Der Autokrat von Minsk bittet zur Wahl

Weitaus weniger Kritik aus Westeuropa als der demokratische Staat Israel muss die europäische Diktatur Weißrussland ertragen. Selbst der um Schelte am jüdischen Staat nie verlegene Bundespräsident Steinmeier fand bei seinem letzten Besuch keine Worte der Kritik an Lukaschenkos autoritärer Führung des osteuropäischen Staates.

Protest gegen Lukaschenko am 14. Juli 2020 in Minsk 
© Sergei GAPON , AFP

Von Anastasia Iosseliani

Geehrte Leser und Leserinnen!

Heute nehme ich Sie mit auf eine Reise in ein Land östlich des Flusses Bug, das nur eine Flugstunde entfernt von Berlin liegt, eingeklemmt zwischen Russland und Polen, und nur selten in den Medien ist. Dabei ist Weißrussland – das ist das Land, wohin uns die Reise führt – die letzte Diktatur Europas. Dessen «Kolchose-Diktator» Lukaschenko schämt sich nicht, als der letzte Despot Europas und Schosshund Putins zu gelten. Sein Staat ist auch der letzte in Europa, in dem noch immer die Todesstrafe vollstreckt wird.

Seit 1994, also seit über 25 Jahren, wird dieses Land von einem Mann regiert: Alexander Lukaschenko. Der Kolchose-Diktator macht keinen guten Job, und kann sich nur durch Unterdrückung an der Macht halten. Eine freie Presse gibt es nicht, oppositionelle Medien berichten aus dem polnischen oder ukrainischen Exil, seine bizarre Wirtschaftspolitik führt dazu, dass jährlich 10.000 Weißrussen nach Polen gehen, um sich dort als Gastarbeiter zu verdingen. Wobei die Bezeichnung «Gastarbeiter» irreführend ist, denn es handelt sich hierbei oft um junge, gut ausgebildete Menschen, die in der IT-Branche oder im Gesundheitswesen arbeiten.

Nur die Inkompetenz Lukaschenkos im Zuge der Covid-19-Pandemie, und dass der Kolchose-Diktator mal wieder zu einer Wahl aufruft, die weder frei noch fair ist, und bei der schon jetzt der Sieger feststeht, führen dazu, dass ausnahmsweise in den «westlichen Medien» über ihn berichtet wird: Kürzlich empfahl er den Konsum von Wodka und Knoblauch gegen das Covid-19-Virus.

Mich erinnern diese nutzlosen und gefährlichen Ratschläge an eine Grippeepidemie, die Minsk, die Hauptstadt von Weißrussland, vor einiger Zeit heimgesucht hat. Weil in der Diktatur Misswirtschaft herrscht, haben die Behörden in Minsk vor der Grippeepidemie weder genug Impfstoff noch andere Medikamente beschafft. In ihrer Verzweiflung, und um nicht noch inkompetenter auszusehen, beschlossen sie, ein Gesetz einzuführen, wonach alle Kindergarten-Kinder, Schüler, Studenten und städtische Angestellte mit einer Kette aus Knoblauch und Zwiebeln erscheinen müssten, weil im Volksglauben Knoblauch und Zwiebeln als Mittel gegen verschiedene Krankheiten und übernatürliche Phänomene verwendet werden. Deshalb wurden dann Menschen, die ohne diese bizarren Gemüse-Ketten in staatlichen Einrichtungen erschienen, wieder nach Hause geschickt.

Dies nahm die Nachrichtenseite «Charter 97» zum Anlass, in einem ihrer Artikel süffisant zu fragen, ob Minsk von einer Vampirplage heimgesucht worden sei. Denn natürlich helfen weder Knoblauch noch Zwiebeln um den Hals getragen gegen Viren und Bakterien.

Aber wie bei so vielen Dingen stank auch hier der Fisch vom Kopf her und wie die jetzige Pandemiebekämpfungsstrategie des Diktators zeigt, haben die Minsker Behörden damals nur Befehle ihres Herrschers umgesetzt. Lukaschenko versteht sich vor allem gut darauf, sich maximal Russland anzubiedern und dabei zu hoffen, dass Weißrussland unter seiner Herrschaft nicht von Russland einverleibt, er abgesetzt wird und wieder auf seiner Kolchose Traktor fahren muss.

Weißrussland hat er in das Klischee einer Diktatur im post-sowjetischen Raum verwandelt, inklusive KGB. Es ist die einzige souveräne Nation, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den KGB als Geheimdienst beibehalten hat. Die andere Entität, die das ebenfalls getan hat, ist der Kreml-Proxy «Süd-Ossetien», die russisch okkupierte Zchinvali-Region in Georgien.

Was die Wahl-Posse in Weißrussland angeht: Es sind dieser Tage schon über 250 Menschen im Lande verhaftet worden. Und was tut die freie Welt? Was machen zivilisierte Staaten? Gibt es Demonstrationen und Aufrufe zu Boykotten gegen die Herrschaft des Kolchose-Diktators und seines Reiches aus Birkensaft, Traktoren und Kartoffelstärke? Nichts da! Potentielle Sanktionen wurden zwar von Politikern wie Josep Borell ins Spiel gebracht, aber geschehen ist bisher nichts, und so kann sich Lukaschenko zurücklehnen und eine weitere Amtszeit genießen, in der er das Volk schikanieren und seiner Würde berauben kann. All das, während man in den westlichen Staaten die Augen verschließt und die Hände in den Schoß legt angesichts dessen, was in Weißrussland passiert.

 

Westeuropa interessiert sich nicht für Weißrussland

Die Gleichgültigkeit gegenüber dem, was östlich des Bugs passiert, sind nicht neu für mich und andere aus dieser Ecke. Wie ich schon in früheren Beiträgen erinnert habe, schrieb Noe Jordania, der erste demokratisch gewählte Premierminister Georgiens, einst über Europa:

«Die europäische Gesellschaft ist müde, sie fühlt nicht mit dem Schmerz der anderen, sie erkennt den Schmerz der anderen nicht mal, und sie kümmert sich nur um eine Sache: unter ihresgleichen zu sein, friedlich, ohne Sorgen.»

Die Schrecken durch die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts haben die Europäer offenbar nicht eines Besseren belehrt. Stattdessen kuscht man in Europa ohne Not vor Autokraten und despotischen Regimen wie dem Regime von Lukaschenko, den man eigentlich ohne große Anstrengungen oder Risiken sanktionieren könnte, so dass er am Ende das tun müsste, was Janukowitsch und Schewardnadse vor ihm getan haben. Somit verhindert man durch Gleichgültigkeit echten Fortschritt. Schlimmer noch: Überall dort, wo die Zivilisation zurückweicht, gedeiht Regression, und somit fördert man mit dieser Politik des Laissez-faire und Laissez-aller einen Abbau zivilisatorischer Errungenschaften wie Menschen- und Bürgerrechten.

Im Endeffekt profitiert nur eine Gruppe von diesem Desaster: Nämlich die der Despoten und Autokraten wie zum Beispiel Erdogan, der Teekessel-Diktator vom Bosporus, oder eben Lukaschenko, der Kolchose-Diktator, der im Gegensatz zu Erdogan nichts in der Hand hat, womit er die zivilisierte Welt erpressen könnte. Trotzdem kann er den starken Mann mimen und eine solche Posse veranstalten, die, wenn die ganze Situation nicht so tragisch wäre, zum Lachen wäre. Alles in allem gleicht die Politik der zivilisierten Welt gegenüber dem post-sowjetischen Raum deshalb einer Tragik-Komödie aus dem Jiddischen Theater aus der Zeit der letzten Jahrhundertwende.

Währenddessen kühlen vermeintliche Menschenrechtsaktivisten und andere ihr Mütchen am Juden unter den Staaten, Israel, und das Feuilleton scheut sich nicht, den demokratisch gewählten Premierminister Israels, Benjamin Netanjahu, mit antisemitischen Stereotypen wie «Der Ewige Bibi» zu betiteln. Gleichzeitig werden tatsächliche Autokraten und Despoten wie zum Beispiel Alexander Lukaschenko meistens in Ruhe gelassen. Das sieht man auch daran, wer von deutschen Offiziellen kritisiert wird und wer nicht. Man stelle sich nur vor, was passiert wäre, hätte Benjamin Netanjahu, oder der israelische Präsident Reuven Rivlin empfohlen, im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie Arak zu trinken. Oder man rufe sich Steinmeiers Besuch zur Einweihung des Mahnmals im ehemaligen KZ Maly Trostinez in Belarus in Erinnerung, bei dem er den Lukaschenko mit keinem Wort kritisierte, während deutsche Politiker bei Reisen nach Israel, selbst wenn ein Besuch in Yad Vashem auf dem Programm steht, sich nicht mit Kritik an Israel zurückhalten.

Aufgrund der Willfährigkeit gegenüber der letzten Diktatur Europas, und der selbstgerechten Haltung gegenüber dem Juden unter den Staaten, stärkt man Autokraten und Despoten auf der einen Seite, und fördert Antisemitismus, gehüllt in das selbstherrliche Gewand der «Israelkritik», auf der anderen Seite. Als ob die Welt noch mehr Elend in Form von rückständigen Ideologien wie Antisemitismus und wandelnden Klischees wie dem Kolchose-Diktator Lukaschenko brauchen würde. Es ist wirklich traurig, zu was antisemitische Vorurteile und Ignoranz in Bezug auf tatsächliche Menschenrechtsverletzungen führen.

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