Freunde des Simon Wiesenthal Zentrums: Kritik an der Verherrlichung des bis heute in der Ukraine zum Volkshelden stilisierten Nazi-Sympathisanten Stepan Bandera

Stepan-Bandera-Statue in Ternopil, 1. Januar 2017
© Mykola Vasylechko., WIKIMEDIA COMMONS

Bandera war kein Held. Er war ein ukrainischer Nazi-Kollaborateur und ein Judenfeind. In einem Artikel in der kanadischen National Post schrieb der ukrainisch-stämmige Kanadier Lubomyr Luciuk, Professor für Politikwissenschaften am Royal Military College of Canada, über den Ukraine-Krieg und den Stand der „Entnazifizierung“ der Ukraine. Dabei nahm er, ebenso wie der noch kürzlich im Amt befindliche ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, auch die Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) unter der damaligen Führung von Stepan Bandera in Schutz. Die Freunde des Simon-Wiesenthal-Zentrums für Holocaust-Studien kritisierten daraufhin die Verharmlosung der OUN und der judenfeindlichen Hass-Verbrechen ihres Anführers Stepan Bandera, der explizit an der Verfolgung, Auslieferung und Ermordung vieler Tausender Juden in der Ukraine beteiligt war. Der von den Ukrainern bis heute als „Nationalheld“ gefeierte Judenmörder Bandera, dem Denkmäler, Straßen und Schulen gewidmet sind, hat aus tiefster Überzeugung mit Nazi-Deutschland kollaboriert und ist für die Ermordung tausender Juden verantwortlich. (JR)

Von Menachem Wecker / JNS.org

Ein am 9. Februar in der in Toronto erscheinenden National Post veröffentlichter Meinungsartikel wurde von den Freunden des Simon-Wiesenthal-Zentrums für Holocaust-Studien wegen Verherrlichung von Nazi-Sympathisanten verurteilt.

Lubomyr Luciuk, Professor für Politikwissenschaften am Royal Military College of Canada, schrieb in dem Artikel, der aus seinem neuen, gemeinsam mit Volodymyr Viatrovych verfassten Buch stammt, dass der russische Präsident Wladimir Putin behauptete, ein Krieg gegen die Ukraine würde zu deren „Entnazifizierung“ führen, insbesondere bei denjenigen, die „Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) unter der Führung von Stepan Bandera“ seien.

„Während die sowjetische Propaganda die Mitglieder dieser ukrainischen nationalistischen Bewegung routinemäßig als Kriegsverbrecher, Nazi-Kollaborateure, Faschisten usw. darstellte – eine Phrase, die von der Russischen Föderation seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 bis heute regelmäßig wiedergekäut wird – haben wir sicherlich nicht erwartet, dass diese überarbeitete Desinformation als Vorwand für einen groß angelegten Krieg im Europa des 21. Jahrhunderts dient,“ schrieb Luciuk.

Bandera unterstützte die Nazis, indem er zwei ukrainische Nachrichtendienstbataillone in der deutschen Armee aufstellte und Einheiten organisierte, die Deutschland beim Aufbau einer lokalen Regierung und Polizei in der Ukraine halfen, heißt es auf der Website von Yad Vashem. „Bandera und seine Leute betrachteten die Sowjets und die Juden als ihre Hauptfeinde“, heißt es dort.

In einer NPR-Story aus dem Jahr 2014 heißt es, dass Banderas Erbe einem „Tauziehen“ ausgesetzt sei, und weiter: „Banderas Orden der ukrainischen Nationalisten hat in seinem Streben nach Souveränität auch einige gewalttätige Dinge getan. Juden und Polen wurden massakriert“.

 

CIA-Dokumente über Bandera

„Unter den Polen bringt die bloße Erwähnung des Namens ‚Bandera‘ unweigerlich Flüche und Verwünschungen mit sich“, heißt es in einem freigegebenen CIA-Dokument vom August 1945. Das Dokument zitiert eine Quelle, die behauptet, Bandera und seine Anhänger hätten ein Dorf niedergebrannt und dabei mehr als 50 Menschen und etwa 500 Stück Vieh getötet.

In einem CIA-Dokument von 1951, das inzwischen freigegeben wurde, heißt es weiter: „Bandera führte Hitlers Aufträge mit großem Eifer aus. In demselben Dokument wird festgestellt, dass es schwierig sei, die Zahl der von Bandera und seinen Anhängern getöteten Polen zu schätzen, aber „einige Daten“ deuten darauf hin, dass bei einer einzigen Operation „über 10.000 Juden“ getötet wurden.

„Insgesamt vernichtete der Bandera-‚Staat‘ in den fünf Wochen seines Bestehens über 5.000 Ukrainer, 15.000 Juden und mehrere Tausend Polen“, hieß es.

Die National Post teilte den Pro-Bandera-Beitrag auf Twitter mit ihren 1 Million Followern und auf Facebook, wo sie 460.000 Follower hat. Chris Alexander, ein ehemaliges Mitglied des kanadischen Parlaments und ehemaliger Botschafter in Afghanistan, twitterte den Artikel an seine 145.500 Anhänger.

Im Jahr 2010 verlieh die Ukraine Bandera posthum den Titel „Held der Ukraine“, die höchste Auszeichnung des Landes, was das Wiesenthal Center verurteilte. Ein Gericht widerrief die Ehrung im darauffolgenden Jahr, allerdings mit der Begründung, dass Bandera nicht die ukrainische Staatsbürgerschaft besaß, da er 1959 ermordet wurde, lange vor der ukrainischen Unabhängigkeit 1991.

In einer Stellungnahme auf der Website des U.S. Holocaust Memorial Museums schrieb der Holocaust-Überlebende Marcel Drimer, ein Freiwilliger des Museums, über das Überleben des Krieges, indem er sich in geheimen Bunkern im Ghetto seiner polnischen Stadt Drohobycz versteckte und dann im Haus einer ukrainischen Familie unterkam.

„Es besteht ein großer Bedarf, die ukrainische Öffentlichkeit über ihre Nationalhelden und ihre Behandlung der Juden aufzuklären“, schrieb er und wies darauf hin, dass Bandera, „ein ukrainischer Nationalist und Nazi-Sympathisant, der den Deutschen im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die Russen half und Juden und Polen tötete“, als Held gilt.

In jeder ukrainischen Stadt gibt es Denkmäler für Bandera, Straßen und Autowaschanlagen sind nach ihm benannt, ebenso wie Restaurantgerichte wie die Bandera-Wurst. „Damit die Ukraine die Geschichte des Holocausts objektiv betrachten kann, müssen die Ukrainer andere Helden finden“, schrieb Drimer.

In der Mitteilung der Freunde des Simon-Wiesenthal-Zentrums wird darauf hingewiesen, dass der Ottawa Citizen, der dem Postmedia Network gehört, derselben Muttergesellschaft wie die Zeitung in Toronto, am 19. Dezember 2022 einen Meinungsartikel von Luciuk veröffentlicht hat, in dem es heißt, dass das Nationale Holocaust-Denkmal in Ottawa auch Ukrainer einschließen muss“

 

Holocaust-Verzerrung

„Sicherlich waren die Ukrainer nicht die einzigen Opfer des Holocausts. Millionen von Juden starben“, schrieb Luciuk in dem Beitrag. Er wies darauf hin, dass das Denkmal zunächst keine Juden erwähnte, die Inschrift aber geändert wurde, um auf die 6 Millionen Juden hinzuweisen, die im Holocaust ermordet wurden. „So wie es heute steht, ignoriert das Nationale Holocaust-Denkmal absichtlich das Leiden von Millionen von Menschen“, schrieb er.

Acht Tage später veröffentlichte der Citizen eine Antwort von Daniel Panneton, Direktor für Verbündete und gesellschaftliches Engagement bei den Friends of Simon Wiesenthal Center, und einem Kollegen. „Holocaust-Verzerrung ist keine harmlose Frage der Perspektive oder des Missverständnisses“, schrieben sie.

„Es ist bedauerlich, dass einige Personen die internationale Sympathie opportunistisch ausnutzen, um die gut dokumentierte Geschichte der Kollaboration zu beschönigen“, fügte Panneton in einer Presseerklärung hinzu. „Die International Holocaust Remembrance Alliance betont zu Recht, dass die Verzerrung des Holocausts der Demokratie schadet, und es ist enttäuschend zu sehen, dass Nachrichtenagenturen mit nationaler Reichweite solche giftigen Desinformationen wiederholt legitimieren“.

Die National Post erklärte sich bereit, den Freunden des Simon-Wiesenthal-Zentrums zu gestatten, eine Gegendarstellung zu dem jüngsten Meinungsartikel zu verfassen.

„Wir sind enttäuscht und beunruhigt über diesen blinden Fleck bei Postmedia, die wieder einmal Lubomyr Luciuk Raum gegeben haben, der weiterhin Holocaust-Verzerrungen und Desinformationen verbreitet“, so Panneton gegenüber JNS.

„Ihre Redaktionsmitarbeiter müssen viel vorsichtiger sein, wenn es um Themen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg geht, und es vermeiden, Beiträge zu veröffentlichen, die die Fakten über den Holocaust verfälschen“, fügte er hinzu. „Wir hoffen, dass dies die letzte derartige Fehleinschätzung sein wird“.

Luciuk erklärte gegenüber JNS, dass „die so genannten ‚Freunde des Simon Wiesenthal Center‘ das Buch lesen sollten. Das haben sie offensichtlich nicht.

„Diese Leute scheinen ein Manuskript vorverurteilt zu haben, das sie sicherlich nicht einmal gelesen haben. Sie haben die tatsächlichen dokumentarischen Beweise nicht studiert“, sagte er.

Luciuk fügte hinzu, dass seine Mutter „von den Nazis versklavt“ wurde und dass er als Kind mehrere KZ-Überlebende kannte. „Behauptungen, ich hätte den Holocaust irgendwie ‚verzerrt‘, sind absurd und tatsächlich beleidigend“, sagte er.

Rob Roberts, Chefredakteur der National Post, erklärte gegenüber JNS, die Zeitung habe einen Auszug aus einem von der McGill-Queen’s University Press herausgegebenen Buch veröffentlicht, in dem Wladimir Putins Rechtfertigung für den Einmarsch in die Ukraine kritisiert wurde, das Land müsse „entnazifiziert“ werden.

„Der Auszug enthielt einen Absatz, in dem die Ansicht bestritten wird, dass die Organisation der ukrainischen Nationalisten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs Nazi-Kollaborateure waren. Wir erkennen jedoch an, dass diese Kollaboration durch frühere Forschungen nachgewiesen wurde“, sagte er. „Wir werden den Kritikern des Artikels die Möglichkeit geben, zu antworten und aus dieser Episode zu lernen, wenn wir zukünftige Artikel über diese Epoche der Geschichte in Betracht ziehen.

Roberts fügte hinzu, dass die Post seit ihrer Gründung im Jahr 1998 durch Conrad Black in ihrer redaktionellen Haltung ausdrücklich pro-israelisch sei, was sich unter anderem in der aktuellen Serie „Israel mit 75“ zeige.

 

Aus dem Englischen von Daniel Heiniger

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