Die Krieger der Hamas sind in den Medien unsichtbar

Auffällig, aber kaum debattiert: Die Terroristen der Hamas sind 2021 im deutschen und österreichischen Fernsehen ebenso unsichtbar wie jene der Hisbollah im Krieg von 2006. Auf moslemischer Seite zeigen unsere Medien fast nur Zivilisten und zerstörte Häuser.

Sehr oft sieht man in den Medien vom Krieg betroffene Zivilisten in Gaza - die mörderischen Terroristen der Hamas kommen medial hingegen kaum vor.© AFP

Von Ben Segenreich (Mena Watch)

Die Situation ist ja wirklich kompliziert. Da ist es schon hilfreich, wenn man einfache, intellektuell und emotionell leicht fassliche Zahlen und Erklärungen geliefert bekommt. Im Ö1-Mittagsjournal am 18. Mai etwa wurde ein (in Kairo produzierter) Bericht über Gaza mit der Information anmoderiert: „Im Gazastreifen ist die Zahl der Todesopfer um das Zwanzigfache höher“ (als in Israel). Rums, auf den Punkt gebracht!

Das stimmt ja auch, und was soll der arme Moderator in der Kürze auch sonst sagen? Aber fehlt da nicht etwas? Richtig: der Kontext. Den würde man in dem von meinem Kollegen Karim El-Gawhary gestalteten Bericht erwarten, der auf die Moderation folgt. Allein, man wartet vergeblich.

Tränen des Mitleids und des Zorns schießen mir in die Augen, als ich die Stimmen in diesem Bericht höre. Ein Mann hat seine Frau, seine Tochter und drei Enkel verloren. Ein anderer hat seine Wohnung und seine Ersparnisse verloren. Mein Zorn richtet sich gegen diejenigen, die ihnen das angetan haben. „Es gibt in ganz Gasa keinen sicheren Ort, es gibt keinen Ort, der nicht bombardiert wird“, hört man dann von einem der Männer im übersetzten Originalton. „Warum bombardiert ihr nicht die Verwaltungsgebäude der Hamas?“

Wirklich jetzt? In ihrem Schmerz dürfen diese Männer sagen, was sie wollen. Aber das bleibt in dem Beitrag dann einfach so stehen, unerklärt, nicht hinterfragt, nicht relativiert. Ohne Kontext eben.

 

Wo war die Hisbollah?

Aber so läuft es ja nicht nur bei Karim El-Gawhary, so läuft es praktisch in allen Berichten, die aus dem Gazastreifen kommen. Das Fehlen des Kontexts auf der einen Seite der Front ist in die Situation gewissermaßen eingebaut.

Ähnlich und besonders krass war das etwa im Libanonkrieg im Sommer 2006. Als Fernseh-, Radio- und Zeitungskorrespondent berichtete ich damals aus Nordisrael von der Not Hunderttausender Israelis unter dem Raketenfeuer der Hisbollah, von den Toten und Verletzten, von den Einschlägen und Zerstörungen.

Aber die Stimmen und Bilder, die ich aus meinem „Revier“ übermitteln konnte, wirkten beinahe lächerlich im Vergleich mit dem viel größeren menschlichen Leid und den viel schlimmeren Zerstörungen auf der libanesischen Seite. Es war selbstverständlich die Aufgabe meiner drüben stationierten Kolleginnen und Kollegen – ich glaube, Karim war damals darunter -, die Bilder und Stimmen von dort mit all ihrer Wucht und Tragik in die Welt zu schicken.

Aber bei diesen Bildern und Stimmen fehlte etwas Wichtiges, ohne dass es jemandem aufzufallen schien: die Hisbollah! Aus dem Libanon kamen Tonnen von Bildern von weinenden Kindern, schreienden Frauen, verzweifelten Greisen, Zivilisten auf Tragbahren, panischem Krankenhauspersonal, Trümmerhaufen. Aber da musste doch noch etwas sein! Die Raketen, die aus dieser Richtung kamen, waren doch real. Jemand musste doch die Raketenwerfer bewegen, die Raketen abfeuern, die Kommandozentralen bevölkern.

 

Keine Waffen, keine Kämpfer

Nix da. Kein Bild von einer Waffe, kein Bild von einem „Kämpfer“, weder stehend, noch verletzt oder tot auf einer Bahre liegend, obwohl nach Schätzungen 500 bis 700 Hisbollah-Männer getötet wurden. Und natürlich keine Raketenstellung, womöglich in der Nähe einer Schule, eines Krankenhauses, einer Moschee oder einer UN-Einrichtung. Die Hisbollah war unsichtbar.

Von der israelischen Seite kamen indessen über Wochen Tonnen von „militärischen“ Bildern – startende Flugzeuge, ratternde Panzer, donnernde Kanonen. Welche Vorstellung hat sich also dem weltweiten Medienpublikum eingeprägt? Die israelische Militärmaschine geht völlig grundlos auf elende, wehrlose Zivilisten los.

Die fehlenden Bilder der Hisbollah-Terroristen konnte ich natürlich nicht liefern, denn ich war auf der israelischen Seite. Sie hätten nur von den Kolleginnen und Kollegen auf der libanesischen Seite kommen können, als Kontext zu den Bildern von Tod und Zerstörung. Und das ist natürlich eine Illusion. Die Hisbollah lässt nur zeigen, was sie zeigen will.

 

Wo ist die Hamas?

Das gleiche Muster erkennen wir im Gazastreifen. Die zehn oder zwölf Toten in Israel, die paar Löcher in ein paar israelischen Häusern – es ist ein Klacks, verglichen mit der Katastrophe, die in den Berichten aus Gaza abgebildet wird.

Aber halt! Besteht nicht zumindest ein begründeter Verdacht, dass die Hamas ihre Raketenwerfer, Tunnelanlagen, Raketenfabriken, Raketenlager, Munitionslager, Kommandoposten, Kommunikationszentralen in oder bei Wohnhäusern, Medienhäusern, Schulen, Krankenhäusern, Moscheen untergebracht hat? Parallel zur Information über die Zerstörungen im Gasastreifen hätte das Publikum auch ein Recht auf die Information, wo denn nun eigentlich wirklich die Hamas sich so herumtreibt. Irgendwo muss sie ja sein, denn sie manifestiert sich ja durch bisher 3.500 Raketen.

Und es wäre ja denkbar, dass die Platzierung der Hamas-Einrichtungen etwas mit den Kollateralschaden für Zivilisten zu tun hat. Aber wieder nix. Keine Bilder von Hamas-„Kämpfern“, weder lebendig noch tot. Auch die Hamas ist unsichtbar.

Klar, denn es gelten die gleichen Regeln wie bei der Hisbollah: eine Terrordiktatur lässt nur jene Bilder zu, die ihr nützen. Die Kolleginnen und Kollegen in dieser Zone nehmen das hin, schon allein deswegen, weil es gefährlich wäre, es nicht hinzunehmen. Und weil man es schon so gewohnt ist, kommt die Hamas im Radio-Bericht von Karim halt auch nicht so wirklich vor.

 

Zahlen ohne Zusammenhang

Unsichtbar bleiben die Hamas und der Kontext auch in den Zahlen der Toten. Es ist charakteristisch, dass der Moderator des eingangs erwähnten Ö1-Berichts undifferenziert von „Todesopfern“ spricht – das heißt, er wirft in seinen Zahlen Opfer und Täter durcheinander.

Hamas-Leute sind in dieser Tragödie nun einmal keine „Opfer“, sondern Urheber oder Komplizen von Kriegsverbrechen. Und die „um das Zwanzigfache höhere“ Zahl der Toten im Gasastreifen ist natürlich eine schreckliche Vereinfachung. Etwa zeitgleich mit dem Radiobericht publizierte orf.at einen Text, der den Satz enthielt: „Das Gesundheitsministerium in Gaza bezifferte die Zahl der Getöteten seit Beginn der Eskalation vor knapp zwei Wochen auf 212“.

Abgesehen davon, dass die wirkliche Zahl höher liegen dürfte, weil die Hamas die Zahl ihrer getöteten „Kämpfer“ verschleiert, hat so eine Angabe fast keinen Aussagewert, wenn der Kontext nicht mitgeliefert wird.

Wie viele von diesen Toten sind Hamas-Leute? Wie viele wurden von Hamas-Raketen getötet? Wie viele wurden durch eine etwaige Explosion eines Hamas-Munitionslagers getötet? Wie viele sind Zivilisten, die getötet wurden, weil die Hamas in ihrer Nähe Einrichtungen platziert oder Angriffsaktionen gestartet hat?

Der Kontext wird immer wieder weggelassen, bewusst oder unbewusst, aus Angst oder Gleichgültigkeit oder, im schlimmsten Fall, aus Überzeugung.

 

Update der Redaktion

Dieser Text wurde verfasst, kurz bevor in der ZIB2 vom 19. Mai ein von Karim El-Gawhary gestalteter Fernsehbericht über den Gazastreifen gesendet wurde – der die Aussage dieses Texts bestätigt. Die Unausgewogenheit besteht darin, dass nur die Hälfte des Gazastreifens gezeigt wird: die Hamas bleibt unsichtbar, die Bilder werden nicht journalistisch eingeordnet.

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