Türkische Siedlungspolitik auf Zypern: Kein Aufschrei der Weltöffentlichkeit

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan treibt die Islamisierung Nordzyperns im Stechschritt voran.
© Adem ALTAN / AFP

Seit 1974 ist der Nordteil Zyperns gewaltsam und illegitim von der Türkei besetzt. In der sogenannten „Türkischen Republik Nordzypern“ regiert eine politische Marionette Ankaras von Erdogans Gnaden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan treibt die Islamisierung Nordzyperns im Stechschritt voran, so dass sogar Muslime, wenn sie einigermaßen gemäßigt sind, eine regelrechte Kolonialisierung der Insel und eine aggressive Siedlungspolitik durch staatstreue und streng gläubige türkische Nationalisten beklagen. Zwar hat der UN-Sicherheitsrat die Türkei für ihr Vorgehen mehrfach verurteilt, doch im Vergleich zum „Dauerfeuer“ gegen Israel ist dies eine eher magere Geste. Obwohl Judäa und Samaria historisch und juristisch zum israelischen Kernland gehören, nutzen die arabischen Staaten jede Gelegenheit, um in der UNO Resolutionen gegen Israel durchzusetzen, allzu oft auch mit der Unterstützung Deutschlands. Die Türkei dagegen erfreut sich nahezu vollständiger Zurückhaltung in der Völkerfamilie, wenn es um die Verurteilung ihrer imperialistischen Eroberungspolitik geht. Die ungerügte Nato-Mitgliedschaft ist angesichts der Angriffe und Provokationen gegenüber Griechenland, sowie der fortgesetzten Okkupation des nördlichen Teil Zyperns ein politischer Skandal und macht die Heuchelei und den doppelten Standard in der UN, in der EU und in der NATO nur noch deutlicher. (JR)

Von Mirjam Lübke

Das Wort „Siedlungspolitik“ lässt die meisten Deutschen erst einmal an Israel denken, an das sogenannte „Westjordanland“, also die Region Judäa und Samaria. Unsere Medien berichten gern mit erhobenem Zeigefinger von den dortigen Konflikten, und mancher, der sein negatives Bild von Israel schon festbetoniert im Kopf trägt, wird gar zum „Hobbyvölkerrechtler“, der genau zu wissen meint, welches Unrecht dort geschähe. „No Jews, no news!“ könnte man denken, wenn man hingegen betrachtet, wie wenig die türkische Siedlungspolitik auf Zypern beachtet wird. Die Regierung Erdogan treibt diese im Nordteil der Insel massiv voran – nicht immer mit der Zustimmung der dortigen türkischen Bevölkerung. Denn für diese war Zypern bisher eine säkulare Oase mit moderner, europäisch geprägter Lebensweise. Diese jedoch ist dem an der Reislamisierung der Türkei gelegenen Recep Tayyib Erdogan ein Dorn im Auge.

Nach einem Militärputsch im griechischen Teil der Insel ist der Norden seit 1974 von der türkischen Armee besetzt. Es folgte die Ausrufung der „Türkischen Republik Nordzypern“ im Jahr 1983. Diese wird allerdings bisher nur von der Türkei als Staat anerkannt. Als Zypern 2004 der EU beitrat, blieb der Nordteil davon unberührt, das EU-Recht ist dort bis zur Statusklärung der Insel ausgesetzt. Erdogan fordert hartnäckig eine „Zweistaatenlösung“, das läuft aber den Beschlüssen der UN zuwider. Frühere türkische Regierungen betrachteten Nordzypern tatsächlich wie einen eigenen, befreundeten Staat mit eigener Verwaltung, aber auch das hat sich in den letzten Jahren geändert. Die türkischen Zyprer fühlen sich mehr und mehr wie die Bewohner einer türkischen Kolonie. Vor allem junge Menschen wandern aus, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Ein Auslandstudium ist eine gute Gelegenheit dazu.

 

Islamisierung Nordzyperns

Die Oppositionspolitikerin Dogus Derya sprach auch mit deutschen Journalisten über die Veränderungen in ihrer Heimat. Der Weggang der jungen Zyprer lässt sie um die Zukunft ihres Teils der Insel fürchten, er ist auch eine Folge der Politik in Ankara. Denn die Veränderungen sind kaum zu übersehen: Wie immer das auch mit Erdogans religiösem Anspruch zu vereinbaren ist, macht sich das Rotlichtmilieu im Norden der Insel breit. Der ungeklärte rechtliche Status lässt Interpol keine Chance, den aufblühenden Menschenhandel mit jungen Frauen zu verfolgen. Offiziell werden diese Frauen als Studentinnen angemeldet, müssen aber tatsächlich als Prostituierte arbeiten. Das geschieht nicht auf Erdogans Initiative hin, aber sein Unwillen, mit der UN in Verhandlungen zu treten, verzögert auch eine effektive Zusammenarbeit mit internationalen Behörden. Auf der anderen Seite will der türkische Präsident der Insel einen religiösen Stempel aufdrücken und finanzierte den Bau einer prächtigen Moschee, die weithin sichtbar die Landschaft dominiert. Angenommen wird das religiöse „Geschenk“ von den meisten türkischen Zyprern nicht. Zwar sind sie auf dem Papier Muslime, aber nicht besonders religiös.

Nicht zufällig erinnert das an Erdogans Vorgehen in Deutschland. Denken wir nur an die Kölner Zentralmoschee, die zwar von der Stadt maßgeblich finanziert und als Zentrum der religiösen Begegnung gefeiert wurde. Bei ihrer Einweihung im September 2018 durch den türkischen Präsidenten waren Vertreter der Stadt nicht willkommen, trotz Verbots erschienen tausende Anhänger Erdogans mit türkischen Fahnen in Köln-Ehrenfeld um Erdogan öffentlich zu feiern. Damit sandten sie auch ein deutliches Signal an ihre eher weltlich orientierten Landsleute, die etwa die Hälfte der türkischen Gemeinschaft in Deutschland ausmachen: Auch wenn es bei der Demonstration nach Polizeiberichten keine Zwischenfälle gab, glich sie einer „Reviermarkierung“. Kritiker des Moscheebaus hatten gerade solche Dominanzgesten befürchtet. Der Enthüllungsautor Günther Walraff schlug deshalb schon 2007 als Geste der Versöhnung vor, als Bekenntnis zum Grundgesetz Salman Rushdies „Satanische Verse“ in den Räumen der Moschee zu lesen. Die türkische Religionsbehörde Diyanet lehnte das rundheraus ab und Walraff erhielt anonyme Drohungen.

 

Zypern als Satellitenstaat der Türkei

Erdogan zeigt offenbar auch im Ausland lebenden Türken gern, wem sie seiner Ansicht nach Loyalität schulden. In Deutschland geht es dabei um die Stimmen der nationalistisch eingestellten Wähler mit Doppelpass – mit dem Versuch, in Nordzypern einen türkischen Satellitenstaat zu etablieren, könnte er planen, einen Fuß in die Tür zur EU zustellen. Bekanntlich hat die Türkei mehrfach um eine Aufnahme ersucht, stieß aber weitgehend auf Ablehnung.

Der türkische Präsident spielt dabei aber auch mit dem Feuer der internationalen Politik. Um die zerstrittenen Teile der Insel auseinanderzuhalten, richtete die UNO eine neutrale Pufferzone ein – nördlich davon liegt die „Geisterstadt“ Varosha, die von der türkischen Armee zur militärischen Sperrzone erklärt wurde. Damals mussten 40.000 Bewohner der Stadt Famagusta, deren Ortsteil Varosha ist, ihre Heimat verlassen und wurden in den Südteil der Insel umgesiedelt. Um Varosha blieb es jahrzehntelang still, bis Erdogan bei einem Besuch auf Zypern 2021 erklärte, den einst beliebten und wohlhabenden Küstenort wieder zur Besiedlung freigeben zu wollen. Er und der Präsident Nordzyperns, Ersin Tatar, ließen einen Teil des Strandes sofort wieder eröffnen, es sei schließlich bekannt, wem die Stadt Famagusta gehöre. Das Leben dort solle wieder aufblühen, den ehemaligen Bewohnern wurde sogar angeboten, in ihre Häuser zurückzukehren. Was wie ein großzügiges Angebot klingt, würde in Wirklichkeit den Status Quo zementieren: Faktisch würden die Rückkehrer zu Bürgern Nordzyperns und Famagusta als Teil der nicht anerkannten Republik etabliert.

Erdogan setzte sich damit auch die Pläne der UN hinweg, Zypern als Einheit zu bewahren und eine Lösung zu finden, die sowohl griechische als auch türkische Zyprer an einen Tisch bringen würde. Das Empfinden der Bewohner des Nordteils ist also durchaus berechtigt: Anstatt sich eine relative Unabhängigkeit zu bewahren und mit dem griechischen Südzypern in Frieden zu leben, schürt Erdogan mit seinen Provokationen die Feindseligkeiten zwischen den Landesteilen. Ersin Tatar scheint nicht einmal zu bemerken, dass er damit auch einen Teil seiner Unabhängigkeit aufgibt, wenn er faktisch vom Präsidenten zum Verwalter von Erdogans Gnaden degradiert wird. Die geschaffenen Fakten dienen letztlich nur dem Machtanspruch des türkischen Präsidenten.

 

Zweierlei Maß der UN in Judäa und Samaria

Zwar legte die UN Protest gegen Erdogans Vorgehen ein, aber um noch einmal zum Vergleich mit der israelischen Politik zu kommen, fiel dieser sehr milde aus. Zudem gehören Judäa und Samaria zum israelischen Kernland, zu einem Gebiet, das dem jüdischen Staat bereits von den Vereinten Nationen zugesprochen worden war. Im von den arabischen Staaten provozierten Sechstagekrieg von 1967 eroberte Israel das sogenannte „Westjordanland“ also lediglich von Jordanien zurück. Seitdem steht der jüdische Staat sowohl wörtlich als auch tatsächlich unter Dauerfeuer – die arabischen Staaten nutzen jede Gelegenheit, um in der UN Resolutionen gegen Israel durchzusetzen. Leider auch mit der Unterstützung Deutschlands, dessen politische Vertreter sich zwar als „Beschützer“ Israels öffentlich präsentieren, aber aus wirtschaftlichen und politischen Interessen nur zu oft dem Druck der UN nachgeben. Es ist die übliche Doppelmoral: Obwohl im Falle Erdogans die Provokation weitaus eindeutiger ist, er der UN jegliche Kooperation verweigert und seine Machtansprüche offen auslebt, erhebt sich kein nennenswerter Protest.

An der mangelnden Größe Zyperns kann es nicht liegen, denn auch Israel ist ein kleines Land etwa von der Größe Hessens. Aber offenbar ist an der Weisheit „No Jews, no news!“ etwas dran. Während Israel unter moralischer Dauerüberwachung steht und beständig an der Wahrung selbst legitimer Interessen behindert wird, erhält Recep Tayyip Erdogan für seine Machtpolitik von der UN lediglich einen Klaps auf die Hand. Den deutschen Medien ist sein Verhalten kaum eine Zeile wert – dabei könnte man sein Vorgehen auch als Warnsignal für unser eigenes Land werten. Die Ereignisse von Köln haben gezeigt, dass der türkische Präsident auch hier nicht davor zurückschreckt, seinen Einfluss auszuweiten. Und das auch auf Kosten der hier lebenden, integrationswilligen Türken. Es hat den Anschein, als würde es bereits jetzt keiner mehr wagen, dem etwas entgegenzusetzen.

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