Jom Kippur - Eine zweite Chance

Obwohl es kein behördliches Fahrverbot gibt, sind die Straßen am Jom Kippur fast vollständig autofrei.© JaCK GUEZ AFP

Jom Kippur ist für Juden der höchste Feiertag und zugleich ein Fasten- und Ruhetag. Die zehn Tage zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur sind eine Zeit der Selbstüberprüfung und der Reue. Jom Kippur ist somit der Tag der Versöhnung zwischen G`tt und den Menschen. Geht man in sich und bereut die begangenen Fehler, erhält man auch eine zweite Chance. Denn an Rosch Haschana wird nach religiöser Überlieferung in das Buch des Lebens eingeschrieben, und an Jom Kippur wird besiegelt, wer leben und wer sterben wird. (JR)

Der Versöhnungstag

40 Tage nach dem Erhalt der Tora am Berg Sinai wurden alle Juden G-ttes auserwähltes Volk. Trotzdem beteten sie ein goldenes Kalb an. Moses flehte zu G-tt, nicht SEIN Volk zu zerstören. Am 10. Tischrei sagte G-tt „Ich habe ihnen vergeben“. Seitdem begehen wir diesen als „Sühnetag“ – als ein Fest unserer unzerstörbaren Verbindung mit G-tt. Dieser Tag ist zugleich unser heiligster Tag im Jahr, an dem wir uns mit der Quelle verbinden.

Unsere Seele bleibt unabhängig von unserem Verhalten immer G-tt treu ergeben.

Engelhaftes Benehmen

Jom Kippur ist ein Fasttag. Er beginnt mit Sonnenuntergang des Vortages und endet mit Sonnenuntergang des Jom Kippur-Tages. Wir essen und trinken nicht, halten uns auch von physischen Freuden fern, tragen keine Lederschuhe, Waschen oder Baden nicht, benutzen keine Lotionen oder Cremes und haben keinen ehelichen Verkehr. Kranke sollten bezüglich des Fastens am Jom Kippur einen Rabbiner um Rat fragen. Für Jom Kippur als ein „Tag der Ruhe“ gelten auch alle Schabbatverbote.

 

Fünf Gebete

Am Jom Kippur tragen wir weiße Kleider, anlehnend an die spirituellen Engel im Himmel. Wir verbringen den größten Teil des Tages mit Gebeten und Reue in der Synagoge, in der es insgesamt fünf G-ttesdienste gibt:

1) Das Abendgebet, beginnend mit dem Kol Nidre.

2) Morgengebet.

3) Mussafgebet mit einer Erklärung über den Tempeldienst am Jom Kippur.

4) Das Nachmittagsgebet, bei dem das Buch Jona gelesen wird.

5) Das Ne’ila Gebet. Wir sprechen es gegen Ende von Jom Kippur. In ihm ist das Urteil für das neue Jahr beschlossen. Die ersten vier Gebete enthalten auch unser privates Sündenbekenntnis gegenüber G-tt.

Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen und Bräuche, die in den G-ttesdiensten Anwendung finden. Ihr Synagogenrabbiner wird Ihnen bei Fragen helfen.

 

Fastenende

Mit dem Ne’ila Gebet beenden wir Jom Kippur. Zuvor sagt aber die gesamte Gemeinde das Schma Jisrael laut, gefolgt von kräftigen Schofar-Tönen.

Wir brechen das Fasten nach Jom Kippur mit einem festlichen Mahl. Wir freuen uns, dass G-tt uns unsere Sünden verziehen hat.

Goldene und weiße Kleider

Von Dr. William Stern

Höhepunkt der "ehrfurchtgebietenden Tage" ist Jom Kippur, und zur Zeit des Tempels stand im Mittelpunkt dieses Tages der vom Kohen Gadol, dem Hohepriester, verrichtete Dienst im Heiligtum. Das Jahr hindurch konnten andere Priester jeden Tempeldienst versehen, am Jom Kippur aber war es der Hohepriester, der allein all die für diesen geheiligten Tag notwendigen Riten ausführte.

Dieser Dienst des Hohepriesters am Jom Kippur bestand aus zwei Teilen. Für die Verrichtung des einen Teils trug er seine wertvollen Golden Gewänder. Obwohl diese Kleider neben dem Gold auch andere Materialien enthielten, wurde sie dennoch "Goldene Gewänder" genannt. Für den anderen Teil seines Dienstes dagegen – das war für den Dienst im Allerheiligsten – trug der Hohepriester einfache Gewänder aus weißen Leinen.

Mit der Zerstörung des Tempels ging lediglich das Gebäude als solches, also das Konkrete, die Steine, das Gold und das Silber, verloren. Das geistige Heiligtum dagegen, wie es in der Seele jedes Juden existiert, blieb bestehen, und es ist weiterhin dort verblieben, in einem Zustand von unzerstörbarer Vollständigkeit. Niemand kann diesen inneren Tempel vernichten – nicht einmal der Jude selber. Wie es der frühere Lubawitscher Rebbe s.A. einmal ausgedrückt hat: "Nur unsere Körper wurden in ein physisches Exil getrieben und dem Willen einer äußeren Autorität unterworfen; unsere Seelen wurden nicht in die Zerstreuung geschickt noch einer fremden Herrschaft untertänig gemacht."

Der geistige Tempel im Inneren jedes Juden ist allein der Dimension von Zeit unterworfen, das heißt, den verschiedenen Phasen des Jahresverlaufs. So denn wird am Jom Kippur jeder einzelne Jude zum Kohen Gadol, Hohepriester, in seinem eigenen, persönlichen Tempel; er muss für sich selbst alle "Tempeldienste" versehen und darf sich dabei auf keinen anderen verlassen. Und diese Aufgabe besteht – auch wieder analog – aus zwei Teilen, nämlich aus dem Dienst im Allerheiligsten in den weißen Kleidern und aus den anderen feierlichen Riten in der Hülle der Goldenen Gewänder.

Maimonides hat diese Erklärung für die Goldenen Gewänder, wie der Kohen Gadol sie am Jom Kippur trug: Heiligkeit verlangt dasjenige, welches ästhetisch den besten Eindruck macht und die höchste Qualität besitzt. Das Gold bedeutet für den Menschen ungemein viel, es erweckt gewisse Gefühle von Verehrung und Erhöhung. Deshalb sind für den Dienst am Jom Kippur die Goldenen Gewänder angebracht.

Wie aber ist dieser Gedankengang mit dem Tragen der weißen Leinenkleider im Allerheiligsten in Einklang zu bringen? Das Allerheiligste besaß eine größere Weihe als jede andere Stelle im Tempel; sollten daher für diesen Platz nicht die Goldenen Gewänder unbedingt angebracht sein? Die Antwort ist diese: Die hier implizierte Idee ist, dass jeder einzelne G-tt gemäß seiner individuellen und einmaligen Fähigkeiten zu dienen hat. Wenn zum Beispiel ein Reicher für wohltätige Zwecke angegangen wird, dann kann er sich dieser Pflicht nicht dadurch entledigen, dass er verspricht, die Tora zu lernen, intensiv zu beten und dergleichen mehr; für ihn ist es vielmehr wichtig, im Auge zu behalten, dass die Arbeit im Tempel "Goldene Gewänder" vorschrieb. Auf der anderen Seite aber muss man wissen, dass man seine Pflichten nicht lediglich mit "Goldenen Gewändern" (Wohltätigkeit) erfüllt hat; "weiße Leinenkleider" sind ebenfalls notwendig – also die Vergeistigung und die Reinheit, Dinge, die weit von der Welt des Konkreten und des Materiellen entfernt sind.

Jede Garnitur von Kleidern muss ihrer Umgebung entsprechen. Der Dienst außerhalb des Allerheiligsten ist in den Goldenen Gewändern zu verrichten. Im Allerheiligsten jedoch, das in jeder jüdischen Seele besteht, ist Gold nicht am Platze; hier sind alle gleichwertig, die Reichen wie die Armen, und die Aufgaben sind in reinem weißen Kleidern auszuüben.

Wenn daher am Jom Kippur der Jude sein eigenes inneres Allerheiligstes zu betreten hat, dann mag er sich wohl fragen: "Wie kann ich mich überhaupt in diese innersten Bereiche wagen, nachdem ich gar keinen äußeren (Schmuck) von Gold – von Tora und guten Taten – mein eigen nennen kann?" G-ttes Antwort auf dieses menschliche Rätsel ist: Um in das Allerheiligste zu kommen, bedarf es nicht der Goldenen Gewänder, nicht des Schmuckes und nicht der prächtigen Farben. Was man braucht, ist allein die reine weiße Kleidung, das ist: ein geläutertes Herz und reine Gedanken.

 

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