„Nie wieder!“ aus israelischer und deutscher Perspektive
Am 20. Januar 1942 kamen in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin 15 NS-Funktionäre zusammen, um Details der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ zu erörtern. 80 Jahre später haben Deutsche und Israelis unterschiedliche Lehren gezogen.
Auschwitz-Birkenau, Aufnahme kurz nach der Befreiung 1945. © WIKIPEDIA
Nie wieder!“ – so lautet die bedeutungsschwere, oft aber zur leeren Worthülse verkommene Parole beim Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus. Auch im Gästebuch der Bildungs- und Gedenkstätte „Haus der Wannseekonferenz“ hat sie ihren festen Platz.
Sie wollten elf Millionen Juden ermorden
An dem idyllischen Ort befasste sich 1942 ein gutes Dutzend hochgebildeter Männer bei einer Arbeitsbesprechung mit der Vernichtung der Juden. Elf Millionen Menschen seien zu ermorden, Männer, Frauen und Kinder. Der Massenmord war bereits in vollem Gange und musste weder beschlossen noch geplant, nur noch präzisiert werden.
Der rangniedrigste Teilnehmer, Obersturmbannführer Adolf Eichmann, fertigte das Protokoll an und schönte darin die Sprache. Jahre später sagte er bei seinem Verhör in Jerusalem aus, dass die Herren bei ihrem Treffen unverblümt die Worte „töten, eliminieren und vernichten“ benutzten. Im Anschluss gab es ein Frühstück.
Ein Ort, der Illusionen raubt
Die Villa am Wannsee ist ein Ort, der Illusionen raubt. Er zeigt, wie das abgrundtief Böse sich hinter Schönheit, Geselligkeit und Doktortiteln verbergen kann. Und er verdeutlicht, dass Kultur, Bildung und Aufklärung allein kein wirksames Mittel gegen Antisemitismus sind.
Deutsche und Israelis ziehen daraus die gleiche Schlussfolgerung: „Nie wieder“. Sie füllen die Worte jedoch mit sehr unterschiedlichem Inhalt. Aya Zarfati, eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte, schrieb ihre Masterarbeit zur Erinnerungskultur und der Bedeutung der Wannsee-Konferenz in der israelischen Gesellschaft. Dazu wertete sie Besucherbefragungen und Einträge im Gästebuch aus.
Für Israelis bedeutet das „Nie wieder“ vor allem, einen wehrhaften Staat zu haben. Die Antworten der Befragten ähneln einander: „Solange der Staat Israel existiert, wird dies nie wieder geschehen“; „Wir werden nie wieder unseren unabhängigen Staat Israel verlieren“; „Nie wieder, solange das jüdische Volk über einen starken Staat und militärische Mittel verfügt“; „Nie wieder – der Staat Israel wurde gegründet“.
Pazifismus um jeden Preis
Diese vorrangige, einleuchtende Bedeutung des „Nie wieder“ kommt im deutschen Gedenken so gut wie gar nicht vor. Denn „Nie wieder“ heißt hierzulande vor allem „Nie wieder Krieg“: Pazifismus um jeden Preis, so erweckt es manchmal den Eindruck, auch auf Kosten des jüdischen Staates. Konsequentes Vorgehen gegen modernen Vernichtungsantisemitismus in Form von Hamas oder Iran ist kein Bestandteil des deutschen „Nie wieder“. Noch immer schreien Hisbollah-Anhänger beim jährlichen Al-Quds-Tag in Berlin ungehindert antisemitische Slogans.
Es bedeutet außerdem „Nie wieder Diskriminierung“, verfeinert zu: „Nie wieder Denken in Gruppenzugehörigkeiten“. Diesem Credo entspricht zum Beispiel eine Abkehr von der Begegnungspädagogik. Sogar vor einem Schüleraustausch mit Israel raten Pädagogen vermehrt ab oder warnen zumindest vor „Differenzkonstruktionen“. Israelische und deutsche Jugendliche würden sich dann nämlich als Vertreter ihrer Nationen begreifen und zwangsläufig als „anders“ wahrnehmen. Das will man vermeiden, um jeden Preis, selbst wenn dabei das vielleicht wirksamste Mittel gegen Antisemitismus geopfert wird.
Eine leere Parole mit Bedeutung füllen
Die Mehrheit der Deutschen glaubt, selbst Opfer des Nationalsozialismus in der Familie gehabt zu haben – oder sogar Menschen, die Juden halfen. Dabei erreicht die tatsächliche Zahl solcher Personen nicht einmal den einstelligen Promillebereich. Vor 35 Jahren, am 29. Januar 1987, starb der letzte Teilnehmer der Wannseekonferenz, SS-Gruppenführer Gerhard Klopfer, in Ulm „nach einem erfüllten Leben“, wie es in seiner Todesanzeige hieß. Mit dem Zusatz: „zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich waren“.
Deutschland könnte derartigem Hohn und den genannten Fehlentwicklungen entgegenwirken, wenn es sich die israelische Lesart des „Nie wieder“ zu eigen machte. Auch der internationale Holocaust-Gedenktag am 27. Januar war eine Gelegenheit, die Worte wieder mit Bedeutung zu füllen.
Sehr geehrte Leser!
Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:
alte Website der Zeitung.
Und hier können Sie:
unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen
in der Druck- oder Onlineform
Werbung