Terror-Prozess in Brüssel: Das dröhnende Schweigen über die Täter

Unter den Tatverdächtigen befindet sich auch der verurteilte IS-Terrorist Salah Abdeslam.© Didier LEBRUN / POOL / AFP

Am 22. März 2016 hatten IS-Terroristen am Brüsseler Flughafen und in der Metrostation Maelbeek 32 Menschen ermordet, es gab über 300 Verletzte. Unter den Tatverdächtigen befindet sich auch Salah Abdeslam, der in Frankreich bereits wegen seiner Beteiligung am Terroranschlag von Bataclan mit insgesamt 130 Toten verurteilt worden ist. Nun stehen die mutmaßlichen Täter in Brüssel vor Gericht. Wie allerdings die öffentlich-rechtliche Webseite tagesschau.de über den Terror-Prozess berichtet, ist verstörend. Es wird nicht genannt, wer für das islamische Blutbad verantwortlich ist und was die Motive des Massakers waren. Und es ist beileibe nicht das einzige Beispiel für die von unseren Medien praktizierten Islam-Verharmlosung. (JR)

Stefan Frank/Achgut.com

Es war das Schlimmste je zu Friedenszeiten in Belgien verübte Massaker: die in Brüssel von extremistischen Muslimen des Islamischen Staates (IS/ISIS) verübten Terroranschläge vom 22. März 2016. Durch die Detonation von mit Nägeln gefüllten Bomben wurden am Brüsseler Flughafen und in der Metrostation Maelbeek 32 Menschen getötet. Über 300 weitere wurden verletzt, viele davon so schwer, dass sie für den Rest ihres Lebens mit den körperlichen und seelischen Folgen kämpfen werden.

Sechs Jahre später stehen die mutmaßlichen Täter in Brüssel vor Gericht. Der Prozess, der im ehemaligen NATO-Hauptquartier stattfindet, gilt als der größte der belgischen Geschichte. Hunderte von Zeugen und Opfern werden in den nächsten Monaten aussagen.

Zu den Angeklagten gehört auch Salah Abdeslam, der in Frankreich bereits zu lebenslanger Haft verurteilt wurde – wegen seiner Rolle als einer der Drahtzieher bei den Massakern in Paris am 13. November 2015. Bei den Bombenanschlägen in der Nähe des Stade de France (während des Fußballländerspiels Frankreich-Deutschland), der Geiselnahme und Massenerschießung im Konzert- und Kulturhaus Bataclan und den Schusswaffenangriffen auf Passanten und Cafébesucher in der Innenstadt wurden 130 Menschen getötet, rund 700 verletzt.

Rasch wurde bekannt, dass Salah Abdeslam und mehrere seiner Komplizen aus dem berüchtigten Brüsseler Stadtteil Molenbeek stammten, der seit vielen Jahren als „Terroristenfabrik“ bekannt war. In der Amtszeit des sozialistischen Bürgermeisters Philippe Moureaux zwischen 1992 und 2012 war Molenbeek zu einem Biotop für radikale Muslime geworden, die von Moureaux protegiert wurden – auch aus Eigennutz, wie Kritiker mutmaßten (Moureaux wohnt selbst nicht in Molenbeek, sondern im noblen Brüsseler Viertel Ucce). Der Jurist Etienne Dujardin, liberaler Abgeordneter im Kommunalparlament von Brüssels beschaulichem östlichen Stadtteil Woluwe-Saint Pierre, schrieb damals auf dem Nachrichtenportal Levif.be, die Zustände in Problemvierteln wie Molenbeek, Verviers oder Saint Denis hätten auch etwas mit gezielten Bestrebungen einiger Politiker zu tun, die in den radikalen islamischen Zirkeln willkommene Wahlkampfhelfer fänden:

„Die Parteien haben eine auf Wahlen ausgerichtete Klientelwirtschaft betrieben, sie alle haben dieselben radikalen Moscheen als Sprachrohr ihres Wahlkampfes benutzt. Manche betrachteten sie als ein großes Reservoir leicht verfügbarer Wählerstimmen.“

 

Schaltzentrale des Terrorismus

Schaut man sich an, wie viele berüchtigte Dschihadisten aus Molenbeek stammen, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dass der Stadtteil mit seinen knapp 100.000 Einwohnern seit mehr als 20 Jahren die Schaltzentrale des radikal-islamischen Terrorismus in Europa ist.

– Abdessatar Dahmane kam von dort. Er war Teil eines Teams, das sich als marokkanische Journalisten ausgab und 2001, zwei Tage vor den Anschlägen vom elften September, in Afghanistan den legendären Anti-Taliban-Kommandanten Ahmed Shah Massud ermordete. Dahmane war ein regelmäßiger Besucher von Molenbeeks Islamischem Zentrum. Dort lernte er seine spätere Frau Malika el-Aroud kennen, die Rekruten für den Anschlag auf Massad warb.

– Aus Molenbeek stammten die Waffen, die im Januar 2015 beim Massaker im Büro der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ zum Einsatz kamen.

– Hier wohnte der französische Dschihadist Mehdi Nemouche, der 2014 im jüdischen Museum in Brüssel ein Blutbad anrichtete.

– Von hier aus brach im August 2015 Ayoub El Khazzani zum versuchten Anschlag auf den TGV Amsterdam-Paris auf.

– Die beiden Dschihadisten, die die belgische Polizei im Januar 2015 in Verviers tötete, stammten ebenfalls aus Molenbeek.

– Auch der muslimische Terrorist Amedy Coulibaly – er ermordete am 8. Januar 2015 in Paris die Polizistin Clarissa Jean-Philippe, am folgenden Tag nahm er die Kunden des koscheren Pariser Supermarkt HyperCacher als Geiseln und erschoss vier von ihnen – hatte sich einige Zeit in Molenbeek aufgehalten.

„In Teilen von Brüssel gibt es Gebiete, wo die Polizei wenig Zugriff hat, sehr abgetrennte Gebiete, die sich nicht so anfühlen, als wären sie Teil des belgischen Staates“, sagt Edwin Bakker, Leiter der Forschungsabteilung der Niederländischen Polizeiakademie und Professor für Terrorismusstudien an der Universität Leiden.

In Molenbeek fühlte die Terrorzelle um Salah Abdeslam sich sicher, solange sie keine Anschläge in Belgien durchführte. Dort plante sie auch einen großen Terroranschlag auf die Eröffnungsfeier der Fußballeuropameisterschaft in Paris am 10. Juni 2016. Die Brüsseler Anschläge am 22. März wurden offenbar als – spontane – Racheaktion unternommen, nachdem die belgische Polizei am 16. März 2016 Salah Abdeslam in Molenbeek verhaftet hatte.

 

ARD, ZDF und das Verschwinden der Täter

In dem nun beginnenden Prozess in Brüssel wird die Öffentlichkeit hoffentlich mehr über die Täter, ihre Vorgehensweise und Verbindungen sowie die Strukturen des Islamischen Staates erfahren. Verstörend ist, wie die öffentlich-rechtliche deutsche Internetzeitung tagesschau.de am 5. Dezember über den Prozessauftakt berichtete: Die Täter kommen in dem Beitrag überhaupt nicht vor! Es heißt zwar an einer Stelle:

„Die Staatsanwaltschaft wirft acht von ihnen terroristischen Mord und versuchten terroristischen Mord vor sowie Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe (vor).“

Wie aber diese Terrorgruppe heißt, erfährt der Leser nicht. Es gibt in dem Artikel keinen Hinweis auf den Islamischen Staat, von Islamismus ist nicht die Rede, auch die Namen der bereits in Frankreich verurteilten Täter wie etwa Abdeslam werden nicht genannt. Der Beitrag stammt vom Bayerischen Rundfunk.

Es stellt sich die Frage, ob das ein neuer Trend bei tagesschau.de und insbesondere beim Bayerischen Rundfunk ist: bei Massakern, die von Terrororganisationen wie dem IS oder der PLO verübt wurden, über die Täter kein Wort zu verlieren. Der aktuelle Fall ist nämlich der zweite derartige in wenigen Monaten.

Erst im Juni hatten die Redaktion von tagesschau.de und ihr Autor, BR-Journalist Tim Aßmann vom ARD-Studio Tel Aviv, das Kunststück fertiggebracht, einen Beitrag über die Angehörigen der Opfer des Olympia-Massakers von München 1972 zu veröffentlichen, ohne irgendwelche Verantwortlichen zu erwähnen. Man erfuhr, wer die Opfer, nicht aber, wer die Täter waren. Zwar berichtete der Text sehr wohl von einem „Anschlag“, ja, sogar von einem „Blutbad", das es damals in München gegeben habe. Urheber der Tat nannte der Autor aber keine.

Damals beantwortete die Pressestelle des BR meine Anfrage dazu nicht. Nun wandte ich mich erneut an sie. Ich wollte wissen, warum die Leser des Artikels über das Massaker von Brüssel über die Täter und Motive des Massakers im Dunkeln gelassen werden. Das sei umso auffälliger, schrieb ich, „als es ja in der früheren ARD-Berichterstattung (etwa im Bericht „Ein Bruder in der Metro, der andere im Airport“, tagesschau.de, 23.3.2016) noch hieß, dass sich die Dschihadistenmiliz ‚Islamischer Staat' zu den Anschlägen bekannt habe. Sogar die Namen der mutmaßlichen Täter wurden damals genannt. Gern wüßte ich, warum es im aktuellen Bericht keinerlei Hinweis auf die mutmaßliche Urheberschaft des IS und das dschihadistische Motiv mehr gibt.“

Wenige Stunden später antwortet der Autor Jakob Mayr persönlich. Die Frage lasse sich leicht beantworten, schreibt er. Er sei „nicht näher auf die mutmaßlichen Täter eingegangen“, weil in seinem Beitrag „ausdrücklich die Opfer und ihre Erwartungen an den Prozess im Fokus" gestanden hätten. So sei der Beitrag auch überschrieben. Er habe sich mit Opfern und Opferanwälten unterhalten – auch weil er finde, „dass deren Belange in solchen Verfahren oft unterbelichtet“ würden. „Es gibt genügend Beiträge über die mutmaßlichen Täter und ihre Netzwerke – meiner gehört nicht dazu und sollte das auch nicht.“

 

Man tut den Opfern keinen Gefallen

Das ist eine legitime Herangehensweise eines Autors im Rahmen einer breiteren kollektiven Berichterstattung: Wenn es etwa einen Artikel über die Tat und die Täter gäbe, einen zweiten über die Opfer. Dann weiß der Leser Bescheid. Da aber an jenem Tag auf der Website tagesschau.de eben kein Beitrag über die mutmaßlichen Täter und ihre Netzwerke erschienen war, hätte die Redaktion in jedem Fall durch einen entsprechenden Vorspann oder einen Informationskasten dafür sorgen müssen, dass der Leser erfährt, worum es überhaupt geht. Ein einziger Satz hätte gereicht.

Es kann sechs Jahre nach der Tat nicht vom Leser erwartet werden, sich an die frühere Berichterstattung zu erinnern. Der Redaktion von tagesschau.de zugutehalten lässt sich lediglich, dass in dem Beitrag immerhin ein Artikel von März 2016 verlinkt ist, der wesentliche Fakten enthält, die in dem aktuellen Text nicht genannt werden. Das ist aber zu wenig, zumal der Link erst in der zweiten Texthälfte zu finden ist. Wer den Vorspann liest, erfährt nur dies:

„Das Verfahren zu den Anschlägen am Flughafen und in der Metro von Brüssel 2016 ist Belgiens größter Prozess. 32 Menschen wurden damals getötet, Hunderte verletzt. Für die Opfer ist die Verhandlung eine Belastung – und ein Abschluss.“

Der Leser kann rätseln: Welche Anschläge waren das? Warum wurden sie verübt und von wem? Auch auf der Website des ZDF erschien am 5. Dezember 2022 ein Beitrag über den beginnenden Prozess. Unter der Überschrift „Prozess-Auftakt in Brüssel: ‚Attentate haben ganz Belgien erschüttert‘“ heißt es dort: „In Brüssel beginnt der Prozess um die Anschläge von 2016 in der belgischen Hauptstadt.“

Immer wieder fallen im Beitrag die Begriffe „Attentate“, „Attentäter“, „mutmaßliche Attentäter“, „Täter“, „Opfer“, „Angeklagte“. Anders als im ARD-Beitrag werden im ZDF einige Angeklagte namentlich genannt: Salah Abdeslam, Osama Krayem, Mohamed Abrini. „Die meisten der mutmaßlichen Täter sind in Belgien geboren oder aufgewachsen“, weiß ZDF-Autorin Isabelle Schaefers zu berichten. Ein Angeklagter sei „vermutlich in Syrien gestorben“. Was der Leser aus Schaefers Text nicht erfährt: Wieso haben die das gemacht? Der Islamische Staat und die Ideologie der Täter werden nicht erwähnt. Man stelle sich vor, in den 1970er oder 1980er Jahren wäre über einen Prozess gegen RAF-Mitglieder berichtet worden, ohne die RAF zu nennen.

Man tut den Opfern keinen Gefallen, wenn man über die Täter schweigt. Die Opfer von Gewalt können das, was ihnen angetan wurde, nicht von den Tätern lösen. Abstrakt von „Terrorismus“ oder „Krieg“ zu sprechen, ist ein Luxus derer, die von beidem nicht betroffen sind. Wer je vor einem Krieg fliehen musste, Angehörige in einem Krieg verloren hat oder sein Haus, der wird bis an sein Lebensende nicht vergessen, welcher Krieg das war und wer die Kriegsparteien waren. Er wird nicht sagen: „Ich wurde Opfer in irgendeinem Krieg.“

Auch die Opfer von Brüssel sind gewissermaßen Opfer eines Krieges. Es ist der Krieg, den der Islamische Staat gegen die aus seiner Sicht „Ungläubigen“, die „Kuffar“, führt, die er von der Erde vertilgen will.

Die Überschrift des ARD-Beitrags lautet übrigens: „Prozess zu Anschlägen in Brüssel: Die Opfer hoffen auf Antworten“. Von ARD und ZDF werden sie diese wohl kaum bekommen.

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden