Die EU ist nicht Europa

© JOHN THYS , AFP

Von Jaklin Chatschadorian

Die Europäische Union geht auf ein Bündel hehrer Ziele zurück. Im Zuge der beiden Weltkriege und mit Blick auf den Holocaust erkannte man, dass ein selbst-überhöhender Nationalismus leicht zum Ausbruch eines Krieges führen kann. So versuchte man ein alternatives Konzept, um das Zusammenleben der europäischen Nachbarstaaten dauerhaft in friedliche Bahnen zu lenken. Die Idee der Friedenssicherung begann mit der wirtschaftlichen Annäherung in entscheidenden Sektoren und gewährleistete damit Abhängigkeiten, die Zusammenstößen und Übergriffen ihre Attraktivität nahmen. Die Alternative, die mit der Montanunion ihren Anfang nahm und sich als Konglomerat vielzahliger Vereinbarungen darstellt, gewinnt immer mehr an Geschwindigkeit, entwickelt sich aber zu einem gefährlichen Selbstläufer.

Es geht nicht mehr nur um einen immer engeren Zusammenschluss europäischer Völker oder die Zugehörigkeit zu einer friedensstiftenden, wirtschaftsstarken Wertegemeinschaft. Das in der Präambel des Vertrages zur EU harmlos beschriebene Ziel einer Demokratie mit hoher Verwaltungseffizienz in einem einheitlichen institutionellen Rahmen, um eigene Aufgaben besser wahrnehmen zu können, ist dabei, seine Macht so auszubauen, wie es einst nationalistischen Führern vorschwebte. Schon lange geht es nicht mehr um den belustigenden Krümmungsgrad von Gurken oder anderen Industrienormen, deren Existenz man noch mit Produktsicherheit, Verbraucherschutz oder Wettbewerb verteidigen kann, sondern um Weltfrieden und damit um zentralisierte Macht. Die enge und intergouvernementale Zusammenarbeit, die Übertragung von Zuständigkeiten in genau definierten Teilbereichen, schwillt zu einem übermächtigen, zentralistischen Apparat an, welcher die Deutungshoheit über „das Richtige für Alle“ für sich pachtet und nicht davor zögert, bei Widerspruch zu sanktionieren.

Bei der Durchsetzung dieses supranationalen Anspruchs spielt die Figur des Framing eine entscheidende Rolle. Die Debatte um eine „solidarische“ und „humane“, europäische Asylpolitik zeigt dies sehr deutlich. Allein diese Zuschreibungen markieren den Widerspruch gegen die aktuellen Pläne und Vorgaben negativ. Dem Opponenten wird, noch bevor er seine Kritik begründen kann, Egoismus und Unmenschlichkeit vorgeworfen.

Dabei geht es strenggenommen nicht um Asylpolitik, sondern zunächst nur um die visafreie Einwanderung von Menschen in beträchtlicher Anzahl auf den europäischen Kontinent. Die Einreise ist, mit Blick auf die klassischen Herkunftsländer, regelmäßig unerlaubt. Die Rechtswidrigkeit des Grenzübertritts entfällt jedoch im Falle eines Asylgesuches, da es keine Möglichkeit gibt, die Einreise im Vorfeld zu legalisieren. Diese Regelungslücke verführt dazu, zunächst einmal jedem Eintritt zu gewähren und das unter Inkaufnahme von erheblichen Kollateralschäden.

Die Erhöhung der Übergriffe mit einem Messer aufgrund von banalen Auseinandersetzungen, die überhöhte Gefahr, welcher sich Frauen im öffentlichen Raum nunmehr zu stellen haben, im Besonderen, wenn sie kein islamisches Kopftuch tragen oder eben die terroristischen Anschläge – sie werden zu Einzelfällen relativiert, während man vorgibt, diese Einwanderung würde ganz Europa bereichern. EU-Mitgliedstaaten, die die Aufnahme von Flüchtlingen und das damit einhergehende, individuelle und kollektive Risiko verweigern, sollen mit der Nichtauszahlung von Geldern aus Struktur- und Kohäsionsfonds sanktioniert werden. Kritische Stimmen werden als nationalistisch, rechtsextrem und barbarisch gebrandmarkt. Der politische Gegner wird zum Monster, welches das Ertrinken von Menschen feiert, nur um nicht einen Euro abgeben zu müssen, verklärt.

Das Plakat des FDP-Kandidaten zur bevorstehenden EU-Wahl, Gerd Kaspar, schlägt in die gleiche Kerbe. Es stellt den Wähler vor die Alternative: Nationalismus oder Zukunft? Die Ablehnung der EU, so wird suggeriert, sei eine Entscheidung gegen die (eigene) Zukunft, die EU demnach alternativlos.

EU will „Palästinensern“ noch mehr Geld schenken

Schon die Israel-Politik der EU rechtfertigt eine oppositionelle, kritische Betrachtung. Die Europäische Union finanziert die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) mit immensen Millionenbeträgen. Dabei ist die Organisation von der radikalislamistischen Hamas unterwandert, welche an der Vernichtung Israels arbeitet. Die USA stiegen aus der Finanzierung aus, die EU nicht. Schlimmer noch: Deutschland verkündete 2018, über Außenminister Heiko Maas, der sich „wegen Auschwitz“ in die Politik begab, eine Erhöhung der Zahlungen in substanzieller Höhe, zwecks Ausgleich.

Auch andere, Israel diffamierende Organisationen erhalten von der EU diese Art der Doppelfinanzierung, durch die EU selbst und durch einzelne Mitgliedstaaten. Stets geht es beim genannten Verwendungszweck um den Frieden in Nahost – und das mit Geldempfängern wie Norwegisch People’s Aid/NPA, Palestinian Agricultural Development Association (PARC) oder Pax Christi, die zwar von „Apartheid“ oder „Besatzung“, von verwerflichem Nationalismus auf israelischer Seite sprechen, sich aber nicht von den Vernichtungsabsichten ihrer Schützlinge stören lassen. Man muss weder Israeli noch Jude sein, um Antisemitismus zu verurteilen und die Förderung von pro-islamistischer Vernichtungspolitik durch die EU, die keine Absichten der Kursänderung vermuten lässt, abzulehnen.

Der ewige Beitrittskandidat Türkei

Kürzung statt Streichung: Noch immer zahlt die EU Beitrittsgelder an die Türkei, obgleich diese die beabsichtigte Umwandlung der Türkischen Republik in ein neo-osmanisches, faschistoides Kalifat bei jeder Gelegenheit kundtut und sich jede Kritik an diesem Anliegen, unter Berufung auf „abzulehnende Islamophobie“ verbittet.

Auch das führende EU-Personal muss sich Kritik gefallen lassen. Wenn beschämende Gleichgewichtsprobleme eines Politikers wie Jean-Claude Juncker unglaubhaft mit Rückenproblemen getarnt werden, wenn Frederica Mogherini im Iran das Kopftuch, ein Symbol der Markierung und Dehumanisierung der Frau, aufsetzt oder wenn Axel Voss (CDU/EVP) eine Urheberrechtsreform durchbringt, obgleich der Verdacht im Raum steht, dass er zentrale Punkte der Debatte, etwa den Unterschied zwischen Leistungsschutzrechten und dem Urheberrecht nicht verstanden hat, dann darf sich der EU-Wähler durchaus fragen, ob er wirklich gewillt ist, seine Staatsmacht an diese supranationale Union zu übertragen. Nein, er muss diese Frage laut stellen und er darf sich dieses Recht nicht durch Verfemung und indirekte Zensur nehmen lassen.

Zu guter Letzt muss darauf hingewiesen werden, dass die Europäische Union etwas anderes ist als Europa. Norwegen etwa ist zwar aufgrund der geographischen Lage und der – auf die Nordische Passunion zurückgehenden – Beteiligung am Schengen-Abkommen eng mit der EU verbunden, nicht jedoch Mitglied dieser. Dasselbe gilt für die Schweiz: mit der EU in Teilen verbunden, nicht aber Mitglied. Serbien ist Europa, die Ukraine und andere europäische Staaten.

Wo ist die demokratische, freiheitliche Gesinnung geblieben, die das Existenzrecht der Opposition respektiert? Wo ist der europäische Geist der Französischen Revolution, der für das Recht zu zweifeln und zu widersprechen steht? Fortschritt kann nur durch Reibung entstehen, weil niemand im Besitz absoluter Wahrheiten ist. Die EU aber nimmt einem die Lust an einem geeinten Europa. Sie huldigt eher Ludwig XIV., wenn sie das Motto „in Vielfalt geeint“ schleichend durch hypermoralisierende Einfalt ersetzt. Eine neue Version des l'état c'est moi!

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