Ein Jahr Österreichisch-Jüdisches Kulturerbegesetz

Trotz des in der Geschichte Österreichs bekannten strukturellen Antisemitismus, prägten die dortigen Juden viele Teile der österreichischen Kultur, Geschichte und Politik. Unter ihnen Nobelpreisträger, Komponisten, Mediziner und Schöpfer der österreichischen Verfassung. Als Zeichen der Verbundenheit und Wertschätzung hat die Alpenrepublik 2021, viel zu spät und längst überfällig, das Bundesgesetz über die Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes erlassen. Wenn auch eher unzureichend, sollen mit einer jährlichen Zuwendung in Höhe von vier Millionen Euro u.a. jüdische Gemeinden unterstützt und das jüdische Kulturerbe gepflegt werden. (JR)

Von Lioba Lobmayr

Vor einigen Jahren kürte das britische Wochenmagazin „The Economist“ Wien zur Stadt des letzten Jahrhunderts. Das sei der „unglaublichen Ansammlung an Genie, Geist, Talent, Einfallsreichtum und Unternehmertum“ zu verdanken, erinnerte der ÖVP-Abgeordnete zum Nationalrat, Martin Engelberg, an all jene Persönlichkeiten, die die Welt der Musik, Kunst, Literatur, Unternehmertum, der Geistes- und Naturwissenschaften nachhaltig prägten. „Überdurchschnittlich viele dieser Persönlichkeiten waren Jüdinnen und Juden“, betonte Engelberg. „Sie haben in der Geschichte Österreichs deutliche Spuren hinterlassen und wesentlich zu dem beigetragen, was wir als „typisch österreichisch“ empfinden.“ Aber auch zahllose Handwerker und Arbeiter haben ihren Beitrag in Österreich geleistet. „Als loyale Staatsbürger in der Monarchie und auch als Gründungsväter in der neu gegründeten Republik.“

 

Herausragende Persönlichkeiten

Jüdische Intellektuelle wie Victor Adler, Otto Bauer, Hugo Breitner, Robert Danneberg, Julius Deutsch und Julius Tandler engagierten sich in der Sozialdemokratie für eine egalitäre Gesellschaft, in der auch kein Platz für antisemitische Vorurteile sein sollte. Der Jurist Hans Kelsen war Schöpfer der österreichischen Verfassung.

Mediziner und Wissenschaftler sowie Philosophen begründeten den ausgezeichneten Ruf Wiens wie Emil Zuckerkandl, Josef Breuer, Carl Sternberg, Adam Politzer, Otto F. Kernberg, Viktor Frankl, Alfred Adler und Sigmund Freud, aber auch Ludwig Wittgenstein, Karl Popper und Martin Buber. Unter ihnen waren spätere Nobelpreisträger wie Wolfgang Pauli, Erwin Schrödinger, Max Perutz, Otto Loewi, Robert Bárány, Eric Kandel. Musiker und Komponisten wie Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Erich Korngold, Alexander Zemlinsky, Fritz Kreisler prägten das musikalische Leben.

Besonders lang ist die Liste jüdischer Literaten, Publizisten sowie Theaterschaffende; sie umfasst einen wesentlichen Teil der österreichischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts: Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Franz Werfel, Stefan Zweig, Franz Kafka, Friedrich Torberg sowie Vicki Baum. Karl Farkas, Fritz Grünbaum, Hermann Leopoldi und Hugo Wiener verbreiteten als Kabarettisten den jüdischen Humor. Max Reinhardt war einer der Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Die Salons des jüdischen Großbürgertums sowie die bekanntesten - meist jüdischen - Cafés Wiens waren Austauschorte und Besuchszentren für intellektuelle oder prominente Persönlichkeiten.

 

Jüdisches Leben in Österreich

Fast 200.000 Juden lebten bis 1938 in Wien. Nur ca. 2000 Juden überlebten die Schoah. So begann nach 1945 ein zartes Wiederaufleben der jüdischen Kultur und Existenz in Wien. Heute leben circa 15.000 Juden in Österreich.

Im Sinne der historischen Verantwortung Österreichs während der NS-Zeit wurde vom ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz das Österreichisch-Jüdische Kulturerbegesetz (ÖJKG) initiiert und verhandelt, um die Zukunft jüdischen Lebens in Österreich zu sichern und zu fördern.

Das Gesetz zur Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes wurde am 24.02.2021 kundgemacht, nachdem es den Ministerrat und – jeweils mit den Stimmen aller Parteien – den Verfassungsausschuss, den Nationalrat und den Bundesrat passierte.

Mit dem ÖJKG, das rückwirkend mit Anfang 2020 in Kraft trat, wurde die jährliche Sonderförderung des Bundes an die Israelitische Religionsgesellschaft auf 4 Millionen Euro verdreifacht. Wofür die Gelder genau verwendet werden, obliegt der Vertretung der Israelitischen Religionsgesellschaft in Gestalt der größten jüdischen Gemeinde in Österreich, der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien.

Bundeskanzler Sebastian Kurz dazu: „Aus dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte, dem Nationalsozialismus, erwächst die ewige historische Verantwortung, sich für die Sicherheit jüdischen Lebens und für den Kampf gegen Antisemitismus einzusetzen. Österreich hat sich in den letzten Jahren so klar gegen den steigenden Antisemitismus gestellt, wie kaum ein anderes Land in Europa. Das Gesetz zur Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes ist ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg. Als Republik sind wir stolz auf unser jüdisches Erbe und dankbar dafür, dass wir heute wieder die Heimat einer lebendigen jüdischen Gemeinde sein dürfen. Mit dem ÖJKG bilden wir nun die Grundlage dafür, dass jüdisches Leben in Österreich auch in Zukunft prosperieren kann.“

 

Zeichen gegen Antisemitismus

Jüdisches Leben sei ein wesentlicher Teil der Geschichte unseres Landes und habe diese grundlegend mitgeprägt, setzte Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler fort: „Dieses geistige und kulturelle Erbe reicht von unserer Bundesverfassung bis hin zu den Salzburger Festspielen. Das wollen wir bewahren und gleichzeitig sicherstellen, dass sich jüdisches Leben in Österreich als selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft gut entwickeln kann. Ich freue mich, dass es dazu ein klares Bekenntnis von allen Parlamentsparteien gibt.“ Das ÖJKG sei ein wichtiger Bestandteil der ganzheitlichen Nationalen Strategie gegen Antisemitismus, welche die Bundesregierung Anfang des Jahres 2021 vorgestellt hat, erklärte Edtstadler weiter: „Österreich hat damit als eines der ersten Länder der Europäischen Union eine derartige Strategie vorgelegt und so vor dem Hintergrund des steigenden Antisemitismus in Österreich und ganz Europa ein klares Zeichen gesetzt.“

Der Präsident der Israelitischen Religionsgesellschaft, Oskar Deutsch, ergänzt: „Die Republik Österreich unterstreicht mit diesem Gesetz, dass das Judentum ein integraler Bestandteil Österreichs ist und daher abgesichert werden muss. Das ÖJKG stellt auch fest, dass Judentum mehr als eine Religion ist: Die Förderungen sind für Sicherheit, Jugend-, Kultur- und Vermittlungsarbeit der Israelitischen Religionsgesellschaft zweckgebunden. Das ist auch eine große Unterstützung im Kampf gegen Antisemitismus, denn die beste Antwort auf Antisemitismus ist jüdisches Leben.“

ÖVP-Abgeordneter Martin Engelberg wies auf den wichtigen jüdischen Beitrag zu Kunst, Kultur und Gesellschaft Österreichs hin. Der Zustand der jüdischen Gemeinde sei auch immer ein Gradmesser dafür, wie es einem Land gehe, zitierte er einen früheren IKG-Präsidenten. Engelberg führte weiter aus, dass der alte Antisemitismus erfreulicherweise zurückgehe, jedoch ein neuer, oftmals importierter, Antisemitismus immer stärker werde. Diese Bedrohungslage führe zu einem hohen Sicherheitsaufwand der jüdischen Einrichtungen. Das Gesetz, das auf die Zukunft gerichtet sei, unterstütze sie dabei, dass sie diese Tätigkeit fortsetzen könne.

 

Wegweiser Österreich

Anlässlich des Rückzugs von Sebastian Kurz aus der Politik Anfang Dezember 2021 würdigte Oskar Deutsch dessen Verdienste: „Während seiner Kanzlerschaft wurden Meilensteine zur Absicherung des jüdischen Lebens in Österreich und Europa gesetzt. So selbstverständlich jüdisches Leben zu Österreich gehört, waren die von Kurz gesetzten Maßnahmen eben keine Selbstverständlichkeit. Dafür danken wir ihm. Seinen Bemühungen ist es zudem zu verdanken, dass die guten Beziehungen zu Israel weiter vertieft wurden.“

In der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz wurde mit dem Österreichisch-Jüdischen Kulturerbegesetz für die Sicherung von jüdischem Leben und jüdischer Kultur in Österreich eine rechtliche Grundlage geschaffen. Ein weiterer Meilenstein ist die Staatsbürgerschaft für Nachfahren von Schoah-Überlebenden, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, unabhängig von ihrem Wohnort. Deutsch: „Diese Art Restitution von Staatsbürgerschaften wurde tatsächlich erst 75 Jahre nach der Befreiung Österreichs ermöglicht.“ Darüber hinaus wurde unter Bundeskanzler Kurz die Namensmauer für die österreichischen Opfer der Schoah errichtet, um einen Gedenkort im öffentlichen Raum in der Bundeshauptstadt zu verankern. Auf europäischer Ebene wurde Österreich in seiner Kanzlerschaft zu einer treibenden Kraft im Kampf gegen Antisemitismus, die in der „Erklärung zur Bekämpfung von Antisemitismus“ im Europäischen Rat gipfelte und die politische Grundlage für die nachhaltige Sicherung jüdischen Lebens auf dem Kontinent darstellt. Auch die gelebte Staatsräson Österreichs, für die Sicherheit des jüdischen demokratischen Staates Israel einzustehen, spiegelte sich sowohl in der österreichischen Außenpolitik wie auch im Angesicht von Terrorangriffen auf Israel wider, als sich Österreich endlich nicht mehr einer Terrororganisation gegenüber für neutral erklärte und sich solidarisch mit Israel zeigte.

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