Bidens Rede zur Nation – verdächtig bekannt

Die Rede von US-Präsident Joe Biden zur Lage der Nation triefte vor Eigenlob.
© THOMAS COEX / AFP

In seiner Rede zur Lage der Nation versprühte Joe Biden ein bisschen „Make America Great again“, ein bisschen Klimarettung, ein bisschen staatliche Wohltaten. Einmal warb er um die Facharbeiter, einmal um die Kulturkämpfer und widersprach sich dabei peinlicherweise erheblich. Der 80-Jährige vermittelte den Eindruck des gealterten und ermüdeten Epigonen, der noch einmal die gescheiterten Rezepte der Helden seiner Jugend rekapitulierte, ohne eine wirkliche und inspirierende Vision vermitteln zu können. Damit bewies Joe Biden ein weiteres Mal, dass er kein Präsident aller Amerikaner ist sowie keinesfalls ein souveräner und präsidialer Gegenpol zur irrwitzigen Cancel Culture- und Wokeismus-Politik der Democrats. (JR)

Oliver M. Haynold / Achgut.com

Zu den von der Verfassung vorgegebenen Pflichten des amerikanischen Präsidenten gehört es, von Zeit zu Zeit den Kongress über die Lage der Nation zu informieren und ihm Vorschläge über geeignete Maßnahmen zu unterbreiten. Während die Präsidenten des neunzehnten Jahrhunderts das vorwiegend schriftlich taten, die Tradition der Thronrede vom Gründervater und dritten Präsidenten Thomas Jefferson als zu monarchisch angesehen wurde, hat sich seit der Entwicklung der imperialen Präsidentschaft mit Franklin Delano Roosevelt ein Ritual der jährlichen Rede zur Lage der Nation eingebürgert. Theoretisch immer noch an den Kongress gerichtet, ist sie in Wirklichkeit eine Rede an die Nation selbst geworden, zuerst im Radio und heute vor den Fernseh- und Computerschirmen verfolgt.

Präsident Bidens Rede wäre eine Chance gewesen, nach dem unglücklichen Abzug aus Afghanistan, mit zunehmendem Frust der Bevölkerung über die galoppierende Inflation und im Angesicht des Krieges in der Ukraine der Nation eine neue Vision und eine Demonstration seiner Führungskraft zu geben. Angesichts der im November anstehenden Zwischenwahlen und miserabler Zustimmungswerte für den Präsidenten – zu diesem Zeitpunkt der Amtsperiode war in moderner Zeit nur noch Donald Trump so unbeliebt – wäre das auch dringend nötig gewesen.

Präsident Biden hat versucht, das Genre solcher Reden zu bedienen, aber er vermittelte den Eindruck des gealterten und ermüdeten Epigonen, der noch einmal die gescheiterten Rezepte der Helden seiner Jugend rekapitulierte, ohne eine wirkliche Vision vermitteln zu können. Selbst der emotionale Höhepunkt zum Schluss der Rede wirkte abgedroschen, weil fast jeder politisch interessierte Amerikaner eines gewissen Alters ihn schon einmal vor zwanzig Jahren in einem Entwurf einer Rede zur Lage der Nation in einer Fernsehserie gesehen hatte.

 

Getanzt wie ein Schulmädchen

Formal lief die Rede eigentlich gut. Biden hatte keine großen Aussetzer, nicht zu viele Verhaspler. Einmal sagte er allerdings „iranisch“ statt „ukrainisch“, was sich im Englischen ähnlicher anhört. Es gab einen gewissen Kontrast zwischen den zahlreichen Applauspausen mit ihrer Erwartung an stehende Ovationen und dem eher schläfrigen Vortrag.

Hinter Präsident Biden saßen seine beiden Gastgeberinnen, Vizepräsidentin Kamala Harris als Vorsitzende des Senats und Nancy Pelosi als Vorsitzende des Repräsentantenhauses, beide Angehörige seiner Partei. Während sich Pelosi beim entsprechenden Anlass 2019 durch ihr sarkastisches, affektiertes Klatschen bemerkbar machte, gaben diesmal beide Damen den Cheerleader für ihren Präsidenten, sprangen pflichtgemäß auf und klatschten. Harris zeigte dabei ein häufiges Lächeln mit geschlossenen Lippen, bei dem man sich nicht ganz sicher sein konnte, ob es der grenzenlosen Verehrung ihres Chefs entsprang oder doch eher der Hoffnung, an seinem Rednerpult stehen zu dürfen. Pelosi, 81 Jahre alt, machte häufig einen eher dyspeptischen Gesichtsausdruck, sprang aber trotzdem zahllose Male auf, um Applaus zu klatschen. Einmal sprang sie auch an einer unpassenden Stelle, als Biden von Gesundheitsschäden bei Soldaten durch giftigen Rauch redete, auf und vollführte eine Art Tanz wie ein Schulmädchen, das seine Aufregung nicht unter Kontrolle halten kann.

 

Der Präsident rief, und alle, alle kamen

Es gibt einige konkurrierende Mythen der amerikanischen Identität, und für die Rede zur Lage der Nation, insbesondere von einem Präsidenten der Demokratischen Partei, ist ein Klassiker die des Präsidenten als charismatischem und visionärem Führer einer besonders berufenen Nation. Das Land wird von schweren Herausforderungen geprüft, der Präsident entwirft eine Vision, die Wissenschaftler, Arbeiter, Beamten und, im Falle einer kriegerischen Herausforderung, insbesondere die Soldaten lassen Parteienzwist fallen, versammeln sich unter dem Sternenbanner, leisten Übermenschliches, bringen Opfer, lösen das Problem, und die Nation und die Welt gehen einer neuen Morgenröte entgegen. Der Präsident rief, und alle, alle kamen.

Freilich, an der charismatischen und imperialen Präsidentschaft, der Expansion der Bürokratie und der Staatsfinanzen, der Ausdehnung der Zuständigkeit des Bundes weit jenseits der von der Verfassung vorgesehenen Grenzen, an den Riesenprojekten bröckelt schon lange der Putz. Ein John F. Kennedy konnte noch die Nation hinter dem Projekt des Mondflugs versammeln. Mit Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson stieß diese Methode der Politik an ihre Machbarkeits- wie an ihre Zustimmungsgrenzen, und der von Johnson ausgerufene bürokratische „Krieg gegen die Armut“ daheim lief nicht viel besser als der bürokratisch verwaltete Krieg in Vietnam.

Präsident Bill Clinton setzte in seiner Rede zur Lage der Nation 1996 mit seinem Ausspruch „Das Zeitalter der großen Regierungstätigkeit ist vorbei“ einen rhetorischen Schlussstrich unter diese Art von Projekten. Joe Biden, 1970 zum ersten Mal in ein politisches Amt gewählt, holte dieses Zeitalter für seine Rede noch einmal aus der Mottenkiste.

Selenskyj, nicht Biden

Der erste Punkt in Bidens Rede war der Krieg in der Ukraine. Dieser Teil der Rede stieß inhaltlich auf Zustimmung bei Anhängern beider Parteien. Biden verurteilte die russische Aggression, erklärte, im Einvernehmen mit den europäischen Verbündeten agieren zu wollen, verkündete die Sperrung des amerikanischen Luftraums für russische Luftfahrzeuge, Sanktionen gegen die russische Wirtschaftskraft, die Oligarchen und die Kriegsfinanzierung, die Entsendung amerikanischer Soldaten zum Schutz der osteuropäischen NATO-Mitglieder. Der russische Präsident Putin, so Biden, „hat keine Vorstellung davon, was auf ihn zukommt.“ Die NATO werde im Falle eines Angriffs auf ihre Mitgliedsländer „jeden Zoll Territoriums, das NATO-Territorium ist, mit unserer gemeinsamen Macht verteidigen – jeden einzelnen Zoll.“

Für ein großes Projekt unter der charismatischen Führung des amerikanischen Präsidenten eignete sich der Krieg in der Ukraine aber kaum. In Anbetracht der bekannten Umstände musste Biden ebenso emphatisch, wie er die Verteidigung der NATO versprochen hat, auch sagen, dass die Ukraine eben nicht unter amerikanischer Führung freigekämpft werde. „Die nächsten Tage, Wochen und Monate“ würden „schwer für die Ukrainer“, die sich als „stolzes, stolzes Volk“ ihre Freiheit selbst, wenn auch mit nichtmilitärischer Unterstützung, verteidigen müssten und würden. Bidens konkrete Maßnahmen blieben notgedrungen im Kleinen, mit dem Höhepunkt der Ankündigung der Freigabe von 30 Millionen Barrel Öl aus der strategischen Reserve, dem Verbrauch von rund anderthalb Tagen. Das hat nicht einmal auf dem Ölmarkt eine Reaktion hervorgerufen.

 

Alter Wein in alten Schläuchen

Im nächsten Teil seiner Rede kam Biden auf wirtschaftliche Themen zu sprechen. Hier wurde die Rückwärtsgewandtheit seiner Vorstellungen ausdrücklich. Für die letzten vierzig Jahre, also seit der Amtszeit Ronald Reagans, sei den Amerikanern erzählt worden, dass Steuersenkungen für Spitzenverdiener allen nützen würden, aber das hätte nur zu „schwächerem Wirtschaftswachstum, niedrigeren Löhnen, größeren Defiziten und einer sich vergrößernden Lücke zwischen der Spitze und allen anderen in der – in fast einem Jahrhundert [sic]“ geführt. Biden und Vizepräsidentin Harris seien dagegen „mit einer neuen wirtschaftlichen Vision“ angetreten: „Investiere in Amerika; bilde Amerika aus; schaffe Arbeitsplätze; erbaue die Wirtschaft von unten herauf und aus der Mitte heraus, nicht von oben herab. Denn wir wissen, dass, wenn die Mittelklasse wächst – wenn die Mittelklasse wächst, dann steigen die Armen sehr auf und den Wohlhabenden geht es sehr gut.“

Das hat weder das Katastrophenpotenzial noch den radikalen Chic einer Alexandria Ocasio-Cortez, die in Luxusklamotten den Sozialismus preist und die Überwindung der Knappheit durch „moderne Geldtheorie,“ die proklamiert, dass man für Wohltaten unbegrenzt und straflos Geld drucken könne. Mit der expliziten Zurückweisung der letzten vierzig Jahre wirkten Bidens Ausführungen aber wie ein Wunsch, den Optimismus der gescheiterten Projekte seiner politisch prägenden Jugendjahre zurückzubekommen, die dann doch in Stagflation und Unzufriedenheit geendet haben. Den Kalten Krieg haben wir ja auch schon zurückbekommen. Alter Wein in alten Schläuchen. So rückwärtsgewandt waren dann auch die konkreten Vorschläge.

 

Infrastruktur, aus Amerika gekauft

Biden fing mit Infrastrukturinvestitionen an, die zumindest teilweise überparteilich zustimmungsfähig und sinnvoll sind. Marode Straßen, Flughäfen und Häfen sollten repariert werden, alle Amerikaner von den Städtern bis zu Indianerreservaten sollten schnelles Internet bekommen. All das solle dazu dienen, „den zerstörerischen Auswirkungen des Klimawandels zu widerstehen und Umweltgerechtigkeit zu befördern,“ gleichzeitig „Arbeitsplätze für Millionen von Amerikanern schaffen.“ Weil sich Verkehrsinfrastruktur und Klimasorge aber doch irgendwie beißen, solle auch „ein nationales Netzwerk von 500.000 Ladestationen für Elektrofahrzeuge“ geschaffen werden.

Als weiteren nostalgischen und patriotischen Schritt kündigte Biden an, dass diese Infrastrukturmaßnahmen mit amerikanischen Produkten umgesetzt werden sollen: „Wir werden es tun, indem wir amerikanische Produkte kaufen. Amerikanische Produkte kaufen. Amerikanische Arbeitsplätze unterstützen. [...] Wir werden amerikanisch[e Produkte] kaufen, um sicherzustellen – alles vom Deck eines Flugzeugträgers bis zum Stahl von Leitplanken ist von Anfang bis Ende in Amerika hergestellt. Alles davon. Alles davon.“ Dieser Anruf des Protektionismus ist einerseits nostalgisch, andererseits auch eine Anknüpfung an Bidens Amtsvorgänger, dessen einzige wirklich dauerhaft gehaltene politische Überzeugung ebenfalls der Protektionismus war. Allerdings konnte Trump den populistischen Anruf an die Arbeiter und die rauchenden Schornsteine der Fabriken wesentlich besser vortragen.

Ein Problem mit dem Kauf amerikanischer Produkte für Infrastrukturinvestitionen hat Biden selbst in seiner Rede benannt: „Es gibt seit einem knappen Jahrhundert ein Gesetz, um sicherzustellen, dass die Dollars des Steuerzahlers amerikanische Arbeitsplätze und Unternehmen unterstützen. Jede Regierung – Demokratisch und Republikanisch – sagt, dass sie das tun wird, aber wir tun es wirklich.“ Das Versprechen eines Politikers, der seit einem halben Jahrhundert Ämter bekleidet, ohne weitere Details, das zu tun, was Politiker aller Parteien seit einem Jahrhundert versprächen, aber nicht umgesetzt bekämen, hat eine offensichtliche Glaubwürdigkeits- und Umsetzbarkeitslücke.

 

Inflation als höchste Priorität

Dann kam Biden auf eines der drängendsten politischen Probleme zu sprechen, die Inflation, die derzeit bei 7,5 Prozent im Jahr liegt, einem Wert wie man ihn eben aus der Misere der Siebziger Jahre, in die Biden sich doch zurückzuwünschen scheint, kennt. Biden versicherte, das Problem zu verstehen: „Zu viele Familien kämpfen damit, ihre Rechnungen pünktlich zu bezahlen. Ich verstehe es. Darum ist es meine höchste Priorität, die Preise unter Kontrolle zu bekommen. Ich verstehe es. Darum ist es meine höchste Priorität, die Preise unter Kontrolle zu bekommen. [sic]“

Auch hier ist schon die Einleitung des Rezepts rückwärtsgewandt. Inflation ist, wie der Ökonom Milton Friedman in einflussreichen Vorlesungen, selbst im Fernsehen, in den Siebziger Jahren erklärt hat, immer und überall ein monetäres Phänomen. Wenn die Geldmenge (und Umlaufgeschwindigkeit) schneller steigt als die wirtschaftliche Leistung, dann hat man Inflation. Obergrenzen für Löhne und Preise, wie sie die Amerikaner in den Siebzigern hatten, schaffen nicht die Inflation ab, sondern erzeugen Knappheit und eine weitere Schwächung der wirtschaftlichen Leistung. Man kann nicht „die Preise“ durch politisches Dekret „unter Kontrolle bekommen,“ jedenfalls nicht, ohne dafür wiederum einen sehr hohen Preis zu zahlen.

 

Biden hat einen Plan

Präsident Biden aber habe, so versicherte er, „den Plan“ um gleichzeitig „ihre Kosten zu verringern und das Defizit zu verringern.“ Der falsche Weg, um Inflation zu bekämpfen, sei es, die Löhne zu drücken. Biden habe „eine bessere Idee, um die Inflation zu bekämpfen: Verringert eure Kosten, nicht eure Löhne.“ Er will also den Amerikanern helfen, Geld zu sparen, mit dem tiefen Griff in die unbegrenzte Staatskasse.

Die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente sollen verringert und zumindest teilweise gedeckelt werden. Eine Steuergutschrift solle Haushalten und Betrieben die bessere Isolierung von Gebäuden finanzieren und so Geld für die Heizung und Klimaanlage sparen, die Produktion von „Solarenergie, Windenergie, und noch viel mehr“ solle verdoppelt werden; der Preis von Elektroautos solle verringert werden, womit man „weitere 80 Dollar im Monat sparen“ könne, „die sie nicht an der Zapfsäule bezahlen müssen.“ Subventionen von Krankenversicherungen im Zuge von Corona-Paketen sollen dauerhaft werden.

Eine weitere „Sache, die wir tun können, um den Lebensstandard hart arbeitender Leute zu verändern, ist es, die Kosten der Kinderbetreuung zu verringern.“ Keine Familie solle mehr als sieben Prozent ihres Einkommens für Kinderbetreuung aufwenden müssen, für viele Familien sollen sich die Kosten dafür halbieren.

Das Problem der Inflation soll also mit einer Mischung aus Infrastrukturprojekten, Preisdeckeln und einem Füllhorn neuer Subventionen geregelt werden, wodurch die Preise sinken würden und man auch noch bares Geld an der Zapfsäule spare und nebenher das Klima rette. Wie will man das nun bezahlen? „Unter meinem Plan“, so Präsident Biden, „wird niemand – lassen mich es nochmals sagen – niemand, der weniger als 400,000 Dollar im Jahr verdient, einen zusätzlichen Penny in Steuern zahlen. Nicht einen einzigen Penny.“ Das soll durch einen neuen Mindeststeuersatz für Unternehmen und das „Schließen von Schlupflöchern für die sehr Wohlhabenden“ erreicht werden, „und es wird das Defizit verringern.“ Das wird schwierig. Mit dem Schließen von Schlupflöchern wird man diese Ausgaben nicht stemmen können, was eben wieder in die Mischung von Defiziten, Stagnation, Arbeitslosigkeit und Inflation der Siebziger Jahre zurückweist.

 

Das Wild trägt keine Kevlar-Westen

Dann kam Biden auf kulturkämpferische Themen zu sprechen, bei denen er sich als Mann der Mitte und des Pragmatismus zu positionieren versuchte, aber nichts Konkretes zu sagen hatte.

In Bezug auf die innere Sicherheit und konsistent mit seiner Position, Geld auf alles zu werfen, erst recht alles, was gewerkschaftlich organisiert ist, verkündete Biden, dass die aus seiner Partei im Zuge der BLM-Unruhen gehörten Forderungen nach der Definanzierung oder Abschaffung der Polizei der falsche Weg seien: „Wir sollten uns alle einig sein, dass die Antwort nicht ist, die Polizei zu definanzieren. Sie ist, die Polizei zu finanzieren. Zu finanzieren. Zu finanzieren. Finanziert ihnen Ressourcen und Ausbildung – Ressourcen und Ausbildung, um unsere Gemeinschaften zu schützen.“

Gleichzeitig sollten aber „Sturmwaffen mit Hochkapazitätsmagazinen, die bis zu hundert Schuss aufnehmen“ verboten werden, denn „Denkt ihr, dass das Wild Kevlar-Westen trägt?“ Ein neuer Schenkelklopfer in Bidens berühmten Vorschlägen zu Feuerwaffen. Früher hat er auch schon einmal vorgeschlagen, dass niemand ein Gewehr zum Heimschutz brauche, und erklärt, dass er seiner Frau gesagt habe, sie solle im Zweifelsfall mit der Flinte auf den Balkon laufen und da zwei Schuss wild in die Gegend feuern, dann sei Ruhe – ein Vorschlag, der, wenn man Personenschutz hat, noch dümmer ist, als er es ohnehin schon ist. Man wird hoffen müssen, dass Biden nicht nur der Personenschutz von Anderen abgenommen wird, sondern dass er auch von der Jagd absieht, denn bei diesen Vorstellungen dürfte das schlimmer für Unbeteiligte kommen als damals bei Dick Cheney. Hundert-Schuss-Magazine gibt es immerhin wirklich, und sie sind selten, werden nicht zur Jagd verwendet, sondern zur Erzeugung eines fetten Grinsens, sie sind teuer und unzuverlässig, sie fühlen sich an wie ein Backstein an der Waffe, und ihre Deliktrelevanz ist exakt gleich Null. Das Thema musste halt in die Rede, aber der Vorschlag ist so abwegig, dass man wohl keine entsprechenden Gesetzesvorhaben vor den Zwischenwahlen zu befürchten braucht, und danach erst recht nicht.

Bei der Einwanderungspolitik stellte sich Biden in die Tradition eigentlich aller Präsidenten, inklusive seines Vorgängers, dessen Rhetorik zwar etwas kerniger war, der aber trotzdem so wie alle anderen versprach, einerseits die Grenze zu sichern, andererseits legale Einwanderer willkommen zu heißen. Als Kinder illegal in die Vereinigten Staaten verschleppte Einwanderer sollten leichter eingebürgert werden können.

Nur kurz und leidenschaftslos ging Biden darauf ein, dass das Recht auf Abtreibung „unter Angriff steht, wie nie zuvor“ und er es schützen wolle, und gleichzeitig „weiterhin Fortschritte beim Zugang zu Gesundheitsleistungen für Mütter für alle Amerikaner“ machen wolle. „LGBTQ+-Amerikaner“ sollen durch ein Bundesgesetz besonders geschützt werden, und zu den „jüngeren Transgender-Amerikanern“ sage er: „Ich werde immer als euer Präsident hinter euch stehen, so dass ihr ihr selbst sein und euer gottgegebenes Potenzial erreichen könnt.“ Das bleibt im Unverbindlichen, beantwortet kaum, ob beispielsweise jemand mit dem Körperbau eines Mannes Stipendien und Startplätze für weibliche Sportlerinnen einnehmen dürfen soll oder nicht.

 

Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder.

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