Der heuchlerische Ruf der US-Democrats nach Versöhnung ist zutiefst verlogen

Prominente Democrats rufen zwecks Rache und Repressalien dazu auf Listen von Trump-Unterstützern anzulegen. Bei diesen Hass-Aktionen muss sich Joe Biden die Hände nicht einmal selbst schmutzig machen. Es gibt genügend junge Kräfte in seiner sogenannten Demokratischen Partei, die ihm diese schäbige Arbeit abnehmen.

Alexandria Ocasio-Cortez will Listen von Republikanern anlegen.© SAUL LOEB, AFP

Von Alexander Wendt

Darüber, dass vier Jahre lang der Clown im Weißen Haus regierte, herrscht in praktisch allen Qualitätsmedien Einigkeit. Auch darüber, dass mit dem Clown die Tränen gehen, spätestens im Januar 2021, wenn unter Joe Biden, sobald die letzten Stimmen ausgezählt und nachgezählt sind, eine Ära der Versöhnung und des Heilens anbricht.

„Er wird nicht die eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere aufhetzen“, findet ein Autor der FAZ stellvertretend für viele Kommentatoren, „nicht einer Hälfte der Bürger per se gute Absichten absprechen.“

Das muss Joseph Robinette Biden Jr. auch nicht unbedingt persönlich tun. Es gibt genügend junge und frische Kräfte in seiner Demokratischen Partei und ihrem Anhang, die zum Zweck der Heilung schon einmal einen neuen Begriff schöpften, der die Richtung vorgibt: den des „Trump enabler“, des Trump-Ermöglichers. Das beantwortet auch gleich die Frage, wie ein Präsident Donald Trump überhaupt möglich war: Weil ihn 2016 so viele Amerikaner mit falschem Bewusstsein wählten und ihn auch danach unterstützten. Diesen Leuten muss nach Ansicht der demokratischen Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez künftig eine erhöhte Aufmerksamkeit gelten.

Auf Twitter fragte sie:

„Archiviert jemand diese Trump-Anhänger, da sie ihre Komplizenschaft in Zukunft herunterspielen oder leugnen? Ich sehe für die Zukunft eine ziemliche Wahrscheinlichkeit für viele gelöschte Tweets, Schriften, Fotos.“

(„Is anyone archiving these Trump syncophants for when they try to downplay or deny therir complicity in the future? I forsee decent probability of many deleted Tweets, writings, photos in the future.“)

Worauf ihr jemand antwortete (und auch gleich die Adresse für sachdienliche Hinweise einfügte):

„Ja, das tun wir. Das Trump-Verantwortlichkeitsprojekt (@trumpaccproject).

Jeder Mitarbeiter der (Trump)-Administration, Wahlhelfer, Bündler, Anwalt, der sie vertrat – alle.“

Ein Antifa-Leader namens Adam Rahuba geht noch etwas weiter: Er kündigte ein interaktives Kartenprojekt an, in dem jeder sehen kann, ob sein Nachbar für die Trump-Kampagne etwas spendete.

Darin ermuntert er jeden Nutzer der Karte, Spender „aggressiv, aber gewaltlos zu konfrontieren“, fügt allerdings einschränkend hinzu: „No safety for fascist enablers.“

Bei Rahuba handelt es sich um einen 38-Jährigen aus Pittsburg, der sich nach Recherchen der „Washington Post“ selbst als „Antifa“ und „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet. Seine Spezialität besteht darin, mit Falschnachrichten im Netz (etwa über eine Flaggenverbrennung in Gettysburg) Trump-Anhänger zu triggern, sie zu möglichst spektakulären Gegenaktionen zu provozieren und ganz generell die politischen Auseinandersetzungen im Land noch ein wenig anzustacheln.

 

Linke Menschenverachtung

Der Begriff „Trump enablers“ erspart vielen im Lager der Liberals praktischerweise die Frage, ob nicht vor allem ihre ziemlich offene Verachtung für das Häuflein der Bedauernswerten, „the basket of deplorables“ (Hillary Clinton) Trumps Sieg 2016 erst möglich gemacht hatte.

Rahuba mag ein Troll sein. Bemerkenswerterweise klingt er trotzdem nicht sehr viel anders als Ocasio-Cortez und andere Profipolitiker der Demokraten. Die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar bezeichnete Trump in einem Tweet als den „korruptesten, gefährlichsten Präsidenten in der modernen Geschichte”, und skizzierte gleichzeitig, worin sie jetzt die Aufgabe ihrer Partei sieht:

„Wir haben die Gelegenheit, die fortschrittlichste Agenda umzusetzen, die unser Land je gesehen hat.” Omars Aufforderung, in das neue Kabinett nur Leute zu berufen, „die kein Blut an den Händen haben”, wirkt so, als wäre in den USA gerade ein Diktator gestürzt worden, und höchstwahrscheinlich sieht sie das auch so.

Gewiss, Biden wird, falls nicht noch Gerichtsurteile zum Wahlablauf dazwischenkommen, im Januar als Präsident vereidigt, Omar, Ocasio-Cortez und andere Parteimitglieder sitzen mit deutlich weniger Macht im Kongress. Allerdings braucht Biden auch den Kongress, da er sich weder auf den Senat noch auf das Oberste Gericht stützen kann. Wobei: Ocasio-Cortez schlug schon vor, die Mitgliederzahl im Obersten Gericht einfach zu erhöhen, um die Wahl der ihr nicht genehmen Amy Coney Barrett zu neutralisieren.

Der Heils- und Versöhnungsplan des wohlmeinenden Lagers umfasst also viele Punkte, von der Einrichtung des Trump-Unterstützerregisters bis zur Neujustierung des Verfassungsgefüges. Wer sich daran stört, für den dürfte es demnächst analog zum „Trump enabler“ das Etikett des Fortschrittverhinderers geben, oder noch einfacher: des Spalters.

In seiner Rede zur Nominierung am 21. August 2020 griff Biden selbst zu dem Bild des Retters aus der Finsternis: „Wenn Sie mich mit der Präsidentschaft betrauen, werde ich auf das Beste von uns zurückgreifen, nicht auf das Schlechteste. Ich werde ein Verbündeter des Lichts, nicht der Dunkelheit sein.“

Vermutlich ergibt sich künftig eine gewisse Aufgabenteilung: Versöhnungsaufrufe von Biden, „Trump enabler“-Bekämpfungspläne von den Progressisten, die jetzt auf ihre politische Dividende pochen.

Nun verfügen die Vereinigten Staaten über robuste Institutionen, die in den letzten 150 Jahren alles in allem deutlich besser funktionierten als in einem Land, in dem Trump medial wahlweise als weltverschlingender Komet oder als Nationalsozialist mit erhobenem Grußarm dargestellt wurde (letzteres in einem Magazin, das nach dem Krieg von dem Mitglied einer SS-Propagandaeinheit wiedergegründet worden war).

 

„Trump-Amerika ist immer noch lebendig!“

Bisher zeigte sich ein sehr großer Teil der Amerikaner sowohl resistent gegen große Gesellschaftsumbaupläne aller Art als auch gegen mögliche Versuche, Verfassungsinstitutionen wie den Obersten Gerichtshof auszuhebeln, oder die exekutive Macht vom Präsidenten- zum Vizepräsidentenamt zu verschieben. Deshalb kann es passieren, dass diejenigen, die jetzt eine noch nie dagewesene progressive Agenda durchsetzen wollen, Millionen Landsleute für genau dieses Beharrungsvermögen anklagen.

Ihre Vorstellung von Heilung läuft darauf hinaus, dass die „Trump enabler“ umkehren sollen und alle Konsequenzen verantworten, falls sie es nicht tun. Diese Doktrin gilt in der gesamten westlichen Linken, nicht nur in den USA. „Trump war kein Zufall“, schreibt Michael Goldfarb im „Guardian“. „Und das Amerika, das ihn erschaffen hat, ist immer noch lebendig.“ Immer noch – da schwingt die Hoffnung mit, das könnte sich noch ändern.

 

Pakistanischstämmiger Journalist will Ausgrenzung

In Deutschland notierte der „Spiegel“ gerade in seiner Hausmitteilung, in den vergangenen Wochen sei es „um den Fortbestand der amerikanischen Demokratie gegangen” (gut, vor vier Jahren ging es noch um den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen , siehe Trumpkomet). Der frühere „Spiegel“-Mitarbeiter und Twitter-Journalist Hasnain Kazim entwickelt schon einmal eigene Heilungs- und Versöhnungspläne, falls es die Fachkräfte in den USA nicht allein schaffen sollten:

„Richtig ist aber auch: In den USA gibt es mindestens 70 Millionen Rassisten, Sexisten, Menschenverachter beziehungsweise Leute, die Rassismus, Sexismus, Menschenverachtung den Weg ebnen, in Ordnung oder egal finden oder zumindest in Kauf nehmen. Mit Letzteren kann man reden, Dialog führen, sie vielleicht zurückgewinnen, Erstere kann man nur sozial ächten und gesellschaftlich ausgrenzen.“

Von Napoleon Bonaparte ist der Satz überliefert, er scheiße auf das Leben von einer Million Männer. Aber 70 Millionen Feindpersonen, das oszilliert irgendwo in dem weiten Feld zwischen Stalin und Dschinghis Khan. Zum großen Glück für die USA und die Menschheit erreicht Kazim nicht ganz das Format der beiden und auch nicht das von Hägar dem Schrecklichen. Aber trotzdem oder gerade darum: Einen besseren Dialogführer und Rückgewinnler als Kazim findet man vermutlich nirgends. Das demonstrierte er schon 2017, in diesem Fall, weil eine Wahl – die Bundestagswahl – nicht ganz nach seinen Vorstellungen verlaufen war, wofür er die Schuld vor allem bei einer Bevölkerungsgruppe ausmachte. Zwar keine 70 Millionen deplorables, aber immerhin:

„Höre, ich solle Ostdeutsche ‚ernst nehmen‘. Ihr kamt 1990 mit nem Trabbi angeknattert und wählt heute AfD - wie soll ich euch ernst nehmen?“

Über politische Unterschiede lässt sich verhandeln und ein Ausgleich finden, auch eine Versöhnung, falls die Unterschiede schroff waren. Eine kulturelle Verachtung lässt sich nicht per Dialog mit den Verachteten heilen. Höchstens durch eine Verhaltenstherapie für die Verächter, was dort allerdings eine Problemeinsicht voraussetzen würde.

An Kazims Tweet über die Ostdeutschen zeigt sich idealtypisch, dass die Linken von der Ostküste bis zu den deutschen Metropolen vor allem eine kulturelle Verachtung für alle kultivieren, die nicht zu ihrem Milieu zählen. Das Politische kommt erst danach und leitet sich daraus ab, nicht umgekehrt.

Aus der Verachtung der einen ergibt sich zwanglos auch die eigene Selbstwertschätzung. So, wie sich Alexandria Ocasio-Cortez für eine brillante Politikerin hält und nicht etwa für einen Wählerschreck, glaubt Hasnain Kazim vermutlich an seine Strahlkraft weit über sein Milieu hinaus. Jedenfalls ist er sich sicher, auf der hellen Seite der Macht zu stehen.

Sollte er irgendwann zum Kommandeur eines Umerziehungslagers für Falschmeiner werden, bestünde seine erste Amtshandlung wahrscheinlich darin, über dem Eingang das Schild anzubringen:

„Dialogzentrum Weiße Rose.“

 

Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden