Links-Rutsch nach Wahlen in Polen

Von 2007 bis 2014 war Donald Tusk bereits Ministerpräsident der Republik Polen.
© OMAR MARQUES ANADOLU Anadolu via AFP

Die regierende national-konservative PiS konnte bei der Wahl am 15. Oktober in Polen zwar die meisten Stimmen auf sich versammeln, verfehlte aber die absolute Mehrheit im Parlament. Die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk hat gemeinsam mit zwei weiteren Oppositionsparteien, dem konservativen Dritten Weg und dem Linksbündnis Lewica, eine deutliche Mehrheit der Sitze errungen. Mit dem 66-jährigen ehemaligen EU-Funktionär Donald Tusk als Ministerpräsidenten wird Polen wohl auf den migrationsfreundlichen Kurs der EU eingeschworen werden. Damit hat sich Polen, trotz abschreckender Beispiele in westeuropäischen Staaten, für die muslimische Masseneinwanderung entschieden und setzt die bisherige Sicherheit seiner Bevölkerung aufs Spiel. (JR)

Von Univ.-Prof. Dr. Karsten Dahlmanns

Der freundliche Warschauer, ein Marketing-Mann, beugt sich leicht zu mir, um sich durch das Getöse der polnisch-spanischen Hochzeitsfeier in den Hügeln Südpolens verständlich zu machen. Er sei gespannt, ob es der PiS gelinge, für eine dritte Amtsperiode die Regierung zu stellen. So etwas habe im freien Polen, der Dritten Republik, noch keine Partei geschafft. „Sie meinen, der Wechsel sei für Ihre Landsleute ein Wert an sich?“ – „Ja, das meine ich.“

Die Polen haben ihre eigenen Maßstäbe. Hören wir ihnen zu.

Während die Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) in deutschen Medien zumeist als „rechts“ oder „nationalkonservativ“ firmiert, ist sie während der letzten Jahre unter meinen polnischen Bekannten zunehmend schärfer für ihre „linke“ Sozialpolitik kritisiert worden. Wojciech (alle Vornamen geändert), einen von den britischen Inseln zurückgekehrten Handwerker, der auch in Polen ordentlich verdient, verärgern zusätzliche Rentenzahlungen und Gratis-Medikamente für Senioren, die klassischerweise als „moherowe berety“ (Mohair-Baskenmützen) gescholtene Klientel der PiS, weil Geld verpulvert werde, das der Staat nicht habe. Die freundliche Dame in der Bäckerei des Nachbardorfes stimmt zu und ergänzt: „Schön sind sie ja, diese vielen Leistungen vom Staat. Aber wenn man einkaufen geht, wird spürbar, dass das Geld immer weniger wert ist.“ Schon vor einigen Monaten war im Radio zu hören, die Inflation werde der PiS den Wahlsieg kosten. „PiS = drożyzna“ (PiS = Teuerung) verkündeten in den Wochen vor dem 15. Oktober riesige Billboards an den Schnellstraßen nach Oberschlesien. Die Plakat-Aktion der Partei Donald Tusks wurde (und wird) von einer Internet-Seite begleitet, auf der die steigenden Preise veranschaulicht werden.

 

Last-Minute-Geschenke

Es darf als erwiesen gelten: Die wenigstens unter meinen Bekannten sehr oft als üppig-unbekümmerte Verteilerei von Geld- und Sachleistungen (rozdawnictwo) geschmähte Sozialpolitik brachte der PiS weit weniger Stimmen ein, als die Partei erhofft hatte. Viele Last-Minute-Geschenke der PiS wurden als dasjenige abgetan, was sie sind: kiełbasa wyborcza (annähernd wörtlich: Wurst vor den Wahlen), und mit Verachtung gestraft. Wer möchte, kann darin ein Kompliment für die Reife der polnischen Wählerinnen und Wähler erblicken.

Doch es geht nicht nur um Geld. Jarek, der von seinem gepflegten Haus in der Nähe von Katowice aus für eine angelsächsische IT-Firma arbeitet, hält das Kindergeldprogramm „500+“, fünfhundert Zloty pro Kind, das ab dem 1. Januar 2024 auf „800+“ steigen sollte, für schädlich, weil es im Verbund mit weiteren Leistungen des PiS-Sozialstaats zum Entstehen einer von Transferleistungen abhängigen – und Transferleistungen per Stimmabgabe einfordernden – Unterschicht geführt habe. So etwas schwäche Selbständigkeit und Freiheitsliebe. Jarek hat den konservativen englischen Essayisten Theodore Dalrymple und natürlich auch den pro-kapitalistischen US-Soziologen Thomas Sowell gelesen und argumentiert sowohl pro-liberal – die meisten Deutschen würden vermutlich sagen: radikalliberal –, als auch patriotisch. Der kürzlich in Danzig verstorbene Soziologe und Ökonom Gunnar Heinsohn hätte ihm beigepflichtet, wie etwa sein vor einigen Jahren in der Welt publizierter Artikel „Der Sozialstaat pumpt Geld und vermehrt die Armut“ zeigt.

 

Anhänger der Österreichischen Schule

Damit sind wir bei der Konfederacja, der einzigen Partei in Polen, die von Jareks Helden weder für sozialdemokratisch noch für sozialistisch gehalten würde. Ihr Spitzenkandidat Sławomir Mentzen, promovierter Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer, verkündete während des Wahlkampfs, er werde den Wählern keine staatlichen Leistungen zusagen, die bloß zu höherer Steuerbelastung führten, sondern dafür sorgen, dass sie weit, weit mehr von dem behalten können, was sie verdienen. Zugespitzt per Youtube Shorts: „Ich verspreche euch, dass ich euch nichts geben werde.“ Der noch keine vierzig Jahre alte Mentzen gehört zu einer zwar recht kleinen, aber keineswegs winzigen Gruppe von Polen, die genuin liberale Anschauungen vertreten, mit den Argumenten von Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek und anderen Größen der Österreichischen Schule in der Nationalökonomie vertraut sind und hier den Weg für die Republik Polen sehen. Mentzen hat die reichlich sieben Prozent für seine Partei als porażka, als Niederlage bezeichnet.

Gemessen an den Hoffnungen, die man sich gemacht hat, mag das richtig sein. Doch scheinen mir gut sieben Prozent aller Stimmen für eine minimalstaatlich orientierte, radikal freiheitliche Partei im etatistisch aus- und eingerichteten Kontinentaleuropa mehr als beeindruckend!

Um den sich hier abzeichnenden Unterschied zu Deutschland in eine Vignette zu fassen: polnischen Leserinnen und Lesern stehen verschiedene Bücher des pro-liberalen US-Ökonomen und Soziologen Thomas Sowell in Übersetzung zur Verfügung. Deutschen Lesern und Leserinnen (laut Katalog der Deutschen Nationalbibliothek) ein einziges. Freilich sollte mit den pro-liberalen Hoffnungen nicht übertrieben werden. Noch ein jeder unter meinen polnischen Bekannten, ob Akademiker oder nicht-Akademiker, ob Unternehmer oder Angestellter, hat sarkastisch aufgelacht, als ich ihm von Rainer Zitelmanns in dessen 2023 publiziertem Buch Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers statistisch belegter Hypothese erzählte, in Polen sei der Sozialneid vergleichsweise niedrig ausgeprägt. Wie gesagt: die Polen haben ihre eigenen Maßstäbe.

Zurück zu den Wahlen. Eine ältere, ungemein belesene Kollegin erwähnt bei einem Plausch vor der Jagiellonen-Bibliothek in Krakau, die PiS habe insofern Pech gehabt, als ihre Landsleute den schier unglaublichen wirtschaftlichen Aufstieg Polens eben nicht dem Staat, sondern der jeweils eigenen Leistung zuschrieben. Der Ausbau der Verkehrswege habe geholfen, sicher. Aber sonst seien der Staat und seine Bürokratie, wie üblich, eher hinderlich gewesen: durch drollige bis groteske Vorschriften, durch den gerade für kleinere Unternehmer hinderlichen Sozialversicherungszwang, durch Steuern. Ob eine neue Regierung unter Führung der Koalicja obywatelska (KO, Nachfolgerin der PO) diese Hemmschuhe beseitige, wage sie zu bezweifeln. Auch die Sozialpolitik, das Herumwerfen mit Geld, werde sich kaum ändern.

 

Grüne Steuermittelverbrennungsanlagen

In Sachen KO fällt dem Beobachter auf, wie gut sich die Partei auf das Branding versteht. Das Herzchen-Emblem. Das blasse Orange. Die freundlich dreinblickenden Herrschaften auf den Plakaten, die zumeist weltgewandter, jünger und „offener“ wirken als die Konkurrenz von der PiS. Vielleicht hat der Wunsch nach solcher „Offenheit“ – so unscharf, ja rätselhaft der Begriff auch sein mag – viele Wählerinnen und Wähler bewogen, ihr Kreuz bei der KO zu machen. Die aus Rzeszów stammende Psychologin Joanna berichtet, wie unangenehm es sie während ihrer dritten Schwangerschaft berührt habe, in der Frauenklinik ein gerahmtes Bildnis von Johannes Paul II. zu sehen; sie habe befürchtet, religiöse Erwägungen könnten das ärztliche Vorgehen kontaminieren. An solchen Berichten lässt sich ablesen, dass der Unwille vieler Polinnen und Polen der stark katholisch geprägten PiS gegenüber keineswegs ökonomischer Natur sein muss.

Doch noch einmal zurück zur Wirtschaft. Der mit den ökologischen Irrwegen des Westens vertraute Einwanderer nimmt der PiS-Regierung ihren Flirt mit „grüner“ Politik übel. Einige der herrlichen Landschaften Niederschlesiens sind mit Windkraftwerken, diesen Steuermittelverbrennungsanlagen verstellt, und selbst im viel weiter östlich gelegenen Kleinpolen sind sie bereits zu beklagen. Elektro-PKW (mit grünem Nummernschild) dürfen die Busspuren der Großstädte nutzen. Im Radio versprechen Werbespots und Interviews eine Transformation, die der Republik Polen und ihren Bewohnern wenig nützen, sondern eher schaden wird. In der Zwischenzeit plagen den Pfarrer ein paar Dörfer weiter explodierende Rechnungen für die Müllabfuhr vom Friedhof seiner Kirchengemeinde, und die Intelligenteren unter den hiesigen Schülern lästern darüber, „schon wieder“ über Klimaschutz gesprochen haben zu müssen.

Wie geht es weiter? Einen der größten Schätze meines Gastlandes bildet der öffentliche Raum, seine Straßen, Plätze und gepflegten Parks mit Bänken, die selten durch Graffiti beschmiert sind. Wenn nicht gerade, wie in Krakau häufiger, einige ihren Junggesellenabschied feiernde Angelsachsen herumkrakeelen, lässt sich hier gut sein. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre, in der Gruppen gewaltbereiter Jugendlicher kein Vorkommnis bilden, mit dem man rechnen müsste. Wollen wir hoffen, dass dieses Gut unter der künftigen Regierung bewahrt werden kann!

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