Struktureller Antisemitismus: Spart euch die Entschuldigungen
Der Judenhass ist kein neues Phänomen, doch was in Deutschland dieser Tage passiert, stellt seit dem Zweiten Weltkrieg eine Zeitenwende dar: Antisemitismus ist längst wieder salonfähig geworden. Von den Abscheulichkeiten auf der Documenta bis hin zum Schweigen des Bundeskanzlers zur heuchlerischen Holocaust-Relativierung durch den Terror-Finanzier Mahmud Abbas - das alles sind Zeichen eines strukturellen Israel- und Juden-Hasses, der links-grün ideologisch und staatlich legitimiert ist. (JR)
Olaf Scholz schwieg, als Mahmud Abbas den Holocaust relativierte © JENS SCHLUETER / AFP
Judenhass ist seit antiken Zeiten überliefert. Schon im biblischen Buch Ester, dessen Entstehung auf das dritte Jahrhundert vor Christus angesetzt wird, steht der berühmte Satz eines persischen Ministers, dass Juden potentielle Verräter seien. Gleichfalls im dritten vorchristlichen Jahrhundert soll, wie der Historiograph Josephus Flavius überliefert, der ägyptische Autor Manetho in seiner – im Original verschollenen – Aegyptiaca geschrieben haben, die Hebräer seien “Aussätzige” und “Befleckte”. In einem Dialog des Plutarch im ersten christlichen Jahrhundert wird die Frage erörtert, ob Juden deshalb kein Schweinefleisch essen, weil sie das Schwein anbeten. Im Mittelalter verbreiteten europäische Judenfeinde die Legende, Juden entführten und ermordeten christliche Knaben, um aus ihrem Blut am Pesach-Fest Mazze zu backen. Man war sicher, sie würden Brunnen vergiften und die Pest-Epidemien nur deshalb vergleichsweise glimpflich überstehen, weil sie den Pest-Erreger zum Schaden der Christenheit in die Welt gesetzt und für ihren internen Gebrauch insgeheim ein Gegenmittel entwickelt hatten.
Mythos einer jüdischen Lobby
In der Moderne fokussierte Judenhass vor allem auf den verdächtigen Reichtum vieler Juden und ihren verderblichen Einfluss auf die Regierenden christlicher und muslimischer Länder. Ehe das heute populäre Schlagwort “jüdische Lobby” in Gebrauch kam, glaubte man den Darstellungen eines im neunzehnten Jahrhundert – wahrscheinlich von der russischen Geheimpolizei – in Umlauf gesetzten Elaborats namens “Die Protokolle der Weisen von Zion”, wonach sich ein jüdischer geheimer Rat bei Nacht und Nebel auf dem Judenfriedhof in Prag am Grabe des Shimeon bar Jehuda versammle, um dort Pläne zur Welteroberung und Unterjochung der Menschheit zu schmieden.
“Die Protokolle der Weisen von Zion” sind eins der meist gelesenen Bücher in der islamischen Welt, in muslimischen Ländern wurden und werden Millionen Exemplare davon gedruckt. Wir alle wissen, dass solche Hirngespinste auch unter aufgeklärten Europäern nicht aus der Welt sind, dass sie immer wieder, in leicht abgewandelter Gestalt, in Gerüchten und Gerede auftauchen, heute vor allem im Internet, dass sich diese Art Judenhass überhaupt als unsterblich erweist. Wir Juden haben uns damit abgefunden, dass Judenhass ein ewiges hässliches Nebengeräusch unseres ansonsten immer wieder gesegneten Daseins ist. Mein Freund Ralph Giodano sagte im Gespräch mit mir wenige Jahre vor seinem Tod: “Ich bin heute der Meinung, dass Judenhass, Antisemitismus nicht zu überwinden sind. Es ist ein geistesgeschichtlicher Irrweg, eine Fehlhaltung in der Geistesgeschichte.” Für die sich, wie für manche andere massive Dummheit, immer wieder Propagandisten und begeisterte Anhänger finden.
Judenhass wird salonfähig
Beunruhigt werden Juden jedoch, wenn die irgendwo umhergeisternden judenfeindlichen Ressentiments plötzlich populär und modisch werden und sich ausbreiten in großen Kreisen der Bevölkerung. Wenn antisemitische Beleidigungen und Bedrohungen zur Bagatelle werden, weil sie sich einbürgern als Normalität, als Alltäglichkeit. Und gerade dieser Vorgang ist derzeit in Deutschland zu beobachten. Muslimische Kinder und Jugendliche, in Koranschulen ungehindert dazu aufgehetzt, haben das Wort “Jude” schon seit Jahren erneut zum stärksten Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen gemacht. Wenn muslimische Demonstranten durch deutsche Straßen ziehen, sich vor Synagogen zusammenrotten und skandieren: “Hamas, Hamas, Juden ins Gas”, geschieht nichts. Keiner dieser Aufrufe zum Mord an Juden ist bisher von der deutschen Justiz verfolgt worden, obwohl zahlreiche Polizisten und andere Zeugen anwesend waren, Videoaufzeichnungen existieren, Bilder von Überwachungskameras, man also die Brüller und Mord-Aufrufer ohne allzu große Mühe identifizieren könnte.
Das geht schon seit etlichen Jahren so und musste allmählich die Empfindlichkeit gegenüber offenem Judenhass paralysieren, die sich nach dem Desaster von Shoah und verlorenem Krieg in Deutschland gebildet hatte wie eine schützende Schicht. Ich habe in der Bundesrepublik der Achtziger und Neunziger Jahre niemals offene Judenfeindlichkeit erlebt. Was nicht heißt, dass derlei nicht irgendwo im Verborgenen, in manchen Köpfen, an manchen Stammtischen, in manchen Antifa-Gruppen und Neonazi-Kneipen existierte. Aber es war weitgehend “out”. Es war unmöglich, mit derlei öffentlich hervorzutreten. Wo es doch geschah oder auch nur der Verdacht bestand, wurden die Betreffenden dramatisch abgestraft. Der Präsident des deutschen Bundestages, Philipp Jenninger, musste im November 1988 wegen einer rhetorisch missglückten Rede aus Anlass des 50. Jahrestages der Reichsprogramnacht zurücktreten, obwohl dort kein einziges antisemitisches Wort gefallen war.
Institutioneller Judenhass
Heute kann eine grüne Staatsministerin in der vom deutschen Staat mit Millionen Steuergeldern finanzierten documenta offen nazistische Symbole des Judenhasses zeigen lassen, ohne deshalb zurücktreten zu müssen. Ihr dreistes Verbleiben im Amt ist eine gewollte Beleidigung der Juden in Deutschland und anderswo. Begeistert verbreiten die Mainstream-Medien die Behauptung der documenta-Direktion, die Schau verzeichne trotz – oder gerade wegen – des judenfeindlichen Skandals “Besucherrekorde”. Der Fall musste Israel-Hasser und Antisemiten aller Coleur ermutigen. Und andere Politiker dazu verführen, ebenso lax mit aggressivem Judenhass umzugehen wie sie.
Das ist nun gestern dem Bundeskanzler passiert. Er ließ den senilen, seit 2005 ohne Wahlen im Amt sitzenden Präsidenten der “Palästinenser”-Behörde Mahmud Abbas auf einer Pressekonferenz im deutschen Bundeskanzleramt die Behauptung verbreiten, Israel ermorde unschuldige “Palästinenser” und begehe “Holocausts” im Plural. Auf die Frage eines Journalisten, wie Abbas heute zu dem feigen, hinterhältigen Terror-Anschlag “palästinensischer” Terroristen auf die israelische Mannschaft während der Olympiade 1972 in München stünde, der sich in diesen Tagen zum fünfzigsten Mal jährt, antwortete Abbas: “Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 “palästinensischen” Orten begangen. 50 Massaker, 50 Holocausts.”
Das laute Schweigen des Bundeskanzlers
Darauf reagierte der deutsche Bundeskanzler mit einer schwachen Grimasse wie er sie auch bei der ihm unerfreulichen Rede eines Parteigenossen zeigen würde. “An oberster Stelle im Staat”, empörte sich die Bild-Zeitung, “hört der Kanzler dem “Palästinenser”-Chef Abbas zu, wie er von '50 Holocausts' schwafelt, wie er die israelische Armee gleichsetzt mit den Nazis. Im deutschen Bundeskanzleramt!” So kann es geschehen in einem Land, in dem es offenbar keine richtige Regierung mehr gibt, nur Attrappen. Um dem alten Schwätzer zu widersprechen, hat Scholz zu viel Respekt: Der Reflex, diesen Mann zu achten, sitzt tief bei den Stamokap-Jungsozialisten von einst, für die Israel von Jugend an der “imperialistische Aggressor” war und der “palästinensische” Terror ein “Befreiungskampf”.
Nicht zu reden von den Hunderten Millionen, die Deutschland in Abbas' Behörde investiert hat und weiterhin investiert. Zur Legitimation dieser Zahlungen gehört die Legende vom “Friedensfreund” Abbas als Vertreter der „gemäßigten“ “Palästinenser”, als rechtmäßiger Repräsentant des von Israel unterjochten Volkes. Siebzig bis achtzig Prozent dieser Gelder werden veruntreut, sagen “palästinensische” Kritiker von Abbas' korruptem System aus tribalistischer Vetternwirtschaft, grausamen Geheimdiensten und unablässiger anti-westlicher Propaganda.
Diesen Mann hofieren deutsche Politiker. Sie stehen Habacht und schweigen, wenn er antisemtische Sprüche ablässt. Und dann, wie zum Hohn, die Entschuldigungen. Nachträglich tut es ihnen leid, vor allem, weil es dem ohnehin schwer angeschlagenen Ansehen Deutschlands schadet. Der flaue, bis vorgestern von niemandem bemerkte Pressesprecher, der die Pressekonferenz mit Abbas' grandiosem Finale kommentarlos ausklingen ließ, findet reuige Worte. „Sie können sich vorstellen, dass ich das als einen Fehler sehe, den ich sehr bedauere”, zitieren ihn deutsche Medien. “Es sei eine 'Sekundenentscheidung' gewesen, erklärte er nach mehreren Nachfragen der Journalisten, bei denen er sich mehrmals entschuldigte. Es sei 'eine schlechte Performance des Regierungssprechers' gewesen, sagte er sogar.” Sogar! Das ist das Problem mit “Sekundenentscheidungen”: dass sie schlagartig offenlegen, wie es wirklich um den Mindset des Betreffenden bestellt ist.
Spart euch die Entschuldigungen. Und ihr, deutsche Juden, holt eure Koffer vom Dachboden. Bereitet euch vor auf schlimme Zeiten. Wenn ihr noch jung seid und im Besitz eurer von Gott verliehenen Entscheidungsfreiheit, seht euch um, wohin ihr beizeiten gehen könnt. Ehe es richtig gefährlich wird. Vielleicht Kanada, wohin jetzt schon Zehntausende französische Juden auswandern. Oder Südamerika. Ost-Europa. Oder, wenn ihr mutig seid, Israel. Fangt an zu packen. In Deutschland habt ihr nichts mehr zu hoffen.
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