Kandidaten-Vorwahl in Iowa: Trumps Erdrutschsieg
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Wird Ex-US-Präsident Donald Trump wieder ins Weiße Haus einziehen?© JIM WATSON/AFP
Donald Trump ist bei den Qualifikationswahlen der Republikaner in Iowa das Kunststück gelungen, sowohl bibeltreue Konservative bei der Stange zu halten als auch liberale Kräfte anzusprechen. Der Ex-US-Präsident hat eine breite Koalition aus Wählern aller Bevölkerungsgruppen für sich gewonnen. Entgegen einem von den Democrats gern verbreiteten Vorurteil gehören dazu auch viele Latinos und Schwarze. (JR)
„Unsere Freiheiten schätzen wir und unsere Rechte werden wir bewahren“, lautet das Motto im Wappen des US-Bundesstaates Iowa. Dort gibt es noch Elemente authentischer Demokratie. Es wird den Bürgern nicht ganz leicht gemacht, an der Auswahl eines Präsidentschaftskandidaten teilzunehmen. Man kann nicht einfach an einer Tankstelle oder in einem Supermarkt einen Wahlzettel einwerfen und hat dafür wochenlang Zeit.
Nein, bei dem sogenannten Caucus muss man sich an einem bestimmten Abend an einem der dafür bestimmten Plätze – das kann ein Rathaus sein, eine Bücherei, eine Kirche oder sogar eine Privatwohnung – einfinden und mehrere Stunden Zeit mitbringen. Denn so lange dauert der Prozess. Er besteht darin, dass Bürger Argumente vorbringen, was aus ihrer Sicht für den von ihnen bevorzugten Kandidaten und gegen die anderen spricht. Die Anhänger eines Kandidaten scharen sich in Gruppen. Jeder versucht, die anderen dazu zu überzeugen, in sein Team zu wechseln. Am Ende wird ausgezählt, wie viele Unterstützer die Kandidaten jeweils haben.
Diesmal wurde die Herausforderung witterungsbedingt noch etwas größer. Mit Temperaturen von unter minus 20 Grad Celsius war es der kälteste Iowa-Caucus in der Geschichte. „Der gefährlich kalte Wind kann in nur zehn Minuten zu Erfrierungen auf der ungeschützten Haut führen. Fahren Sie langsamer und seien Sie vorsichtig, wenn Sie unterwegs sind. Vermeiden Sie nach Möglichkeit Aktivitäten im Freien. Wenn Sie sich im Freien aufhalten, tragen Sie geeignete Kleidung, eine Mütze und Handschuhe“, hieß es in einer Wetterwarnung. Donald Trump forderte seine Anhänger auf, auch vor Kamikaze nicht zurückzuschrecken: „Man kann nicht zu Hause sitzen. Wenn man hundskrank ist, sagt man: ‚Liebling, ich muss es schaffen.’ Selbst wenn ihr wählt und dann sterbt, ist es das wert, denkt daran“, sagte er am 14. Januar auf einer Kundgebung in der 15.000-Einwohner-Stadt Indianola.
Trumps Erdrutschsieg
Über mögliche Todesfälle ist noch nichts bekannt, aber der Einsatz scheint sich für Trumps Anhänger gelohnt zu haben. Am Ende eines Wahlkampfes, der insgesamt 123 Millionen US-Dollar gekostet hat, hat ihr Kandidat einen überwältigenden Sieg erzielt. Auf ihn entfielen 56.260 Stimmen, das sind 51 Prozent. Mit großem Abstand folgen Ron DeSantis mit 23.420 Stimmen (21,2 Prozent) und Nikki Haley mit 21.085 Stimmen (19,1 Prozent). Iowa ist keiner der sogenannten The-winner-takes-it-all-Staaten, wo der Sieger sämtliche Delegierten zugesprochen bekommt. Das heißt, dass auch DeSantis und Haley ihrem Anteil entsprechend acht bzw. sieben Delegierte erhalten, Trump zwanzig. Der Unternehmer Vivek Ramaswamy, der 7,7 Prozent der Stimmen erhielt, bekommt drei. Er verkündete nach dem aus seiner Sicht enttäuschenden Abschneiden jedoch das Ende seiner Kandidatur und will ab sofort Donald Trump unterstützen.
Die Vorwahl in Iowa ist aber nicht wegen der Delegiertenstimmen wichtig; dazu sind es zu wenige. Iowa hat nur drei Millionen Einwohner und ist auch keineswegs repräsentativ für die USA. Die Bevölkerung besteht zu 89 Prozent aus Weißen. Landwirtschaft ist wichtiger als in fast allen anderen Bundesstaaten, vor allem der Maisanbau (man muss als Kandidat Bundeszuschüsse für die Ethanolindustrie befürworten, wenn man hier gewählt werden will).
Die Vorwahlen in Iowa sind allein deshalb wichtig, weil es traditionell die ersten sind. Für Bewerber, die sich keinen teuren Wahlkampf leisten können, hat das einen riesigen Vorteil: Iowa ist klein genug, dass man wirklich jedem interessierten Bürger die Hand schütteln kann – was in Texas oder Florida unmöglich wäre. Und manchmal gelingt es einem Außenseiter, durch einen Sieg in Iowa so viel Medieninteresse zu erzeugen, dass die Wahl zu einem Sprungbrett für den restlichen Wahlkampf wird. Der Letzte, dem das gelang, war Barack Obama 2008.
Wir Trump Klippen umschifft
Iowa ist ein spezielles Terrain. Oft genug kürt der Maisstaat einen Kandidaten, der anderswo keinen Fuß auf den Boden bekommt: 2008 war es bei den Republikanern der baptistische Pfarrer und Radiomoderator Mike Huckabee; 2012 der konservativ-katholische Kongressabgeordnete Rick Santorum; 2016 der konservative US-Senator Ted Cruz. Man kann ein Muster erkennen: Iowa war ein dankbarer Boden für konservative Christen. Mit dem fulminanten Sieg von Donald Trump, der einmal sagte, er habe Gott noch nie um Vergebung gebeten, scheint dieses Muster durchbrochen.
Aber nur auf den ersten Blick. Denn was ihm an biblischen Tugenden fehlt, macht er bei christlichen Wählern dadurch wett, dass er sich als denjenigen rühmt, der den historisch größten Erfolg der Lebensschutzbewegung in den USA möglich gemacht habe. Dass der US Supreme Court das wegweisende Urteil Roe v. Wade aufhob, welches 50 Jahre lang ein fast unbeschränktes Recht auf Abtreibung auch in späten Phasen der Schwangerschaft garantierte, war nur möglich, weil Präsident Trump Richter ernannt hatte, die, weil in der US-Verfassung nichts von einem Recht auf Abtreibung steht, folgerten, dass es Aufgabe des Gesetzgebers sei, dies zu regeln.
Das Thema wird den Wahlkampf 2024 prägen. Das angesichts der katastrophalen Umfragewerte von Präsident Biden unerwartet schwache Abschneiden der Republikaner bei den Wahlen zum Kongress im November 2022 – die Republikaner gewannen eine nur hauchdünne Mehrheit im Repräsentantenhaus und verloren im US-Senat sogar einen Sitz – gab bereits einen Hinweis darauf, dass die Demokraten mit dem Streit um das Abtreibungsrecht ein Gewinnerthema gefunden haben. Viele Wähler, die sich ein liberales Abtreibungsrecht wünschen, machen dies zum Prüfstein ihrer Wahlentscheidung – egal, wie enttäuscht sie gerade vom Präsidenten oder den Demokraten sein mögen.
Angst vor zu restriktiven Abtreibungsgesetzen
Republikanische Kandidaten stellt das vor ein Dilemma: Sie brauchen die Stimmen von Konservativen, können aber, wenn sie Wahlen gewinnen wollen, nicht auf die Unterstützung der Moderaten verzichten, von denen viele Angst vor zu restriktiven Abtreibungsgesetzen haben.
Der texanische Senator Ted Cruz vertrat vor rund zehn Jahren die Theorie, dass die Republikaner wieder Wahlen gewinnen würden, wenn sie nur weit genug nach rechts rücken würden und so die „Basis mobilisieren“. Vereinfacht gesagt, lief sein Argument darauf hinaus, dass nicht 50 Prozent der Wähler nötig seien, um Wahlen zu gewinnen, sondern nur 25 Prozent. Er folgte der Fußspur von Barry Goldwater, einem der bekanntesten Verlierer in der Geschichte der republikanischen Partei. Goldwater hatte 1964 im Präsidentschaftswahlkampf die Worte gesprochen: „Extremismus bei der Verteidigung der Freiheit ist kein Laster.“
Man könnte begründen, warum das richtig ist; aber die Wortwahl war nicht geschickt und führte zu einem der größten Debakel, die die Republikaner bei Präsidentschaftswahlen erlebt haben. Der demokratische Amtsinhaber Lyndon B. Johnson gewann in 44 der 50 Bundesstaaten. Amerikaner können Extremisten so wenig leiden, dass sie schon beim Hören des Wortes „Extremismus“ die Flucht ergreifen, ohne sich den Rest überhaupt anzuhören. Donald Trump hingegen zeigte bei den Vorwahlen in Iowa, dass es ihm gelingt, weder als zu moderat noch als zu radikal zu erscheinen.
Wie sollte Trump antworten, ohne jemanden zu verprellen?
Wie er das machte, war durchaus kunstvoll und nötigte sogar dem Berichterstatter des links stehenden Blogs Slate Respekt ab. Bei einer Fragestunde vor „unentschlossenen Wählern“, die vom Nachrichtensender Fox News veranstaltet wurde, meldete sich eine republikanische Wählerin zu Wort und bat Trump, ihr zu versichern, dass er „jegliches Leben ohne Kompromisse schützen“ werde. Sie sei dankbar für das, was er getan habe, um die Aufhebung von Roe v. Wade zu ermöglichen, sagte sie, aber sie sei auch besorgt: Trump habe Floridas striktes Abtreibungsverbot als „schrecklichen Fehler“ bezeichnet, die Idee eines bundesweiten Abtreibungsverbots abgelehnt und die Verluste der Republikaner bei den Zwischenwahlen auf „die Abtreibungsfrage“ geschoben.
Wie sollte Trump antworten, ohne jemanden zu verprellen? Und das vor dem Hintergrund, dass sein Rivale Ron DeSantis sich bei den christlichen Wählern Iowas als kompromissloser Lebensschützer empfahl? Der Wählerin sagen, was sie und die 64 Prozent Evangelikalen in Iowa hören wollen? Und damit andere vor den Kopf stoßen und riskieren, im November zu einem Verlierer mit hehren Prinzipien zu werden, einem neuen Barry Goldwater? Das kommt für Trump nicht in Frage, und genau so erklärte er das auch der Wählerin:
„Ich bin für die Ausnahmen, wie Ronald Reagan, für das Leben der Mutter, Vergewaltigung, Inzest. Da muss ich dabei sein. Ich sage euch, dass ihr Wahlen gewinnen müsst. Andernfalls wird man wieder dort landen, wo man vorher war. Das dürft ihr nie wieder zulassen.“
Trumps Taktik funktioniert
Das war Realpolitik, das war clever: Trump vertritt moderate Positionen und umgarnt gleichzeitig die Konservativen mit dem Argument, dass nur er in der Lage sei, ihnen zu einem gewissen Maß an Einfluss im Weißen Haus zu verhelfen. Wer alles will, wird gar nichts bekommen. Das Ergebnis von Iowa zeigt, dass Trumps Taktik funktioniert. Wie Barack Obama 2008 gelingt es ihm, eine Koalition aus unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung aufzubauen. Die Obama-Koalition bestand aus jungen Wählern, Schwarzen, Latinos, Facharbeitern und Wählern in den urbane Zentren und Vorstädten.
Trump gelingt es, Evangelikale und Moderate zusammenzubringen. Seit dem Sieg von George W. Bush beim republikanischen Caucus im Jahr 2000 ist Trump der erste, der die Evangelikalen hinter sich schart, obwohl er selbst kein Evangelikaler ist – fern davon. Trump ist seit Bush 2000 auch der erste Iowa-Sieger, der bereits unter Beweis gestellt hat, dass er auf nationaler Ebene Wahlen gewinnen kann –indem er sowohl sehr Konservative als auch sehr Moderate für sich gewinnt.
Trumps Schutzschild
Nun hat das Rennen freilich gerade erst begonnen und es ist eine Binsenweisheit, dass sich politische Trends in den USA schnell ändern können. Schon kleine Fehler – so die traditionelle Expertenweisheit – können einen Kandidaten aus dem Rennen werfen. Erinnert sei an den früheren Gouverneur von Texas, Rick Perry. Ihm unterliefen in Debatten Schnitzer; seine Hoffnungen auf die Präsidentschaftskandidatur 2012 musste er begraben, nachdem er in einer Fernsehdebatte ankündigte, bei einem Wahlsieg drei Behörden sofort abschaffen zu wollen – dann aber nur zwei nennen konnte, die dritte hatte er vergessen. Kein schlimmer Fauxpas, oder? Doch die Wähler waren unerbittlich.
Der geniale Hirnchirurg Ben Carson wiederum war noch Anfang November 2015 einer der Favoriten auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner gewesen. Ihn kosteten einige kontroverse Äußerungen die Kandidatur. Bei Donald Trump hingegen ist es nicht so, dass er nie etwas Kontroverses sagen würde oder man ihm keine falschen Behauptungen nachweisen könnte. Der Unterschied: Es schadet ihm nicht, egal, was er sagt. Anders als normalsterbliche Politiker hat er eine Art Schutzschild, der ihn zwar nicht vor Fehltritten schützt, aber vor dessen Folgen, was Umfragen und Wahlergebnisse betrifft. Trump beschrieb dieses Phänomen einmal so: „Ich könnte mich mitten auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren, OK? Es ist einfach unglaublich.“
Das ist der eine Vorteil, den Trump hat. Der andere ist die oben beschriebene breite Koalition aus Wählern aller Bevölkerungsgruppen. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil gehören dazu auch Latinos und Schwarze. Die New York Times berichtete im November über „beunruhigende“ Umfragen, die ergeben hätten, dass 22 Prozent der schwarzen Wähler in sechs der wichtigsten umkämpften Bundesstaaten Trump bei der Wahl im November unterstützen würden.
Das sei „bemerkenswert“, so die New York Times, wenn man bedenke, dass Trump laut dem Pew Research Center im Jahr 2020 landesweit nur acht Prozent der schwarzen Wähler für sich habe gewinnen können und 2016 nur sechs Prozent. Ein republikanischer Präsidentschaftskandidat habe seit fast einem halben Jahrhundert nie mehr als 12 Prozent der schwarzen Wählerstimmen gewonnen, so die Zeitung.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise (2009); Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos (2012).
Dieser Artikel erschien zuerst bei Achgut.com
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