Messer-Mord von Brokstedt: Monumentales Behördenversagen kostete zwei Menschenleben

© Gregor Fischer / AFP

Der 33-jährige Messermörder Ibrahim A. kam 2014 aus dem Gazastreifen nach Deutschland. In einem Regionalzug tötete er zwei junge Erwachsene und verletzte weitere Passagiere. Obwohl er bereits einschlägig straffällig geworden war, in der vorangegangenen Haft mit Attentaten gedroht hatte und sich bewundernd mit dem Islamisten Anis Amri verglich, der 2016 mit einem LKW auf einem Berliner Weihnachtsmarkt gerast war, 13 Menschen getötet und 67 verletzt hatte, wurde Ibrahim A. vorzeitig auf freien Fuß gesetzt. Das schreckliche Verbrechen hätte verhindert werden können, hätte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Entzug des subsidiären Schutzes durchgesetzt und den Attentäter rechtzeitig abgeschoben sowie bis dahin in Haft behalten. Doch der Vorgang blieb, wie es mittlerweile Usus ist, wahrscheinlich auch wegen der falschen Politisierung großer Teile unserer Behörden im dortigen ideologischen Verfahrenssumpf stecken. Ob der Grund für das eklatante Behördenversagen tatsächlich nur in der Unterbesetzung der Mitarbeiter zu sehen ist, darf getrost hinterfragt werden. (JR) 

Von Matthias Nikolaidis

Die Abschiebung oder zumindest dauerhafte Inhaftierung von Ibrahim A. scheiterte an vielem. In Hamburg übersah man dschihadistische Aussagen des Häftlings. Bitter ist das Versagen des BAMF, das immer weniger Mitarbeiter für die Überprüfung von Schutztiteln beschäftigt. Schuld ist eine Gesetzesnovelle der Ampel.

Seit dem Amoklauf von Brokstedt sind einige Wochen ins Land gegangen. Der Täter steht natürlich fest, aber die Diskussion über die Ursprünge der Tat – ihre Genese – bewegt sich im Schneckentempo. Scheibchenweise kommt die Wahrheit heraus, und die ist nicht schmeichelhaft für den Rechtsstaat Deutschland. Schlamperei und Mangel an Kommunikation zwischen den Behörden säumen den Weg des 2014 aus dem Gazastreifen eingereisten Mannes. Das Behördenversagen zwischen den Ausländer- und Justizressorts von Schleswig-Holstein und Hamburg scheint in ständigem Fluss zu sein.

Der 33-jährige Messermörder Ibrahim A. könnte nun doch – obwohl es nach der Tat lauthals dementiert wurde – ein dschihadistisches Motiv gehabt haben. Einige Monate vor seiner Entlassung sagte er zu Mitarbeitern der Hamburger Justizbehörde: „Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer.“ Beachtlich ist: Er machte nicht nur eine Aussage über sich selbst, sondern auch über weitere Schläfer, die wie er auf den Moment zum Zuschlagen warten. Schon damals saß A. wegen einer Messertat in Untersuchungshaft, war eigentlich zu einem guten Jahr verurteilt worden.

Auch vor sich hingestammelt habe Ibrahim A. etwas: „Großes Auto, Berlin, das ist die Wahrheit.“ Einem anderen Gefängniswärter drohte er an, dass dieser auch „unter die Reifen“ kommen könnte. Ein mehr als zwiespältiges Verhältnis des Mannes zum Land seines Aufenthalts wird deutlich. Wer sich mit einer so gescheiterten Figur wie Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, vergleicht, wird für jeden Laien als Gefährder erkennbar. Und tatsächlich gleichen sich die beiden Taten in einer Hinsicht: durch das So-viele-Opfer-wie-möglich. Amri hatte 2016 auf einem Berliner Weihnachtsmarkt 13 Menschen getötet und 67 verletzt.

Dass auch ein Attentat, bei dem einer messerstechend und mordend durch einen ganzen RE zieht, den Hass auf die gesamte Umgebung deutlich macht, versteht sich von selbst. Diesen Hass auf seine Umwelt hatte Ibrahim A. schon in seiner älteren Vorgeschichte unablässig gezeigt, ob gegenüber Deutschen oder anderen Migranten.

 

Grünen-Senatorin verschwieg dschihadistisches Motiv

Das Behördenversagen in Hamburg und Schleswig-Holstein ist tatsächlich monumental: Der Psychiater, der einen Tag vor der Haftentlassung feststellte, dass weder Selbst- noch Fremdgefährdung von Ibrahim A. ausgehe, wusste angeblich nicht, dass eine Entlassung anstand.

Das Hamburger Justizwesen informierte die Kieler Ausländerbehörde vier Monate nicht über die Haft in der JVA Billwerder, wobei hier noch immer keine Klarheit herrscht. Die Kieler Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) machte der Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (auch Grüne) deswegen Vorwürfe. Die verteidigte sich, die Kieler Ausländerbehörde sei nicht erreichbar gewesen. Kiel beharrte, das erste Schreiben aus Hamburg sei am 4. Mai 2022 angekommen.

Dann verschwieg Anna Gallina auch die dschihadistischen Äußerungen des Häftlings gegenüber der Hamburger Bürgerschaft, was ihr Rücktrittsforderungen vom CDU-Fraktionschef Dennis Thering einbrachte: „Wenn es sich bewahrheitet, dass Ibrahim A. in der Haft mit Attentaten drohen konnte und trotzdem ohne Konsequenzen auf freien Fuß gesetzt wurde, wird Justizsenatorin Gallina nun endgültig nicht mehr zu halten sein.“

 

Auch staatenlos war A. wohl nur durch Selbstidentifikation

Zudem wurde gesagt, dass A. wegen seiner Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden kann. Ibrahim A, hatte sich selbst zum Staatenlosen erklärt – gleichsam in einem vorweggenommenen „Selbstbestimmungsgesetz“. Ähnlich wie das neue Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung (das nun wegen des heiklen Themas Frauensauna auf Eis liegt) funktioniert das deutsche Asylrecht schon lange: Die Antragsteller dürfen behaupten, was sie wollen.

Der deutsche Staat und die Behörden sind in der Pflicht nachzuweisen, dass es sich nicht so verhält. Einen Asylantrag stellt man am besten als staatenloser „Syrer“ mit Migrationshintergrund aus dem Libanon, der Türkei oder „Palästina“. Dann ist, wo nicht die Annahme des Antrags, so doch der Verbleib in Deutschland unter diversen Schutztiteln oder Duldungsmodi garantiert. Toleranz ist eine Tugend, Geduld ebenso, aber „nichts zu sehr“, „alles mit Maß“, wie es eine alte Weisheit sagt.

Beim Täter von Brokstedt gibt es nun auch offiziell Zweifel an der Staatenlosigkeit. Die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) sagte am Mittwoch im Innenausschuss des Kieler Landtags: „Der Beschuldigte hat eine ungeklärte Staatsangehörigkeit.“ Er hat sie also, nur wir kennen sie nicht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bestätigte, nichts bestätigt zu haben, jedenfalls nicht die Staatenlosigkeit des „Palästinensers“.

 

In NRW war man Schlimmeres gewohnt

Zu schlechter Letzt erreichten den Attentäter auch die Schreiben des BAMF nicht, mit denen man ihn zum Widerruf seines subsidiären Schutzes befragen wollte. Der Entzug des Titels, der bereits im November 2021 vom Bundesamt angestoßen worden war, blieb so im Behördensumpf stecken.

Die Ausländerbehörde im nordrhein-westfälischen Euskirchen hatte das BAMF überhaupt nicht über die bis 2020 von A. begangenen Verbrechen informiert, darunter zum Beispiel gefährliche Körperverletzung. In Euskirchen war man ‚Strengeres‘ von den betreuten Migranten gewohnt und betrieb den Widerruf des Schutztitels gar nicht erst. Nach Ibrahim A.s Umzug nach Kiel holte die dortige Ausländerbehörde die Meldung nach. Allerdings vergingen zwei Monate, bis sich das BAMF um den Antrag kümmern konnte. Dazu kam es erst am 19. November 2021, wie die Welt (in einem Plus-Artikel) zusammengetragen hat.

Die folgenden vergeblichen Versuche des BAMF, A. in dieser Sache anzuhören, gehen auf das Konto der Hamburger Justizbehörde. Denn das BAMF kannte die aktuelle Adresse von A. schlichtweg nicht. Eigene Nachforschungen scheinen ausgeschlossen gewesen zu sein, da das BAMF durch das aktuelle Migrationsgeschehen gut ausgelastet ist. Aber auch nach dem 4. Mai 2022, als Kiel von der Haft in Hamburg erfuhr, scheint hier nichts passiert zu sein.

Tatsächlich hat das BAMF die Mitarbeiter, die sich bis dahin um die Überprüfung und den eventuellen Entzug von Schutztiteln kümmerten, schon seit 2020 stark ausgedünnt. Anfang 2020 waren laut Welt noch 830 Mitarbeiter mit Widerrufs- und Rücknahmeverfahren befasst, Anfang 2021 waren es noch 520 und 2022 schließlich 202. Nun schreiben wir das Jahr 2023, und im Bundesamt arbeiten noch 112 Mitarbeiter an der Überprüfung der jahrein, jahraus vergebenen Schutztitel der Bundesrepublik Deutschland.

 

Schlamperei hat zwei Menschenleben gekostet

Dass man heute angeblich nicht mehr Prüfer braucht, hat laut BAMF einen einfachen Grund: Die Ampel hat seit diesem 1. Januar die regelmäßige Widerrufsprüfung (Regelüberprüfung) von Asyl- und anderen Schutztiteln ausgesetzt. Heute soll nur noch „anlassbezogen“ geprüft werden. Dass sich damit die Anzahl der Sachbearbeiter von einer einst mittleren dreistelligen Zahl auf nur noch etwas über hundert verringerte, lässt dennoch staunen. Und tatsächlich zeigt der Fall Ibrahim A. die Überlastung dieser 112 BAMF-Mitarbeiter deutlich auf.

Ein Zwischenfazit lautet: Früher war es mal wichtig, ob ein „Flüchtling“ seinen Schutztitel auch wirklich verdient hat. Heute geht es nicht mehr darum, sondern nur um die Frage, ob der Mann oder die Frau für die deutsche Wirtschaft verwertbar ist – und dabei nicht zu oft straffällig wird. Die Abschaffung der Regelüberprüfung kann man auch als Entlastung der Behörde sehen. Aber die Personaleinsparungen, die man schon lange vor der Ampel-Novelle begonnen hatte (siehe die genannten Zahlen), sind dadurch offenbar nicht gerechtfertigt. Vielmehr müsste man das früher eingesetzte Personal erhalten oder sogar ausgebaut haben, um endlich allen Hinweisen der Ausländerbehörden rechtzeitig nachgehen zu können.

Im Fall Brokstedt hat die resultierende Schlamperei zwei junge Menschenleben gekostet. Die grausame Ironie ist: Ibrahim A. war für seine vorletzte Messertat zu genau einem Jahr und einer Woche Haft verurteilt. Nach einem Jahr und sechs Tagen ermordete er Ann-Marie (17) und ihren Freund Danny (19) im Regionalzug nach Hamburg.

 

Dieser Artikel erschien zuerst bei Tichys Einblick.

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