JR-Interview mit dem Budapester Rabbiner Slomo Köves
Gerade im von der EU verschmähten und angefeindeten Ungarn entfaltet sich jüdisches Leben sicher und angstfreier als in Teilen Westeuropas. Den Import von Antisemitismus durch muslimische Masseneinwanderung wusste Victor Orban erfolgreich zu verhindern. (JR)
Rabbi Slomo Koves (links) mit Gastautor Filip Gaspar
Die ungarischen Parlamentswahlen stehen im April an. Diese sind nicht nur für Ungarn und Europa von großer Bedeutung, sondern natürlich auch für die Juden in Ungarn. Es ist Montagmorgen, als ich mich mit Slomó zu einem Gespräch in seinem Büro in Budapest treffe.
Slomó Köves ist Rabbiner und leitet die Vereinigte Ungarische Jüdische Gemeinde (EMIH), die den Orthodoxen und dem Chabad assoziiert ist. Dieser versteht sich als Alternative zum Dachverband der jüdischen Gemeinden in Mazsihisz. Nach Studienaufenthalten in Israel, Frankreich und den USA ist er seit 2004 Rabbiner von Budapest.
Jüdische Rundschau: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Warst du schon mal in Deutschland?
Slomó Köves: Kurz nach dem Mauerfall. Ich war mit meiner Familie in Berlin. Da war ich zwölf Jahre alt. Dann noch ein paar Mal in Köln. Während meiner Zeit als Rabbinerstudent in den 90er Jahren in Frankreich habe ich den dortigen Rabbiner vertreten. Mein Vater arbeitete auch als Informatiker bei der Lufthansa, also war ich mit ihm ein paar Mal in Frankfurt und München.
Jüdische Rundschau: Sprichst du Deutsch?
Slomó Köves: Leider nein, sonst käme ich vielleicht öfters. Aber ich spreche stattdessen Jiddisch.
Jüdische Rundschau: Sprechen wir gleich den Elefanten im Raum an. Glaubst du, Orbán kritisiert den Juden George Soros oder den einflussreichen Investor George Soros, der zufällig Jude ist?
Slomó Köves: Ok, die Plakate gegen Soros entsprachen definitiv nicht meinem Geschmack, aber ich glaube nicht, dass es klug wäre, immer gleich von Antisemitismus zu sprechen, wenn jemand mit jemandem jüdischer Herkunft in Streit gerät.
Jüdische Rundschau: Wie hat sich die Situation der Juden in Ungarn unter Orbán entwickelt? Die deutschen Mainstream-Medien sprechen oft von einem „grassierenden Antisemitismus in Ungarn“.
Slomó Köves: In den letzten 10-15 Jahren gab es in Ungarn eine riesige Welle der jüdischen Renaissance. Eröffnung neuer Synagogen, jüdische Schulen, jüdischer Tourismus. Das jüdische religiöse und kulturelle Leben in Ungarn blüht. Und dazu hat der ungarische Staat in vielerlei Hinsicht beigetragen. In Bezug auf finanzielle Unterstützung sowie die Verabschiedung von Gesetzen und Rechtspraktiken, die antisemitische Übergriffe in der Öffentlichkeit verringerten. Es gab einige Änderungen im ungarischen Zivil- und Strafgesetzbuch und sogar in der ungarischen Verfassung. Holocaustleugnung ist seit 2010 strafbar. Einige wurden seither verurteilt und all das hat seine Wirkung gezeigt.
Jüdische Rundschau: Ich habe noch nie so viel Hebräisch außerhalb Israels wie in Budapest gehört. Für mich ein Zeichen, dass sich Juden wohl und sicher zu fühlen scheinen in Budapest. Wie kommt das?
Slomó Köves: Ungarn hat heute die sicherste jüdische Gemeinde in Europa. Mit seinen 100.000 Juden auf 2 Millionen Einwohnern hat Budapest nicht nur eine der größten jüdischen Gemeinden Europas, sondern ist tatsächlich eine der jüdischsten Städte außerhalb Israels. Es gibt rund 20 aktive Synagogen in der Stadt, vier jüdische Schulen, zwei jüdische Universitäten, fünf koschere Restaurants und jede Menge jüdische Programme. Und das alles mit einem sehr hohen Sicherheitsgefühl. Laut der Studie der FRA (Europäische Agentur für Grundrechte) aus dem Jahr 2018 ist Ungarn das einzige Land, in dem das Sicherheitsgefühl in den fünf Jahren vor 2018 zugenommen hat. Und seit 2018 hat sich die Situation sogar noch verbessert. In Ungarn gibt es jährlich zwischen 30 und 50 antisemitische Übergriffe, von denen allerdings fast keine körperlichen Übergriffe sind.
Jüdische Rundschau: Sie haben einen Brief an den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben, den wir auch exklusiv abgedruckt haben. In Ihrem Schreiben erwähnen Sie auch den von Ihnen gegründeten Verein, den Europäischen Aktions- und Schutzbund. Wie kam es dazu?
Slomó Köves: Nach 2010 kam die rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Jobbik-Partei in das ungarische Parlament. Wir hatten das Gefühl, dass wir etwas Wesentliches unternehmen mussten, um antisemitischen Hass zu bekämpfen, der durch ihren Einzug in das politische Establishment einen großen Auftrieb und Legitimierung erhielt. Deshalb haben wir 2012 die APL (Action and Protection League) gegründet. Unsere Strategie bestand darin, zunächst zu versuchen, das „Schlachtfeld“ zu verstehen und dann konkrete Vorschläge und Aktionspläne zu initiieren. Wir haben eine jährliche repräsentative Studie über antisemitische Tendenzen in der ungarischen Gesellschaft ins Leben gerufen. Gleichzeitig haben wir mit einer monatlichen Überwachung antisemitischer Übergriffe auf der Grundlage der Richtlinien der OSCE begonnen und haben spezifische Gesetzgebungs-, Bildungs- und Rechtsprogramme entwickelt.
Auf die letzten zehn Jahre rückblickend sehen wir, dass unsere Strategie erfolgreich war. Deswegen haben wir 2019 begonnen, diese auf europäischer Ebene umzusetzen. Wir haben zum ersten Mal überhaupt eine umfassende Antisemitismusstudie durchgeführt und begonnen, antisemitische Übergriffe in Ländern zu beobachten, in denen dies zuvor noch nicht geschehen ist. Leider gibt es noch zu viele solcher Länder.
Wir waren es auch, die die erste umfassende Antisemitismus-Studie in 16 EU-Ländern durchgeführt haben. Mit zusätzlichen Daten des Antisemitismus-Monitoring und aus der FRA-Studie arbeiten wir an einem umfassenden Antisemitismus-Index. Die Daten findest du auf unserer Website: www.apleu.org.
Jüdische Rundschau: Woran arbeitet euer Verband in diesen Tagen sonst noch?
Slomó Köves: Ich gebe dir ein Beispiel: In Zusammenarbeit mit der ungarischen Regierung haben wir ein Programm, bei dem unsere Experten die ungarischen Schulbücher und Lehrpläne durchforsten. Vor allem in den Bereichen Geschichte und Literatur versuchen wir zu sehen, wie Juden, Judentum, Israel und der Holocaust dargestellt werden, um Verbesserungsvorschläge zu machen. In den letzten sieben Jahren haben wir fast 400 konkrete Vorschläge gemacht, von denen etwa Zwei Dritte akzeptiert und umgesetzt wurden. Jetzt arbeiten wir daran, diese Methodik auch in anderen EU-Ländern umzusetzen. Zum Beispiel in Deutschland.
Jüdische Rundschau: In Deutschland muss jede jüdische Einrichtung polizeilich bewacht werden. Wie ist es hier in Budapest?
Slomó Köves: Allein in Budapest gibt es über 20 aktive Synagogen und jüdische Schulen. Es gibt normale Sicherheitsvorkehrungen, aber bei weitem nicht solche wie in Deutschland.
Jüdische Rundschau: In deinem Schreiben erwähnst du die antisemitischen Äußerungen von Márton Gyöngyösi und Péter Márki-Zay. Was erwartest du von deinem Brief?
Slomó Köves: In gewisser Weise sehe ich eine Parallele zwischen der deutschen und der ungarischen Öffentlichkeit. Ich wollte die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit und insbesondere der jüdisch-deutschen Öffentlichkeit auf diese Parallele lenken. Während sich die verschiedenen politischen Bewegungen zur Bekämpfung des Antisemitismus bekennen, werden andere politische Ausbrüche großzügig unter den Teppich gekehrt. In Deutschland zum Beispiel: die wachsende Anti-Israel-Stimmung, die in vielen Fällen Ausdruck eines latenten Antisemitismus ist. Im Zusammenhang mit den deutsch-ungarischen Beziehungen wäre es auch wichtig, von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens konsequent zu erwarten, dass sie sich auch vom Dunst des Antisemitismus distanzieren.
Jüdische Rundschau: In Deutschland liest man über dich, dass deine Gemeinde regierungsnah ist. Was sagst du? Wen wirst du im April wählen?
Slomó Köves: Ich wähle nicht nur alle vier Jahre, sondern jeden Tag. Und zwar den Allmächtigen und eine bessere Zukunft der jüdischen Gemeinde. Ich glaube, dass für einen Rabbiner nur diese Werte entscheidend sein können. Auf der Ebene der alltäglichen und sogar politischen Werte müssen die Interessen des Judentums im Auge behalten werden.
Jüdische Rundschau: Lieber Slomó, vielen Dank für das Interview!
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