Putins Argumente und Politikwende in Berlin
Angesichts des Ukrainekrieges wirft Berlin so manche seiner ohne Unterlass propagierten linken und grünen Irrlehren über Bord. Doch wie aufrichtig und machbar sind die großartigen Ankündigungen von Olaf Scholz und den Seinen? Jetzt kommen die Mühen der Ebene – und die haben es in sich.
Wladimir Putin und Olaf Scholz im Kreml am 15. Februar 2022© AFP
Als Reaktion auf die Invasion Russlands in die Ukraine kündigt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Bau von zwei Flüssiggasterminals in Deutschland an. Außerdem solle die Bundeswehr ein einmaliges Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben erhalten. Zukünftig werde Deutschland sogar mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung investieren.
Bereits beim NATO-Gipfel 2002 in Prag wurde das Ziel von Investitionen in die Verteidigung in Höhe von zwei Prozent des BIP vereinbart, beim NATO-Gipfel 2014 in Wales in Anwesenheit des damaligen Bundesaußenministers Steinmeier (SPD) bestätigt. Diese Zusage wurde jedoch von Deutschland nicht eingehalten, denn die SPD lehnte dies kategorisch ab. "Wir haben in Deutschland andere Sorgen als sinnlose Aufrüstung", so Ralf Stegner. Auch der damalige Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, hatte sich im Wahlkampf gegen eine „Aufrüstungsspirale“ ausgesprochen, wie sie Donald Trump propagierte.
Die Ankündigungen des Kanzlers laufen jedoch ins Leere. Ob Flüssiggasterminals jemals gebaut und wann sie fertiggestellt sein werden, kann letztlich dahingestellt bleiben, denn weder verweigern uns etwa die Niederlande das Anlanden und den Weitertransport von Flüssiggas, noch wäre mit dem Bau von Terminals eine strategische Unabhängigkeit Deutschlands gesichert. Die richtige Reaktion wäre der sofortige und beschleunigte Bau von Kernkraftwerken. Speziell der in Deutschland entwickelte Dual Fluid Reaktor, der aus Atommüll sauberen Strom produziert und völlig ungefährlich ist, wäre eine Lösung. Scholz hingegen geht unter dem Beifall der Abgeordneten des Bundestages den Weg des Traumtänzertums weiter. Wobei auch Zwischentöne interessant sind. Robert Habeck wollte eine Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke zumindest nicht ausschließen.
Putin will mehr
Die Lage ist ernst. Sie ist wesentlich ernster, als der deutschen Öffentlichkeit bewusst ist. Aufgrund ihrer geostrategischen Lage war die Ukraine in ihrer Geschichte immer ein Spielball fremder Mächte, die auf deren Boden ihre Einflusssphären absteckten.
Putin geht es nicht nur um die Ukraine, sondern um die Wiederherstellung früherer glanzvoller Zarenzeiten. Dies ist nicht nur für weite Teile der Ukraine gefährlich, sondern auch für die früheren Ostseegouvernements Estland, Livland und Kurland, Kongresspolen, Litauen, Belarus, Moldau und Finnland (als Großfürstentum Finnland). Ob Jever sich Sorgen machen muss, weil es zwischen 1791 und 1818 zu Russland gehörte, kann ich nicht beurteilen, aber vielleicht war die Schließung des dortigen Fliegerhorstes verfrüht. Auch die Amerikaner sollten bedenken, dass Alaska einst als russische Kolonie angesehen wurde.
Es handelt sich dabei nicht um trunkene Träume eines Wahnsinnigen, sondern konkrete Pläne eines atomar bewaffneten Machthabers, der die Umsetzung seiner Pläne wie überhaupt eine Ausweitung seiner Macht – und Einflusssphäre seit Jahren äußerst gezielt betrieben hat.
Russlands Pläne gehen weit über die Ukraine hinaus
Westliche Experten haben die Verantwortlichen davor gewarnt. Wahrheiten jedoch, die man nicht hören will, werden (bestenfalls) ignoriert. Bereits 2002 wurde als Gegenstück zur NATO die „Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit“ (OVKS) gegründet. Mitglieder des von Russland dominierten Bündnisses sind Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Weißrussland. Zwischen dem 06. und dem 10.01. 2022 sind erstmals Kräfte der OVKS in Kasachstan eingesetzt worden. Nach offizieller Lesart sollten Objekte zur Wiederherstellung der Ordnung gesichert werden, die durch eine angebliche ausländische Einmischung bedroht seien. Nur bei einer ausländischen Bedrohung darf die OVKS eingreifen. Der kasachische Präsident Tokajew konstruierte eine solche Einmischung, um Demonstrationen niederzuschlagen und die Strukturen seines Vorgängers und strikten Gegner Russlands, Nursultan Nasarbajew, mit russischer Hilfe zu zerschlagen. Bis zum 11. Januar wurden insgesamt fast 10.000 Menschen im Rahmen der Proteste festgenommen.
Schon vor, spätestens aber mit dem Georgien-Krieg 2008 wurde deutlich, dass Russland durchaus expansive Pläne hatte. Es wurden aber auch Schwächen des russischen Militärs sichtbar, die Putin umgehend beseitigte. Das Handelsblatt berichtete bereits 2014: „Wir haben eine bemerkenswerte Veränderung in der Herangehensweise und den Kapazitäten der russischen Streitkräfte seit dem Georgien-Krieg gesehen“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen vor wenigen Tagen gegenüber Journalisten. Russland sei inzwischen in der Lage, blitzartig aus einem Manöver heraus einen Angriff zu starten.“
Hyperschallrakete nach Königsberg verlegt
Tatsächlich hat Russland für sein weiteres Vorgehen bereits Königsberg (Kaliningrad) mit Iskander-Raketen bewaffnet. Diese auch atomar bestückbaren Raketen haben eine Reichweite von 500 km, nicht nur Berlin ist mühelos erreichbar.
Anfang Februar dieses Jahres verlegte Russland MiG-31K mit der Hyperschallrakete Kinschal unter dem Rumpf nach Königsberg. Diese würden ihr Ziel innerhalb von Minuten erreichen. Da diese Rakete auf einer semiballistischen Flugbahn unterwegs und manövrierfähig ist, bliebe einer Luftabwehr (selbst wenn eine gut funktionierende vorhanden wäre, was in Deutschland nicht der Fall ist) kaum Reaktionszeit. Der schwedische Politiker Carl Bildt, Vizechef der Berliner Denkfabrik European Council of Foreign Relations, geht in einem Twitter-Beitrag davon aus, "die Hälfte" aller verfügbaren Kinschal-Träger sei in die russische Exklave verlegt worden. Diese Rakete kann problemlos London, Paris, Rom oder sogar Ankara erreichen.
Königsberg ist aber nicht nur als Ausgangspunkt der Bedrohung aus der Luft für die NATO-Länder gefährlich, von dort aus kann nämlich die Lufthoheit über die angrenzenden Staaten sowie die Ostsee gesichert werden. Ein Nadelöhr für NATO-Truppenverlegungen ins Baltikum ist der Suwalki-Korridor, der die baltischen Staaten mit Polen verbindet. Dieser kann von Königsberg aus kontrolliert werden, so dass die wenigen im Baltikum anwesenden Truppen (auch deutsche), die bestenfalls die Verzögerung eines Angriffs erreichen können, von jeder Verstärkung abgeschnitten wären.
Dem Machthunger Putins mit Flüssiggasterminals begegnen?
Die polnischen Streitkräfte wollten dem unmittelbaren Schlag nicht in der Tiefe des Landes ausweichen und stellten sich in Ostpolen zum Kampf. Offenbar nicht die richtige Wahl. Bei ihrem hartnäckigen Widerstand wurden die Truppen in der Masse aufgerieben. Das Portal "Interia" schreibt: "Die rücksichtslose Verteidigung Ostpolens führte zur Niederlage der dortigen Einheiten und zu enormen Verlusten. Am fünften Tag des virtuellen Konflikts erreichte der Feind die Weichsel. Am vierten Tag war Warschau umzingelt. Strategische Häfen wurden blockiert oder besetzt. Luftfahrt und Marine hörten trotz der Unterstützung der NATO auf zu existieren. Polnische Einheiten östlich der Weichsel wurden vollständig besiegt." Die Situation sei "noch schlimmer als 1939".
Dem Machthunger Putins mit Flüssiggasterminals begegnen zu wollen, die irgendwann einmal fertig werden (oder auch nicht) und dann entsprechend der herrschenden dekadenten Bullerbü-Mentalität klimaneutralen Wasserstoff aufnehmen könnten, ist eine Luft- und Lachnummer.
Die verhängten Sanktionen ruinieren Russland nicht, wie unsere Außenministerin meint. Sie stören nicht einmal. Auf den Ausschluss aus SWIFT hat sich Russland längst vorbereitet und ein eigenes System SPFS aufgebaut. Zusammen mit dem chinesischen CIP kann Russland den Ausfall von SWIFT verkraften. Auch ansonsten hat Putin seine Pläne von langer Hand vorbereitet:
„Russland hat Devisenreserven in Höhe von 635 Milliarden Dollar, die fünfthöchsten der Welt. Das Land hat vor allem die Goldreserven deutlich ausgebaut und den US-Dollar-Anteil reduziert. Es hat eine Staatsverschuldung von 18 Prozent des BIP, der sechstniedrigste Stand der Welt. Bis zuletzt hatte das Land einen Haushaltsüberschuss, weshalb es nicht von ausländischen Kapitalgebern abhängt. Monatlich fließen rund zehn Milliarden Dollar in den Staatsfonds, dessen Vermögen sich am 1. Mai 2021 auf 185,9 Milliarden US-Dollar belief – gut 12 Prozent des russischen BIP. Kein Wunder, dass der russische Botschafter in Schweden es so zusammenfasste: „Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, aber westliche Sanktionen wären uns scheißegal.“
Putin fürchtet keine wirtschaftlichen Sanktionen, für ihn wurde mit der Weigerung, die Ukraine militärisch zu unterstützen, seitens des Westens grünes Licht für einen Angriffskrieg gegeben. Nur aktive militärische Unterstützung der Ukraine ist für ihn ein Hindernis, nur diese könnte die Aggression eindämmen. Doch kritische Stimmen im Westen, die rechtzeitig vor Gefahren warnten, wurden ignoriert oder gezielt mundtot gemacht.
Nun fährt Putin die nukleare Abschreckung auf, in der Gewissheit, dass sich der Westen vor Angst in die Hose macht. Es fehlt die Generation von Politikern wie Helmut Schmidt, die wissen, dass nur Stärke – und zwar militärische Stärke – zählt.
„Si vis pacem para bellum”. Wer den Frieden will, bereite den Krieg vor. Diese alte Weisheit, heute durch die Spieltheorie bestätigt, wurde vergessen. Die Dividende des Friedens und des Pazifismus ist Krieg. Die Dividende der Stärke, auch und gerade militärischer, mit dem Willen, diese zu nutzen, führt hingegen zu Frieden und zum Schutz der Schwachen. Klingt paradox, ist aber logisch.
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