Israel: Im Wilden Süden

Schüsse im Krankenhaus von Be’er Scheva stellen einen neuen Höhepunkt arabischer Bandenkriminalität in der Negev-Wüste dar. Die beduinischen Täter stehlen ihre Waffen nicht selten bei Einbrüchen in Kasernen von der israelischen Armee. Die Regierung sieht sich gezwungen diesem gefährlichen Treiben entschieden gegenzusteuern.

Beduinin zwischen 1898 und 1914 in Jerusalem© WIKIPEDIA

Von Chaim Noll

Arabische Banden-Kriminalität hat auch in Israel neue Höhepunkte erreicht. Nach langer Vernachlässigung des Problems beginnt sich die neue Regierung von Naftali Bennett nun aber ernsthaft darum zu kümmern. Lange hat der israelische Staat den auf seinem Gebiet ansässigen oder nomadisierenden arabischen Stämmen so weit wie möglich ihre Autonomie belassen, beispielsweise ihre eigene Scharia-Gerichtsbarkeit in zivilrechtlichen Angelegenheiten wie Erb-, Familien- und Eherecht. Man hat sie damit auch sich selbst überlassen, ihren Problemen und anachronistischen Strukturen. Inzwischen kollidiert die starre, patriarchalische Ordnung innerhalb der Stämme mit den Intentionen vieler junger Araber, sich nach den Parametern der extrem beweglichen israelischen Mehrheitsgesellschaft zu orientieren. Daraus entstehen neue Konflikte.

Eingegriffen wurde bisher nur in strafrechtlichen Fällen, etwa bei Rauschgift-Delikten, Raub oder Gewalt gegen Menschen wie „Ehrenmorden“. Diese Delikte haben jedoch in den letzten Jahren derart zugenommen, dass eine Revision der bisherigen Politik notwendig geworden ist.

Vor allem im Süden Israels, in der Negev-Wüste, wo bis heute zahlreiche wandernde Beduinenstämme unterwegs sind, nehmen die traditionellen Fehden zwischen den einzelnen Clans erschreckende Ausmaße an. Hinzu kommen blutige Auseinandersetzungen innerhalb der Familien, etwa Gewalt gegenüber Frauen. Die Negev-Wüste ist Israels Landreserve, ein dünn besiedeltes Areal von 13.000 Quadratkilometern, das zwei Drittel des israelischen Staatsgebietes ausmacht und von weniger als fünfzehn Prozent der israelischen Bevölkerung bewohnt wird.

 

Neue Beduinen-Städte

Erbitterte Stammeskriege sind das traditionelle Problem der hier lebenden arabischen Minderheit, einer überwiegend nomadischen Wüsten-Population, die seit Jahrhunderten um Wasser- und Weidestellen, um Familienehre und Blutrache ihre schwer zu beruhigenden Kämpfe ausficht.

Der israelische Staat hat erfolgreich begonnen, die größeren Stämme an festen Orten anzusiedeln, so entstanden florierende Beduinen-Städte und -siedlungen wie Chura, Rahat, Lakyia oder Tel Sheva, in denen es Gymnasien, Einkaufszentren, Sportanlagen und Polikliniken gibt. Es ist gelungen, zehntausende junge Beduinen durch Schulpflicht, Berufsausbildung, College- und Universitätsabschlüsse in die israelische Gesellschaft zu integrieren. Nicht wenige von ihnen, auch Frauen, arbeiten heute als Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer, Ingenieure, High-Tech-Spezialisten oder in der boomenden israelischen Bauwirtschaft. Für Mädchen wurden spezielle Colleges eingerichtet, um ihnen eine ungestörte Berufsausbildung zu ermöglichen. Stark im Anwachsen ist auch die Zahl der jungen Beduinen, die sich freiwillig zum Wehrdienst in der israelischen Armee melden oder, falls ein so weitgehendes Engagement für den Staat auf den Widerstand ihrer Stammesältesten stößt, zu Ersatzdiensten in Krankenhäusern, Sozialeinrichtungen etc.

Dennoch bleibt ein Teil dieser schwer zu überblickenden Bevölkerungsgruppe alten Gewohnheiten treu, zu denen seit Jahrhunderten alle Arten von Schmuggel, Menschenhandel und organisierten Raubzügen gehören. Auch in der Gebietshauptstadt der Negev-Wüste, Be‘er Scheva, einer durch rasantes Wachstum gezeichneten, aus dem Wüstensand wachsenden Hightech-Metropole, deren Bevölkerung sich innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte verdreifacht hat (von rund 70.000 auf etwa 220.000 Einwohner), brechen in letzter Zeit immer wieder Schießereien und Bandenkämpfe aus, die eine Politik des Wegschauens durch Polizei und munizipale Behörden in Zukunft unmöglich machen.

So kam es in der Nacht vom 14. zum 15. November zwischen Angehörigen der Großfamilien Talalka und Alexasi zu einem gewalttätigen Zusammenstoß ausgerechnet auf dem Gelände der Universitätsklinik, dem Soroka Medical Center, unweit vom Gebäude der Stadtverwaltung. Schüsse aus automatischen Waffen waren zu hören, mehrere Menschen wurden durch Messerstiche und Steinwürfe verletzt und in die Notaufnahme des Krankenhauses eingeliefert. Die israelische Polizei brauchte eine Stunde, um die Lage zu beruhigen, die tobende Menge zu zerstreuen und 19 Personen wegen Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes zu verhaften.

Der Vize-Bürgermeister von Be‘er Scheva, Shimon Tuval, erklärte am Morgen darauf der Tageszeitung „Jerusalem Post“ (15.11.2021): „Was sich hier abspielt, ist Wahnsinn. Wir sind im Begriff, Be‘er Scheva zu verlieren, und werden, wenn es so weitergeht, das ganze Land verlieren. Schüsse im Krankenhaus – das ist eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf.“ Deutlicher an die Adresse der politischen Klasse in Jerusalem wurde Pini Badash, langjähriger Bürgermeister von Omer, einem wohlhabenden Villen-Vorort von Be‘er Scheva, der seit Jahren unter beduinischen Raub- und Diebstahlsdelikten zu leiden hat: „Schüsse im Krankenhaus – das muss der Höhepunkt gewesen sein. Wir leiden unter einem Mangel an staatlicher Präsenz und Regierung im Negev. Darüber müssen wir schnellstens hinwegkommen.“

 

Beduinen brechen in israelische Kasernen der Negev-Wüste ein, um Waffen zu stehlen

Die Waffenbestände der Banden stammen überwiegend aus Einbrüchen in den zahlreichen über die Negev-Wüste verstreuten Armee-Basen. Seit Jahren ist es offenes Geheimnis, dass junge Beduinen immer wieder Wege finden, in militärische Objekte einzudringen und Pistolen, Maschinengewehre und Munition zu stehlen. Die israelische Armee hat daher am 15.11.2021 ihre „Regeln für den Waffengebrauch“ (rules of engagement) geändert. Von nun an ist es den Soldaten erlaubt, mit scharfer Munition auf vermutliche Diebe und Schmuggler zu schießen, nicht mehr nur, wie bisher, in Fällen von Notwehr oder Verteidigung von Menschenleben.

Unter den neuen Regulierungen, berichtete die Zeitung „Times of Israel“ am 15.11.2021, sollen die Truppen in Fällen von Waffendiebstahl gezielt und „tödlich“ schießen („use deadly fire“), auch bei versuchtem Eindringen in Armee-Basen, Stützpunkte, Schießstände und Waffenschmuggel an der Grenze zum ägyptischen Sinai. Auf diese Weise hofft die Militärführung einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der gefährlich anwachsenden Banden-Kriminalität zu leisten. Glücklich ist niemand angesichts dieser Maßnahme, die das Potenzial zu weiterem Blutvergießen enthält, andererseits kann die zunehmende Bewaffnung der Clan-Kriminellen nicht untätig hingenommen werden. Die arabische Bevölkerung in Israel (insgesamt etwa 1,2 Millionen Menschen) weist bereits jetzt eine ungewöhnlich hohe Todesrate durch Gewalttaten auf, überwiegend durch Kämpfe rivalisierender Familien und organisiertes Verbrechen.

Zugleich sichert ein neues Förderprogramm der Regierung den integrationswilligen arabischen Gemeinden stärkere finanzielle Unterstützung zu, vor allem den stärkeren Ausbau der Infrastruktur wie Straßen, Buslinien, Elektrizitätsnetz und Anschluss ans staatliche Wassersystem mekorot. Mit dieser Kombination von rigider Kriminalitätsbekämpfung und gleichzeitiger Ermutigung zur Bildung moderner Strukturen hofft die Regierung, eine nachhaltige Integration der arabischen Minderheit in die israelische Gesellschaft zu sichern.

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