Merkels Türkei-Deal am Ende

Trotz milliardenschwerer Geldgeschenke von der EU und Deutschland benutzt der Kriegsherr Erdogan nun wieder die zum großen Teil durch die Invasion Syriens und die Unterstützung von Islamisten selbstverantworteten Flüchtlingsströme als Waffe gegen West-Europa.

© AFP

Von Peter Grimm

Recep Tayyip Erdogan setzt die Flüchtlinge und Migranten – insbesondere jene, die sein Land ohnehin nur auf dem Weg in die EU, vor allem nach Deutschland, durchqueren wollen – gezielt als Waffe ein. Mit seiner Ankündigung, die Grenztore zu den EU-Nachbarn zu öffnen, die gegen Bezahlung geschlossen zu halten er vertraglich zugesichert hatte, will er die EU-Staaten klar erkennbar erpressen. Sie sollen ihn gefälligst in seinem Krieg in Syrien unterstützen, den er – an der Seite örtlicher islamistischer Kämpfer – gegen den syrischen Machthaber Assad und damit auch gegen dessen Unterstützer Russland führt. Und um seine Macht zu unterstreichen setzt er Tausende in Marsch, die nun – teils mit Gewalt – versuchen, illegal in die EU zu kommen. Die Bilder erinnern fatal an 2015: Größtenteils junge Männer und keinesfalls nur syrische Kriegsflüchtlinge. Wahrscheinlich auch mit einem ebenso hohen Anteil an Menschen, die keine Papiere dabei haben und deren Identität unklar ist.

Griechenland kämpft im Moment verzweifelt darum, diesem Ansturm standzuhalten. Auch Bulgarien hat Sicherheitskräfte an die Grenze verlegt. Es kommt zu solch unschönen Bildern, die die deutsche Bundesregierung 2015 glaubte, nicht aushalten zu können und ihrerseits alle Tore öffnete.

Wie lange aber können selbst bei energischem Willen die Bulgaren und Griechen dem Ansturm standhalten? Zumal dann, wenn sie aus den Wunsch-Zielländern der Migranten mehr moralische Bedenken als Solidarität und verbindliche Zusagen praktischer Hilfe zu hören bekommen sollten? Wie lange werden die Zäune in Ungarn und Kroatien halten? Die meisten deutschen Regierungspolitiker und Meinungsbildner werden diese Fragen wahrscheinlich für unanständig halten. Gelten ihnen Grenzschließer und Grenzwächter wie Orban eher als politisch anrüchig.

Dabei haben sie in den letzten vier Jahren die Beruhigungssätze „2015 darf sich nicht wiederholen“ und „2015 wird sich nicht wiederholen“ gern verbreitet, um zu suggerieren, Migrationsprobleme seien gelöst, wenn statt einer Million Menschen innerhalb weniger Monate „nur“ eine Großstadtbevölkerung von 150.000 Personen kommt und hier ihren Platz nebst Versorgung beansprucht. Doch wenn die geschmähten Zäune nicht halten, wenn die bewaffneten Einheiten dort die unschönen Bilder irgendwann ebenso scheuen, wie deutsche Politiker in Regierungsverantwortung, dann wiederholen sich die Szenen des Jahres 2015 in wenigen Wochen.

 

Wer sich als erpressbar erweist...

Es herrscht erstaunliches Schweigen in Berlin zu Erdogans Angriff, obwohl der vor allem auf Deutschland zielt. Hierher streben nicht nur die meisten der jungen Männer, die sich derzeit an Griechenlands Grenzen ihren Eintritt erzwingen wollen, aus deutschen Steuergeldkassen kommt auch ein Großteil des Geldes, mit dem sich Erdogan seine Grenzwacht hat bezahlen lassen.

Vielleicht hört man aus Berlin so wenig, weil die deutschen Politiker überrascht sind. Vielleicht hatten sie tatsächlich an eine unverbrüchliche Vertragstreue des Machthabers in Ankara geglaubt. Zudem – das kann man verstehen – gefällt den politischen Verantwortungsträgern keine der nun möglichen Handlungsoptionen.

Was können sie tun? Sie könnten die Grenzwächter im Südosten Europas zur Seite springen und sie politisch, finanziell und vielleicht auch praktisch mit Ausrüstung und Personal unterstützen. Das wäre ein eklatanter Bruch mit der Politik der Vergangenheit. Eine Zäsur, die diese Bundesregierung in Sachen Zuwanderungspolitik immer vermeiden wollte.

Die Herrscherinnen und Herrscher über die Steuermilliarden könnten flugs einen neuen Preis für die Beendigung der Grenzöffnung aushandeln und diesen der Türkei umgehend in die Kriegskasse zahlen. Vielleicht gibt’s noch das eine oder andere Zugeständnis obendrauf. Viel Zeit wäre damit aber nicht erkauft, denn – wie im richtigen Leben – wer sich als erpressbar erweist, bekommt es mit immer neuen Forderungen zu tun. Die dritte Option scheint im Moment leider die Wahrscheinlichste: Die Südosteuropäer bekommen keine Unterstützung, können die Grenzen nicht geschlossen halten und winken die Zuwanderer irgendwann dahin durch, wo sie hinwollen. 2015 wäre wieder da, doch all die hochmoralischen Debatten würden dann in schrilleren Tönen geführt als damals. Man mag sich die weitere politische Klimaverschärfung eigentlich gar nicht vorstellen.

 

Verantwortung, vor der sich die deutschen Politiker drücken

Vielleicht hilft ja noch eine europäische Politik um Deutschland herum. Immerhin hatte 2016 der damalige österreichische Außenminister Sebastian Kurz eine Grenzschließungs-Koalition der Willigen in Europas Südosten zusammenbekommen – wie es heißt, unter Missbilligung der deutschen Kanzlerin. Vielleicht übernehmen ja wieder andere die politische Verantwortung, vor der sich die deutschen Politiker drücken.

Aber es geht ja nicht nur um die Zuwanderung. Es geht ja auch um das deutsche Verhältnis zum türkischen Machthaber Erdogan. Bislang hielt sich die deutsche Politik damit zurück, den Herrscher in Ankara allzu deutlich zu kritisieren. Als türkische Soldaten bei Gefechten mit syrischen Regierungstruppen auf syrischem Staatsgebiet getötet wurden, twitterte Außenminister Heiko Maas (SPD):

„Wir verurteilen die fortgesetzten Angriffe des syrischen Regimes und seiner russischen Verbündeten im Norden Syriens. Unser Mitgefühl gilt unseren türkischen Partnern.“

Es gibt gute Gründe, syrisch-russische Luftangriffe auf zivile Ziele in Idlib zu verurteilen. Aber warum sind Erdogans Truppen in diesem Krieg unsere Partner? Die türkische Armee ist ohne völkerrechtliche Legitimation in Syrien einmarschiert. Hätte das nicht auch eine Verurteilung des deutschen Außenministers verdient?

Mit dem erpresserischen Angriff auf Europa unter Missbrauch der Hoffnungen hunderttausender Migranten hat Erdogan nun ja wohl deutlich gezeigt, dass er und seine Regierung nicht zu „unseren türkischen Partnern“ gehören sollte. Mag die Türkei formell auch immer noch NATO-Partner sein – Erdogans vertragsbrüchige Entscheidung, die er am Samstagmorgen verkündet hat, war ein feindseliger Akt. Wenigstens zu dem offenen Wort, dass sich das Erdogan-Regime bei aller Liebe zur Türkei als Partner grundsätzlich disqualifiziert hat, könnte doch sogar diese Bundesregierung in der Lage sein, oder? Ansonsten können die Deutschen derzeit offenbar nur hoffen, dass andere Regierungen die Leerstellen deutscher Außenpolitik gut zu füllen vermögen.

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