Die lange Geschichte der Judenfeindlichkeit in der britischen Labour-Party

Die britischen Labour-Abgeordneten Diane Abbott und Jeremy Corbyn fallen immer wieder mit judenfeindlichen Aussagen auf. © WIKIPEDIA

Die Labour-Abgeordnete Diane Abbott fällt, wie ihr als notorischer Antisemit bekannter Kollege und ehemaliger Parteichef Jeremy Corbyn, wiederholt mit eindeutigen antisemitischen Äußerungen gegenüber dem Judentum und Israel auf. Neben den Iren, Sinti und Roma würden auch die Juden nicht zeitlebens mit Rassismus zu kämpfen haben, wie es schwarze Menschen erleiden müssten, so ihre, die Geschichte verdrehende Meinung. Mit der Bagatellisierung der Shoah und der Hintanstellung der über Jahrtausende anhaltenden Verfolgung der Juden sowie der vorsätzlich falsch eingeordneten Klassifizierung der Opfer relativiert sie erheblich die Gräueltaten der Nationalsozialisten. Damit scheint der Antisemit Corbyn und die heutigen britischen Sozialisten offensichtlich gar kein Problem zu haben. (JR)

Von Julian M. Plutz

Diane Abbott ist eine Frau, die sich durchgebissen hat. Als Tochter eines Schweißers und einer Krankenpflegerin wanderte die Familie 1951 von Jamaika nach England ein. Genauer gesagt nach London, Paddington, in einer Zeit, als der Stadtteil noch ein Arbeiterviertel war. Sie lernte früh, mit Rassismus umzugehen, was sie später auch zu nutzen wusste. In der “Harrow County School for Girls” hatte sie als einzige Schülerin eine dunkle Hautfarbe. Anschließend ging sie auf ein College in Cambridge. Nach dem Studium der Geschichte arbeitete sie als Journalistin, bis sie schließlich Berufspolitikerin wurde.

1987 war sie wieder die einzige Schwarze. So zog sie als erste Dunkelhäutige in das britische Parlament ein. In ihrer Partei, der Labour Party, gilt sie seither als links und Unterstützer des späteren Parteichefs Jeremy Corbyn, dessen Beliebtheit bis zu den Jusos nach Deutschland schwappte. Abbott und Corbyn teilen jedoch nicht nur ein sozialistisches Weltbild, sondern auch die Tatsache, dass sie ein Problem mit Juden haben. Aus diesem Grund wurde Abbott unlängst aus der Fraktion der Labour Party ausgeschlossen.

 

Frau Abbott möchte die Spitze der Opferpyramide erklimmen

In einem Leserbrief an die Sonntagszeitung “The Observer” schrieb sie, dass Juden, Iren und Sinti und Roma zwar in der Vergangenheit mit Vorurteilen kämpfen müssen, sie seien aber “nie zeitlebens Opfer von Rassismus geworden”, so wie Menschen dunkler Hautfarbe in aller Welt. “Natürlich haben diese Gruppen hier und da Diskriminierung erfahren, wie zum Beispiel hellhäutige Menschen mit rotem Haarschopf.” Aber mit Rassismus identisch ist diese Art von Vorurteilen nicht. „Vor Beginn der Bürgerrechtsbewegung in Amerika mussten Iren, Juden und Travellers nicht hinten im Bus sitzen“, rechtfertigte Abbott ihr Argument. Auf dem Höhepunkt der Sklaverei habe man „keine Menschen von weißer Erscheinung an die Sklavenschiffe gekettet gesehen“.

Das saß. Alleine die Chuzpé zu besitzen, die Leidensgeschichte von Juden mit der von Iren gleichzusetzen zeigt, dass Diane Abbott zwar Geschichte studierte, Teile der Geschichte jedoch nicht verstanden hat. Denn Konzentrationslager für Iren gab es ebenso wenig wie Pogrome. Gleiches gilt im Übrigen auch für Schwarze. Es bleibt ein Rätsel, weshalb ausgerechnet Frau Abbott den Olymp der Opferpyramide erklimmen will. Möchte sie mit der Relativierung der Shoah die Sichtbarkeit des eigenen, gefühlten Leid perpetuieren? Oder mag sie einfach nur keine Juden?

Immerhin waren aus den eigenen Reihen Reaktionen folgerichtig. Labour Chef Keir Starmer sagte auf Nachfrage, Abbotts Auslassungen seien antisemitisch und zu verurteilen. Dass sie selbst Opfer von Rassismus geworden sei, könne keine Entschuldigung darstellen. Und dann sagt Brite den entscheidenden Satz: “Es darf keine Hierarchie des Rassismus aufgemacht werden.” Genau darum geht es. Wer unbedingt die Opferolympiade gewinnen möchte, klassifiziert Opfer. Sie merken gar nicht, dass sie damit die Logik der Nationalsozialisten übernehmen. Wer Opfer entwertet, der negiert das grundsätzliche Gefühl des Opferseins: Scham.

 

„Hitler war Zionist”

Leider kommt der Antisemitismus in Reihen der Labour Party oft selbst recht schamlos daher. Und er ist nicht neu. Jeremy Corbyn wurde 2015 zum Vorsitzenden der Arbeiterpartei gewählt. Mit ihm wurde die Partei linker. Doch nicht nur das: Offensichtlich galt für viele Judenhasser die Wahl Corbyns zum Startschuss, ihre Agenda durchzusetzen.

So war sich Londons Altbürgermeister Ken Livingston im Jahre 2016 nicht zu schade, der Nachwelt die Weisheit mitzuteilen, dass auch Hitler Zionist gewesen war. So hätten die Nazis zunächst die Pläne gehabt, die deutschen Juden nach Palästina umzusiedeln. “Hitler unterstützte den Zionismus, bevor er verrückt wurde und sechs Millionen Juden umbrachte.” Auf Nachfrage in einer Sendung der BBC sagte Livingstone, er sei seit 40 Jahren in der Labour-Partei und er habe “nie jemanden etwas Antisemitisches sagen hören”.

Wenn man die Messlatte von Antisemitismus auf die Höhe von Auschwitz-Birkenau legt, dann gibt es tatsächlich keine Judenfeindlichkeit in der britischen Arbeiterpartei. Dann ist die ehemalige Labour-Politikerin Naz Shah auch nicht antisemitisch. Shah hat auf Facebook ein Bild veröffentlicht, auf dem Israel als Teil der USA zu sehen ist. Darüber steht die Überschrift: "Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt: Verlagert Israel in die USA”. Außerdem versah sie den Kommentar mit dem Hashtag #ISraelApartheid und den Worten: “Vergesst nie, dass alles, was Hitler in Deutschland getan hat, legal war. Livingstone formuliert das so: “Ich habe viel Kritik über den Staat Israel und seine Misshandlungen der Palästinenser gehört, aber ich habe nie einen gehört, der antisemitisch war.”

 

„Komplette Ausrottung aller Juden”

Kognitive Dissonanz oder simpler Antisemitismus? In der Labour Party scheint beides möglich zu sein. Beides ist gleich gut, solange es gegen Israel geht. Doch manchmal handelt es sich nicht nur um israelbezogenen Antisemitismus, der zumindest vorgeblich elegant daherkommt, sondern um simplen, primitiven, plumpen Judenhass.

Als im Jahr 2019 Großbritanniens Kommission für Gleichheit und Menschenrechte dem Vorwurf des strukturellen Antisemitismus in der Arbeiterpartei nachging, kam sie zu erschreckenden Ergebnissen. 70 aktuelle und frühere Labour-Mitarbeiter berichteten von zahlreichen Vorfällen. So sei einer bei einem Treffen als “Kindermörder” und “Zionistenabschaum” und “Tory-Jude” beschimpft worden. Allein diese Person schilderte insgesamt 22 antisemitische Anfeindungen gegen sich selbst, bis hin zu “Hitler hatte recht”.

Kurz darauf veröffentlichte die “Sunday Times” ein Dokument aus dem Disziplinarausschuss der Partei. Darin findet sich eine Beschwerde eines Parteimitglieds, wonach es noch mehr als 130 ausstehende Fälle von Antisemitismus gebe, die die Partei noch nicht aufgearbeitet habe. Teilweise sind die Fälle mehrere Jahre alt. Unter anderem forderte ein Mitglied der Partei, die “komplette Ausrottung aller Juden” endlich voranzubringen. Offensichtlich hatte die Partei kein Interesse, diese Aussagen zu sanktionieren.

Nicht die Täter verlassen die Partei, sondern die Opfer

Im Zentrum der zahllosen Antisemitismen stand immer wieder Jeremy Corbyn. Umso unverständlicher scheint es, warum Corbyn einen so guten Ruf hat, bis nach Deutschland. So machte Kevin Kühnert nie ein Geheimnis daraus, dass er Fan des britischen Sozialisten sei: “Natürlich ist Corbyn auch so etwas wie ein Vorbild”, sagte der SPD-Politiker im Jahr 2019 in einer TV-Sendung. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch bereits einige judenfeindliche Aussagen des ehemaligen Labour-Chefs bekannt.

Im Jahr 2009 bezeichnete er die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah als “Freunde”. Ganze sieben Jahre dauerte es, bis Corbyn die Aussage “bedauerte”. Ebenfalls bedauerte er die drei Jahre zuvor getätigte Aussage, britische Zionisten “verstehen keine englische Ironie”. Von nun an versprach er, künftig vorsichtiger bei der Verwendung des Wortes “Zionist” zu sein, da dieses als Codewort für “Jude” benutzt werden würde. 2019 verließen sieben Labour-Abgeordnete aus Protest gegen Corbyn die Partei. Unter ihnen war auch die jüdische Abgeordnete Luciana Berger. Sie soll über Jahre hinweg antisemitischen Drohungen innerhalb der Partei ausgesetzt gewesen sein. Die Anfeindungen hätten sie "physisch krank gemacht", sagte die Politikerin. Besonders beschämend ist die Tatsache, dass das Opfer, Berger, die Partei verlässt, nicht aber die Täter.

So gesehen ist die Causa Diane Abbott nur folgerichtig. Es passt ins Bild einer bis ins Mark judenfeindliche Bewegung. Dass Abbott in den siebziger Jahren eine Affäre mit Jeremy Corbyn hatte, wäre unter normalen Umständen nur eine boulevardeske Fußnote. In dem Zusammenhang einer jahrzehntelangen judenfeindlichen Vita wirkt diese Beziehung wie ein Symbol, das die Zusammenhänge bestätigt. Hier kam zusammen, was zusammen gehörte.

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