer der mächtigen schiitischen bewaffneten Gruppe Hisbollah im Libanon.© MAHMOUD ZAYYAT AFP

Ein Munitionslaster der Hisbollah war bei der Durchfahrt durch eine libanesische Stadt umgekippt. Libanesische Christen umstellten den Lastwagen und gerieten in eine Konfrontation mit Hisbollah-Mitgliedern. Der Vorfall erweckte umgehend Proteste der christlichen Bevölkerung gegen den schiitischen Einfluss im Land. Christliche Politiker fragten, warum die internationale Gemeinschaft sich so sehr gegen eine israelische Unterstützungspräsenz engagiert, aber die Einmischung des Iran im Libanon und seinen politischen Einfluss nicht als eine faktische Besetzung des Libanon durch die Hisbollah betrachtet. (JR)

Von Aviel Schneider

Im Libanon, dem Land der Zedern brodelt es. Ein Zwischenfall am 9. August macht die aufgeheizte Stimmung deutlich.

Ein Munitionslaster der Hisbollah war bei der Durchfahrt durch eine Stadt umgekippt. Die Stadt Kahaleh ist eine Hochburg der christlichen Partei und ehemaligen Miliz „Libanesische Kräfte“. Libanesische Christen umstellten den Lastwagen und gerieten in eine Konfrontation mit den Hisbollah-Männern. Auf beiden Seiten gab es Medienberichten zufolge mindestens einen Toten.

Der Vorfall erweckte umgehend Proteste der christlichen Bevölkerung gegen den schiitischen Einfluss im Libanon. Christliche Politiker im Libanon fragten, warum die internationale Gemeinschaft sich so sehr wegen der israelischen „Besatzung“ engagiert, aber die Einmischung des Iran im Libanon und seinen politischen Einfluss nicht als eine faktische Besetzung des Libanon durch die Hisbollah betrachtet.

Praktisch ist der Libanon von den Schiiten besetzt. Das Land steckt in der Krise, die vor drei Jahren mit der verheerenden Explosion am Hafen von Beirut noch weiter verschärft wurde. Im Land herrscht ein kompliziertes System, das von institutionalisierten Konfessionen gestützt wird.

Auch wenn die Hisbollah offiziell nicht zugibt, dass dieser Munitionslastwagen der Organisation gehört, zeigen ihre Karikaturen den Lastwagen und den Toten, ein Mitglied der Hisbollah, der bei der Schießerei im Dorf ums Leben kam.

 

Feuerwechsel zwischen Christen und Schiiten

Der Vorsitzende der christlichen Kata´ib-Partei warnte, der Libanon habe „den Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt, nachdem christliche Dorfbewohner am Tag vorher in einem Dorf südlich von Beirut mit Hisbollah Mitgliedern zusammengeraten waren. Feuerwechsel zwischen Christen und Schiiten ist nichts Neues im Libanon und kommt immer wieder vor. Darüber berichten die sozialen Netzwerke im Libanon mehr als die offiziellen Medien im Land. „Seit heute ist unser Kampf gegen die Hisbollah ein existenzieller Kampf, nicht nur ein politischer“, warnte der libanesische Politiker Samy Gemayel. „Wir wissen, wohin uns das in der Vergangenheit geführt hat“, fügte er hinzu und erinnerte an den libanesischen Bürgerkrieg.

Von 1975 bis 1990 herrschte im Libanon ein Bürgerkrieg zwischen einer Reihe von christlichen, schiitischen, sunnitischen und „palästinensischen“ Milizen und Terrorgruppen. Damals war die christliche Kata´ib-Partei Teil der libanesischen Streitkräfte, die sich gegen die schiitische und „palästinensische“ PLO im Lande richteten. Sie spielte eine zentrale Rolle im Bürgerkrieg.

Im Juni 1982 war Israel gezwungen, aufgrund von Katjuscha-Raketenangriffen auf Israels Norden in den Libanonkrieg zu ziehen. Das Ziel: Yassir Arafats PLO-Terroristen (Sunniten) zu besiegen, die unter anderem für den Bürgerkrieg im Land verantwortlich waren.

18 Jahre blieb Israels Armee im Südlibanon, vieles ist schiefgelaufen und die zahlreichen ethnische Gruppen machten alles noch komplizierter. Das war meine Zeit in der israelischen Armee und im Libanon. Es waren die israelischen Streitkräfte, die die PLO-Terroristen und Arafat letztendlich aus dem Land vertrieben hatten.

„Was wäre, wenn der Lastwagen Sprengstoff enthalten und der Vorfall zu einer gewaltigen Explosion geführt hätte, wenn Hunderte von Menschen getötet worden wären? Wir sind nicht bereit, mit einer bewaffneten Miliz im Libanon zu koexistieren, und dem werden praktische Schritte, Treffen der Opposition und Entscheidungen folgen”, betonte Gemayel in den Medien und erinnerte damit an die Mega-Explosion im Waffenlager der Schiiten in Beirut im August 2020.

 

Gefahr eines zerfallenden Staates

Auch die christliche Freie Patriotische Bewegung (FPB) unter der Führung von Gebran Bassil warnte, dass der Vorfall in Kahaleh ein Warnsignal für die drohende Gefahr eines zerfallenden Staates und einer krampfenden Gesellschaft sei. Jahrelang war die christliche FPB mit der schiitischen Hisbollah verbündet, aber dies hat sich in den letzten Jahren wegen der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise im Libanon dramatisch geändert. Die FPB entfernte sich von den Schiiten und schloss sich einer Gruppe christlicher Parteien an, die einen Präsidentschaftskandidaten unterstützten, der sich gegen den von der Hisbollah unterstützten Kandidaten stellte. Es ist nicht das erste Mal, dass die Hisbollah libanesische Christen beschuldigt, Israel zu helfen.

Hisbollah nahestehende Politiker und Journalisten haben die Christen in Kahaleh beschuldigt, Israel geholfen zu haben, sei es absichtlich oder unabsichtlich. Der libanesische Reporter Ali Shoeib beschuldigte die christlichen Bewohner des Dorfes, den Lastwagen absichtlich angegriffen zu haben, um aufzudecken, dass es sich um einen Munitionstransport handelte und damit die Hisbollah bloßzustellen. Zudem brachte Ali Shoeib den Vorfall mit dem kürzlichen Besuch des israelischen Verteidigungsministers Yoav Galant an der libanesischen Grenze in Verbindung. Der ehemalige libanesische Parlamentsabgeordnete Mustafa Elosh reagierte auf Galants Drohung und erklärte, wie schlecht das Leben im Libanon sei: „Wenn wir uns Irak, Syrien und den Libanon ansehen, besteht keine Notwendigkeit für eine israelische Intervention im Libanon, um das Land in die Steinzeit zurückzuversetzen. Wir befinden uns schon in einer Steinzeit“.

Der libanesische Fernsehsender Al-Mayadeen berichtete unterdessen, dass „eine bewaffnete Gruppe, die mit einer bekannten politischen Partei verbunden ist, hinter den Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Christen in Kahaleh stecke“. Auch werden christliche Gruppen beschuldigt, einen neuen Bürgerkrieg im Libanon anzufachen. Bei Al-Manar hieß es, „die Hisbollah übergebe die Angelegenheit der libanesischen Armee, um eine Eskalation zu vermeiden, obwohl ein Märtyrer durch verräterische Kugeln (christliche Kugeln) gefallen sei, die eine Linie der Eskalation überschritten hätten“.

Der christliche Politiker Charles Jabbour sagte im libanesischen Fernsehen, dass „die Hisbollah in keiner Region des Libanon mehr ein wohlwollendes Umfeld habe. Weder unter den Drusen, noch unter den Sunniten und auch nicht unter den Christen“. Die libanesischen Christen können die Schiiten und Hisbollah nicht mehr dulden. Dies sagen sie heute öffentlich in den sozialen Netzwerken und Medien, denn aus ihrer Sicht ist der Libanon unter iranischer Besatzung. Das erklärt unter anderem, warum die Hisbollah Israel an seiner Nordgrenze immer wieder herausfordert. Die Schiiten wollen die gesamte Aufmerksamkeit nach Israel verlagern, um damit den innenpolitischen Konflikt mit den Christen im Land zu verringern. Aber die Christen im Libanon verstehen, dass nicht Israel ihr Problem ist, sondern die Schiiten, Hisbollah, der Iran.

 

Dieser Artikel erschien zuerst bei Israel Heute

Im Land mit seinen rund 5 Millionen Einwohnern sind 18 Glaubensgemeinschaften staatlich anerkannt, von denen die meisten Christen, muslimische Sunniten oder Schiiten sind. Die Maroniten sind die größte christliche Gruppe. Die christliche Bevölkerung im Libanon zählt heute weniger als 40 Prozent der Gesamtbevölkerung. Vor etwa hundert Jahren waren die Christen im Libanon noch die Mehrheit, denn der Libanon war ein Zufluchtsland für Christen aus anderen arabischen Staaten des Nahen Ostens. Besonders nach der islamischen Eroberung wanderten Christen im 7. Jahrhundert in den Libanon aus. Die Anzahl der Schiiten wird im gesamten Land auf 1,7 Millionen geschätzt. Davon leben 800.000 im Süden der Hauptstadt Beirut. Die Sunniten und Schiiten zählen gemäß libanesischen Quellen jeweils 27 Prozent. Drusen machen ca. 6 Prozent der Bevölkerung aus. Insbesondere libanesische Christen sind über Jahrzehnte aus dem Libanon abgewandert. Schätzungen gehen davon aus, dass im Ausland mittlerweile 14 Millionen Libanesen bzw. deren Nachkommen leben, überwiegend Christen (Quelle Marina Sarruf). In Brasilien gibt es beispielsweise bis zu 7 Mio. libanesisch-stämmige Einwohner, die meisten von ihnen Christen. Das bedeutet, dass heute mehr Libanesen in Brasilien leben als nördlich von Israel. Arabische Christen fliehen aus dem Nahen Osten wegen ihrer muslimischen Nachbarn – eine Tatsache, die überall in den arabischen Ländern in Israels Nachbarschaft zu beobachten ist. Allerdings wird Israel angeklagt, wenn „palästinensische“ Christen aus den „Palästinensergebieten“ fliehen.

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