„Der Wokeismus ist genauso eine Sackgasse wie der Islamismus“
Ayaan Hirsi Ali kämpft für Aufklärung und gegen die Unterdrückung durch den Islam.© MARTIN BUREAU / AFP
Die gebürtige Somalierin Ayaan Hirsi Ali wurde als Kind beschnitten und im Namen des Islam misshandelt und für ihr Leben bleibend verstümmelt. Nach ihrer Flucht nach Europa setzte sie sich für die Aufklärung über die Gefahren des Islam ein und schrieb viele islamkritische Bücher. Heute lebt die Menschenrechtsaktivistin bezeichnenderweise aus Sicherheitsgründen in den USA und nicht im grün-dominierten Deutschland oder Westeuropa und blickt voller Sorge auf den europäischen Kontinent, wo die Freiheit durch die muslimische Einwanderung und den von Links und Grün vorangetriebenen „Wokeismus“ immer mehr eingeschränkt wird. Die Jüdische Rundschau traf Ayaan Hirsi Ali in Salzburg zum Interview. (JR)
Ayaan Hirsi Ali wurde 1969 in Mogadischu geboren und trat mit 16 in Nairobi der Muslimbruderschaft bei. 1992 floh sie über Deutschland in die Niederlande, wo sie Holländisch lernte und studierte. Nach dem 11. September 2001 wandte sie sich vom Islam ab und wurde Abgeordnete im niederländischen Parlament. Mit dem Filmemacher Theo van Gogh drehte sie den islamkritischen Film „Submission“, den sie mit ihrem Kollegen Geert Wilders online veröffentlichte. 2004 wurde Theo van Gogh von einem jungen Moslem in Amsterdam hingerichtet, sein Drohbrief richtete sich auch gegen Ayaan Hirsi Ali, die zusammen mit Wilders unter Polizeischutz gestellt wurde.
2006 verlor sie ihre holländische Staatsbürgerschaft, weil sie falsche Angaben auf ihrem Asylantrag gemacht hatte, erhielt diese aber bald wieder. Sie wanderte dennoch in die USA aus und gründete dort 2007 die Ayaan-Hirsi-Ali-Stiftung. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, jüngst eine Abrechnung mit der eskalierenden Gewalt gegen Frauen in Europa im Zuge von Angela Merkels Grenzöffnung, „Beute“. Am 28.-30.10.2022 gründete Ayaan Hirsi Ali bei einer Konferenz in Salzburg das internationale Netzwerk gegen den radikalen Islam „CLARITy Coalition“. In Salzburg sprachen wir mit Ayaan Hirsi Ali.
JR: 2006 verloren Sie Ihren Sitz im niederländischen Parlament, da Ihnen vorgeworfen wurde, falsche Angaben auf ihrem Asylantrag gemacht zu haben – u.a. einen falschen Namen verwendet zu haben, über ein sicheres Drittland eingereist zu sein. Im Europa des Jahres 2022 erscheinen das als völlige Lappalien. Niemand wird mehr bestraft, weil er einen anderen Namen angibt, seinen Pass wegwirft, und 20 sichere Länder durchreist. Wie wirkt das alles rückblickend auf Sie?
Ayaan Hirsi Ali: Das war in gewisser Weise eine Zeit der Unschuld. Damals gab es – zumindest in Holland – das Gefühl, dass die Amerikaner irgendwie am 11. September selber schuld waren. Das hatte nichts mit uns zu tun. Wir hatten uns in Europa eingeredet, dass wir gewaltfrei da raus kommen würden, dass man nur mit den Islamisten reden müsste, dann würden die schon zur Vernunft kommen. Es war eine Zeit von großem Optimismus und großer Naivität.
JR: Auch was sie selbst angeht?
Ayaan Hirsi Ali: Nein, ich habe ja stets davor gewarnt: „Ihr versteht das nicht, was da auf euch zukommt.“ Ich musste auf dem Asylantrag lügen, um überhaupt eine Chance zu haben. Wenn ich Ihnen gesagt hätte, dass ich aus Kenia vor einer Zwangsehe floh, wäre das damals ein Ausschlusskriterium gewesen. Ich musste ihnen also die Geschichte erzählen, die sie hören wollten. Das war völlig üblich. Ich hatte eine Asylanwältin von einer Menschenrechtsgruppe, die mich gebrieft hat, welche Fragen sie stellen und was ich darauf antworten soll.
Ich wollte ja damals gar nicht, dass, meine Familie mich findet. Also habe ich den richtigen Namen meines Opas verwendet (Ali). Außerdem gab ich 1967 statt 1969 als mein Geburtsjahr an. Das hat die Asyl- und Integrationsministerin Rita Verdonk zum Anlass genommen, meine Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Daraufhin musste ich vom Parlament zurücktreten. Aber letztendlich führte das zu einer Staatskrise, die Regierung ist gestürzt, die Ministerin verlor ihren Job, und ich bekam meine niederländische Staatsbürgerschaft zurück.
JR: Hat sie sich jemals bei Ihnen entschuldigt?
Ayaan Hirsi Ali: Nein, das hat sie nie. Politiker machen manche Dinge nur, weil sie hoffen, damit wiedergewählt zu werden. Vielleicht hätte sie sich entschuldigt, wenn sie gewählt worden wäre. Aber das kam ganz anders für sie. Sie kandidierte gegen den jetzigen Premier Mark Rutte und wollte sich wohl als besonders streng in Migrationsfragen profilieren. Sie sagte, „Regeln sind Regeln, wer dagegen verstößt, wird bestraft.“ Sie wollte etwas Dramatisches machen. In dem Fall war es, meine Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Doch sie ist gescheitert.
JR: Das war der Grund, aus dem Sie in die USA gegangen sind, richtig?
Ayaan Hirsi Ali: Ja, und die Intensität der Bedrohungen damals. Die Niederlande sind ein sehr kleines Land.
JR: Wie haben Sie damals die USA erlebt, im Vergleich zu Europa?
Ayaan Hirsi Ali: Als ich 2006 ans American Enterprise Institute kam, war George Bush Präsident. Ich freundete mich mit Christopher Hitchens, Sam Harris und Salman Rushdie an, war in Literaturkreisen in New York und in politischen Kreisen in Washington unterwegs. Es war wie eine Befreiung, nach Amerika zu kommen. Nichts war tabu. Man konnte sagen und schreiben, was man wollte. Salman Rushdie und ich haben uns immer darüber unterhalten, wieviel freier das Meinungsklima war, als in Europa.
Doch das hat sich im Amerika nun geändert. Wir habe eine neue Ideologie – die gar nicht so neu ist. In Amerika herrscht jetzt die postmoderne Ideologie namens Wokeismus, wo man nichts sagen kann, ohne gecancelt zu werden und seinen Job und seine Freunde zu verlieren. Man muss Angst haben, angeschwärzt oder gedoxxt zu werden. Sogar in den USA ist das Klima also intoleranter und dogmatischer geworden.
JR: Haben Sie Hoffnung?
Ayaan Hirsi Ali: Man muss immer Hoffnung haben. Der Hoffnungsschimmer für mich ist die Tatsache, dass Wokeismus genauso eine Sackgasse ist wie der Islamismus. Es hat keine Zukunft, keine Verheißung. Sie spalten die Gesellschaft nach Rasse und nach Geschlecht, als wäre das ein Nullsummenspiel. Das ist reiner Nihilismus.
JR: Geert Wilders schreibt in seiner Biografie über den Mord an Theo van Gogh 2004, als Sie und er unter Polizeischutz gestellt wurden, als ob Sie und er damals beste Freunde gewesen wären, aber Sie erwähnen ihn nie. Woran liegt das?
Ayaan Hirsi Ali: Er und ich gehörten 2003 derselben Partei an, der VVD. Wir gehörten zur selben Mannschaft. Damals war er noch im Mainstream, in der Mitte der Gesellschaft. Seitdem hat er den Mainstream verlassen und wurde sein eigener Mann. Ich will damit nicht sagen, dass er ein Extremist ist. Aber er ist ein bisschen zum Einzelkämpfer geworden, in einem Land, in dem man Koalitionen und Konsens bilden muss, wenn man etwas erreichen will. Ich weiß also nicht, ob Geert Wilders jemals die Art politische Veränderung erreichen wird, die ihm vorschwebt. Das ist wohl der Grund, warum wir den Kontakt nicht aufrechterhalten haben. Er steht seit 2004 unter Polizeischutz, sein Leben ist immer noch in Gefahr. Er muss sein Leben diesem unglaublichen Sicherheitsprotokoll unterwerfen. Und das Establishment hat ihn komplett verteufelt. Sie vergleichen ihn mit Hitler, Mussolini und den schlimmsten Ungeheuern der Menschheit. Das ist schlimmer als alles, was Geert je gemacht hat. Aber so ist das heute: Das Establishment versucht die Bürger nicht mit besseren Ideen zu überzeugen, sondern indem der Gegner verteufelt wird. Das passiert nun auch in den USA…
JR: „Wer Trump wählt, ist ein weißer Nationalist.“
Ayaan Hirsi Ali: Genau. Es ist eine Art Kollektivwahn. Man nennt es Trump-Umnachtungssyndrom. Das gibt es wirklich. Ich kenne kluge, wunderbare Menschen, die seit Trump komplett irre sind.
JR: Sie haben auf der Konferenz darüber gesprochen, wie wichtig es ist, eigene Medien zu haben. Das Problem ist, zumindest in Europa, dass nur „rechte“ Medien über den Islam schreiben, und viele Menschen nicht erreichen, während die Mainstreammedien, die viele Menschen erreichen, nicht darüber schreiben.
Ayaan Hirsi Ali: Das ist genau das Problem. Und die Herausforderung ist gigantisch. Ich glaube zum Beispiel, dass es beim Brexit in erster Linie um Einwanderung ging. Die Briten hatten das Gefühl, nicht länger über ihr eigenes Land bestimmen zu können. Das kann man in allen EU-Ländern sehen. Wenn man den Wählern sagt, „Wir ignorieren die drängendsten Probleme unserer Zeit, zu denen der Islamismus zählt – in Frankreich ist er wahrscheinlich das drängendste Problem – treibt man die Wähler in die Arme von Populisten und Extremisten. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung.
JR: Was ist die Antwort?
Ayaan Hirsi Ali: Wir müssen die Mainstreammedien wieder dazu bringen, darüber zu berichten. Das habe ich in den Niederlanden im Falle des ersten Islamkritikers Pim Fortuyn gesehen. Er war schwul, ein Paradiesvogel, ein Sozialdemokrat. Er war weiter links als die Demokraten in den USA, wo ich jetzt lebe. Er war sehr wortgewandt, in keinster Weise ein Extremist. Aber er wurde von den Medien komplett verteufelt, da er sich gegen das Establishment aufgelehnt hat.
Aber als er ermordet wurde (Anm. von einem radikalisierten Grünen) haben sich die Medien sehr dafür geschämt, wie sie ihn behandelt hatten. Danach haben sie angefangen, über Tabu-Themen wie Islam und Einwanderung zu berichten, über die Weigerung mancher Muslime, sich zu integrieren, die Abhängigkeit vom Sozialstaat, die hohe Verbrechensrate, die Grenzsicherung, all diese Themen, die dem normalen Bürger Sorgen machen, weil sie im Alltag damit konfrontiert werden. Nach einer Weile haben sie aber wieder damit aufgehört, leider. Jetzt haben wir den Wokeismus, jetzt ist das alles wieder tabu. Das Pendel ist wieder in die andere Richtung geschwungen.
JR: Sie sind in jungen Jahren der Muslimbruderschaft beigetreten. Wie kann man solche jungen Muslime erreichen?
Ayaan Hirsi Ali: Als die Islamisten kamen, um uns zu verführen, besaßen wir keine Kritikfähigkeit. Sie konnten uns alles erzählen. Man kann also damit anfangen, jungen Menschen beibringen, Fragen zu stellen. Was wollt ihr mir verkaufen? Wie wird diese Utopie aussehen? Warum sprecht ihr für Gott? Das waren Erwachsene, mit unserer Heiligen Schrift, die bessere Muslime aus uns machen wollten, um uns vor einem Abrutschen in Drogenabhängigkeit und Verwahrlosung zu bewahren. Anfangs ist das sehr verlockend. Erst später, wenn man Burka tragen muss, ohne männlichen Begleiter das Haus nicht verlassen kann und keine Fragen stellen darf, fühlt man sich immer mehr eingeschränkt. Da begann ich, immer mehr zu zweifeln. Ich bin ja von Natur aus rebellisch. Manche Leute mögen ja die Unterordnung, die klaren, schwarz-weiß-Regeln.
Um dem Islamismus zu entgegnen, müssen wir verstehen, was ihn so verlockend macht, und wie wir unsere eigenen Ideen verlockender machen können. Wenn ich damals von klassischen Liberalen angesprochen worden wäre, hätte ich mich vielleicht dafür entschieden. Aber damals waren die Islamisten die Einzigen, die auf uns zukamen. Sie haben erst die Schulen und Moscheen übernommen, und dann die ganze Nachbarschaft.
JR: Das war also eine neue Entwicklung? Es war nicht immer so?
Ayaan Hirsi Ali: Es war nicht immer so. Ich wurde 1969 geboren. Im Somalia der 70er und Kenia der 80er Jahre gab es sowas noch nicht. Ich weiß noch das erste Mal, als ich in Kenia eine Frau in einer Burka gesehen habe. Die Islamisten standen immer in Gruppen, ließen sich Bärte wachsen und trugen Hochwasserhosen. Sie sahen seltsam aus. Es hatte etwas. Sie setzten sich damit ab. Man wollte entweder dazugehören oder dagegen sein. Sie gaben uns zu Essen, sie gaben uns ein Ziel.
Es kamen sowohl Araber wie Iraner. Es war eine gezielte Aktion und ging sehr schnell. Innerhalb von 5 Jahren wurde unsere Nachbarschaft völlig verwandelt. Vorher sahen alle ganz normal aus, Frauen wurden nicht drangsaliert. Meine Mutter hatte etwas gegen Röcke über dem Knie, aber sie hatte nichts gegen ärmelfrei oder offene Haare. Als ich begann, Burka zu tragen, fand sie das zuerst seltsam, doch dann akzeptierte sie es und sagte: „Ja, so sollte eine junge Frau sich kleiden.“
Vorher gingen wir nicht in die Moschee. Da trafen sich die Männer, um Geschäfte zu machen. Auch das änderte sich sehr schnell. Es wurde eine islamistische Moschee, wo die Imame Höllenfeuer predigten. Die Moschee wurde renoviert und ausgebaut, mit Glanz und teuren Teppichen. Davor war es ein heruntergekommenes Gebäude, wo die Farbe abging, danach war es voller glänzender Kacheln und die Imame trugen arabische Kleidung. Das weiß ich noch gut.
Das Geld kam aus dem Iran, Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten. Sie überschütteten diese sehr armen afrikanischen Länder mit Geld. Viele kamen nur, weil es dort etwas zu Essen gab.
JR: Und Sie glauben, Saudi-Arabien verändert sich jetzt?
Ayaan Hirsi Ali: Ja. Und zwar wegen des IS. Viele IS-Anführer waren Saudis. Sie predigten in den Moscheen, dass die Königsfamilie keine Moslems mehr waren. Das kam gut an. Deshalb begann die Königsfamilie, aufzuwachen. Sie fühlten sich bedroht. Schließlich dürfen Saudis in ihrem Land keinen Alkohol trinken, Männer und Frauen dürfen keinen Umgang haben, aber die Königsfamilie fliegt dann an die Riviera und macht all diese Dinge. Klar, dass das Unmut erzeugt. Damit konnte der IS punkten.
Außerdem hatte der IS im Irak und Syrien Land erobert. Viele dieser repressiven arabischen Regime sagten sich, „Meine Güte, wir sind bald fällig.“ Als Mohammed Mursi und die Muslimbrüder die ägyptische Regierung übernahmen, war das für viele ein Weckruf, die sagten, „Das wird und noch verzehren.“ Also begannen sie rein aus Selbsterhaltung, die Wahabis, die Salafisten, und die Muslimbrüder zu bekämpfen.
Außerdem wurde ihnen immer mehr klar, dass sie sich nicht ewig auf das Erdöl verlassen können, sondern sich der Weltwirtschaft öffnen müssen. Aber wie soll man sich öffnen, wenn man die Hälfte der Bevölkerung eingesperrt hat? Frauen lebten in Saudi-Arabien unter Hausarrest. Ohne männlichen Begleiter durften sie das Haus nicht verlassen. Was soll das? Jetzt haben sie die Regeln gelockert, ihre Kinder studieren in Europa und den USA.
JR: Wir haben die Abraham-Abkommen, Reformen in Saudi-Arabien und jetzt die Revolution im Iran. Sehen Sie die Möglichkeit eines grundlegenden Wandels in der Region?
Ayaan Hirsi Ali: Ja. Auch aufgrund der Freundschaft mit Israel – wenn es Ihnen gelingt, die atomare Bedrohung abzuwenden. Einige Fachleute glauben, dass Iran sehr bald die Atombombe haben wird. Wenn das passiert, wird es übel. Wenn man das verhindern kann, könnte sich der Nahe Osten von einer sehr konservativen muslimischen Gesellschaft hin zur Moderne wenden.
JR: Was sollten wir gegen Islamisten und Wokeismus machen?
Ayaan Hirsi Ali: Wir müssen Netzwerke schaffen, mit Linken sowie mit Rechten zusammenarbeiten, solange sie sich an Gesetz und Menschenrechte halten. Die Herausforderung der Islamisten ist, dass sie mit dem Prozess des Dawa die Herzen und Hirne der Jugend erobern, und diese dann losschicken, um Gewalt und Terror zu verbreiten. Dass schlimmste ist vielleicht, wie sie den Geist der Jugend abschotten. Das führt zu gesellschaftlicher Instabilität. Das dürfen wir nicht zulassen.
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