Iran: Das verdorbene Schweigen von Scholz und Steinmeier
© AFP
Am mittelalterlichen Königshof war es allein den Narren erlaubt, Kritik am Regenten mit einer Portion Witz anzubringen. Nachdem der gleichgeschaltete Block der Mainstream-Medien seiner Aufgabe als Kontrollinstanz nicht mehr nachkommt, sind es heute wieder die Satiriker und Kabarettisten, die den Finger in die Wunde legen sollten. So geschehen in der Politsatire-Sendung „Die Anstalt“ im ZDF. Dies ist erfreulich, für die heutige Zeit gar nicht mehr so selbstverständlich und für die Künstler durchaus nicht ungefährlich. Man fühlte dem schier unerklärlichen Kuschelkurs der Bundesregierung und vor allem des Bundespräsidenten mit den Mord-Mullahs im Iran schonungslos auf den Zahn. Außerdem grub man die historische Macht-Achsen zwischen Berlin und dem islamischen Judenhass aus.
Deutschland und der Iran, das ist eine lange Geschichte der politischen Rücksichtnahme der Deutschen auf das Mullah-Regime in Teheran, die auch jetzt noch fortgeführt wird, nachdem die Bürger sich dort gegen die Religionsdiktatur zur Wehr setzen. Das mag auch an den blühenden Handelsbeziehungen liegen, laut Angaben des Datenportals »Statista« exportierte Deutschland im Jahr 2021 für insgesamt 1,4 Milliarden Euro Waren in den Iran, hauptsächlich Kraftfahrzeugteile und Industriemaschinen. Seit der islamischen Revolution von 1979 intensivierten sich diese Handelbeziehungen stetig. Als die USA, damals noch unter der Präsidentschaft von Donald Trump, 2018 aus dem Atomabkommen (JCPoA) mit dem Iran ausstiegen, beeilte sich Ex-Außenminister Heiko Maas, die Lücke mit deutschen Lieferungen zu füllen. Man mag in dieser Beziehung gar nicht darüber nachdenken, was sich in der Handelsstatistik hinter dem Begriff »Maschinen« verbirgt, z. B. Zentrifugen zur Anreicherung von Uran, um das Material waffenfähig zu machen. Neben Italien, dessen Bedeutung für den iranischen Außenhandel in den letzten Jahren abgenommen hat, ist Deutschland der wichtigste Handelspartner der Mullahs.
Allerdings gehen die Höflichkeitsbekundungen weit über diplomatische Notwendigkeiten hinaus – das Verhalten manches deutschen Politikers ist schon fast als servil zu bezeichnen. Bereits im Februar 1987, zum achten Jahrestag der islamischen Revolution kam es diesbezüglich zu einer absurden Posse, die ein fünf-Sekunden-Clip in Rudi Carrells satirischer »Tagesshow« ausgelöst hatte: Der kurze Film erweckte den Eindruck, als wühle Ayatollah Khomeini in Dessous, die ihm von weiblichen Anhängerinnen zugeworfen worden waren. In Teheran tobten – vom Regime bestellt? – wütende Bürger durch die Straßen, das Goethe-Institut musste schließen und Moderator Carrell erhielt Morddrohungen von Gefolgsleuten des Religionsführers. Verwahrte sich die Bundesregierung damals gegen die Einmischung in die Freiheit der deutschen Medien? Davon ist nichts bekannt. Der WDR entschuldigte sich untertänig, sogar der mit dem Tod bedrohte Moderator rang sich öffentlich Worte des Bedauerns ab. Carrell sagte im Rückblick, das Regime hätte die Gelegenheit genutzt, um von der Bundesregierung Waffenlieferungen zu fordern.
Auch wenn diese Episode bei den meisten Deutschen längst in Vergessenheit geraten ist, mutet es vor dem Hintergrund der damaligen Ereignisse couragiert an, wenn die ZDF-Satiresendung »Die Anstalt« am 15. November 2022 noch einmal die guten Beziehungen der letzten Jahrzehnte zwischen der deutschen und der iranischen Regierung Revue passieren lässt. Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland gelten als relativ zahm, wenn es um Regierungskritik geht, es sei denn, es ginge um Kritik an der Regierung Israels. Doch diesmal ist sogar die Feindseligkeit des Iran gegenüber dem jüdischen Staat Thema, auch die Gefahr, welches das iranische Atomprogramm für diesen darstellt, was auch das ZDF gern »unter den Perserteppich kehrt«, um einmal eine Formulierung aus der Sendung aufzugreifen. Man stellt sogar die Frage, warum niemand bisher einen kritischen Blick auf die iranischen Tests von Trägerraketen geworfen hat, die wohl kaum einer zivilen Nutzung dienen. Das ist neu zur besten Sendezeit. Sollte etwa der Protest auf den Straßen Irans, der sich am Tod Mahsa Aminis entzündete, die ihr Kopftuch nicht »ordnungsgemäß« trug, dem ZDF Mut gemacht haben, es nun auch einmal mit Kritik an der Iran-Politik der Bundesregierung zu versuchen?
Protest, den man nicht ignorieren kann
Immerhin waren zum Zeitpunkt der Sendung bei den Protesten bereits mehr als dreihundert Demonstranten getötet worden, darunter auch Kinder und Jugendliche. Auch wenn das Regime in Teheran sich alle Mühe gibt, das Land nach außen medial abzuschotten, gehen die Bilder um die Welt. Und sie ringen auch den Apologeten des politischen Islams in Deutschland einen Spagat ab: Wie erklärt man den Kampf der Iranerinnen gegen den Kopftuchzwang, ohne die Scharia zum Thema zu machen? Denn aus dieser leiten die meisten muslimischen Gelehrten nun einmal die Pflicht, dass Frauen ihren Kopf bedecken müssen, ab. Das brachte selbst Außenministerin Annalena Baerbock in Argumentationsnöte, die noch vor kurzem beteuert hatte, die Unterdrückung der Frauen im Iran habe nichts mit Religion zu tun. Angesichts der »feministischen Leitlinie« ihrer Politik verwundert es, wie wenig sie sich offenbar mit den Hintergründen der Proteste auseinandergesetzt hat. Hier kollidiert die Angst, sich der »Islamophobie« - die übrigens auch ein Kampfbegriff des Khomeini-Umfeldes ist - schuldig zu machen mit der Lebensrealität in vielen islamischen Staaten. Der Iran mag eines der rigidesten Regime unter ihnen sein, aber auch in anderen Ländern gilt: Wo die Scharia regiert, gelten drastische Einschränkungen für Frauen. Sie müssen sich unter Stoffmassen verhüllen, dürfen weder ein Auto noch ein Fahrrad fahren und sind etwa in Afghanistan von höherer Schulbildung ausgeschlossen. Zwar wird über das alles auch in den deutschen Medien berichtet, aber dezent verschwiegen, dass einige dieser Staaten auch in Deutschland islamistische Lobbygruppen finanzieren. So auch der Iran. Deshalb verwunderte es mich auch ein wenig, Enissa Amani als Co-Moderatorin der ZDF-Sendung zu erleben. Natürlich, sie ist Iranerin, hatte aber noch 2018 bei Frank Plasberg einen fulminanten Auftritt hingelegt, bei dem sie nicht nur die Scharia-Politik Indonesiens verharmloste, sondern auch Islam-Kritiker Hamed Abdel Samad heftig anging – nie würde sie eins seiner Bücher lesen!
Blindes Appeasement
Und darin liegt wohl des Pudels Kern: Die Deutschen, auch die deutsche Politik, sind mittlerweile gut erzogen, auch dank der Image-Arbeit, die viele westliche Intellektuelle, welche zur Zeit der iranischen Revolution den Sturz des Schahs begrüßten, seit 1979 geleistet hatten. Die schon damals begangenen Menschenrechtsverletzungen durch die Revolutionsgarden Khomeinis wurden als »Kinderkrankheiten« der noch jungen Republik abgetan, die sich noch legen würden. Aber nichts legte sich, Frauen wurden unter den Tschador gezwungen, Gegner der Revolution gefoltert. Das Augenzudrücken ging auch weiter, nachdem Ayatollah Khomeini die islamische Welt aufgefordert hatte, den Schriftsteller Salman Rushdie zu ermorden. Von der Unterstützung verschiedener anti-israelischer Terrorgruppen mit Geld und Waffen ganz zu schweigen. Der Antisemitismus und die ständigen Vernichtungsdrohungen gegen Israel, welche durch Anhänger des Mullah-Regimes offen auf die Straßen getragen werden, wurden noch von Ex-Kanzlerin Merkel als eine Art Folklore verharmlost.
Und so hat sich in den letzten Jahrzehnten – auch dank der obengenannten linken Intellektuellen – eine toxische Mischung aus Ideologien ergeben: Die reflexhafte Verteidigung des politischen Islams mischt sich mit einer ebenso reflexhaften Ablehnung Israels, die als »Engagement für die Menschenrechte« oder gar als »Lernen aus der deutschen Vergangenheit« getarnt wird. Man gibt sich als Lehrmeister Israels, das man dafür hasst, sich aus der Bevormundung freigeschwommen zu haben, die dem jüdischen Staat letztlich nur schaden will. Gern wird die aktuelle israelische Regierung als »rechts« klassifiziert, dabei ist es gerade die intellektuelle Linke, die in ihrer Romantisierung des Islam und den Schuldzuweisungen an Israel immer häufiger Überschneidungen zu Teilen der extremen deutschen Rechten aufweist. Neben dem Geld, das sich in den Handelsbeziehungen zum Iran verdienen lässt, dürfte gerade diese toxische Mischung zum Schweigen und Andienen der deutschen Politik an den Iran in den letzten Jahrzehnten geführt haben: Präsident Steinmeiers Gratulationen zum Jahrestag der Revolution, dem »High Five« einer Claudia Roth mit iranischen Holocaust-Leugnern und der Skrupellosigkeit eines Heiko Maas, das Mullah-Regime mit Nukleartechnologie auszustatten.
Jetzt, so scheint es, wartet die Bundesregierung erst einmal ab, wie sich die Sache im Iran entwickelt. Man weiß, dass man sich zu den brutalen Angriffen auf die Demonstrierenden in irgendeiner Form äußern muss, um seine Glaubwürdigkeit in der Menschenrechtsfrage nicht komplett zu verlieren, aber es bleibt bei allgemeinen Phrasen. Hinsehen müsse man, bekundete Bundeskanzler Olaf Scholz am 12. November und befasste sich seitdem zumindest in den sozialen Medien nicht mehr mit dem Thema. Aber vielleicht ist das ja schon ein kleiner Fortschritt nach Jahrzehnten des Wegsehens: Endlich die Augen für die Menschenrechtsverletzungen im Iran zu öffnen.
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