Die judenfeindlichen Verschwörungstheorien des Rap-Milliardärs Kanye West

Kayne West wurde auf Twitter gesperrt, nachdem er antisemitische Verschwörungstheorien gepostet hatte.© OLIVIER DOULIERY / AFP

Der Sportartikel-Hersteller Adidas hat endlich seine Kooperation mit dem US-Rapper Kanye West beendet, nachdem dieser erneut mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen war. West verbreitete Verschwörungstheorien und behauptete nach bekannter Nazi-Manier, Medien seien „von Juden gesteuert“ und er sei das Ziel der „jüdischen Untergrund-Media-Mafia“. Der neue Höhepunkt seines Juden-Hasses markierte ein Kommentar Wests in den sozialen Medien, in dem er drohte, dass er „jüdischen Menschen den Tod bringen“ wolle. (JR)

Von Mirjam Lübke

Wenn ein Mensch, der selbst in der Gesellschaft einflussreich ist und darüber hinaus über ein gut gefülltes Bankkonto verfügt, plötzlich über »geldgierige« und »machtversessene« Juden schwadroniert, hat das eigentlich etwas unfreiwillig Komisches. Ist es da etwa jemandem unangenehm, in einer Welt, in der jeder nach Gerechtigkeit für die Unterdrückten ruft, selbst auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen? Bei Kanye West, der zum ersten Mal 2003 mit antisemitischen Äußerungen auffiel, wird damit auch noch das Narrativ des beständig unterdrückten Schwarzen durchbrochen, denn objektiv gesehen, gehört er selbst zu den Privilegierten. Als Musiker, der innerhalb seiner Stilrichtung zudem als »genial« gilt, besitzt er darüber hinaus eine große Reichweite, um seine Ideen unter jungen Menschen zu verbreiten. Darüber hinaus wurde er auch zur Mode-Ikone der Edelmarke Balenciaga und zum Gesicht des Sportherstellers Adidas – und deshalb wird aus der eigentlich komischen Angelegenheit eine ernste Sache.

Kanye West machte sich zwar jüngst auch bei der »Black Lives Matter«-Bewegung unbeliebt, indem er ein T-Shirt mit der Aufschrift »White Lives Matter« trug, das innerhalb der Szene als rassistisches Symbol gilt. Zudem erzürnte er die Familie des bei einem Polizeieinsatz verstorbenen George Floyd, indem er auf die Obduktionsergebnisse hinwies, nach denen Floyd zum Zeitpunkt dieses Einsatzes unter Drogen stand, was maßgeblich zu dessen Tod beitrug. Das rüttelte an der öffentlichen Darstellung, Floyd sei ein Opfer systemischen Rassismus der amerikanischen Polizei geworden, wobei gern verschwiegen wurde, wie oft er bereits mit selbiger wegen diverser Vergehen in Konflikt geraten war. Indem Kanye West diese Tatsachen ansprach, gelang es ihm, sich zwischen allen Stühlen zu setzen, denn einige der von ihm auf Twitter verbreiteten antisemitischen Äußerungen decken sich sehr wohl mit den Ressentiments, die auch von BLM-Aktivisten verbreitet werden.

 

Konkurrenz um „Opferstatus“

Kernpunkt dieser Ressentiments ist – vereinfacht ausgedrückt – die Aussage »die Juden nehmen uns den Opferstatus weg«. Man muss nicht in die USA reisen, um auf diese befremdliche Vorstellung zu stoßen, sie ist in vielen Gruppierungen verbreitet, die befürchten, aufgrund des Gedenkens an die Shoah übersehen oder in ihrem Leid nicht ernst genommen zu werden. Um dies zu illustrieren, benutze ich häufig das Bild eines Kuchens: Die Empathie mit Opfern eines monumentalen Verbrechens wird häufig als solcher betrachtet, wenn er aufgegessen ist, bleibt nichts mehr für die anderen übrig. So als sei es nicht möglich, sich in unterschiedliche Gruppen hineinzudenken, denen Unrecht widerfahren ist. Seien es die Ukrainer und der durch Stalin befohlene Holodomor oder eben die Geschichte der aus Afrika verschleppten Sklaven – die Beteuerung der Gesellschaft, diese als Verbrechen an der Menschheit anzuerkennen reicht nicht, es muss mindestens ein Holocaust sein. In Deutschland wurde diese Sichtweise vor allem durch Malcolm Ohanwe vorangetrieben, der sich mehrfach äußerte, es müsse möglich sein, über die Einzigartigkeit der Shoah zu diskutieren. Von vielen Deutschen dürfte das unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung geradezu als Erlösungsmoment wahrgenommen worden sein. Ohanwes Forderung wurde zur Wiederbelebung des »Historikerstreits« hochstilisiert. Denn es galt aufgrund seines ethnischen Hintergrunds als ausgeschlossen, dass seine Motive antisemitisch aufgeladen sein könnten. Man konnte ihn also bequem zum Fürsprecher in eigener Sache machen.

Dabei ist es im Grunde einfach, sich über die Motive solcher Relativierung Aufschluss zu verschaffen, indem man das offene Gespräch sucht und ein paar biographische Details ermittelt. Ist jemand nicht neidmotiviert, sondern braucht lediglich einmal ein offenes Ohr für die eigene Familiengeschichte, wird man im Gegenzug auch Verständnis für das jüdische Konzept des Gedenkens erwecken können. Innerhalb der BLM-Bewegung hat man jedoch den »Shoah-Neid« zum Konzept erkoren, mit dem sich bei ähnlich gesinnten Gruppen Solidarität generieren lässt. Die Shoah durchbricht die eigene Legende von der grundsätzlichen Privilegierung weißer Menschen, was allein schon zu manchen Kapriolen bei der Erklärung dieses Umstands führt: Juden werden von nun an pauschal als »person of color« klassifiziert, egal, aus welchem Teil der Welt sie auch stammen mögen.

 

Gemeinsames Feindbild

Weitaus schwerer wiegt jedoch, dass es zu einer raschen Solidarisierung mit der BDS-Bewegung kam, mit der man sich auf natürliche Weise verbündet sieht. Patrisse Cullors, die Gründerin von BLM, erkannte schnell, wie man das bereits existierende Netzwerk der Israel-Hasser für eigene Zwecke einsetzen konnte und sprach sich auch beim arabischen Fernsehsender al-Jazeera für eine Zusammenarbeit aus. Da trifft Pragmatismus auf ein gemeinsames Feindbild innerhalb der postkolonialen Szene. Die Darstellung Israels als »westliche Kolonialmacht«, die schon in der panarabischen Bewegung Ende der Sechziger populär war, verschmilzt mit der Wut auf die ehemaligen europäischen Kolonialmächte. Das berechtigte Bedürfnis nach Aufarbeitung der eigenen Geschichte wird schnell zum Rachefeldzug: Viele amerikanische Juden, die BLM grundsätzlich gern unterstützt hätten, schreckten vor den Gewaltexzessen zurück, die am Rande der »antirassistischen« Proteste verübt wurden. Jüdische Schulen wurden mit Parolen beschmiert, Synagogen angegriffen und Geschäfte demoliert, wenn man glaubte, sie seien in jüdischem Besitz. Und das alles unter dem Vorwand, Gerechtigkeit für die »Brüder in Palästina« zu erstreiten. In Deutschland erfuhr man davon nur wenig, auf die BLM-Idee durfte kein Schatten fallen. Vielleicht auch deshalb, weil hierzulande ähnliche Prozesse in der Zusammenarbeit mit muslimischen Lobbygruppen stattfinden, deren Antisemitismus negiert oder als »Israelkritik« schöngeredet wird.

Mag Kanye West sich auch von der Familie George Floyds distanziert haben, so spricht aus seinen Tweets doch derselbe Antisemitismus, der als giftgrüner Neid auch bei BLM immer wieder ans Tageslicht kommt. Und das, obwohl sich in den Großstädten der USA oft orthodoxe Juden und Schwarze dieselben ärmeren Wohngegenden teilen. Aber Fakten über jüdisches Leben haben Antisemiten noch nie vom Weiterverbreiten von Vorurteilen abgehalten. Gleichzeitig stricken gerade Rapper damit auch an ihrer eigenen Legende, Teil der schwarzen Unterschicht geblieben zu sein, deren Lebensumstände sie in ihrer Musik in Worte fassen. Was durchaus seine Berechtigung hat, denn es geht nicht darum, Schwarzen das Recht auf das Benennen von Benachteiligungen in der Gesellschaft abzusprechen. Wenn derjenige, der sich zum Sprachrohr macht, aber offensichtlich selbst einer privilegierten Schicht angehört, macht das anderen zwar Hoffnung, irgendwann selbst seine Lebensumstände zu verbessern, aber es kann eben nicht jeder ein berühmter Rapper werden. Diesen Status auf dem Rücken der jüdischen Bevölkerung aufrecht erhalten zu wollen, ist allerdings mehr als nur schäbig und führt das Märchen ad absurdum, dass Angehörige einer Minderheit nicht selbst Vorurteile gegen andere Minderheiten pflegen könnten.

Nachdem Kanye West begriffen hatte, dass er nicht so unangreifbar ist, wie er es seinen Fans kurz davor noch prahlerisch erklärt hatte, wurde er dann plötzlich sehr kleinlaut. Mit dem Werbevertrag bei Adidas brach ihm eine wichtige Einkommensquelle weg und sein Status beginnt zu verblassen. Nun begab er sich zur Behandlung einer bipolaren Erkrankung in Therapie, denn diese will er als Ursache seiner antisemitischen Äußerungen ausgemacht haben. Als selbst von dieser Erkrankung Betroffene kann ich nur staunen, wie leicht es sich Kanye West macht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Bipolarität führt zu starken Gefühlsschwankungen, sie erschafft aber nichts, was in einem Menschen nicht ohnehin schon latent vorhanden ist, auch keinen Antisemitismus. Der latente Antisemit verliert in einer manischen Phase die Hemmung, die Welt an seinen Gedanken teilhaben zu lassen. Kanye West kann in einer Therapie also eventuell lernen, künftig den Mund zu halten – aber seinen Antisemitismus kann man gewiss nicht heilen – da hilft nur Einsicht. Vielleicht stellt diese sich auch bei Kanye West noch ein.

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